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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Wie sich der Historiker Saul Friedländer in seinen Erinnerungen auch selbst verbirgt
Berlin und Broszat, so resümiert Saul Friedländer jetzt in seinen Memoiren, seien letztlich der Auslöser gewesen, sein gefeiertes Monumentalwerk "Das Dritte Reich und die Juden" zu schreiben. Für Friedländer führten damit ein eher unangenehmes Gespräch mit dem Historiker Ernst Nolte in Berlin und eine sehr produktive Debatte mit dem Leiter des Institut für Zeitgeschichte in München, Martin Broszat, dazu, sich auch mit seiner eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Friedländer wurde 1932 in Prag in einem, wie er selbst schreibt, deutsch-jüdischen Milieu geboren. 1939 floh die Familie nach Paris, wo Friedländer - ab 1942 in einem katholischen Internat versteckt - den Krieg überlebte. Seine Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Friedländer, der sich nach dem Krieg vom überzeugten Katholiken zu einem Kommunisten, dann kurzzeitig zu einem Zionisten wandelte, wanderte 1948 nach Israel aus. In der Folgezeit lebte und lehrte er als Historiker an Universitäten in Israel, der Schweiz und den Vereinigten Staaten.
Bereits 1978 erschien der erste Teil seiner Memoiren, der sich seiner Kindheit in Prag und seinen Jahren in Frankreich, Israel und der Schweiz widmete. Der nun publizierte Band fokussiert sich insbesondere auf die Jahre 1977 bis 2015, auf jene Zeit also, die Friedländer den internationalen Durchbruch als Forscher bringen sollte, was sich 2008 an der Verleihung des Pulitzer-Preises für sein Werk "Das Dritte Reich und die Juden" zeigte.
Mit Spannung wartete deshalb die Historikerschaft auf Friedländers Darstellung seiner Auseinandersetzung mit Martin Broszat, die zum Auslöser seines produktiven Schaffens an diesem Werk wurde. Ende der 1980er Jahre debattierten beide über die Frage, ob es eine Historisierung des Nationalsozialismus geben könne. Friedländer kritisierte dabei vor allem, dass eine derartige Historisierung, die er mit Sorge sah, ohne den Holocaust stattfinde. Langfristig führten diese und andere Diskussionen zu einem Paradigmenwechsel in der NS-Forschung. Inzwischen ist die zentrale Bedeutung der Judenverfolgung für die nationalsozialistische Diktatur allgemein anerkannt.
In den Memoiren erscheint diese Debatte doch reichlich verkürzt. Auch beinahe dreißig Jahre später wirkt es kaum so, als habe Friedländer mit dem 1989 verstorbenen Broszat Frieden geschlossen. Vielmehr wird Broszat sogar ungerechtfertigterweise in die Nähe eines Geschichtsrevisionismus gerückt, nur weil er die berechtigte Frage aufwarf, inwieweit der Nationalsozialismus mit den üblichen wissenschaftlichen Maßstäben wie andere Teile der Geschichte betrachtet werden sollte. Hierauf warf Friedländer ebenso berechtigt ein, dass in diesem Falle die Erinnerung an den Holocaust verblassen könnte.
Bis heute kollidieren Geschichtsbetrachtung und Erinnerungskultur natürlicherweise in besonderem Maße, wenn der Holocaust im Fokus steht. Friedländer fühlte sich wohl von der Überlegung Broszats persönlich angegriffen, wonach die "Subjektivität der Opfer" ein "vergröberndes Hindernis" bei der Darstellung von Geschichte sei. Mit seinem Werk "Das Dritte Reich und die Juden" wollte er deshalb den Beweis antreten, dass, wie er in seinen Memoiren vermerkt, "auch die Opfer (. . .) in der Lage waren, diese Geschichte zu schreiben". Letztlich sind also möglicherweise die Nachkommen von Opfern und Tätern durch ihre produktive Subjektivität trotz der damit verbundenen Begrenztheit des eigenen Strebens besonders in der Lage, große Werke zum Nationalsozialismus zu schreiben - Friedländer ebenso wie Broszat.
Die Memoiren Friedländers sind lebhaftes Zeugnis seines Gelehrtenlebens, seines jahrelangen Diskutierens, Denkens und Schreibens. Darüber hinaus erhalten sie ihre besondere Würze dadurch, dass er nicht nur im gelehrten Feld der Geschichtswissenschaft tätig war. Welcher Leser würde sich schon bei der Lektüre der Memoiren eines deutschen C4-Professors vergnügen? Vielmehr hat Friedländer auch etwa für den Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldmann, oder etwa für den späteren israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres gearbeitet. Bei Letzterem war Friedländer sogar, sehr indirekt zwar, am israelischen Atomprogramm beteiligt. Doch insgesamt verschwindet Friedländer oftmals hinter all den Personen, denen er im Laufe seines Lebens begegnete. Allzu viele bekannte Namen fallen, ohne dass man Hintergründe oder Einordnungen zu diesen oder jenen Personen erfährt. Ja, diese Begegnungen stören vielfach sogar, denn sie verbergen letztlich diejenige Person, zu deren besseren Kenntnis man die Memoiren eigentlich erworben hatte: Saul Friedländer. Wettgemacht wird dies durch seine sehr offene und kritische Einschätzung des israelisch-arabischen Konflikts und der israelischen Innenpolitik.
Am ergreifendsten ist der echte, ungeschminkte Friedländer mit seinen Ängsten, seiner teilweisen Abhängigkeit von Tabletten, der Einsamkeit, die ihn prägte, und dem Gefühl, permanent im Exil zu leben. Mehrfach erwähnt er seine Schüchternheit, und gerade diese scheint ihn davon abzuhalten, genauer über seine Prägungen und Gedankengänge zu schreiben. Zu gerne hätte man etwa erfahren, auch wenn es immer wieder zwischen den Zeilen hervorscheint, was es eigentlich für ihn bedeutete, den Holocaust überlebt und sich - nach jahrelangem Umschiffen seiner eigenen Familiengeschichte, wie er schreibt - für eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema entschlossen zu haben. Welche Rolle spielte der genealogische Zusammenhang mit den Opfern der Vernichtung, der ihn ebenso mit dem Holocaust verband wie Broszat der Zusammenhang mit den Tätern? Frei nach Marc Bloch wäre zu wünschen, dass der Historiker Friedländer erläutere, wer der Mensch Friedländer wirklich gewesen sei.
MICHAEL MAYER
Saul Friedländer: Wohin die Erinnerung führt. Mein Leben. C.H. Beck Verlag, München 2016. 329 S., 24,95 [Euro].
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Jochen Kürten und Sabine Peschel, Deutsche Welle
"[eine] außergewöhnliche, in einer ebenso einfachen wie eleganten Sprache verfasste Autobiografie" Ulrich Teusch, SWR2
"ein tief menschliches Zeugnis, frei von Eitelkeit, und wie immer bei [Friedländer] anschaulich und elegant geschrieben"
Claudia Kühner, NZZ am Sonntag