... ist auch Hoffnung
Sarah Moss bringt die dunkle Seite von scheinbar ach so frommen Wohltätern ans Licht. Vielleicht werden die Leser nach diesem Buch in Zukunft sensibler hinter die glänzenden Fassaden von Gutmenschen blicken'
Der Plot des kritischen Romans findet im England des 19.
Jahrhunderts statt. Die Gesellschaft sowie die Protagonisten werden gelungen charakterisiert und das…mehr... ist auch Hoffnung
Sarah Moss bringt die dunkle Seite von scheinbar ach so frommen Wohltätern ans Licht. Vielleicht werden die Leser nach diesem Buch in Zukunft sensibler hinter die glänzenden Fassaden von Gutmenschen blicken'
Der Plot des kritischen Romans findet im England des 19. Jahrhunderts statt. Die Gesellschaft sowie die Protagonisten werden gelungen charakterisiert und das Zeitgeschehen ist sehr gut recherchiert. Im Mittelpunkt steht die Familie des wohlhabenden Künstlers Alfred Moberley mit seiner höchst puritanisch eingestellten Ehegemahlin Elizabeth und den beiden Töchtern Ally und May, deren Kindheit bis zum Erwachsenenalter ist der rote Faden des Geschehens. Elizabeths Wohltätigkeit ist vom Egoismus und nicht von Selbstlosigkeit geprägt. Ihr geht es darum "gut" zu sein, ein besserer Mensch als alle zu sein und so Gott zu gefallen, dessen Anspruch an Nächstenliebe sie überzogen und fanatisch verfolgt, während sie die Eigenliebe völlig ausklammert und somit auch die Liebe zu denen, um deren Liebe sie scheinbar nicht zu kämpfen braucht, weil ihre Kinder und ihr Mann sie aufgrund der Familienbande nicht verlassen können - zumindest vorläufig nicht... Aufgrund dieses Dünkels eine Weltverbesserin zu sein, greift sie für die Erziehung besonders ihrer ältesten Tochter zu grausamsten Mitteln. Dass die Welt zuerst im Kleinen, in ihrem eigenen Umfeld zu verbessern ist - dass sie die Menschenrechte und zerbrechlichen Seelen ihrer Schutzbefohlenen zuhause mit Füßen tritt und auf ewig schädigt, sieht sie nicht. Elisabeths Liebesfähigkeit ist gleich null, weil sie sich ja noch nicht einmal selbst liebt. Wie soll sie etwas geben können, das sie nicht hat... Wenigstens ihre eigenen Töchter scheinen ihr Handeln zu hinterfragen und könnten deshalb eine Chance zu haben, aus den Fehlern der Mutter zu lernen und diese Spirale der selbstzerstörerischen Lieblosigkeit zu durchbrechen...
Der Schreibstil der Autorin ist nüchtern, kühl und prägnant wie der Charakter von Elizabeth Moberley, der Protagonistin des Romans, die die Quelle der Handlung aller anderen Hauptfiguren ist. So hat der Roman nicht nur über die Story seine Färbung von einer Härte, die dem Leser vor Mitgefühl für die der Gefühlskälte Elizabeths ausgelieferten Kinder fast das Herz zerdrückt. Die klar abgegrenzten Szenen und Sätze, welche mit wenigen Konjunktionen auskommen, wirken wie die Erziehungsmethoden der Protagonistin, die ihrer kleinen Tochter noch nicht einmal erlaubt, ein Stück von ihrem eigenen Geburtstagskuchen zu essen, sondern aufgrund einseitig gelebter Menschlichkeit das Mädchen zwingt, jenen armen Kindern zu überlassen. Das Erleben des Lesers wird auch durch die gewählte Zeitform der Verben im Präsens schon beinahe dreidimensional, da alles gerade jetzt, quasi um den Leser herum, zu geschehen scheint.
Ich hätte mir dennoch einen weicheren Schreibstil mit kürzeren Zeitsprüngen von einer Szene zur nächsten gewünscht. Die Beschreibungen waren zum einen sehr schön und bildhaft, zum anderen jedoch wieder fehlten sie ganz, wie beispielsweise bei manchen Nebendarstellern, zu denen ich darum überhaupt keinen Bezug bekam. Manchmal ist das Verhalten von Ally auch unlogisch, der Charakter entsprechend der Handlung nicht richtig ausgearbeitet. Mitunter hat man das Gefühl, etwas nicht ganz mitbekommen zu haben, weil dem Leser zu wenig Information geliefert wird. Oder wurde der Roman an dieser Stelle gekürzt? Ein Großteil des Romans findet darum im Kopf des Lesers statt, der sich die Szenen dann selbst ausmalt.
Vielleicht wollte die Autorin Sarah Moss auch damit zum Nachdenken anregen, zum Reflektieren und sozialkritischen Beobachten des heutigen Zeitgeschehens.
Doch nach aller Dunkelheit steht am Ende des Romans das Licht der Hoffnung, dass die dem Leser ans Herz gewachsene Ally lernt die Liebe kennen. Aber dieses Happy End ist nur ein Lichtfunke, denn Liebe zu erhalten und auf Dauer zu leben ist harte Arbeit und besonders für Ally noch ein langer Weg'