»Ein reiches und reichhaltiges Buch. Diese heitere Bösartigkeit führt vielleicht zur Verbesserung der Welt oder ins nächste Wirtshaus.« Elfriede Jelinek
Es ist das Jahr 1994. In einem Kärntner Dorf am Fuß der Karawanken sitzt die Erzählerin unter einem Lkw und beobachtet die Welt und die Menschen knieabwärts. Sie ist elf Jahre alt und spielt Verstecken mit ihrer Freundin Luca aus Bosnien. Zum letzten Mal, denn die Familie zieht um. Der Hof ist zu klein geworden für den Ehrgeiz der Mutter, die ausschließlich eines im Kopf hat - bürgerlich werden! Nach und nach treffen immer mehr Nachbarsleute ein, um beim Umzug zu helfen, und das Kind in seinem Versteck beginnt zu erzählen: von seiner Angst, im Katzlteich ertränkt zu werden, weil es kurze Haare hat. Weil es Bubenjeans trägt. Weil es heimlich in Luca verliebt ist. Dabei ist sie nicht die Einzige, die etwas verbergen muss. Sie kennt Geschichten über die Ankommenden, die in tiefe Abgründe blicken lassen und doch auch Mitgefühl wecken.
Julia Jost schildert in ihrem Debütroman das Aufwachsen in einer archaischen Bergwelt zwischen Stammtisch und Beichtstuhl - und wie man hier als querstehendes Kind überlebt und sich der vorgegebenen Ordnung widersetzt: dank einer zärtlichen Freundschaft und durch ein wildes, überbordendes Erzählen, das die Wirklichkeit besser macht, als sie ist.
ZDF-»aspekte«-Literaturpreis 2024 (Shortlist) Österreichischer Buchpreis, Debüt des Jahres 2024 (Shortlist) Literaturpreis Fulda 2024 (Shortlist) ORF-Bestenliste SWR-Bestenliste
Es ist das Jahr 1994. In einem Kärntner Dorf am Fuß der Karawanken sitzt die Erzählerin unter einem Lkw und beobachtet die Welt und die Menschen knieabwärts. Sie ist elf Jahre alt und spielt Verstecken mit ihrer Freundin Luca aus Bosnien. Zum letzten Mal, denn die Familie zieht um. Der Hof ist zu klein geworden für den Ehrgeiz der Mutter, die ausschließlich eines im Kopf hat - bürgerlich werden! Nach und nach treffen immer mehr Nachbarsleute ein, um beim Umzug zu helfen, und das Kind in seinem Versteck beginnt zu erzählen: von seiner Angst, im Katzlteich ertränkt zu werden, weil es kurze Haare hat. Weil es Bubenjeans trägt. Weil es heimlich in Luca verliebt ist. Dabei ist sie nicht die Einzige, die etwas verbergen muss. Sie kennt Geschichten über die Ankommenden, die in tiefe Abgründe blicken lassen und doch auch Mitgefühl wecken.
Julia Jost schildert in ihrem Debütroman das Aufwachsen in einer archaischen Bergwelt zwischen Stammtisch und Beichtstuhl - und wie man hier als querstehendes Kind überlebt und sich der vorgegebenen Ordnung widersetzt: dank einer zärtlichen Freundschaft und durch ein wildes, überbordendes Erzählen, das die Wirklichkeit besser macht, als sie ist.
ZDF-»aspekte«-Literaturpreis 2024 (Shortlist) Österreichischer Buchpreis, Debüt des Jahres 2024 (Shortlist) Literaturpreis Fulda 2024 (Shortlist) ORF-Bestenliste SWR-Bestenliste
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Von einem Dorf in Kärnten und dessen völlig alltäglichem Grauen erzählt Julia Josts Debütroman: Ein Kind stirbt beim Spielen mit anderen Kindern, SS-Devotionalien tauchen auf, Homosexualität ist verpönt, Väter verprügeln ihre Söhne. Davon berichtet eine elfjährige Erzählerin, die für Rezensentin Judith von Sternburg eigentlich ein bisschen zu klug für ihr Alter ist, deren Sprache sie zwar stark und überzeugend findet, die sie aber gelegentlich an Josef Winkler erinnert. Stellenweise droht der Roman zu überladen zu werden, aber auch das hat Methode - und Witz, schließt die Kritikerin, die den Roman vor allem sprachlich überzeugend findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2024Vier Frauengenerationen und alle unglücklich
Julia Josts Romandebüt schaut mit unbarmherzigem Blick auf die Abgründe des Dorflebens
Noch in den traurigsten Passagen lacht man innerlich beim Lesen. Der Erstlingsroman "Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht" der Österreicherin Julia Jost ist derart temperamentvoll und pfiffig geschrieben, dass man gar nicht anders kann. Die Vorzüge dieses Erzählens stechen sofort ins Auge: eine ebenso burschikose wie unbarmherzige Beobachtungsgabe, mit der die verborgensten Abgründe ausgeleuchtet werden. Und eine urtümliche Form von schlagfertigem Mutterwitz, der die Verhältnisse denunziert, ins Surreale überdehnt und gleichzeitig mit ihren dunklen Abgründen versöhnt.
Julia Jost erzählt die Geschichte einer Elfjährigen, die 1994 in einem Kärtner Dorf am Fuße der Karawanken unter dem Lkw ihres Vaters sitzt und aus ihrer Optik beschreibt, was sie sieht. Natürlich ist es eine Erwachsenenperspektive, die der kindlichen Icherzählerin untergeschoben wird. In einer effektvollen, manchmal etwas gar inkohärenten und wilden Mischung aus kindlicher Beobachtung, altkluger Interpretation und Erinnerungen an das Familien-, Schul- und Dorfleben leuchtet Bild um Bild einer Kindheit in der österreichischen Provinz auf. Die Geschichte birgt gehöriges Entlarvungspotential, und zwar gerade in der komischen Überzeichnung. Die Einschübe im Kärntner Dialekt, mit denen die Erzählerin die Sprechspuren ihrer Figuren untermalt, verstärken noch den maliziösen Grundton. Die Autorin hat den Menschen genau aufs Maul geschaut: Sie verraten sich selbst durch ihre derbe Sprache, die lautstark durch den Text hallt.
Das Dorf, in der das Mädchen aufwächst, ist eine gewalttätige Welt. Hier herrscht ein Leben zwischen rigider Sozialkontrolle, patriarchalischer Macht, verdeckten Schandflecken wie der Nazivergangenheit und den Drohungen des Beichtstuhls. Und das Kind passt da nicht hinein: ein androgynes, zwischen den Geschlechtern flottierendes Mädchen mit kurzen Haaren, das die Jeans provozierend locker auf den Hüften trägt und ab und zu eine Socke in die Hose steckt, sodass es auch als ein Bub durchgehen könnte. Heimlich ist es in seine Freundin Luca verliebt, die Tochter des bosnischen Hausmeisters.
Dieses verbotene Begehren versteckt das Mädchen, das zwei ältere Brüder hat, sorgfältig vor den anderen, weil es fürchtet, dafür im Katzensee ertränkt zu werden. Die traditionellen Regeln im Kärtner Schakatal sind eisern, und wer gegen die vorgegebene Ordnung verstößt, wird brutal bestraft. Es ist eine Dorfgemeinschaft der Selbstgerechten, Scheinmoralischen und Opportunistischen, in der die Starken überleben und die Schwachen mit Ausgrenzung bestraft werden.
Franzi ist so einer. Ein Opfer seiner Naivität, der die gruppendynamischen Gesetze des Provinzdorfs mit dem Tode bezahlen wird. Er trägt ein pastelllila T-Shirt und blaue Puma-Schuhe mit einem Klettverschluss-Geheimfach. Kein Einheimischer - er ist aus Tirol nach Kärnten emigriert. Warum, erfährt die Icherzählerin aus einem Gespräch der beiden Mütter: Franzi war Messdiener in einer angesehenen katholischen Volksschule in Innsbruck. Als er einmal nach der Heiligen Messe nicht zurückkehrte, suchte ihn die Mutter in der Sakristei und ertappte den Geistlichen in flagranti, als der ihr Kind missbrauchte. Sie packte den "nackten Putto", "schaffte ihn ins Auto und rauschte nach Hause in ihre Reihenhaushälfte". Gleich am anderen Tag zog sie weg, nach Kärnten.
Dort aber ist Franzi ein Außenseiter. Um sich die Freundschaft der Klassenkameraden zu sichern, lässt er sich von den Stärksten der Klasse zu gewalttätigen Initiationsritualen überreden. Die Mutprobe endet mit seinem Ertrinken in einem Brunnen. Andreas, der Klassenstärkste, Karla, Ludwig und Volker lassen ihn an einem Seil befestigt hinunter, damit er ein Messer hole, das sie hinuntergeworfen haben. Es ist großes, heuchlerisches Theater, das die Dorfbevölkerung bei Franzis Beerdigung aufführt: Die Eltern überschlagen sich vor Mitleid und Barmherzigkeit. Kein Wort, dass es ihre Kinder waren, die getötet haben.
Ein halbes Jahr nach Franzis Tod hat Andreas, als er einmal die erwartete Sport- und Schulleistung nicht erbrachte, eine Unterredung mit dem Vater - ein Anschauungsunterricht der patriarchalischen Härte. Das bestärkt ihn darin, fortan zu den Siegern gehören zu wollen und andere Menschen zu verängstigen, statt selbst verängstigt zu werden. Sein Vater war als Feuerwehrmann an der Bergung des toten Kindes beteiligt und beschreibt dem Sohn akribisch, wie die Leiche des ertrunkenen Buben aussah. Er will ihm damit demonstrieren, was mit Jungen passiert, wenn sie verweichlicht und zu weibischen Knaben werden.
Sich rechtzeitig auf die richtige Seite zu schlagen hat in diesem Dorf Tradition. Schon 1932 war die Hälfte der Verbindungsbrüder der NSDAP beigetreten, obwohl die Partei noch verboten war. Am 12. März 1938 konnte Kärnten als erstes Bundesland Österreichs die vollständige Machtübernahme der NSDAP verkünden. In ihrer Heimat, so berichtet die Stubenhofoma der Erzählerin noch in den Neunzigerjahren stolz, stimmten damals 99,83 Prozent für den Anschluss; in 105 Gemeinden gab es kein einziges Nein.
Julia Jost weiß, wovon sie spricht. Sie wurde 1982 in Kärnten geboren, arbeitete als Regisseurin und Dramaturgin in der freien Szene sowie am Thalia Theater in Hamburg. Das Denken in suggestiven Bildern und komischen Dramaturgien merkt man ihrem Erstling an. Szene um Szene entwirft sie das Leben einer Familie, deren Träume nicht mit der Realität übereinstimmen. Die Mutter ist unglücklich, als sie begreift, dass ihr zwischen den Geschlechtern schwankendes Kind niemals in den Traum des Hochzeitskleides hineinpassen wird, das sie ihr vererben will. Die Mutter der Stubenhofoma war unglücklich, weil diese ein uneheliches Kind bekam. Und die Großmutter selbst wiederum ist unglücklich, weil ihre Tochter studierte, Studienrätin wurde und nicht den traditionellen Gratschbacher Hof der Familie bewirtschaften wollte.
Das Ende ist ebenso überraschend wie explosiv: Die durch den Verkauf des Gratschbacher Hofs und die agile Geschäftstüchtigkeit des Vaters der Icherzählerin wohlhabend gewordene Familie zieht weg aus der provinziellen Enge in ein bürgerliches Umfeld. Der soziale Aufstieg lässt als Opfer das Mädchen zurück, das seine in den alten Verhältnissen zurückgebliebene Freundin Luca verliert.
Julia Jost ist es mit ihrem Erstling gelungen, in einer turbulent-burlesken, plastischen Geschichte die Identitätssuche eines pubertierenden Kindes und die Kritik an einer verlogenen Gesellschaft zur Sprache zu bringen. Es ist die Geschichte einer schwierigen Selbstfindung, die ohne einen Beiklang von Moral auskommt. PIA REINACHER
Julia Jost: "Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2024.
231 S., geb.,
24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Julia Josts Romandebüt schaut mit unbarmherzigem Blick auf die Abgründe des Dorflebens
Noch in den traurigsten Passagen lacht man innerlich beim Lesen. Der Erstlingsroman "Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht" der Österreicherin Julia Jost ist derart temperamentvoll und pfiffig geschrieben, dass man gar nicht anders kann. Die Vorzüge dieses Erzählens stechen sofort ins Auge: eine ebenso burschikose wie unbarmherzige Beobachtungsgabe, mit der die verborgensten Abgründe ausgeleuchtet werden. Und eine urtümliche Form von schlagfertigem Mutterwitz, der die Verhältnisse denunziert, ins Surreale überdehnt und gleichzeitig mit ihren dunklen Abgründen versöhnt.
Julia Jost erzählt die Geschichte einer Elfjährigen, die 1994 in einem Kärtner Dorf am Fuße der Karawanken unter dem Lkw ihres Vaters sitzt und aus ihrer Optik beschreibt, was sie sieht. Natürlich ist es eine Erwachsenenperspektive, die der kindlichen Icherzählerin untergeschoben wird. In einer effektvollen, manchmal etwas gar inkohärenten und wilden Mischung aus kindlicher Beobachtung, altkluger Interpretation und Erinnerungen an das Familien-, Schul- und Dorfleben leuchtet Bild um Bild einer Kindheit in der österreichischen Provinz auf. Die Geschichte birgt gehöriges Entlarvungspotential, und zwar gerade in der komischen Überzeichnung. Die Einschübe im Kärntner Dialekt, mit denen die Erzählerin die Sprechspuren ihrer Figuren untermalt, verstärken noch den maliziösen Grundton. Die Autorin hat den Menschen genau aufs Maul geschaut: Sie verraten sich selbst durch ihre derbe Sprache, die lautstark durch den Text hallt.
Das Dorf, in der das Mädchen aufwächst, ist eine gewalttätige Welt. Hier herrscht ein Leben zwischen rigider Sozialkontrolle, patriarchalischer Macht, verdeckten Schandflecken wie der Nazivergangenheit und den Drohungen des Beichtstuhls. Und das Kind passt da nicht hinein: ein androgynes, zwischen den Geschlechtern flottierendes Mädchen mit kurzen Haaren, das die Jeans provozierend locker auf den Hüften trägt und ab und zu eine Socke in die Hose steckt, sodass es auch als ein Bub durchgehen könnte. Heimlich ist es in seine Freundin Luca verliebt, die Tochter des bosnischen Hausmeisters.
Dieses verbotene Begehren versteckt das Mädchen, das zwei ältere Brüder hat, sorgfältig vor den anderen, weil es fürchtet, dafür im Katzensee ertränkt zu werden. Die traditionellen Regeln im Kärtner Schakatal sind eisern, und wer gegen die vorgegebene Ordnung verstößt, wird brutal bestraft. Es ist eine Dorfgemeinschaft der Selbstgerechten, Scheinmoralischen und Opportunistischen, in der die Starken überleben und die Schwachen mit Ausgrenzung bestraft werden.
Franzi ist so einer. Ein Opfer seiner Naivität, der die gruppendynamischen Gesetze des Provinzdorfs mit dem Tode bezahlen wird. Er trägt ein pastelllila T-Shirt und blaue Puma-Schuhe mit einem Klettverschluss-Geheimfach. Kein Einheimischer - er ist aus Tirol nach Kärnten emigriert. Warum, erfährt die Icherzählerin aus einem Gespräch der beiden Mütter: Franzi war Messdiener in einer angesehenen katholischen Volksschule in Innsbruck. Als er einmal nach der Heiligen Messe nicht zurückkehrte, suchte ihn die Mutter in der Sakristei und ertappte den Geistlichen in flagranti, als der ihr Kind missbrauchte. Sie packte den "nackten Putto", "schaffte ihn ins Auto und rauschte nach Hause in ihre Reihenhaushälfte". Gleich am anderen Tag zog sie weg, nach Kärnten.
Dort aber ist Franzi ein Außenseiter. Um sich die Freundschaft der Klassenkameraden zu sichern, lässt er sich von den Stärksten der Klasse zu gewalttätigen Initiationsritualen überreden. Die Mutprobe endet mit seinem Ertrinken in einem Brunnen. Andreas, der Klassenstärkste, Karla, Ludwig und Volker lassen ihn an einem Seil befestigt hinunter, damit er ein Messer hole, das sie hinuntergeworfen haben. Es ist großes, heuchlerisches Theater, das die Dorfbevölkerung bei Franzis Beerdigung aufführt: Die Eltern überschlagen sich vor Mitleid und Barmherzigkeit. Kein Wort, dass es ihre Kinder waren, die getötet haben.
Ein halbes Jahr nach Franzis Tod hat Andreas, als er einmal die erwartete Sport- und Schulleistung nicht erbrachte, eine Unterredung mit dem Vater - ein Anschauungsunterricht der patriarchalischen Härte. Das bestärkt ihn darin, fortan zu den Siegern gehören zu wollen und andere Menschen zu verängstigen, statt selbst verängstigt zu werden. Sein Vater war als Feuerwehrmann an der Bergung des toten Kindes beteiligt und beschreibt dem Sohn akribisch, wie die Leiche des ertrunkenen Buben aussah. Er will ihm damit demonstrieren, was mit Jungen passiert, wenn sie verweichlicht und zu weibischen Knaben werden.
Sich rechtzeitig auf die richtige Seite zu schlagen hat in diesem Dorf Tradition. Schon 1932 war die Hälfte der Verbindungsbrüder der NSDAP beigetreten, obwohl die Partei noch verboten war. Am 12. März 1938 konnte Kärnten als erstes Bundesland Österreichs die vollständige Machtübernahme der NSDAP verkünden. In ihrer Heimat, so berichtet die Stubenhofoma der Erzählerin noch in den Neunzigerjahren stolz, stimmten damals 99,83 Prozent für den Anschluss; in 105 Gemeinden gab es kein einziges Nein.
Julia Jost weiß, wovon sie spricht. Sie wurde 1982 in Kärnten geboren, arbeitete als Regisseurin und Dramaturgin in der freien Szene sowie am Thalia Theater in Hamburg. Das Denken in suggestiven Bildern und komischen Dramaturgien merkt man ihrem Erstling an. Szene um Szene entwirft sie das Leben einer Familie, deren Träume nicht mit der Realität übereinstimmen. Die Mutter ist unglücklich, als sie begreift, dass ihr zwischen den Geschlechtern schwankendes Kind niemals in den Traum des Hochzeitskleides hineinpassen wird, das sie ihr vererben will. Die Mutter der Stubenhofoma war unglücklich, weil diese ein uneheliches Kind bekam. Und die Großmutter selbst wiederum ist unglücklich, weil ihre Tochter studierte, Studienrätin wurde und nicht den traditionellen Gratschbacher Hof der Familie bewirtschaften wollte.
Das Ende ist ebenso überraschend wie explosiv: Die durch den Verkauf des Gratschbacher Hofs und die agile Geschäftstüchtigkeit des Vaters der Icherzählerin wohlhabend gewordene Familie zieht weg aus der provinziellen Enge in ein bürgerliches Umfeld. Der soziale Aufstieg lässt als Opfer das Mädchen zurück, das seine in den alten Verhältnissen zurückgebliebene Freundin Luca verliert.
Julia Jost ist es mit ihrem Erstling gelungen, in einer turbulent-burlesken, plastischen Geschichte die Identitätssuche eines pubertierenden Kindes und die Kritik an einer verlogenen Gesellschaft zur Sprache zu bringen. Es ist die Geschichte einer schwierigen Selbstfindung, die ohne einen Beiklang von Moral auskommt. PIA REINACHER
Julia Jost: "Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2024.
231 S., geb.,
24,- Euro.
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