Die Entdeckung des »Kosmos Clarice Lispector« geht weiter: So persönlich war die Ikone der modernen Literatur noch nie zu erleben
Clarice Lispector, eine der literarischen Ikonen des 20. Jahrhunderts, schrieb zeit ihres Lebens für Zeitungen, so u.a. zwischen 1969 und 1973 für das »Jornal do Brasil«, das führende Presseorgan des Landes, in dem sie eine wöchentliche Kolumne führte. Berühmt für ihre expressiven, das Innerste ihrer Figuren nach außen kehrenden Romane und Kurzgeschichten, erzählte Lispector hier von ihrem eigenen Alltag, verwandelte persönliche Erlebnisse und Erinnerungen in tiefgründige, berührende, häufig humorvolle kurze Episoden. Die verlorene Liebe eines Taxifahrers, die bittere Wahrheit hinter der Schönheit einer alten Freundin, ihre eigene Familie und ihr Aufwachsen: In allem entdeckt Lispector die Widersprüche und Eigenheiten des Leben. Auch über ihr Schreiben reflektiert sie in den Kolumnen immer wieder, teilt ihre Leseerfahrungen und schlägt eine Brücke zur brasilianischen Musik ihrer Zeit. Lispectors ureigener Blick auf die Welt, so ernst wie spielerisch, so heiter wie kontemplativ, offenbart echte Perlen der Erkenntnis und bringt uns die Schriftstellerin so nahe wie nie zuvor. Luis Ruby, gerühmter Übersetzer von Lispectors Romanen und Erzählungen ins Deutsche, hat für diesen Band die unterhaltsamsten und aufschlussreichsten Kolumnen ausgewählt und kommentiert. „Sie konnte beißend sein, rätselhaft, witzig - aber nie banal. Gerade mit ihren Kolumnen wurde die Schriftstellerin Clarice Lispector zu einer brasilianischen Ikone.“ Süddeutsche Zeitung, Simon Sales Prado - »Eine wirklich außergewöhnliche Schriftstellerin.« Jonathan Franzen – »Endlich wird eine der geheimnisvollsten Autorinnen des 20. Jahrhunderts in all ihren schillernden Facetten wiederentdeckt.« Orhan Pamuk
Clarice Lispector, eine der literarischen Ikonen des 20. Jahrhunderts, schrieb zeit ihres Lebens für Zeitungen, so u.a. zwischen 1969 und 1973 für das »Jornal do Brasil«, das führende Presseorgan des Landes, in dem sie eine wöchentliche Kolumne führte. Berühmt für ihre expressiven, das Innerste ihrer Figuren nach außen kehrenden Romane und Kurzgeschichten, erzählte Lispector hier von ihrem eigenen Alltag, verwandelte persönliche Erlebnisse und Erinnerungen in tiefgründige, berührende, häufig humorvolle kurze Episoden. Die verlorene Liebe eines Taxifahrers, die bittere Wahrheit hinter der Schönheit einer alten Freundin, ihre eigene Familie und ihr Aufwachsen: In allem entdeckt Lispector die Widersprüche und Eigenheiten des Leben. Auch über ihr Schreiben reflektiert sie in den Kolumnen immer wieder, teilt ihre Leseerfahrungen und schlägt eine Brücke zur brasilianischen Musik ihrer Zeit. Lispectors ureigener Blick auf die Welt, so ernst wie spielerisch, so heiter wie kontemplativ, offenbart echte Perlen der Erkenntnis und bringt uns die Schriftstellerin so nahe wie nie zuvor. Luis Ruby, gerühmter Übersetzer von Lispectors Romanen und Erzählungen ins Deutsche, hat für diesen Band die unterhaltsamsten und aufschlussreichsten Kolumnen ausgewählt und kommentiert. „Sie konnte beißend sein, rätselhaft, witzig - aber nie banal. Gerade mit ihren Kolumnen wurde die Schriftstellerin Clarice Lispector zu einer brasilianischen Ikone.“ Süddeutsche Zeitung, Simon Sales Prado - »Eine wirklich außergewöhnliche Schriftstellerin.« Jonathan Franzen – »Endlich wird eine der geheimnisvollsten Autorinnen des 20. Jahrhunderts in all ihren schillernden Facetten wiederentdeckt.« Orhan Pamuk
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Vielleicht wird dieser neue, wunderbar editierte Kolumnen-Band der brasilianischen Ikone Clarice Lispector ja auch in Deutschland endlich jene Bekanntheit, jenen Ruhm verschaffen, den sie verdient - oder den wir, als Leserschaft, verdienen, hofft Rezensentin Barbara von Machui. Von 1942 bis 1973 schrieb die jüdische Autorin, die 1920 vor den russischen Pogromen aus Europa geflohen war, ihre "falschen Tagebücher", wie Machui es ausdrückt: Ausgehend von Alltagserfahrungen, von Begegnungen oder Beobachtungen reflektierte sie jeden Samstag in der "Jornal do Brasil" über existenzielle Themen - mal locker, leicht und unbekümmert, mal schwermütig, melancholisch und manchmal auch recht harsch, immer jedoch voller Poesie und Lebensklugheit. Ihre Texte vermitteln einen Eindruck von der Gesellschaft und der Kulturlandschaft Rios zu dieser Zeit, vor allem aber geben sie Einblick in das Seelenleben dieser rätselhaften Autorin, freut sich die Kritikerin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2023Bürgerliche
Gefühle
Beißend, rätselhaft,
witzig, nie banal: Kolumnen
von Clarice Lispector.
Es war die Zigarette am Abend, die sie fast umbrachte. Wie immer zündete Clarice Lispector sich nachts eine an, diesmal wirkten die Beruhigungsmittel schneller, und so schlief die Autorin mit Kippe im Bett ein. Als sie aufwachte, stand das Zimmer in Flammen, die Manuskripte loderten, und beim Versuch, das Feuer zu löschen, verbrannte sie sich schwer. Später, in der Klinik, erwog man, ihre Hand zu amputieren.
„Entschuldigen Sie, dass ich mich so oft vertippe“, beginnt sie Jahre später eine ihrer Kolumnen, die immer wieder Schreibfehler oder falsche Kommata enthielten. Clarice Lispector, deren Romane und Erzählungen auch in deutscher Übersetzung seit einigen Jahren wiederentdeckt werden, war eine bekannte Kolumnistin, und ihr Publikum korrigierte sie regelmäßig. Tippfehler erklärt Lispector in der oben genannten Kolumne mit ihrer vernarbten Hand, für falsch gesetzte Kommata entschuldigt sie sich nicht: „Sehen Sie davon ab, mich zu verbessern. Die Interpunktion ist der Atem des Satzes, und meine Sätze atmen so. Und sollten Sie mich merkwürdig finden, respektieren Sie trotzdem, was ich tue. Ich habe auch erst lernen müssen, mich zu respektieren.“
Nachzulesen ist dieser Text in dem Band „Wofür ich mein Leben gebe“, den gesammelten Kolumnen, die soeben bei Penguin erschienen sind. Rund ein Drittel aller Kolumnen von Lispector hat Luis Ruby dafür sorgfältig ausgewählt und übersetzt, sie sind zwischen 1946 und 1977 geschrieben und stammen vor allem aus der Zeitung Jornal do Brasil. Die Ausgabe ist ein weiterer Schritt der Würdigung dieser brasilianischen Ikone im deutschsprachigen Raum. Der Herausgeber Ruby hat schon die Erzählungen der Autorin ins Deutsche übersetzt. Paulo Gurgel Valente, Clarice Lispectors Sohn, hat ein Nachwort beigesteuert.
Wie auch in ihren Kurzgeschichten ist Lispector in den Kolumnen eine vielseitige Autorin. Es wäre anmaßend, sie auf einen Stil, ein Format, ein Thema festzulegen. Lispector schreibt über Gott, über Mutterschaft und Reinigungskräfte, über Hunger und Taxifahrer. Es gibt Kolumnen, die aus einem Gedicht bestehen, manche sind wenige Sätze kurz, wieder andere ganze Geschichten, die sich fast deckungsgleich in ihren Büchern wiederfinden.
Lispector, die bis heute von einer vornehmlich männlichen Literaturwelt als Sphinx, als mystische Gestalt, als Enigma beschrieben wird, bricht in den Kolumnen mit dem Bild, das man ihr zuschreibt. Meistens ist eine Alltagsbeobachtung der Ausgangspunkt der Texte, sie erzählt von ihren Söhnen, von ihren Freundinnen. Immer wieder fragt sie sich in den Kolumnen aber auch, ob sie nicht zu viel von sich preisgibt.
So hat Lispector, die für ihren ersten Roman gefeiert, aber danach rasch wieder vergessen wurde, durch die Kolumnen eine Beziehung zum breiten brasilianischen Publikum aufgebaut. Sie ging ihrem Sohn zufolge selbst ans Telefon, wenn Leserinnen oder Leser anriefen. Wenn diese sie langweilten, gab Lispector sich als Sekretärin aus und bat die Anrufenden, eine Nachricht zu hinterlassen. Einmal fragte ein Leser in einem Brief, ob sie ihm alte Bücher senden könnte, woraufhin Lispector seine Adresse auf ihrem Kolumnenplatz drucken ließ und ihre Leserinnen und Leser bat, dem Wunsch des Mannes nachzukommen. Was die Kolumnen eint, ist ihr Witz. Sie sind auch lähmend oder schwer zu entschlüsseln – immer aber selbstironisch und unterhaltsam. „Ach“, schreibt Lispector am Ende eines Beitrags über die Liebe, „das Gefühlsleben ist so bürgerlich.“ Einmal ist ihre Kolumne nur ein Satz lang: „Dass ich geboren bin, hat meine Gesundheit ruiniert.“
Banal sind die Texte übrigens nie. Schon allein weil Lispector als ukrainische, jüdische Migrantin in Brasilien schreibt, als Arbeiterkind, das einen Diplomaten heiratete und sich in höchsten Kreisen bewegte, später als geschiedene Frau und Mutter, als Autorin in einer männlichen Literaturwelt, als Kulturschaffende während der Militärdiktatur. Bis heute ist unklar, wieso sie ihren Kolumnenplatz im Jornal do Brasil verlor. Es heißt, sie soll explizit als jüdische Autorin gefeuert worden sein.
João Guimarães Rosa, bis heute einer der berühmtesten brasilianischen Schriftsteller, sprach Lispector einmal auf ihre Kolumnen an. Er lese sie nicht als Literatur, sagte Guimarães Rosa, sondern wie das Leben. Lispector freute sich, schreibt sie. „Anschließend zitierte er etliche Sätze von mir aus dem Gedächtnis“, schreibt Lispector in einer Kolumne. „Und ich erkannte keinen davon wieder.“
SIMON SALES PRADO
Clarice Lispector:
Wofür ich mein
Leben gebe.
Kolumnen 1946 – 1977.
Aus dem Portugiesischen von Luis Ruby.
Penguin Verlag,
München 2023.
320 Seiten, 28 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Gefühle
Beißend, rätselhaft,
witzig, nie banal: Kolumnen
von Clarice Lispector.
Es war die Zigarette am Abend, die sie fast umbrachte. Wie immer zündete Clarice Lispector sich nachts eine an, diesmal wirkten die Beruhigungsmittel schneller, und so schlief die Autorin mit Kippe im Bett ein. Als sie aufwachte, stand das Zimmer in Flammen, die Manuskripte loderten, und beim Versuch, das Feuer zu löschen, verbrannte sie sich schwer. Später, in der Klinik, erwog man, ihre Hand zu amputieren.
„Entschuldigen Sie, dass ich mich so oft vertippe“, beginnt sie Jahre später eine ihrer Kolumnen, die immer wieder Schreibfehler oder falsche Kommata enthielten. Clarice Lispector, deren Romane und Erzählungen auch in deutscher Übersetzung seit einigen Jahren wiederentdeckt werden, war eine bekannte Kolumnistin, und ihr Publikum korrigierte sie regelmäßig. Tippfehler erklärt Lispector in der oben genannten Kolumne mit ihrer vernarbten Hand, für falsch gesetzte Kommata entschuldigt sie sich nicht: „Sehen Sie davon ab, mich zu verbessern. Die Interpunktion ist der Atem des Satzes, und meine Sätze atmen so. Und sollten Sie mich merkwürdig finden, respektieren Sie trotzdem, was ich tue. Ich habe auch erst lernen müssen, mich zu respektieren.“
Nachzulesen ist dieser Text in dem Band „Wofür ich mein Leben gebe“, den gesammelten Kolumnen, die soeben bei Penguin erschienen sind. Rund ein Drittel aller Kolumnen von Lispector hat Luis Ruby dafür sorgfältig ausgewählt und übersetzt, sie sind zwischen 1946 und 1977 geschrieben und stammen vor allem aus der Zeitung Jornal do Brasil. Die Ausgabe ist ein weiterer Schritt der Würdigung dieser brasilianischen Ikone im deutschsprachigen Raum. Der Herausgeber Ruby hat schon die Erzählungen der Autorin ins Deutsche übersetzt. Paulo Gurgel Valente, Clarice Lispectors Sohn, hat ein Nachwort beigesteuert.
Wie auch in ihren Kurzgeschichten ist Lispector in den Kolumnen eine vielseitige Autorin. Es wäre anmaßend, sie auf einen Stil, ein Format, ein Thema festzulegen. Lispector schreibt über Gott, über Mutterschaft und Reinigungskräfte, über Hunger und Taxifahrer. Es gibt Kolumnen, die aus einem Gedicht bestehen, manche sind wenige Sätze kurz, wieder andere ganze Geschichten, die sich fast deckungsgleich in ihren Büchern wiederfinden.
Lispector, die bis heute von einer vornehmlich männlichen Literaturwelt als Sphinx, als mystische Gestalt, als Enigma beschrieben wird, bricht in den Kolumnen mit dem Bild, das man ihr zuschreibt. Meistens ist eine Alltagsbeobachtung der Ausgangspunkt der Texte, sie erzählt von ihren Söhnen, von ihren Freundinnen. Immer wieder fragt sie sich in den Kolumnen aber auch, ob sie nicht zu viel von sich preisgibt.
So hat Lispector, die für ihren ersten Roman gefeiert, aber danach rasch wieder vergessen wurde, durch die Kolumnen eine Beziehung zum breiten brasilianischen Publikum aufgebaut. Sie ging ihrem Sohn zufolge selbst ans Telefon, wenn Leserinnen oder Leser anriefen. Wenn diese sie langweilten, gab Lispector sich als Sekretärin aus und bat die Anrufenden, eine Nachricht zu hinterlassen. Einmal fragte ein Leser in einem Brief, ob sie ihm alte Bücher senden könnte, woraufhin Lispector seine Adresse auf ihrem Kolumnenplatz drucken ließ und ihre Leserinnen und Leser bat, dem Wunsch des Mannes nachzukommen. Was die Kolumnen eint, ist ihr Witz. Sie sind auch lähmend oder schwer zu entschlüsseln – immer aber selbstironisch und unterhaltsam. „Ach“, schreibt Lispector am Ende eines Beitrags über die Liebe, „das Gefühlsleben ist so bürgerlich.“ Einmal ist ihre Kolumne nur ein Satz lang: „Dass ich geboren bin, hat meine Gesundheit ruiniert.“
Banal sind die Texte übrigens nie. Schon allein weil Lispector als ukrainische, jüdische Migrantin in Brasilien schreibt, als Arbeiterkind, das einen Diplomaten heiratete und sich in höchsten Kreisen bewegte, später als geschiedene Frau und Mutter, als Autorin in einer männlichen Literaturwelt, als Kulturschaffende während der Militärdiktatur. Bis heute ist unklar, wieso sie ihren Kolumnenplatz im Jornal do Brasil verlor. Es heißt, sie soll explizit als jüdische Autorin gefeuert worden sein.
João Guimarães Rosa, bis heute einer der berühmtesten brasilianischen Schriftsteller, sprach Lispector einmal auf ihre Kolumnen an. Er lese sie nicht als Literatur, sagte Guimarães Rosa, sondern wie das Leben. Lispector freute sich, schreibt sie. „Anschließend zitierte er etliche Sätze von mir aus dem Gedächtnis“, schreibt Lispector in einer Kolumne. „Und ich erkannte keinen davon wieder.“
SIMON SALES PRADO
Clarice Lispector:
Wofür ich mein
Leben gebe.
Kolumnen 1946 – 1977.
Aus dem Portugiesischen von Luis Ruby.
Penguin Verlag,
München 2023.
320 Seiten, 28 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2024Ich schreibe im Maß meines Atems
Die Pressekolumnen von Clarice Lispector sind ein Spiegel des Privatlebens der Autorin und der brasilianischen Gesellschaft um sie herum
Ihre elegante Erscheinung ist an einer Bronzestatue am Strand von Copacabana zu bewundern, ihr faszinierendes Gesicht auf berühmten Porträtfotos, auf einer ungewöhnlich schönen brasilianischen Briefmarke und einem Bild von De Chirico, ihre Biographie lese sich wie ein gewaltiges Märchen, so Peter Härtling. Mit ihren eigenwilligen Romanen und Erzählungen ist Clarice Lispector eine Ikone der brasilianischen Literatur geworden, oft an der Grenze des Sag- und Verstehbaren.
Aufgrund ihrer Schönheit, ihrer Exzentrik und ihrer Aura des Geheimnisvollen wurde sie früh zur Legende, zur Sphinx von Rio de Janeiro, glühend verehrt auch nach ihrem frühen Tod 1977 mit nur 56 Jahren, vor allem in der brasilianischen Heimat, die in Wahrheit das Exil ihrer Familie war, die 1920 auf der Flucht vor russischen Pogromen im Gebiet der heutigen Ukraine floh. Traumatisch und traumatisierend dabei das Schicksal ihrer Mutter, die als Opfer einer Massenvergewaltigung mit Syphilis angesteckt worden und ohne medizinische Behandlung qualvoll zugrunde gegangen war.
Obwohl Clarice schon als Kleinkind "von dort fortgetragen wurde" und in den ärmlichen Norden Brasiliens kam, kann man in dem Mysterium ihrer Herkunft den Grund für ihr lebenslanges Fremdsein auf Erden sehen: "Clarice entstammte einem Geheimnis / und entwich in ein anderes", stellte der Dichter Carlos de Andrade zum Zeitpunkt ihres Todes fest.
"Die Romane von Clarice Lispector lassen uns häufig an die Autobiographie der heiligen Teresa denken", stand in "Le Monde", und die französische Schriftstellerin Hélène Cixous erklärte, Clarice sei die Person gewesen, zu der sich ein weiblicher Kafka entwickelt hätte oder "Rilke, wäre er eine jüdische, in der Ukraine geborene Brasilianerin gewesen. Oder Rimbaud, wäre er eine Mutter gewesen und fünfzig Jahre alt geworden."
Der amerikanische Literaturwissenschaftler Benjamin Moser hat eine einfühlsame Biographie über die geheimnisumwitterte Autorin verfasst, in der er behutsam den Legendenbildungen nachgeht, die vor allem im Vakuum ihrer eigenen Auskunftsverweigerung entstanden sind, mit vielen Zeugnissen ihrer riesigen Fangemeinde. Ihr Leben war ebenso glamourös wie rebellisch, sie studierte Jura, arbeitete als Lehrerin und Journalistin und führte zwischendurch ein eher luxuriöses Leben als Diplomatengattin. Schon ihr erster, viel beachteter Roman "Nahe dem wilden Herzen" von 1944 brach mit allen Regeln des konventionellen Schreibens.
Im deutschsprachigen Raum ist sie trotz etlicher Übersetzungen aus jüngerer Zeit immer noch zu wenig bekannt. Nun erscheint ein neuer Band, eine Auswahl der "crônicas", ihrer literarischen Chroniken der Jahre 1942 bis 1973 aus dem "Jornal do Brasil", dem führenden Presseorgan des Landes - von Luis Ruby, dessen Verehrung für diese außergewöhnliche Autorin immer wieder durchschimmert, neu aus dem brasilianischen Portugiesisch übersetzt. Es sind keine Chroniken im üblichen Sinne, sondern etwas wie "falsche Tagebücher", nämlich Beobachtungen, Reflexionen, Erinnerungen, "am Klang entlang geschrieben", über existenzielle Themen, die Lispector in der Poesie des Alltags entdeckt. Mit eigenem Blick auf die Welt erzählte sie immer samstags, der "Rose der Woche", vom Tagesgeschehen und verwandelte persönliche Erlebnisse in Episoden, die mal heiter, mal melancholisch stimmen.
So erzählt sie von der unsterblichen Liebe eines Taxifahrers oder von der verlorenen Schönheit einer alten Freundin, die nur noch mühsam mit einem "solchen Aufwand" behauptet werden kann: "Nach kurzer Zeit war ihre mindere, oberflächliche Schönheit abgeschabt." Oder aber von den unmerklichen Rissen in der Liebe: "Wir haben das Wort Liebe nicht gebraucht, um nicht zugeben zu müssen, dass es aus Liebe und Hass geflochten ist." Oder dem Verhältnis zu ihren Söhnen: "Was ihn bedrückte, saß so tief, dass er es zu dieser Unwahrheit verformt hatte." Oder auch die Erkenntnis: "Wir haben mit Liebe unsere Gleichgültigkeit verkleidet, unsere Gleichgültigkeit mit Beklemmung, und mit der kleinen Angst die große Angst dahinter." Viele ihrer Kolumnen sind intime persönliche Bekenntnisse, meditative Selbsterforschungen, poetische Stimmungsbilder. Aber sie kann auch barsch und unleidlich sein, wenn sie den Setzer anherrscht: "Sehen Sie davon ab, mich zu verbessern. Die Interpunktion ist der Atem des Satzes, und meine Sätze atmen so."
In Passagen wie dieser erkennen wir das "monstre sacré", als das sie bei aller Verehrung auch galt. Darüber hinaus erhalten wir Einblick in das kulturelle Leben der brasilianischen Metropole jener Jahre. Die Einschränkungen des politischen Lebens unter der mehr als zwanzigjährigen Militärdiktatur lassen sich nur zwischen den Zeilen erahnen.
Mit 46 Jahren erleidet Lispector wie einige Jahre später Ingeborg Bachmann einen schweren Unfall: Einsam und tablettenabhängig setzt sie sich selbst mit einer Zigarette im Bett in Brand. Sie überlebt trotz des geschmolzenen Nachthemdes, bleibt aber versehrt, ihre Schreibhand ist nur noch ein schwarzer Klumpen. "Mit meiner verbrannten Hand schreibe ich über die Natur des Feuers", möchte man Ingeborg Bachmann zitieren. Am Ende wurde sie zu ihrer eigenen Fiktion: "Wenn ich meinem Leben einen Titel geben müsste, dann würde es lauten: Auf der Suche nach dem Ding an sich." Ihre Arbeit für den "Jornal do Brasil" endet, als sie und der jüdische Chefredakteur 1973 auf Druck arabischer Investoren entlassen werden.
Ihre crônicas haben die Unbekümmertheit und Spontaneität von Internetblogs, und ihre Fangemeinde würde man heute wohl Followers nennen. Uns geben sie in dieser sorgsam edierten Ausgabe die Möglichkeit, eine "der geheimnisvollsten Autorinnen des zwanzigsten Jahrhunderts in all ihren schillernden Facetten wiederzuentdecken", so Orhan Pamuk. Und ganz wie Marcel Proust hat auch Clarice Lispector gewusst, dass "in Wahrheit er, der Leser, der Autor ist". BARBARA VON MACHUI
Clarice Lispector: "Wofür ich mein Leben gebe". Kolumnen 1946-1977.
Aus dem brasilianischen Portugiesisch und hrsg. von Luis Ruby. Penguin, München 2023. 320 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Pressekolumnen von Clarice Lispector sind ein Spiegel des Privatlebens der Autorin und der brasilianischen Gesellschaft um sie herum
Ihre elegante Erscheinung ist an einer Bronzestatue am Strand von Copacabana zu bewundern, ihr faszinierendes Gesicht auf berühmten Porträtfotos, auf einer ungewöhnlich schönen brasilianischen Briefmarke und einem Bild von De Chirico, ihre Biographie lese sich wie ein gewaltiges Märchen, so Peter Härtling. Mit ihren eigenwilligen Romanen und Erzählungen ist Clarice Lispector eine Ikone der brasilianischen Literatur geworden, oft an der Grenze des Sag- und Verstehbaren.
Aufgrund ihrer Schönheit, ihrer Exzentrik und ihrer Aura des Geheimnisvollen wurde sie früh zur Legende, zur Sphinx von Rio de Janeiro, glühend verehrt auch nach ihrem frühen Tod 1977 mit nur 56 Jahren, vor allem in der brasilianischen Heimat, die in Wahrheit das Exil ihrer Familie war, die 1920 auf der Flucht vor russischen Pogromen im Gebiet der heutigen Ukraine floh. Traumatisch und traumatisierend dabei das Schicksal ihrer Mutter, die als Opfer einer Massenvergewaltigung mit Syphilis angesteckt worden und ohne medizinische Behandlung qualvoll zugrunde gegangen war.
Obwohl Clarice schon als Kleinkind "von dort fortgetragen wurde" und in den ärmlichen Norden Brasiliens kam, kann man in dem Mysterium ihrer Herkunft den Grund für ihr lebenslanges Fremdsein auf Erden sehen: "Clarice entstammte einem Geheimnis / und entwich in ein anderes", stellte der Dichter Carlos de Andrade zum Zeitpunkt ihres Todes fest.
"Die Romane von Clarice Lispector lassen uns häufig an die Autobiographie der heiligen Teresa denken", stand in "Le Monde", und die französische Schriftstellerin Hélène Cixous erklärte, Clarice sei die Person gewesen, zu der sich ein weiblicher Kafka entwickelt hätte oder "Rilke, wäre er eine jüdische, in der Ukraine geborene Brasilianerin gewesen. Oder Rimbaud, wäre er eine Mutter gewesen und fünfzig Jahre alt geworden."
Der amerikanische Literaturwissenschaftler Benjamin Moser hat eine einfühlsame Biographie über die geheimnisumwitterte Autorin verfasst, in der er behutsam den Legendenbildungen nachgeht, die vor allem im Vakuum ihrer eigenen Auskunftsverweigerung entstanden sind, mit vielen Zeugnissen ihrer riesigen Fangemeinde. Ihr Leben war ebenso glamourös wie rebellisch, sie studierte Jura, arbeitete als Lehrerin und Journalistin und führte zwischendurch ein eher luxuriöses Leben als Diplomatengattin. Schon ihr erster, viel beachteter Roman "Nahe dem wilden Herzen" von 1944 brach mit allen Regeln des konventionellen Schreibens.
Im deutschsprachigen Raum ist sie trotz etlicher Übersetzungen aus jüngerer Zeit immer noch zu wenig bekannt. Nun erscheint ein neuer Band, eine Auswahl der "crônicas", ihrer literarischen Chroniken der Jahre 1942 bis 1973 aus dem "Jornal do Brasil", dem führenden Presseorgan des Landes - von Luis Ruby, dessen Verehrung für diese außergewöhnliche Autorin immer wieder durchschimmert, neu aus dem brasilianischen Portugiesisch übersetzt. Es sind keine Chroniken im üblichen Sinne, sondern etwas wie "falsche Tagebücher", nämlich Beobachtungen, Reflexionen, Erinnerungen, "am Klang entlang geschrieben", über existenzielle Themen, die Lispector in der Poesie des Alltags entdeckt. Mit eigenem Blick auf die Welt erzählte sie immer samstags, der "Rose der Woche", vom Tagesgeschehen und verwandelte persönliche Erlebnisse in Episoden, die mal heiter, mal melancholisch stimmen.
So erzählt sie von der unsterblichen Liebe eines Taxifahrers oder von der verlorenen Schönheit einer alten Freundin, die nur noch mühsam mit einem "solchen Aufwand" behauptet werden kann: "Nach kurzer Zeit war ihre mindere, oberflächliche Schönheit abgeschabt." Oder aber von den unmerklichen Rissen in der Liebe: "Wir haben das Wort Liebe nicht gebraucht, um nicht zugeben zu müssen, dass es aus Liebe und Hass geflochten ist." Oder dem Verhältnis zu ihren Söhnen: "Was ihn bedrückte, saß so tief, dass er es zu dieser Unwahrheit verformt hatte." Oder auch die Erkenntnis: "Wir haben mit Liebe unsere Gleichgültigkeit verkleidet, unsere Gleichgültigkeit mit Beklemmung, und mit der kleinen Angst die große Angst dahinter." Viele ihrer Kolumnen sind intime persönliche Bekenntnisse, meditative Selbsterforschungen, poetische Stimmungsbilder. Aber sie kann auch barsch und unleidlich sein, wenn sie den Setzer anherrscht: "Sehen Sie davon ab, mich zu verbessern. Die Interpunktion ist der Atem des Satzes, und meine Sätze atmen so."
In Passagen wie dieser erkennen wir das "monstre sacré", als das sie bei aller Verehrung auch galt. Darüber hinaus erhalten wir Einblick in das kulturelle Leben der brasilianischen Metropole jener Jahre. Die Einschränkungen des politischen Lebens unter der mehr als zwanzigjährigen Militärdiktatur lassen sich nur zwischen den Zeilen erahnen.
Mit 46 Jahren erleidet Lispector wie einige Jahre später Ingeborg Bachmann einen schweren Unfall: Einsam und tablettenabhängig setzt sie sich selbst mit einer Zigarette im Bett in Brand. Sie überlebt trotz des geschmolzenen Nachthemdes, bleibt aber versehrt, ihre Schreibhand ist nur noch ein schwarzer Klumpen. "Mit meiner verbrannten Hand schreibe ich über die Natur des Feuers", möchte man Ingeborg Bachmann zitieren. Am Ende wurde sie zu ihrer eigenen Fiktion: "Wenn ich meinem Leben einen Titel geben müsste, dann würde es lauten: Auf der Suche nach dem Ding an sich." Ihre Arbeit für den "Jornal do Brasil" endet, als sie und der jüdische Chefredakteur 1973 auf Druck arabischer Investoren entlassen werden.
Ihre crônicas haben die Unbekümmertheit und Spontaneität von Internetblogs, und ihre Fangemeinde würde man heute wohl Followers nennen. Uns geben sie in dieser sorgsam edierten Ausgabe die Möglichkeit, eine "der geheimnisvollsten Autorinnen des zwanzigsten Jahrhunderts in all ihren schillernden Facetten wiederzuentdecken", so Orhan Pamuk. Und ganz wie Marcel Proust hat auch Clarice Lispector gewusst, dass "in Wahrheit er, der Leser, der Autor ist". BARBARA VON MACHUI
Clarice Lispector: "Wofür ich mein Leben gebe". Kolumnen 1946-1977.
Aus dem brasilianischen Portugiesisch und hrsg. von Luis Ruby. Penguin, München 2023. 320 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Sie konnte beißend sein, rätselhaft, witzig - aber nie banal. Gerade mit ihren Kolumnen wurde die Schriftstellerin Clarice Lispector zu einer brasilianischen Ikone.« Simon Sales Prado, Süddeutsche Zeitung