Drei Generationen, verbunden durch die tiefe Sehnsucht danach, Wurzeln zu schlagen – in ihrem großen Roman erschreibt sich Joana Osman ihre eigene Familiengeschichte
Sabiha und Ahmed sind fest verwurzelt in ihrer Heimatstadt Jaffa. Hier eröffnen sie ein eigenes Kino, um in der letzten Reihe bei Filmen mit Shirley Temple zu weinen, und ziehen ihre Söhne groß. Doch 1948, mit dem ersten arabisch-israelischen Krieg und schließlich der Gründung Israels, beginnt für die Familie eine Odyssee. Sie fliehen in den Libanon und weiter in die Türkei, stets auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Sie leben in Abbruchhäusern und werden von keinem Staat anerkannt. Sie trauern um die Verstorbenen und verlieren doch nie die Lust am Leben und erst recht nicht ihren Humor.
Siebzig Jahre später begibt sich Joana Osman in Israel auf Spurensuche. Wer waren ihre Großeltern, die ihren Vater auf der Flucht großzogen? Was war das für eine Reise, die auch ihr eigenes Aufwachsen so stark und doch so unsichtbar geprägt hat.
Fiktion und Autofiktion verschwimmen in diesem Roman, in dem Joana Osman ihre eigene Familiengeschichte vor dem Vergessen rettet. Voller Fantasie und hinreißendem Witz lässt sie die Geister der Vergangenheit tanzen.
Sabiha und Ahmed sind fest verwurzelt in ihrer Heimatstadt Jaffa. Hier eröffnen sie ein eigenes Kino, um in der letzten Reihe bei Filmen mit Shirley Temple zu weinen, und ziehen ihre Söhne groß. Doch 1948, mit dem ersten arabisch-israelischen Krieg und schließlich der Gründung Israels, beginnt für die Familie eine Odyssee. Sie fliehen in den Libanon und weiter in die Türkei, stets auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Sie leben in Abbruchhäusern und werden von keinem Staat anerkannt. Sie trauern um die Verstorbenen und verlieren doch nie die Lust am Leben und erst recht nicht ihren Humor.
Siebzig Jahre später begibt sich Joana Osman in Israel auf Spurensuche. Wer waren ihre Großeltern, die ihren Vater auf der Flucht großzogen? Was war das für eine Reise, die auch ihr eigenes Aufwachsen so stark und doch so unsichtbar geprägt hat.
Fiktion und Autofiktion verschwimmen in diesem Roman, in dem Joana Osman ihre eigene Familiengeschichte vor dem Vergessen rettet. Voller Fantasie und hinreißendem Witz lässt sie die Geister der Vergangenheit tanzen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.09.2023Dichtend die
Leere füllen
Joana Osman hat einen Roman über die
Fluchtgeschichte einer palästinensischen
Familie geschrieben – ihrer Familie
VON JUTTA CZEGUHN
Dieses Buch hat einen Soundtrack. 27 Titel sind auf Seite 215 gelistet, unmittelbar vor dem Literaturverzeichnis. Joan Baez singt „We both know what memories bring, they bring diamonds and rust.“ Erinnerungen bringen Diamanten und Rost. Und da ist Fairuz, die große libanesische Stimme, mit „Le Beirut“ hat sie ihrer Heimatstadt ein schmerzvolles Liebeslied geschrieben, auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs. Welches Bürgerkrieges? Ach, Beirut hat so viele Tage der Gewalt erlebt.
Nur zwei Songs, willkürlich aus dieser langen Playlist herausgepickt, man kann sie im Buch aufspüren. Und man kann sich gut vorstellen, wie sie Joana Osman in die Lage versetzt haben, weiterzuschreiben an diesem Roman, in Phasen von Schreibblockaden, nach längeren Pausen, wenn Gefühle, Gerüche, Geräusche irgendwohin verschwunden waren und wieder auf einen warmen Herd gesetzt werden mussten. Denn es braucht wohl eine spezielle emotionale Temperatur, um so ein mutiges Buch zu schreiben, das nicht nur die eigenen Schmerzpunkte triggert, sondern die einer ganzen Familie, über Generationen hinweg. „Wo die Geister tanzen“ heißt Joana Osmans neuer Roman, erschienen Ende Augst bei C. Bertelsmann. Sie hat damit vielen ruhelosen Ahnen-Seelen die Heimat gegeben, die sie im Leben nie hatten. Eine Heimat in der Literatur.
Einiges in dieser Familien-Saga ist verbürgt durch Zeugenschaften, anderes muss sich der Imagination anvertrauen. Die Literaturwissenschaft hat dafür den kalten Gattungsbegriff: Autofiktion. Osman findet hingegen schöne Sätze: „Ich weiß nicht viel über die Vergangenenheit meiner Familie, doch das wenige, was ich weiß, schreibe ich auf. Den Rest dichte ich dazu, denn das ist ein gottgegebenes Recht, das allen Schriftstellerinnen und Schriftstellern zusteht.“
Leerstellen füllen, das musste Joana Osman sehr früh lernen. Sie war noch ein Baby, als ihr Vater Mohammad starb. Der Palästinenser und ihre deutsche Mutter hatten sich in München kennengelernt, wo Joana 1982 geboren wurde. Wer eine palästinensische Familie hat, findet diese nicht unbedingt in den Palästinensergebieten. Onkel, Tanten, Cousinen, Cousins, die Osmans leben weitverzweigt, in den USA, in der Türkei oder im Libanon. Weltbürger, oder weniger euphemistisch, Menschen, die wissen, was der Makel der Staatenlosigkeit bedeutet.
Joana Osman ist ein Teenager, als sie zum ersten Mal ihre Verwandten in Beirut besucht. Die ganze Unlösbarkeit des Nahostkonflikts wird ihr im Laufe der Jahre immer deutlicher, 2011 etwa steht sie am Grenzzaun zwischen Israel und dem Libanon. Weiß nicht, wohin mit den Gefühlen, Assoziationen, Bildern, die auf sie einstürmen: Das Land der Bibel, aus dem ihre Großeltern 1948 vertrieben wurden, die monströse deutsche Auschwitz-Schuld, der nicht enden wollende Hass. Joana Osman, die bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen Kontakt zu Israelis hatte, wird ein Jahr später zusammen mit dem israelischen Grafikdesigner Ronny Edry die Friedensinitiative „The Peace Factory“ gründen. Erst über eine Facebook-Seite, später auch an vielen Orten in der Welt treffen sich Israelis, Palästinenser, Iraner zu Workshops und erzählen sich ihre Geschichten.
Geschichten. Osman, die in München Amerikanistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte studiert hat, arbeitet heute als Dozentin und Storytelling-Coach. Und sie erzählt Geschichten. 2019 erschien ihr viel gelobter Debütroman „Am Boden des Himmels“, da geht es um einen jungen Palästinenser, eine Art Engel, in dessen Nähe Menschen plötzlich die Welt durch die Augen der anderen sehen können. Dieses Buch war, so hat Joana Osman jetzt in einem SWR2-Interview erzählt, auch so etwas wie das Alibi, diese andere Geschichte nicht schreiben zu müssen, die seit einem Telefonanruf 2015 in ihr scharrte, drängte und darauf wartete, in die Welt zu kommen. Die Joana Osman aber immer wieder weggedrückte, bis sie schwanger wurde. Ein Kind, eine neue Generation, die will man nicht auch noch mit diesen Gefühlserbschaften belasten. Der Zeitpunkt war gekommen, sich der Familie und ihren Traumata zu stellen.
„Wo die Geister tanzen“ beginnt also mit einer Art Weckruf. Und einem wunderbaren Satz, der so viel über Osmans Erzählstimme und diese Fact-Fiction-Spiel sagt: „Eines Nachts (es muss eine windige Märznacht gewesen sein, denn es sind ja immer solche windigen Märznächte, in denen irgendetwas Bedeutsames passiert, oder vielleicht war es auch Sommer) klingelt mein Telefon und Zeynep ist daran.“ Die Cousine aus Istanbul, die ihr von Tagebuchnotizen ihres verstorbenen Onkels Mahmoud berichtet, gefunden in einer Keksdose. Aus diesen Aufzeichnungen und denen ihres eigenen Vaters wird Joana Osman nun diese Familiengeschichte wie ein Puzzle zusammensetzen, in Bibliotheken sitzen, reisen, Verwandte und Zeitzeugen befragen. Sich der Wahrheit annähern, mit Fakten und Dichtung. Wie ein Tauchgang, aus dem Osman immer wieder an die Oberfläche schimmt, um kurz Atem zu holen und das eigene Tun zu reflektieren. Jaffa, dort wo das Meer im Sommer aussieht wie „Orangeneis“ und sich im Winter die Schimmelporen in ungeheizten Häusern vermehren. Dorthin geht es, zurück ins Osmanische Reich, dann in die britische Mandatszeit. Osman webt Geschichtliches in ihre Geschichte hinein, wie Fäden in einen Teppich. Die Vierzigerjahre: Der Schneider Ahmed heiratet die viel jüngere Sabiha, eine selbstbewusste Schönheit, die für Cary Grant schwärmt, die beiden eröffnen ihr eigenes Kino. Sohn Mahmoud wird geboren (der später im Leben nur eine Jaffa-Orange riechen muss, um an den letzten schrecklichen Tag in seiner Heimatstadt erinnert zu werden). In Deutschland hat sich Hitler gerade eine Kugel in den Kopf gejagt, jetzt kommen noch mehr Juden, sagen die palästinensischen Männer in den Cafes. In Flüchtlingsschiffen aus Europa.
Joana Osman ist keine, die Leid gegen Leid aufrechnet. Frühling 1948: der Israelische Unabhängigkeitskrieg bringt den Juden endlich den eigenen Staat. Für Familie Osman beginnt am Hafen von Jaffa die „Nakba“, die Katastrophe, die sie zu Heimatlosen macht. Erst landen sie Beirut, kommen in der eh schon überfüllten Wohnung von Verwandten unter, dann versuchen sie im türkischen Mersin vergeblich ihr Glück. Ratten bauen Schächte in den Wänden, Hunger, Elend, Überlebenswillen. Weitere Söhne werden geboren, nicht alle überleben. Osman erzählt das alles mit szenisch präziser Kraft, mit Poesie, kommt ihren Figuren sehr nahe und schafft auch wieder Distanz. Und wagt sich schließlich an einen Gedanken, der ganz tieft greift: „Wäre nicht Krieg gewesen, dann wären sie nicht geflohen, ... dann würde ich nicht hier sitzen und darüber schreiben ...“
Joana Osman, „Wo die Geister tanzen“, C. Bertelsmann, München, Premierenlesung am Mi., 27. Sep., 19.30 Uhr in der Buchhandlung Buch & Bohne, Kapuzinerpl. 4
Joana Osmans Vater,
ein Palästinenser, starb, als sie noch ein Baby war. Mit ihrem neuen Buch „Wo die Geister tanzen“ hat sie sein
Leben und das ihrer
Familie ergründet.
Foto: Mika Zeitz
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Joana Osman hat einen Roman über die
Fluchtgeschichte einer palästinensischen
Familie geschrieben – ihrer Familie
VON JUTTA CZEGUHN
Dieses Buch hat einen Soundtrack. 27 Titel sind auf Seite 215 gelistet, unmittelbar vor dem Literaturverzeichnis. Joan Baez singt „We both know what memories bring, they bring diamonds and rust.“ Erinnerungen bringen Diamanten und Rost. Und da ist Fairuz, die große libanesische Stimme, mit „Le Beirut“ hat sie ihrer Heimatstadt ein schmerzvolles Liebeslied geschrieben, auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs. Welches Bürgerkrieges? Ach, Beirut hat so viele Tage der Gewalt erlebt.
Nur zwei Songs, willkürlich aus dieser langen Playlist herausgepickt, man kann sie im Buch aufspüren. Und man kann sich gut vorstellen, wie sie Joana Osman in die Lage versetzt haben, weiterzuschreiben an diesem Roman, in Phasen von Schreibblockaden, nach längeren Pausen, wenn Gefühle, Gerüche, Geräusche irgendwohin verschwunden waren und wieder auf einen warmen Herd gesetzt werden mussten. Denn es braucht wohl eine spezielle emotionale Temperatur, um so ein mutiges Buch zu schreiben, das nicht nur die eigenen Schmerzpunkte triggert, sondern die einer ganzen Familie, über Generationen hinweg. „Wo die Geister tanzen“ heißt Joana Osmans neuer Roman, erschienen Ende Augst bei C. Bertelsmann. Sie hat damit vielen ruhelosen Ahnen-Seelen die Heimat gegeben, die sie im Leben nie hatten. Eine Heimat in der Literatur.
Einiges in dieser Familien-Saga ist verbürgt durch Zeugenschaften, anderes muss sich der Imagination anvertrauen. Die Literaturwissenschaft hat dafür den kalten Gattungsbegriff: Autofiktion. Osman findet hingegen schöne Sätze: „Ich weiß nicht viel über die Vergangenenheit meiner Familie, doch das wenige, was ich weiß, schreibe ich auf. Den Rest dichte ich dazu, denn das ist ein gottgegebenes Recht, das allen Schriftstellerinnen und Schriftstellern zusteht.“
Leerstellen füllen, das musste Joana Osman sehr früh lernen. Sie war noch ein Baby, als ihr Vater Mohammad starb. Der Palästinenser und ihre deutsche Mutter hatten sich in München kennengelernt, wo Joana 1982 geboren wurde. Wer eine palästinensische Familie hat, findet diese nicht unbedingt in den Palästinensergebieten. Onkel, Tanten, Cousinen, Cousins, die Osmans leben weitverzweigt, in den USA, in der Türkei oder im Libanon. Weltbürger, oder weniger euphemistisch, Menschen, die wissen, was der Makel der Staatenlosigkeit bedeutet.
Joana Osman ist ein Teenager, als sie zum ersten Mal ihre Verwandten in Beirut besucht. Die ganze Unlösbarkeit des Nahostkonflikts wird ihr im Laufe der Jahre immer deutlicher, 2011 etwa steht sie am Grenzzaun zwischen Israel und dem Libanon. Weiß nicht, wohin mit den Gefühlen, Assoziationen, Bildern, die auf sie einstürmen: Das Land der Bibel, aus dem ihre Großeltern 1948 vertrieben wurden, die monströse deutsche Auschwitz-Schuld, der nicht enden wollende Hass. Joana Osman, die bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen Kontakt zu Israelis hatte, wird ein Jahr später zusammen mit dem israelischen Grafikdesigner Ronny Edry die Friedensinitiative „The Peace Factory“ gründen. Erst über eine Facebook-Seite, später auch an vielen Orten in der Welt treffen sich Israelis, Palästinenser, Iraner zu Workshops und erzählen sich ihre Geschichten.
Geschichten. Osman, die in München Amerikanistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte studiert hat, arbeitet heute als Dozentin und Storytelling-Coach. Und sie erzählt Geschichten. 2019 erschien ihr viel gelobter Debütroman „Am Boden des Himmels“, da geht es um einen jungen Palästinenser, eine Art Engel, in dessen Nähe Menschen plötzlich die Welt durch die Augen der anderen sehen können. Dieses Buch war, so hat Joana Osman jetzt in einem SWR2-Interview erzählt, auch so etwas wie das Alibi, diese andere Geschichte nicht schreiben zu müssen, die seit einem Telefonanruf 2015 in ihr scharrte, drängte und darauf wartete, in die Welt zu kommen. Die Joana Osman aber immer wieder weggedrückte, bis sie schwanger wurde. Ein Kind, eine neue Generation, die will man nicht auch noch mit diesen Gefühlserbschaften belasten. Der Zeitpunkt war gekommen, sich der Familie und ihren Traumata zu stellen.
„Wo die Geister tanzen“ beginnt also mit einer Art Weckruf. Und einem wunderbaren Satz, der so viel über Osmans Erzählstimme und diese Fact-Fiction-Spiel sagt: „Eines Nachts (es muss eine windige Märznacht gewesen sein, denn es sind ja immer solche windigen Märznächte, in denen irgendetwas Bedeutsames passiert, oder vielleicht war es auch Sommer) klingelt mein Telefon und Zeynep ist daran.“ Die Cousine aus Istanbul, die ihr von Tagebuchnotizen ihres verstorbenen Onkels Mahmoud berichtet, gefunden in einer Keksdose. Aus diesen Aufzeichnungen und denen ihres eigenen Vaters wird Joana Osman nun diese Familiengeschichte wie ein Puzzle zusammensetzen, in Bibliotheken sitzen, reisen, Verwandte und Zeitzeugen befragen. Sich der Wahrheit annähern, mit Fakten und Dichtung. Wie ein Tauchgang, aus dem Osman immer wieder an die Oberfläche schimmt, um kurz Atem zu holen und das eigene Tun zu reflektieren. Jaffa, dort wo das Meer im Sommer aussieht wie „Orangeneis“ und sich im Winter die Schimmelporen in ungeheizten Häusern vermehren. Dorthin geht es, zurück ins Osmanische Reich, dann in die britische Mandatszeit. Osman webt Geschichtliches in ihre Geschichte hinein, wie Fäden in einen Teppich. Die Vierzigerjahre: Der Schneider Ahmed heiratet die viel jüngere Sabiha, eine selbstbewusste Schönheit, die für Cary Grant schwärmt, die beiden eröffnen ihr eigenes Kino. Sohn Mahmoud wird geboren (der später im Leben nur eine Jaffa-Orange riechen muss, um an den letzten schrecklichen Tag in seiner Heimatstadt erinnert zu werden). In Deutschland hat sich Hitler gerade eine Kugel in den Kopf gejagt, jetzt kommen noch mehr Juden, sagen die palästinensischen Männer in den Cafes. In Flüchtlingsschiffen aus Europa.
Joana Osman ist keine, die Leid gegen Leid aufrechnet. Frühling 1948: der Israelische Unabhängigkeitskrieg bringt den Juden endlich den eigenen Staat. Für Familie Osman beginnt am Hafen von Jaffa die „Nakba“, die Katastrophe, die sie zu Heimatlosen macht. Erst landen sie Beirut, kommen in der eh schon überfüllten Wohnung von Verwandten unter, dann versuchen sie im türkischen Mersin vergeblich ihr Glück. Ratten bauen Schächte in den Wänden, Hunger, Elend, Überlebenswillen. Weitere Söhne werden geboren, nicht alle überleben. Osman erzählt das alles mit szenisch präziser Kraft, mit Poesie, kommt ihren Figuren sehr nahe und schafft auch wieder Distanz. Und wagt sich schließlich an einen Gedanken, der ganz tieft greift: „Wäre nicht Krieg gewesen, dann wären sie nicht geflohen, ... dann würde ich nicht hier sitzen und darüber schreiben ...“
Joana Osman, „Wo die Geister tanzen“, C. Bertelsmann, München, Premierenlesung am Mi., 27. Sep., 19.30 Uhr in der Buchhandlung Buch & Bohne, Kapuzinerpl. 4
Joana Osmans Vater,
ein Palästinenser, starb, als sie noch ein Baby war. Mit ihrem neuen Buch „Wo die Geister tanzen“ hat sie sein
Leben und das ihrer
Familie ergründet.
Foto: Mika Zeitz
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»Eine mitreißende Familiengeschichte vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts. Ein bewegender Roman über die großen Themen des Lebens: Heimat, Flucht, Identität, Zusammenhalt, Wurzeln, Liebe und Frieden. Große Leseempfehlung!« Florian Valerius, @literarischernerd
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Man lernt viel über den Nahostkonflikt in Joana Osmans halb autofiktionalem Roman, so Rezensentin Stephanie von Oppen. Das auf Tagebuchaufzeichnungen und anderen Unterlagen basierende Buch setzt mit den Großeltern der deutsch-palästinensischen Autorin an, die in den 1930ern in Jaffa ein Kino betrieben und 1948, nach der Gründung Israels, flüchten mussten, in den Libanon, später in die Türkei. Das Leben im Exil ist hart, liest von Oppen bei Osman, und auch der Schreibprozess der Autorin, die am Tag des Massakers in den Flüchtlingslagern Sabra und Shatila geboren wird, kommt zur Sprache. Es geht, führt von Oppen aus, um das Leid der vertriebenen Palästinenser, aber auch um die Freundschaft ihrer Großeltern mit jüdischen Nachbarn, sowie um Osmans eigene Empathie mit Opfern auf beiden Seiten. Ein auch sprachlich großer, humanistischer Roman, so das Fazit der Kritikerin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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