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Alban Nikolai Herbsts Erzählungen und Novellen bestechen in ihrer klassisch-strengen Faktur und erzeugen in ihrer Intensität eine Ungeheuerlichkeit, die nicht mehr loslässt. Nirgendwo können Vielfalt und Entwicklung im Schaffen des musischen Autors deutlicher überblickt werden als in seiner Kurzprosa: wie früh Themen und Stilmittel angelegt sind, welche motivischen Zusammenhänge sich daraus ergeben, die wiederum zu den Jahrhundertromanen wie Wolpertinger oder das Blau und den Andersweltromanen Thetis, Buenos Aires und Argo führen. Die scharfe Beobachtung realistischen Alltagsgeschehens und der…mehr

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Produktbeschreibung
Alban Nikolai Herbsts Erzählungen und Novellen bestechen in ihrer klassisch-strengen Faktur und erzeugen in ihrer Intensität eine Ungeheuerlichkeit, die nicht mehr loslässt. Nirgendwo können Vielfalt und Entwicklung im Schaffen des musischen Autors deutlicher überblickt werden als in seiner Kurzprosa: wie früh Themen und Stilmittel angelegt sind, welche motivischen Zusammenhänge sich daraus ergeben, die wiederum zu den Jahrhundertromanen wie Wolpertinger oder das Blau und den Andersweltromanen Thetis, Buenos Aires und Argo führen. Die scharfe Beobachtung realistischen Alltagsgeschehens und der gleichermaßen unmerkliche wie kühne Übergang in die Phantastik zeichnen das Schreiben Alban Nikolai Herbsts aus - ebenso wie die hohe Musikalität seiner Sprache, deren Tonlagen vom Lyrischen bis ins Groteske reichen. Aus dem Vertrauten geraten Protagonist und Leserin immer wieder in die Falle geschlossener Welten, aus denen es kein Entrinnen gibt. Stärker als in den Romanen sind hier Einflussgeber zu erkennen und als solche oft auch ausgewiesen - Bonaventura, H. P. Lovecraft, F. M. Dostojewski, E. A. Poe, Thomas Mann, Arno Schmidt, Jorge Luis Borges, deren Erzähltechniken Herbst aufnimmt und auf seine unverkennbare Art verwandelt. Band 1, Wanderer, erschien bereits im Frühjahr und beinhaltetet die frühen Erzählungen von den Siebzigerjahren bis Ende der Neunzigerjahre.Wölfinnen, ist zweite Band der zweibändigen Ausgabe und versammelt alle Prosastücke des Meistererzählers seit der Jahrtausendwende.

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Autorenporträt
Alban Nikolai Herbst wurde 1955 in Refrath, Nordrhein-Westfalen, geboren. Er publiziert seit 1981 und lebt seither - abgesehen von einem fünfjährigen Zwischenspiel als Aktien- und Devisenbroker - als freier Schriftsteller. Mit seinem 1000-seitigen Roman Wolpertinger oder Das Blau und der Anderswelt-Trilogie wurde er als Dichter der deutschen Postmoderne bekannt und erhielt u. a. den Grimmelshausen- sowie den Fantastik-Preis. Mit dem Verbotsprozess um seinen Roman Meere geriet Herbst nachdrücklich in die Skandalzeilen. Zuletzt erschienen der Gedichtzyklus Aeolia.Gesang und der Gedichtband Der Engel Ordnungen sowie die romantheoretischen Vorlesungen Kybernetischer Realismus, alle drei 2008. Ebenfalls 2008 hat Ralf Schnell den exklusiv Herbst gewidmeten Horen-Band 231 Panoramen der Anderswelt, Expeditionen ins Werk von Alban Nikolai Herbst herausgegeben. Der Autor arbeitet seit 1994 in Berlin und gibt in dem von Knallgrau in Wien gesponserten literarischen Weblog Die Dschungel. Anderswelt nahezu täglich Einsicht in seine dort ständig weiterentwickelte Poetologie. Mit der Erzählung Lena Ponce in PERSPEKTIVENWECHSEL No 1 erschien Alban Nikolai Herbst im Septime.Verlag. 2019 erscheinen seine gesammelten und neu editierten Erzählungen in 2 Bänden bei Septime.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Kognition und Würde

Von Wölfinnen gesäugt: Die Erzählungen von Alban Nikolai Herbst sind ein Fiebertraum aus intellektuell aufgemuskelter Phantastik, wie sie heute gar nicht mehr entsteht.

Es können wohl nur wenige Autoren von sich behaupten, einen eigenen Urwald gepflanzt zu haben, eine labyrinthische Parallelwelt, die phantastischer Mythen-Dschungel und Spiegelrealität zugleich ist und in der unweigerlich verlorengeht, wer zufällig oder einem verdorbenen Link folgend den Weg durch das Portal gefunden hat. Dass es, wenn auch aus publikationstechnischer Notwehr, zu guten Teilen in einer Falte des inzwischen arg verschlammten Internets wuchert, macht das intellektuell hochgedrehte, so fordernde wie überfordernde (Blog-)Werk von Alban Nikolai Herbst, der mit (bedrückend) bürgerlichem Namen Alexander Michael von Ribbentrop heißt und vielleicht der letzte praktizierende Postmodernist ist, zu einem Sonderfall in der deutschsprachigen Literatur.

Was sich da in eigentümlicher Kaspar-Hauser-Existenz an wölfischer, mit der gängigen Belletristik kaum noch in Verbindung stehender Andersweltfiktion herausgebildet hat, ist dank einer zweibändigen Sammelausgabe des Wiener Septime Verlags jetzt auch zwischen zwei Buchdeckeln zu entdecken. Weitläufig verwandt ist diese Prosa allenfalls derjenigen von Clemens Setz, allerdings viel stärker in der klassischen Bildung verwurzelt und ohne das harmlos Vexierverspielte. Bei ANH sind die Metamorphosen wieder Flucht vor Tod und Nichts und damit von existentiellem Ernst.

Wie sehr den Autor anfangs Kafka und die Surrealisten inspirierten und wie er in den Achtzigern zur dekonstruktiv enthemmten Narration gefunden hat, war bereits dem früheren Band zu entnehmen. Nun folgen die Erzählungen seit den neunziger Jahren, und da wiederum wird deutlich, dass Herbst bei gleichbleibender Begeisterung etwa für Jorge Luis Borges und die gegenseitige Durchdringung von Wirklichkeit und Phantasie (oft in Form von Leibesfreude und Gedankenflimmern) von einem abstrakt-radikalen, sich am kalt-morbiden Solipsismus des Expressionismus ergötzenden Erzählen zu einem sinnlicheren, dialogischeren, etwas lesefreundlicheren Stil vorangeschritten ist. Kein Wunder, dass ihm der größte Rezeptionserfolg mit der sensiblen Jenseits-Erzählung "Traumschiff" erst im Jahr 2015 gelang. Voller Verweise ist das alles aber stets, klingt hier nach Gottfried Benn, da nach Paul Bowles, H. P. Lovecraft oder gar Thomas Bernhardt und oft nach an sich selbst irre gewordener Identitätsphilosophie. Das reicht anstrengungslos ins Essayistische, wenn der Autor etwa über literarische Orte nachdenkt: "ein Nu aus Bewegung, die mit Erinnerung flirtet, bevor sie's schon ist".

Das demonstrativ Gebildete kann durchaus ins Manierierte neigen. Doch meist ist die nächste Verwandlung nicht weit. Von heideggerhafter Seinsschwere ist hier nämlich nichts, kein Ding und keine Erinnerung: Obwohl die atmosphärischen, oft dystopischen Szenerien es mitunter vergessen lassen, befinden wir uns durchweg im Dschungel des Virtuellen. So nah waren sich Literatur und die Autopoiesis des Internets selten. Herbsts Poetologie lässt sich wohl am ehesten als bildgebendes Verfahren beschreiben, als Versuch, Innerlichkeit in fassliche Formen zu übersetzen, wobei er an den Realsubstraten, "dem sogenannten Plot", darüber hinaus nicht weiter interessiert ist: "Alle Kunst ist Form; die ,Botschaft' untersteht ihr." Das prägnanteste Merkmal von Herbsts Sprache ist denn auch nicht die ungewöhnliche Anordnung der Satzglieder, sondern ihre starke Musikalität. Viele der Sätze steigern sich rhythmisch in einen Rausch, bis die Entgrenzung zum nächsten Zusammenbruch im "Krieg mit den Dingen" führt. Komplette Museen kollabieren hier über den Besuchern. Nicht nur gleichförmige Einkaufszentren sind wurmlochzerfressen; man betritt einen Shop und verlässt ihn in einer ganz anderen Stadt. "Sprengmeister" bemächtigen sich vielmehr der gesamten Historie.

So entsteht nach und nach der Eindruck, dass der Realität nicht das Irreale, sondern das Anders-Reale gegenübersteht, dass unzählige Wirklichkeiten einander überlagern, was aus dem Glauben an Wahrheit eine freiwillige Kurzsichtigkeit macht. Allein dem Begehren kommt noch die Kraft der Komplexitätsreduktion zu; eine Rettung aber ist das längst nicht mehr. Die beiden längsten Erzählungen, kurze Romane, markieren die narrative Spannweite dieser Prosa. Zum einen ist das der in seiner ersten Fassung schon aus den Achtzigern stammende "Arndt-Komplex". Entfernt an Carl Einstein oder Alfred Döblin erinnernd, wird hier über elf "Ausfallstufen" hinweg die allerdings gezielt angepeilte Ich-Dissoziation des Protagonisten protokolliert. Nach der Abspaltung eines "Wochenend-Ichs" vom automatisierten "Alltags-Ich" gelingt dem Protagonisten die komplette Entsemantisierung der Wahrnehmung und das Abtöten aller Emotion: das Ziel ist der Äther. Psychosen sind inflationär in der avantgardistischen Literatur, aber selten wurde die Selbstabschaffung als Person durch reines Denken so detailstimmig formuliert und als "Triumph" der Würde nachvollziehbar gemacht.

Weniger theoretisch, dafür happig dionysisch geht es in "Die Fenster von Sainte Chapelle" (2010) zu, einer wilden Phantasie über ein Paris-Abenteuer, das zwar in zahlreichen narrativen Einstülpungen seinen eigenen Status immer fragiler erscheinen lässt - Auftragsbuch, irdisches Visionserlebnis, erotischer Fiebertraum? -, sich aber vor allem in betont männlicher Weise am "weiblichen Prinzip" abarbeitet, bis abermals die Konturen verschwimmen. Viele der Erzählungen machen sich überhaupt für das Zwitterhafte stark, auch in moralischer Hinsicht: "Böse und gut dürfen sein, aber nichts darüber hinaus und dazwischen. Wer es dennoch vertritt, wird totgemacht." Tatsächlich war sich ANH nicht zu schade, im Nachwort sein "freies Denken" der "Meinungsdiktatur einer sogenannten politischen ,Gender'-Correctness" entgegenzustellen.

Man versteht durchaus, wogegen sich der Autor hier wappnet, denn seine zumindest auf den ersten Blick in Richtung Otto Weininger tendierende Darstellung von Mädchen und Frauen als dem geist- und begehrenszentrierten Mann entgegengesetzte Sinnenwesen - mal unzähmbare Bestie, mal Femme fatale - geht mit einer Zeitstimmung, der schon die Bewunderung auf den Avenidas als verdächtig altweißmännerlüstern gilt, schlecht zusammen. Man nehme nur die formal ungewöhnlich klare Erzählung "Isabella Maria Vergana" (2004/2005), in der, wenn auch deutlich als surreal markiert, ein älterer Mann eine Sechzehnjährige erwürgt, die sich an ihm dafür rächen wollte, dass er (oder ein Alter Ego) sie als jugendliche Geliebte verließ - und nicht dafür, sie zur Prostituierten gemacht zu haben: "wovon in der Dritten Welt Tausende leben. Mit dreizehn war Maria schon vergleichsweise alt." Man könnte das freilich auch eine mutige Ausstellung männlicher Urtriebe nennen.

Die Tiraden gegen die politische Korrektheit hätte ein Freigeist wie Alban Nikolai Herbst kaum nötig gehabt. Ansonsten aber sind seine kompromisslosen, sich immer wieder radikal selbst den Boden entziehenden Erzählungen, die nicht zuletzt Klangkompositionen darstellen und bislang nur abseitig oder gar nicht gedruckt waren, eine wertvolle, kämpferische Bereicherung der Gegenwartsliteratur, die sich schließlich - will sie bedeutsam bleiben - gegen jenen rührend naiven Neorealismus, der nur noch Fakten und "Fakes" zu kennen scheint, mit Phantasie zur Wehr zu setzen hat.

OLIVER JUNGEN

Alban Nikolai Herbst: "Wölfinnen".

Erzählungen II.

Septime Verlag, Wien 2019. 624 S., geb., 29,- [Euro]

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