Hommage an einen freien Geist: Ein Meister der modernen Klassik im Porträt Wolfgang Rihm (1952–2024) zählt zu den großen deutschen Komponisten. Sein Werk zeichnet sich vor allem durch eines aus: künstlerische Freiheit. In seinem Œuvre lotet er die expressive Kraft der Musik aus und widersetzt sich dabei jedem Versuch der Einordnung. Moderne klassische Musik? Neue Musik? Wolfgang Rihms Musik steht für sich selbst. Musikkritikerin und Autorin Eleonore Büning beschreibt in dieser Biographie zum ersten Mal Leben und Werk dieses phänomenalen Musikers. Durch ihre umfassende Musikkenntnis und langjährige Freundschaft zum Porträtierten gelingt ihr eine Darstellung des Komponisten, die ebenso fundiert wie persönlich ist. - Biographie zum 70. Geburtstag des Ausnahmekünstlers - Wolfgang Rihm im Interview: 25 Fragen und Antworten zum Alltag des Komponierens - Mit vollständiger Diskographie (mit allen bis 2021 veröffentlichten Aufnahmen) und umfassendem Personen- und Werkregister - Wolfgang Rihm als Lehrer und Netzwerker: Wie beeinflusst er das Musikdenken der Gegenwart? Lebensgeschichte eines der wichtigsten und berühmtesten Komponisten der Neuzeit Wolfgang Rihm sei »ein Sonderfall für die Musikgeschichte«, schreibt Eleonore Büning im Vorwort der Biographie. Der Komponist gehörte nie zu einer Seilschaft, sondern hat sich seine Unabhängigkeit bewahrt. Rihm empfindet Bach oder Beethoven als seine Zeitgenossen und schließt in seinem Musikbegriff einfach nichts aus. Seine Musik berührt auch Menschen, die keine Lust auf Avantgarde haben. Tauchen Sie ein in die Klangwelt der neuen Musik und lassen Sie sich von der Virtuosität und dem Erfindungsreichtum von Wolfgang Rihms Kompositionen in den Bann ziehen!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2022Der Unantastbare
Er wurde von Anfang an als Sonderfall eingestuft. Das macht seine Einordnung des Wolfgang Rihm so schwierig. Zwei Bücher versuchen es trotzdem
Wolfgang Rihms Musikdenken ist intellektuell geschärft und seine Musik hochexpressiv, emotional aufgeladen. Deshalb ist es überhaupt kein Wunder, dass gleich zwei ehrgeizige und sehr ungleiche Rihm-Monografien zu seinem Geburtstag erschienen sind.
Wie beschaffen ist scheinbar grenzenlose Kreativität? Wie dicht Rihms Ausdrucksvielfalt in Oper und symphonischem Schwergewicht, Kammermusik, Lied? Eleonore Büning und Frieder Reininghaus, beide lange schon als Musikkritiker tätig, spürten genügend Lust, die imposante physische und geistige Statur des Wolfgang Rihm zu erkunden, seinen künstlerischen Radius auszumessen, das Prestige und „Erfolgsgeheimnis“ dieses Mannes. Für Kritiker eher schwierig ist eine Tatsache: Die künstlerische Erscheinung dieses Komponisten gilt heute als quasi unantastbar. Eine Biografie in üblicher Art käme also einem Denkmal gleich, als Chronik seines Lebens und Schaffens.
Bei beiden Büchern verhält es sich aber anders. Die Musikautorin Eleonore Büning bekennt in ihrer kategorisch „Die Biographie“ genannten Darstellung gleich eingangs die persönliche Nähe zum Komponisten und gibt so einen affirmativen Ton an: „Rihm und ich, wir kennen uns seit dreiunddreißig Jahren, wir sind befreundet.“ Sie habe ihn früher in der Berliner taz einmal „einen Epigonen“ genannt und er sie daraufhin als „plemplem“ eingestuft. Rihm nun, heute gesehen, sei in vielerlei Hinsicht „ein Sonderfall“. Ein Unzeitgemäßer? Gewiss wohl, so Eleonore Büning, er schreibe die Noten strikt mit der Hand auf Papier, er verzichte auf den Computer, er meide Experimente wie grafische Notation oder elektronische Abenteuer, er entsage den modischen Klanginstallationen. „Das ist wahrlich old fashioned“, launig die Autorin. Und dementsprechend freundlich, skeptisch gelassen zwischen viel Pflanzengrün sitzend, blickt Wolfgang Rihm als Coverheld dem Buchkäufer ins Gesicht.
Der Musikwissenschaftler und Publizisten Frieder Reininghaus, lange auch bei der taz und dem Deutschlandfunk tätig, will hingegen mit einer Rihm-Biographie nichts zu tun haben, er versteht seine Expertise und die Abhandlung grundlegend als gesellschaftspolitisch fundiert.
Schon der Covertitel verrät entschieden eine konkrete Zielvorstellung: „Rihm. Der Repräsentative“. Das Foto dazu zielt punktgenau darauf und ist durchaus halbironischzu verstehen: Ein bitterernst, fast verdrossen wirkender Mensch wird da zum Staatskünstler seiner theatralischen Innenschau stilisiert, beethovenähnlich. Erst der komplette Untertitel, im Buch angezeigt, spricht dann Klartext: „Neue Musik in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland“. Musiksoziologie plus Geschichtsschreibung als Rihm-Monografie, kein Denkmal.
Es gilt auch hier die Grundüberzeugung des Autors Reininghaus, Musik sei „nicht zu denken ohne ihre gesellschaftlichen Funktionen“. Solche Herangehensweise hatte er schon kürzlich in dem
zweibändigen Handbuch „Musik und
Gesellschaft“ mit Hunderten Essays vieler Autoren erprobt. Sein Rihm-Buch
folgt mithin keiner linearen „Erzählung“, sondern bietet eine Art Kaleidoskop
aus insgesamt 36 lose gestaffelten,
nicht der Chronologie folgenden
Essays zu Rihms Karriere, ihren Antriebskräften, ihren klingenden Resultaten,
ihrer Breitenwirkung. Mehr „wieso“ als „was“.
Sieben „Zeitfenster“ gliedern die drei Dutzend Essays, mit bissigen Titeln wie „Gourmand, Gourmet und Revoluzzer“ oder „Aufbruch zum Innersten, allemal entäußert“ oder gar „Dionysisch, höllisch, himmlisch“. Da verbinden sich biografische Einblicke mit zeithistorischen Ausblicken der Fünfzigerjahre bis heute, Werkporträts, hauptsächlich des Rihm’schen Operntheaters, mit prägnant, oft polemisch zugespitzter Gesellschaftskritik. Nicht vergessen hat der Autor persönliche Begegnungen mit Rihm wie die in einem Feinschmeckerlokal, wo der Hochpreis für eine von Rihm georderte Flasche Wein seine Gegenwehr provozierte. Den Kritiker Reininghaus interessieren die Beweg- und Hintergründe von Rihms beispiellosem Aufstieg nicht nur in den Zirkeln der zeitgenössischen Musik, sondern auf den Bühnen und Podien des bürgerlichen Musikbetriebs.
Der Komponist selbst und sein Lebenswerk werden durchaus klug beschrieben, sogar bewundert, und doch vergisst der Autor bei seiner Sicht auf Rihms souverän großzügige Figur nicht das irritierende Merkmal des im Titel benannten „Repräsentativen“, situiert im „Kulturbetrieb der alten Bundesrepublik“. Die historische „Bezugsgröße“ für Rihm sei doch wohl, bei all seiner Freundschaft mit den politikwachen Kollegen Luigi Nono oder Helmut Lachenmann, der Großbürger Richard Strauß, „die repräsentativste deutsche Musikerpersönlichkeit“ in der ersten Jahrhunderthälfte.
Darüber, wie über manches andere in dem Buch, lässt sich allerdings streiten. Tatsache ist, dass Rihm, auch musikverbandspolitisch der hellwache Geist, sich den Gremien des Musiklebens nie verweigert hat: Er „wollte entschieden mitmischen unter dem von ihm früh sehr klar formulierten Motto: ‚Ich will bewegen und bewegt sein‘“.
Der lustig-grimmige Wahlkölner Reininghaus denkt dabei gern an „die Kölsche Generalformel für erfolgreiches Netzwerken: ‚Von nix kütt nix‘“. Alle Ebenen in seinem Buch, von der Lektüre Hunderter Zeitschriften- und Zeitungstexte, den Rihm’schen Kommentaren und Essays, zu einer wahren Zitatflut angefeuert, greifen ineinander. Resultat ist eine anregende, oft spannende, auch zum Widerspruch reizende Lektüre.
Viel näher an der Norm biografischer Ausgewogenheit geht Eleonore Büning das Wagnis ein, Leben und Wirken, dazu den Materialreichtum des weit verzweigten, kaum mehr fassbaren Werkkatalogs ihres Freundes Wolfgang Rihm ausbalanciert abbilden zu wollen. Wobei es ihr aber gelingt, auf mehr als 150 der Musikwerke kurz oder detailliert einzugehen, sodann die immens angewachsene Rihm-Diskografie exakt darzubieten. Ein komplettes Werkverzeichnis hätte ihr Buch womöglich gesprengt.
Auch Eleonore Büning, die mit aller Geduld die intellektuellen wie musikalischen Impulse in Rihms Klangkosmos untersucht, stützt sich auf die Flut der jahrzehntelang medial ausgebreiteten Rezensionen, Kommentare und Interviews. Eigene Erinnerungen an die zahllosen Festivals und Konzerte mit Rihms Musik sind das Pfund, mit dem sie wuchert, mit bilanzierenden Beschreibungen von Aufführungen, deren Bedeutungen, deren Hintergründen.
Schließlich fügt sie ein Paket selbst geführter Gespräche mit Rihm hinzu: „25 Fragen und Antworten zum Alltag des Komponierens“ unter dem Titel „Gezielte Verdunkelung“. Erste Frage, ein Befund: „Du bist der Inbegriff krisenfesten Komponierens. Das hat man dir schon vor Jahren auf den Kopf zugesagt.“
Die Anspielung auf einen kolportierten Anstoß Luigi Nonos: „Wolfgang, du brauchst eine Krise.“ Rihm denkt weiter: Ja, Krisen der Arbeit empfinde „jeder Künstler sowieso als einen integralen Bestandteil des Arbeitsprozesses“. Krisen seien „Durchgangsphänomene. Phasen, in denen sich etwas entscheidet“.
Ein Fazit? Rihm ist Dialektiker, er weiß: „Scheitern ist immer Gewissheit. Aus diesem Grund besteht keine Furcht davor.“ Die Darstellung einer derart ausgreifenden, in Werk, Substanz, Wirkung schwer zu fassenden Figur wie die seine benötigt Sammlerfleiß und Geistesgegenwart, vor allem Empathie. Dafür stehen beide Porträtbücher.
WOLFGANG SCHREIBER
Der Komponist selbst und
sein Lebenswerk werden
durchaus klug beschrieben
„Scheitern ist immer Gewissheit.
Aus diesem Grund besteht
keine Furcht davor.“
Frieder Reininghaus: Rihm. Der Repräsentative. Königshausen & Neumann, Würzburg 2021. 307 Seiten, 34 Euro
Eleonore Büning: Wolfgang Rihm. Über die Linie. Benevento Verlag, München-Salzburg 2022. 344 Seiten, 24 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Er wurde von Anfang an als Sonderfall eingestuft. Das macht seine Einordnung des Wolfgang Rihm so schwierig. Zwei Bücher versuchen es trotzdem
Wolfgang Rihms Musikdenken ist intellektuell geschärft und seine Musik hochexpressiv, emotional aufgeladen. Deshalb ist es überhaupt kein Wunder, dass gleich zwei ehrgeizige und sehr ungleiche Rihm-Monografien zu seinem Geburtstag erschienen sind.
Wie beschaffen ist scheinbar grenzenlose Kreativität? Wie dicht Rihms Ausdrucksvielfalt in Oper und symphonischem Schwergewicht, Kammermusik, Lied? Eleonore Büning und Frieder Reininghaus, beide lange schon als Musikkritiker tätig, spürten genügend Lust, die imposante physische und geistige Statur des Wolfgang Rihm zu erkunden, seinen künstlerischen Radius auszumessen, das Prestige und „Erfolgsgeheimnis“ dieses Mannes. Für Kritiker eher schwierig ist eine Tatsache: Die künstlerische Erscheinung dieses Komponisten gilt heute als quasi unantastbar. Eine Biografie in üblicher Art käme also einem Denkmal gleich, als Chronik seines Lebens und Schaffens.
Bei beiden Büchern verhält es sich aber anders. Die Musikautorin Eleonore Büning bekennt in ihrer kategorisch „Die Biographie“ genannten Darstellung gleich eingangs die persönliche Nähe zum Komponisten und gibt so einen affirmativen Ton an: „Rihm und ich, wir kennen uns seit dreiunddreißig Jahren, wir sind befreundet.“ Sie habe ihn früher in der Berliner taz einmal „einen Epigonen“ genannt und er sie daraufhin als „plemplem“ eingestuft. Rihm nun, heute gesehen, sei in vielerlei Hinsicht „ein Sonderfall“. Ein Unzeitgemäßer? Gewiss wohl, so Eleonore Büning, er schreibe die Noten strikt mit der Hand auf Papier, er verzichte auf den Computer, er meide Experimente wie grafische Notation oder elektronische Abenteuer, er entsage den modischen Klanginstallationen. „Das ist wahrlich old fashioned“, launig die Autorin. Und dementsprechend freundlich, skeptisch gelassen zwischen viel Pflanzengrün sitzend, blickt Wolfgang Rihm als Coverheld dem Buchkäufer ins Gesicht.
Der Musikwissenschaftler und Publizisten Frieder Reininghaus, lange auch bei der taz und dem Deutschlandfunk tätig, will hingegen mit einer Rihm-Biographie nichts zu tun haben, er versteht seine Expertise und die Abhandlung grundlegend als gesellschaftspolitisch fundiert.
Schon der Covertitel verrät entschieden eine konkrete Zielvorstellung: „Rihm. Der Repräsentative“. Das Foto dazu zielt punktgenau darauf und ist durchaus halbironischzu verstehen: Ein bitterernst, fast verdrossen wirkender Mensch wird da zum Staatskünstler seiner theatralischen Innenschau stilisiert, beethovenähnlich. Erst der komplette Untertitel, im Buch angezeigt, spricht dann Klartext: „Neue Musik in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland“. Musiksoziologie plus Geschichtsschreibung als Rihm-Monografie, kein Denkmal.
Es gilt auch hier die Grundüberzeugung des Autors Reininghaus, Musik sei „nicht zu denken ohne ihre gesellschaftlichen Funktionen“. Solche Herangehensweise hatte er schon kürzlich in dem
zweibändigen Handbuch „Musik und
Gesellschaft“ mit Hunderten Essays vieler Autoren erprobt. Sein Rihm-Buch
folgt mithin keiner linearen „Erzählung“, sondern bietet eine Art Kaleidoskop
aus insgesamt 36 lose gestaffelten,
nicht der Chronologie folgenden
Essays zu Rihms Karriere, ihren Antriebskräften, ihren klingenden Resultaten,
ihrer Breitenwirkung. Mehr „wieso“ als „was“.
Sieben „Zeitfenster“ gliedern die drei Dutzend Essays, mit bissigen Titeln wie „Gourmand, Gourmet und Revoluzzer“ oder „Aufbruch zum Innersten, allemal entäußert“ oder gar „Dionysisch, höllisch, himmlisch“. Da verbinden sich biografische Einblicke mit zeithistorischen Ausblicken der Fünfzigerjahre bis heute, Werkporträts, hauptsächlich des Rihm’schen Operntheaters, mit prägnant, oft polemisch zugespitzter Gesellschaftskritik. Nicht vergessen hat der Autor persönliche Begegnungen mit Rihm wie die in einem Feinschmeckerlokal, wo der Hochpreis für eine von Rihm georderte Flasche Wein seine Gegenwehr provozierte. Den Kritiker Reininghaus interessieren die Beweg- und Hintergründe von Rihms beispiellosem Aufstieg nicht nur in den Zirkeln der zeitgenössischen Musik, sondern auf den Bühnen und Podien des bürgerlichen Musikbetriebs.
Der Komponist selbst und sein Lebenswerk werden durchaus klug beschrieben, sogar bewundert, und doch vergisst der Autor bei seiner Sicht auf Rihms souverän großzügige Figur nicht das irritierende Merkmal des im Titel benannten „Repräsentativen“, situiert im „Kulturbetrieb der alten Bundesrepublik“. Die historische „Bezugsgröße“ für Rihm sei doch wohl, bei all seiner Freundschaft mit den politikwachen Kollegen Luigi Nono oder Helmut Lachenmann, der Großbürger Richard Strauß, „die repräsentativste deutsche Musikerpersönlichkeit“ in der ersten Jahrhunderthälfte.
Darüber, wie über manches andere in dem Buch, lässt sich allerdings streiten. Tatsache ist, dass Rihm, auch musikverbandspolitisch der hellwache Geist, sich den Gremien des Musiklebens nie verweigert hat: Er „wollte entschieden mitmischen unter dem von ihm früh sehr klar formulierten Motto: ‚Ich will bewegen und bewegt sein‘“.
Der lustig-grimmige Wahlkölner Reininghaus denkt dabei gern an „die Kölsche Generalformel für erfolgreiches Netzwerken: ‚Von nix kütt nix‘“. Alle Ebenen in seinem Buch, von der Lektüre Hunderter Zeitschriften- und Zeitungstexte, den Rihm’schen Kommentaren und Essays, zu einer wahren Zitatflut angefeuert, greifen ineinander. Resultat ist eine anregende, oft spannende, auch zum Widerspruch reizende Lektüre.
Viel näher an der Norm biografischer Ausgewogenheit geht Eleonore Büning das Wagnis ein, Leben und Wirken, dazu den Materialreichtum des weit verzweigten, kaum mehr fassbaren Werkkatalogs ihres Freundes Wolfgang Rihm ausbalanciert abbilden zu wollen. Wobei es ihr aber gelingt, auf mehr als 150 der Musikwerke kurz oder detailliert einzugehen, sodann die immens angewachsene Rihm-Diskografie exakt darzubieten. Ein komplettes Werkverzeichnis hätte ihr Buch womöglich gesprengt.
Auch Eleonore Büning, die mit aller Geduld die intellektuellen wie musikalischen Impulse in Rihms Klangkosmos untersucht, stützt sich auf die Flut der jahrzehntelang medial ausgebreiteten Rezensionen, Kommentare und Interviews. Eigene Erinnerungen an die zahllosen Festivals und Konzerte mit Rihms Musik sind das Pfund, mit dem sie wuchert, mit bilanzierenden Beschreibungen von Aufführungen, deren Bedeutungen, deren Hintergründen.
Schließlich fügt sie ein Paket selbst geführter Gespräche mit Rihm hinzu: „25 Fragen und Antworten zum Alltag des Komponierens“ unter dem Titel „Gezielte Verdunkelung“. Erste Frage, ein Befund: „Du bist der Inbegriff krisenfesten Komponierens. Das hat man dir schon vor Jahren auf den Kopf zugesagt.“
Die Anspielung auf einen kolportierten Anstoß Luigi Nonos: „Wolfgang, du brauchst eine Krise.“ Rihm denkt weiter: Ja, Krisen der Arbeit empfinde „jeder Künstler sowieso als einen integralen Bestandteil des Arbeitsprozesses“. Krisen seien „Durchgangsphänomene. Phasen, in denen sich etwas entscheidet“.
Ein Fazit? Rihm ist Dialektiker, er weiß: „Scheitern ist immer Gewissheit. Aus diesem Grund besteht keine Furcht davor.“ Die Darstellung einer derart ausgreifenden, in Werk, Substanz, Wirkung schwer zu fassenden Figur wie die seine benötigt Sammlerfleiß und Geistesgegenwart, vor allem Empathie. Dafür stehen beide Porträtbücher.
WOLFGANG SCHREIBER
Der Komponist selbst und
sein Lebenswerk werden
durchaus klug beschrieben
„Scheitern ist immer Gewissheit.
Aus diesem Grund besteht
keine Furcht davor.“
Frieder Reininghaus: Rihm. Der Repräsentative. Königshausen & Neumann, Würzburg 2021. 307 Seiten, 34 Euro
Eleonore Büning: Wolfgang Rihm. Über die Linie. Benevento Verlag, München-Salzburg 2022. 344 Seiten, 24 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Da bespricht Kritiker Volker Hagedorn zwei Bücher der Kritikerkollegen Elonore Büning und Frieder Reininghaus über den Großkomponisten Wolfgang Rihm, der gerade siebzig wird, das Buch der einen freundlich, das Buch des anderen kritisch. Büning ist dem Gegenstand nahe, wie eine Selbstauskunft im Buch selbst sagt, aber das ficht Hagedorn nicht an. Er freut sich über die unsystematische Erzählweise, die "nicht unbeträchtliche Zahl an Exkursen", das Gespräch mit dem Komponisten. Steile Thesen bietet ihm das Buch nicht, wohl aber ein instruktives Bild Rihms und seines Werks, das Büning nicht in Werkepochen einteilt - die Kontinuität sei stattdessen Rihms Kennzeichen. Das heißt nicht, dass er nicht frech war und schon 1970, als es noch zum guten Ton gehörte, atonal zu sein, Dur-Dreiklänge und Trinklieder in seine Werke einbaute.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2022Halte die Spannung bis zum nächsten Impuls
"Material? Das bin auch immer ich selber": Eleonore Büning legt eine Biographie von Wolfgang Rihm vor, Lotte Thaler einen Band mit Gesprächen mit dem Komponisten
"Der Fortschritt ist seiner Natur gemäß immer fort. Nie dort, wo man ihn weiß." Mit diesem vor knapp fünfundzwanzig Jahren wortwitzig formulierten, dabei tief schauenden Statement führte der Karlsruher Komponist Wolfgang Rihm, Jahrgang 1952, Be- und Verurteilungen in den Debatten um Neue Musik ad absurdum, auch solche, die ihm selbst galten.
Gegen die als junger Komponist erfahrenen Kränkungen verteidigte er sich und viele Komponisten seiner Generation, die um 1980 als Vertreter einer "Neuen Einfachheit" von der Kritik über einen Kamm geschoren wurden, weil sie sich trauten, vernehmlich "Ich" zu sagen. Mit zahlreichen Essays und vielen Beiträgen zu Diskussionen bei den Donaueschinger Musiktagen oder den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik wurde Rihm zu einer bekannten Figur, feierte dort auch frühe Publikumserfolge. Erfolg aber war manchen auf dem Feld der Neuen Musik schon wieder "verdächtig".
Das alles und noch viel mehr erfährt man in Eleonore Bünings Biographie. Tatsächlich kann man sie als Kompendium der Neuen Musik der letzten fünfzig Jahre lesen. Vorneweg geht Büning auf Rihms Verhältnis zur Religion ein. Folgt man ihr dann aufmerksam durch ihre Erzählung von Rihms Werkgruppen wie dem "Chiffre"-Zyklus, den "Séraphin"-Mutationen oder den "Symphonie fleuve"-Fortschreibungen, entsteht ein großformatiges Panorama europäischen Musiklebens. Das Personenregister ist denn auch ein "Who's who".
Der Schweizer Musikpsychologe Ernst Kurth fehlt darin allerdings. Aus dessen "Grundlagen des linearen Kontrapunkts" (1917) leitete und leitet Wolfgang Rihm seinen klanglichen Energieerhaltungssatz für das eigene Schaffen ab. Wenn es eine, frei nach Stockhausen, Superformel in Rihms Komponieren gäbe, könnte sie anhand von Kurths musikpsychologischen Erkenntnissen so formuliert werden: Erhalte die vom gesetzten Impuls aufgebaute Spannung unter allen Umständen, auch im Stillen, bis zum nächsten Impuls unbedingt aufrecht.
Kurth ist es auch, den Rihm seinen Schülern zur Lektüre empfiehlt. Das berichtet jedenfalls Birke Bertelsmeier, die mit ihrer Studie "Übermalung und Werkfamilie" eine erhellende Analyse von Rihms instrumentalem Komponieren vorlegte, in der Büning Erklärungsansätze für einige der aufgeführten Werke findet. Wie virtuos Büning hier zudem das Liebesleben von Rihm mit den Werkkommentaren des Meisters verknüpft und um internationale Pressestimmen ergänzt, das hat auch einen gewissen Unterhaltungswert.
Wie stets aber ist und bleibt es Rihm selbst, der in der direkten Gesprächssituation eine Brücke zum Wahrnehmen seiner Kunst gar nicht erst bauen muss, sondern sie selbst ist. "Material?! Das bin auch immer ich selber", lautet da eine Antwort auf eine von Bünings angehängten "25 Fragen zum Alltag des Komponierens", in denen Rihm auch über Blockaden und Krisen spricht - alles also ganz normal. Die Rihm-erfahrene Journalistin Lotte Thaler, die vor gut dreißig Jahren die "Neue Zeitschrift für Musik" zu neuer Blüte führte, die Paul-Bekker-Rezeption in Deutschland mit in Gang brachte und ganz nebenbei aufstrebenden Musikrezensenten ein Forum gab, hat sich für ihre "Gespräche mit Wolfgang Rihm" ebenfalls nach Karlsruhe aufgemacht und nachgefragt. Ganz offen geht Rihm hier mit seiner Krebserkrankung um, berichtet vom Haushalten mit seinen Kräften und dem verlangsamten, aber nicht abbrechenden Komponieren. "Warum sagst du, ein Werk wie 'Jagden und Formen' schreibt man später nicht mehr?", fragt Lotte Thaler einmal. Rihms Antwort: "Weil es ein Vertrauen in den élan vital darstellt, das man mit der Zeit durchaus in gesundem Maße zu relativieren lernt." ACHIM HEIDENREICH
Eleonore Büning: "Wolfgang Rihm". Über die Linie. Die Biographie.
Benevento Verlag, Elsbethen 2022. 224 S., geb., 24,- Euro.
Lotte Thaler: "Alles kommt ans Licht". Gespräche mit Wolfgang Rihm.
Wolke Verlag, Hofheim 2022. 74 S., br., 9,50 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Material? Das bin auch immer ich selber": Eleonore Büning legt eine Biographie von Wolfgang Rihm vor, Lotte Thaler einen Band mit Gesprächen mit dem Komponisten
"Der Fortschritt ist seiner Natur gemäß immer fort. Nie dort, wo man ihn weiß." Mit diesem vor knapp fünfundzwanzig Jahren wortwitzig formulierten, dabei tief schauenden Statement führte der Karlsruher Komponist Wolfgang Rihm, Jahrgang 1952, Be- und Verurteilungen in den Debatten um Neue Musik ad absurdum, auch solche, die ihm selbst galten.
Gegen die als junger Komponist erfahrenen Kränkungen verteidigte er sich und viele Komponisten seiner Generation, die um 1980 als Vertreter einer "Neuen Einfachheit" von der Kritik über einen Kamm geschoren wurden, weil sie sich trauten, vernehmlich "Ich" zu sagen. Mit zahlreichen Essays und vielen Beiträgen zu Diskussionen bei den Donaueschinger Musiktagen oder den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik wurde Rihm zu einer bekannten Figur, feierte dort auch frühe Publikumserfolge. Erfolg aber war manchen auf dem Feld der Neuen Musik schon wieder "verdächtig".
Das alles und noch viel mehr erfährt man in Eleonore Bünings Biographie. Tatsächlich kann man sie als Kompendium der Neuen Musik der letzten fünfzig Jahre lesen. Vorneweg geht Büning auf Rihms Verhältnis zur Religion ein. Folgt man ihr dann aufmerksam durch ihre Erzählung von Rihms Werkgruppen wie dem "Chiffre"-Zyklus, den "Séraphin"-Mutationen oder den "Symphonie fleuve"-Fortschreibungen, entsteht ein großformatiges Panorama europäischen Musiklebens. Das Personenregister ist denn auch ein "Who's who".
Der Schweizer Musikpsychologe Ernst Kurth fehlt darin allerdings. Aus dessen "Grundlagen des linearen Kontrapunkts" (1917) leitete und leitet Wolfgang Rihm seinen klanglichen Energieerhaltungssatz für das eigene Schaffen ab. Wenn es eine, frei nach Stockhausen, Superformel in Rihms Komponieren gäbe, könnte sie anhand von Kurths musikpsychologischen Erkenntnissen so formuliert werden: Erhalte die vom gesetzten Impuls aufgebaute Spannung unter allen Umständen, auch im Stillen, bis zum nächsten Impuls unbedingt aufrecht.
Kurth ist es auch, den Rihm seinen Schülern zur Lektüre empfiehlt. Das berichtet jedenfalls Birke Bertelsmeier, die mit ihrer Studie "Übermalung und Werkfamilie" eine erhellende Analyse von Rihms instrumentalem Komponieren vorlegte, in der Büning Erklärungsansätze für einige der aufgeführten Werke findet. Wie virtuos Büning hier zudem das Liebesleben von Rihm mit den Werkkommentaren des Meisters verknüpft und um internationale Pressestimmen ergänzt, das hat auch einen gewissen Unterhaltungswert.
Wie stets aber ist und bleibt es Rihm selbst, der in der direkten Gesprächssituation eine Brücke zum Wahrnehmen seiner Kunst gar nicht erst bauen muss, sondern sie selbst ist. "Material?! Das bin auch immer ich selber", lautet da eine Antwort auf eine von Bünings angehängten "25 Fragen zum Alltag des Komponierens", in denen Rihm auch über Blockaden und Krisen spricht - alles also ganz normal. Die Rihm-erfahrene Journalistin Lotte Thaler, die vor gut dreißig Jahren die "Neue Zeitschrift für Musik" zu neuer Blüte führte, die Paul-Bekker-Rezeption in Deutschland mit in Gang brachte und ganz nebenbei aufstrebenden Musikrezensenten ein Forum gab, hat sich für ihre "Gespräche mit Wolfgang Rihm" ebenfalls nach Karlsruhe aufgemacht und nachgefragt. Ganz offen geht Rihm hier mit seiner Krebserkrankung um, berichtet vom Haushalten mit seinen Kräften und dem verlangsamten, aber nicht abbrechenden Komponieren. "Warum sagst du, ein Werk wie 'Jagden und Formen' schreibt man später nicht mehr?", fragt Lotte Thaler einmal. Rihms Antwort: "Weil es ein Vertrauen in den élan vital darstellt, das man mit der Zeit durchaus in gesundem Maße zu relativieren lernt." ACHIM HEIDENREICH
Eleonore Büning: "Wolfgang Rihm". Über die Linie. Die Biographie.
Benevento Verlag, Elsbethen 2022. 224 S., geb., 24,- Euro.
Lotte Thaler: "Alles kommt ans Licht". Gespräche mit Wolfgang Rihm.
Wolke Verlag, Hofheim 2022. 74 S., br., 9,50 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Büning spart mit rein Biografischem und Anekdotischem, Rihms Kunst soll für ihn sprechen. In Einzel- und Beispielfällen gibt es sehr detaillierte, immer absolut verständlich und pointiert geschriebene Analysen.« _Münchner Merkur
»Zum 70. Geburtstag des Komponisten Wolfgang Rihm erscheint eine erhellende, gewichtige Biographie« _Salzburger Nachrichten
»Ihrem geschmeidig fließenden, aber deshalb niemals harmlosen, behübschenden Erzählton folgt man beim Lesen gerne (...).« _ORF Radio Ö1
»(Die Biographie) kann man als Kompendium der Neuen Musik der letzten fünfzig Jahre lesen. Ein großartiges Panorama europäischen Musiklebens.« _FA
»(Sie schafft es, mit ihren Einblicken in das Leben und Wirken Rihms, ein kongeniales Werk zu schreiben, weil sie das, was er ist, was und wer ihn prägte und auf wen er wirkte, aus demselben aufnehmenden, ordnenden und ausdruckswilligen Geist heraus schreibt, der Rihm auszeichnet.« _Die Tagespost
»Zum 70. Geburtstag des Komponisten Wolfgang Rihm erscheint eine erhellende, gewichtige Biographie« _Salzburger Nachrichten
»Ihrem geschmeidig fließenden, aber deshalb niemals harmlosen, behübschenden Erzählton folgt man beim Lesen gerne (...).« _ORF Radio Ö1
»(Die Biographie) kann man als Kompendium der Neuen Musik der letzten fünfzig Jahre lesen. Ein großartiges Panorama europäischen Musiklebens.« _FA
»(Sie schafft es, mit ihren Einblicken in das Leben und Wirken Rihms, ein kongeniales Werk zu schreiben, weil sie das, was er ist, was und wer ihn prägte und auf wen er wirkte, aus demselben aufnehmenden, ordnenden und ausdruckswilligen Geist heraus schreibt, der Rihm auszeichnet.« _Die Tagespost