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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Matthias Nawrat erzählt von einem vegetarischen Amour fou in Freiburg
Die Freiburger Gemüsekultur treibt manchmal seltsame Blüten. Das Cover von Matthias Nawrats erstem Roman ziert jedenfalls eine Karotte mit einem grünen Zipfel und zwei fast obszön verschlungenen rosaroten Trieben, die auf eine tiefere "strukturelle Koppelung" verweisen. Mit Gemüse kennt Benz, der dreißigjährige Taugenichts und Träumer aus der "Generation der Unentschlossenen", sich jedenfalls aus. Er fährt nicht nur tagaus, tagein Spargel, Karotten, Tomaten und Salat aus; er weiß auch, dass Blumenkohl dümmer ist, als er aussieht, Kartoffeln intelligent und Fenchel und Artischocken die Aristokraten unter den Früchten der Erde sind.
Benz spuken eine Menge seltsamer Phantasien durch den Kopf. Mal hält er sich für einen Irokesen, mal für Dschingis Khan; aber meistens will er sich nur wegducken und wie einst die Romantiker ins Erdreich graben und verschwinden, in der Freiburger Kanalisation, in den Bergwerksstollen des Schauinsland, in den Pilzkellern des Schlossbergs. "Glauben ablassen, klein werden auf rechtwinklige Art und Weise, verräumbar in den Keller, in den Schrank", dann die "Kapitulation unterschreiben" und so schließlich die Ruhe einer geradezu kosmischen Zufriedenheit finden. "Ich bin das Rückgrat der Nation", sagt der "verglückte" Gemüsefahrer mit einer eher verunglückten Metapher, "das im Schrank hängt und verstaubt. Es gilt, die Gedanken an mich in allen Köpfen auszulöschen. Es gilt, in Vergessenheit zu geraten. Es gilt, einen speziellen Neglekt für die eigene Person zu erzeugen, ein Loch in der Wahrnehmung der anderen. In ein paar Jahren wird es so sein, als hätte ich nie gelebt."
Vorderhand lebt er aber noch. Benz ist zufrieden, wenn er mit seinem Sprinter vom Kaiserstuhl durch Himmelreich und Höllental hinauf in den Schwarzwald fahren und abends mit seinen Freunden Riegeler Landbier in Rudis Kneipe trinken darf. Und wenn dann noch Theres auftaucht, findet er für sein Glück kaum noch Worte in der "normalen" Sprache. Theres, die Schuhverkäuferin, ist eine zauberhafte Elfe, auf stille Weise widerspenstig, rätselhaft und nie ganz zu fassen. Manchmal verschwindet sie wochenlang, dann taucht sie wieder auf, steigt ohne ein Wort der Erklärung in Benz' Gemüselaster und Bett und will nur noch bei ihm sein, am liebsten in einem Häuschen im Grünen, weit weg von allen Menschen. Offenbar gibt es einen anderen Mann in ihrem Leben, einen Stefano aus Stuttgart; aber für Benz' Eifersucht hat die treulose Tomate kein Verständnis. Als Theres nach monatelanger Abwesenheit schwanger zurückkehrt, hat ihr Geliebter das Nachsehen.
Nawrats erster Roman ist die Geschichte einem Amour fou an der Dreisam, surreal verschlungen wie die Mohrrübe auf dem Titel und grün wie die Ökohauptstadt Freiburg. Vor allem aber ist er eine Liebeserklärung an den Schwarzwald. Kirschbaumblüte im Markgräflerland, in der Sommerhitze leuchtende Maisfelder, Herbstregen und Nebel im oberen Wiesental, Schnee auf dem Feldberg: Nawrat schreitet den ganzen Kreislauf der Jahreszeiten aus und fährt alle Höhen des Breisgaus ab, und als romantischer Naturschwärmer ist der gelernte Diplombiologe nicht einmal übel.
Nawrats Schwarzwaldindianer kennt keinen Schmerz, außer einem diffusen Weltschmerz. Wenn Benz und seine Geliebte zusammen Gemüse ausfahren oder in ihrer sturmumtosten Heidegger-Hütte sitzen, kann sie nichts mehr trennen. "Wir sind zu einer Einheit in einem Land aus Zweisamkeiten geworden", jubelt er dann. "Die Weltgeschichte könnte uns auseinandergerissen haben. Aber wir haben uns gefunden und halten uns zusammen." Nawrat beschwört mit viel Mut zur Poesie, versponnenem Witz und manchmal gewagten Metaphern das Glück im idyllischen Winkel, eine folie à deux unter- und außerhalb jeder Realität. Aber das selbstgenügsame Wir-zwei-allein-gegen-die-Welt-Gefühl ist selbst der Borderlinerin Theres auf die Dauer zu wenig. In den Bächle, Ökoläden und Gemütlichkeitsfallen Freiburgs kann man leicht versacken, aber so traumverloren wie in diesem Wunderland der Liebe geht es nicht mal in den Studentenkneipen Freiburgs zu. Nawrats Gemüselyriker fehlt noch einiges von dem, was den Kohl fett macht: zum Beispiel Fleisch, Blut und Knochen.
MARTIN HALTER
Matthias Nawrat: "Wir zwei allein". Roman.
Nagel & Kimche, München 2012. 187 S., geb., 17,90 [Euro].
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