Jede dieser frühesten Geschichten von Truman Capote vermag zu überraschen, zeigen sie doch alle bereits die Handschrift des großen Stilisten. Denn seit Capote zehn war, wusste er, dass er Schriftsteller werden will, und während seiner Zeit an der High School schulte er sich täglich an seiner Schreibmaschine im Handwerk des Schreibens. In seinen damals entstandenen Short Storys schuf er sich sein eigenes, fantasievolles Universum, das, anders als man es bei einem Teenager vermuten würde, von Figuren bevölkert ist, die nur wenig mit den Erfahrungen eines Schülers zu tun haben. All diese lebendigen und eigenwilligen Charaktere, die eindringlichen Bilder, die schnörkellos glänzende Sprache und die erzählerische Kraft lassen schon im jungen Truman Capote die ganz besondere Stimme des älteren Capote erkennen.
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Wie ein Hund, der hofft, dass ihn jemand abholt
Das verlassene Kind: Frühe Erzählungen von Truman Capote zeigen, wie er als Schüler mit dem Schreiben begann.
Wenn man dem Selbstzeugnis Truman Capotes glauben darf, beschloss er im zarten Alter von zehn Jahren, ein bedeutender Schriftsteller zu werden. Statt wie seine Kameraden sich sportlich zu betätigen oder überhaupt eine gute Figur als Schüler abzugeben, blieb er in seiner Bank sitzen und schrieb. Er brauchte keine guten Zeugnisse nach Hause zu bringen, weil dort keiner auf ihn wartete. Die Mutter, die das Kind abtreiben wollte, fühlte sich von ihm daran gehindert, ihre Flausen auszuleben, und wenn sie ihm doch einmal versprach, sich um ihn kümmern zu wollen, fielen ihre guten Vorsätze schon nach wenigen Tagen zusammen.
Capote wurde bei drei alten Tanten in Alabama zurückgelassen und sah dem schwarzen Buick der Mutter hinterher, "der immer kleiner und kleiner wurde - stell dir einen Hund vor, der zusieht und wartet und hofft, mitgenommen zu werden. Das ist das Bild von mir damals." Der verlassene, zurückgelassene Kindgreis, der mit allen Mitteln versucht, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, das ist das letzte Bild, das die Öffentlichkeit von ihm im Gedächtnis behalten wird, ein von Tabletten und Alkohol aufgeschwemmter Giftzwerg, der in seinem Buch "Erhörte Gebete" jene Klasse bloßstellte, um deren Anerkennung er jahrelang gebuhlt hatte. Dieser selbstzerstörerische Gestus ließ am Ende, nach einem Leben als sehr erfolgreicher und anerkannter Schriftsteller, den einsamen Buben zurück, der der Welt beweisen wollte, dass aus einem herumgeschubsten Kind durch Selbstdisziplin und harte Arbeit einer der besten Autoren seiner Generation werden konnte. Aber da war es zu spät, Truman Capote starb mit sechzig Jahren 1984 in New York.
Es ist sehr verdienstvoll, dass aus dem in der New York Public Library liegenden Nachlass Capotes nun die Erzählungen herausgefischt wurden, mit denen der Schüler seine Schriftstellerei begann. Er war um die fünfzehn, als er sie schrieb, teils skizzenhafte Eindrücke, teils ausgefeilte Geschichten, die bereits den Meister des Aussparens zeigen, wie wir ihn aus seinem tatsächlichen Debüt "Andere Stimmen, andere Räume" kennen, der Geschichte eines Dreizehnjährigen auf der Suche nach seinem unbekannten Vater. Capote, der sein Leben lang über Außenseiter und Sonderlinge schrieb - bis hin zu den Mördern Dick Hickock und Perry Smith, den Hauptfiguren aus "Kaltblütig" - , hat sich schon als Jugendlicher als ein solcher empfunden. Schwul, elternlos, kleinwüchsig, allein, ein weißer Junge in den vom Rassismus geprägten Südstaaten, das sind die Voraussetzungen, aus denen er seine Literatur schöpfte.
Seine Personen sind entweder sehr jung oder sehr alt, es gibt kein Leben dazwischen. Die alte sonderbare Miss Belle Rankin, die allein in ihrem Garten stirbt: "Sie sah so klein und ganz jung aus. Sie hatte Schneeflöckchen im Haar und eine Blüte an ihre Wange gedrückt. Ich fand, ich hätte kaum je etwas so Schönes gesehen." Die verrückte Sadie Hopkins, die im Sumpf versinkt. Die Schülerin Hilda Weber, die beim Klauen erwischt wird. Die alte Lucy, die dem leibhaftigen Tod begegnet: "Gehen Sie fort, fassen Sie mich nicht an, nein, nicht jetzt, soll das denn alles sein, was ich vom Leben habe, das ist nicht gerecht, kommen Sie bloß nicht näher, bitte!"
Schließlich die Geschichte von Ethel, einer Schülerin in der feinen Akademie für junge Damen von Miss Burke, die ihre Mitschülerin Louise im wahrsten Sinne des Wortes anschwärzt, weil sie unter falschen Angaben angemeldet wurde: "Ihre Mutter war eine amerikanische Negerin, genauer gesagt eine Mulattin, aus dem Westen. Sie hat als Tänzerin in Paris Furore gemacht und einen wohlhabenden französischen Aristokraten geheiratet. Louise ist also ... eine Farbige" - und muss folglich das Institut verlassen. "Ist Amerika denn keine Demokratie?", fragt sich Miss Burke noch, bevor Louise gehen muss.
Was die hier versammelten frühen Erzählungen von Truman Capote (in der gelungenen Übersetzung von Ulrich Blumenbach) so besonders und anrührend macht, ist der Ton. Er belässt allen seinen Personen, auch den Spitzbuben, Mördern und sonst wie Gestrauchelten ihre Würde. Er will sie nicht bloßstellen, entlarven. Insofern war der unglückliche Schriftsteller Truman Capote ein wahrer Demokrat.
MICHAEL KRÜGER
Truman Capote: "Wo die Welt anfängt". Erste Erzählungen.
Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Verlag Kein & Aber, Zürich 2015. 146 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das verlassene Kind: Frühe Erzählungen von Truman Capote zeigen, wie er als Schüler mit dem Schreiben begann.
Wenn man dem Selbstzeugnis Truman Capotes glauben darf, beschloss er im zarten Alter von zehn Jahren, ein bedeutender Schriftsteller zu werden. Statt wie seine Kameraden sich sportlich zu betätigen oder überhaupt eine gute Figur als Schüler abzugeben, blieb er in seiner Bank sitzen und schrieb. Er brauchte keine guten Zeugnisse nach Hause zu bringen, weil dort keiner auf ihn wartete. Die Mutter, die das Kind abtreiben wollte, fühlte sich von ihm daran gehindert, ihre Flausen auszuleben, und wenn sie ihm doch einmal versprach, sich um ihn kümmern zu wollen, fielen ihre guten Vorsätze schon nach wenigen Tagen zusammen.
Capote wurde bei drei alten Tanten in Alabama zurückgelassen und sah dem schwarzen Buick der Mutter hinterher, "der immer kleiner und kleiner wurde - stell dir einen Hund vor, der zusieht und wartet und hofft, mitgenommen zu werden. Das ist das Bild von mir damals." Der verlassene, zurückgelassene Kindgreis, der mit allen Mitteln versucht, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, das ist das letzte Bild, das die Öffentlichkeit von ihm im Gedächtnis behalten wird, ein von Tabletten und Alkohol aufgeschwemmter Giftzwerg, der in seinem Buch "Erhörte Gebete" jene Klasse bloßstellte, um deren Anerkennung er jahrelang gebuhlt hatte. Dieser selbstzerstörerische Gestus ließ am Ende, nach einem Leben als sehr erfolgreicher und anerkannter Schriftsteller, den einsamen Buben zurück, der der Welt beweisen wollte, dass aus einem herumgeschubsten Kind durch Selbstdisziplin und harte Arbeit einer der besten Autoren seiner Generation werden konnte. Aber da war es zu spät, Truman Capote starb mit sechzig Jahren 1984 in New York.
Es ist sehr verdienstvoll, dass aus dem in der New York Public Library liegenden Nachlass Capotes nun die Erzählungen herausgefischt wurden, mit denen der Schüler seine Schriftstellerei begann. Er war um die fünfzehn, als er sie schrieb, teils skizzenhafte Eindrücke, teils ausgefeilte Geschichten, die bereits den Meister des Aussparens zeigen, wie wir ihn aus seinem tatsächlichen Debüt "Andere Stimmen, andere Räume" kennen, der Geschichte eines Dreizehnjährigen auf der Suche nach seinem unbekannten Vater. Capote, der sein Leben lang über Außenseiter und Sonderlinge schrieb - bis hin zu den Mördern Dick Hickock und Perry Smith, den Hauptfiguren aus "Kaltblütig" - , hat sich schon als Jugendlicher als ein solcher empfunden. Schwul, elternlos, kleinwüchsig, allein, ein weißer Junge in den vom Rassismus geprägten Südstaaten, das sind die Voraussetzungen, aus denen er seine Literatur schöpfte.
Seine Personen sind entweder sehr jung oder sehr alt, es gibt kein Leben dazwischen. Die alte sonderbare Miss Belle Rankin, die allein in ihrem Garten stirbt: "Sie sah so klein und ganz jung aus. Sie hatte Schneeflöckchen im Haar und eine Blüte an ihre Wange gedrückt. Ich fand, ich hätte kaum je etwas so Schönes gesehen." Die verrückte Sadie Hopkins, die im Sumpf versinkt. Die Schülerin Hilda Weber, die beim Klauen erwischt wird. Die alte Lucy, die dem leibhaftigen Tod begegnet: "Gehen Sie fort, fassen Sie mich nicht an, nein, nicht jetzt, soll das denn alles sein, was ich vom Leben habe, das ist nicht gerecht, kommen Sie bloß nicht näher, bitte!"
Schließlich die Geschichte von Ethel, einer Schülerin in der feinen Akademie für junge Damen von Miss Burke, die ihre Mitschülerin Louise im wahrsten Sinne des Wortes anschwärzt, weil sie unter falschen Angaben angemeldet wurde: "Ihre Mutter war eine amerikanische Negerin, genauer gesagt eine Mulattin, aus dem Westen. Sie hat als Tänzerin in Paris Furore gemacht und einen wohlhabenden französischen Aristokraten geheiratet. Louise ist also ... eine Farbige" - und muss folglich das Institut verlassen. "Ist Amerika denn keine Demokratie?", fragt sich Miss Burke noch, bevor Louise gehen muss.
Was die hier versammelten frühen Erzählungen von Truman Capote (in der gelungenen Übersetzung von Ulrich Blumenbach) so besonders und anrührend macht, ist der Ton. Er belässt allen seinen Personen, auch den Spitzbuben, Mördern und sonst wie Gestrauchelten ihre Würde. Er will sie nicht bloßstellen, entlarven. Insofern war der unglückliche Schriftsteller Truman Capote ein wahrer Demokrat.
MICHAEL KRÜGER
Truman Capote: "Wo die Welt anfängt". Erste Erzählungen.
Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Verlag Kein & Aber, Zürich 2015. 146 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main