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Deutschjüdische Familiengeschichte
Mit dem Begriff „Glückskind“ ist es so eine Sache. In einem gleichnamigen Film aus dem Jahr 2014 wird ein Baby von seiner Mutter in einer Mülltonne abgelegt. Der Titel bezieht sich auf die zufällige Rettung des Kindes. Vielleicht spukte er vor vier Jahren im Kopf von Michael Wolffsohn herum, als er ihn für ein Buch über das dramatische, aber schließlich gut ausgegangene Schicksal seiner engeren Familie gewählt hat: „Deutschjüdische Glückskinder“. Im buchstäblich allerletzten Moment konnten die Wolffsohns wie auch die Saalheimers, ihre Tochter Thea wurde Michaels Mutter, aus Nazi-Deutschland nach Israel – damals noch das von den Briten verwaltete Palästina – flüchten. Jetzt ist die Geschichte unter dem leicht abgewandelten Titel „Wir waren Glückskinder – trotz allem“ in einer für Jugendliche neu gefassten Version erschienen.
Der deutschjüdische Patriot Michael Wolffsohn hat 30 Jahre lang Neue Geschichte an der Münchner Bundeswehrhochschule gelehrt, zuvor aber auch freiwillig drei Jahre Dienst in der israelischen Armee absolviert. Bewundernswert wie auch verwunderlich ist seine (im Großen und Ganzen) offene Begeisterung für das demokratische „neue Deutschland“. Verwunderlich vor allem angesichts des nie ganz erloschenen und schon wieder erstarkenden Antisemitismus. Wegen wiederholter Morddrohungen steht er unter ständigem Personenschutz.
Dieser vergleichsweise schmale zweite „Glückskinder“-Band erzählt vor allem die persönlichen Erlebnisse der Wolffsohns in Deutschland von der Weimarer Republik bis zur Jetztzeit und den für den größeren Teil seiner Familie vergleichsweise kurzen Aufenthalt in Israel. Mit diesem Staat fühlte sich die Mehrheit des Klans zwar solidarisch, aber sie wurden dort nie wirklich heimisch.
Michael Wolffsohns siebenjähriger Enkel Noah wollte „mehr über Juden und Hitler“ wissen. Diesen Wunsch hat sein Großvater nun in dem leicht zu lesenden, mit vielen Anekdoten und Geschichten angereicherten Text erfüllt: Beginnend mit dem in Berlin schier unglaublich – geschäftlich wie sozialpolitisch – tüchtigen Großvater Karl und seiner (so wird immer gerne betont) „bildschönen“ Frau Recha, endend mit dem Appell an die jungen Leser: Ob das „Glück“, in einem demokratischen und sicheren Land leben zu können, bestehen bleibe, „das hängt von Dir ab“. In Anbetracht seiner jungen Leser muss Wolffsohn natürlich eine Menge von Begriffen und geschichtlichen Fakten erklären. Das gelingt ihm aber eher nebenbei und klingt nie oberlehrerhaft. Nur gelegentlich übertreibt er es mit der Jugendsprache, wenn er von „Granatenblödsinn“ spricht oder den von ihm erlebten Bürgerkriegslärm in Tel Aviv mit „Bums. Bums. Bums.“ beschreibt.
Jedenfalls überraschend, dass Michael Wolffsohn, der von manchen eher als „kalter Krieger“ oder „reaktionär“ wahrgenommen wird, hier seine eigentlich liberal-konservative Grundhaltung im lockeren und nie aggressiven Ton deutlich macht. Sonst scheut er sich ja kaum, seine klare Ablehnung von Personen und Institutionen – ob es der Jüdische Weltkongress, die Israelitische Kultusgemeinde oder seine früheren Hochschulpräsidenten sind – kräftig kundzutun. Diese durchaus spannenden Passagen in den ersten „Glückskindern“ hat er nun verständlicherweise außen vor gelassen.
RALF HUSEMANN
Der Autor macht seine
eigentlich liberal-konservative
Grundhaltung deutlich
Michael Wolffsohn:
Wir waren Glückskinder – trotz allem.
Eine deutschjüdische
Familiengeschichte.
dtv, München 2021.
240 Seiten, 14,95 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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