Weltanschauungsbuch eines Bundespräsidenten würdig
Konservativ war in der Weimarer Republik als antidemokratisch und illiberal verschrien. Kretschmann formuliert anders:„deshalb geht es beim Konservativen auch nicht um politische Brauchtumspflege, sondern um eine reflexive Haltung zur Moderne,
die das Neue kritisch hinterfragt.“ (S.17)
Erst 1978 wurde konservativ ins Programm der CDU…mehrWeltanschauungsbuch eines Bundespräsidenten würdig
Konservativ war in der Weimarer Republik als antidemokratisch und illiberal verschrien. Kretschmann formuliert anders:„deshalb geht es beim Konservativen auch nicht um politische Brauchtumspflege, sondern um eine reflexive Haltung zur Moderne, die das Neue kritisch hinterfragt.“ (S.17)
Erst 1978 wurde konservativ ins Programm der CDU aufgenommen, 10 Jahre vorher schon bei der CSU unter Franz Josef Strauß, aber als ein naiver Fortschrittskonservatismus, der für Atomkraft war.
Wegen dieser Fehlinterpretation verweist der Autor auf den Begriff „wertkonservativ“, der Anhänger in allen politischen Lagernf hat. Hans Jonas: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens.“(S.22)
Nach dem „Ende der Geschichte“ fragt er, warum unsere Demokratie wieder bedroht ist und welche politischen, soziale und kulturelle Gründe es dafür gibt. Zur ersten Frage schreibt er: „weil wir nichts Besseres als die Demokratie haben“ sei sie nicht alternativlos. Zur zweiten Frage sucht er mit einer Politik des „Und“ Antworten im Bereich der Schöpfung, Heimat oder in der Sozialen Marktwirtschaft.
„Nachhaltig ist das neue Konservativ“ (S.36) schreibt Kretschmann und betont die Dringlichkeit einer Klimaschutzpolitik, da es „Kipp-Punkte“ gibt, nachdem eine Rückkehr zum heutigen Zustand nicht mehr möglich ist. Ebenso wichtig ist der Erhalt der biologischen Vielfalt.
Im Kapitel Heimat wird erstmals im größeren Stil Hannah Arendt zitiert. Die Individualisierung der Gesellschaft hat durch den Marktradikalismus soweit zugenommen, dass wir schon bei den „Atomen“ angelangt sind. Als Gegentrend sollte das Heil nicht im Populismus, nicht in der Volksgemeinschaft, auch nicht in Leitkulturdebatten gesucht werden. Parteien, Vereine, Kultur und Sport, ökologische Bewegungen, Gewerkschaften fördern, das schafft Heimat, das ist konservativ. Demzufolge lobt der Ministerpräsident direkte Demokratie am Beispiel Stuttgart 21 (S.61f). Zum Brexit, ob dieser nicht zu kompliziert für eine Abstimmung war, sagt er leider nichts.
Demokratischer, zivilisierter Streit, Verfassungspatriotismus kann Heimat bieten. Politische Kultur braucht den Willen zum Kompromiss.
Das Familienkapitel beginnt mit einem Plädoyer der Ehe für alle als Zeichen des Übernehmens von Verantwortung.
Deutschland war bis ins 19. Jh. selbst Auswanderungsland. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, damit das Grundrecht für Asyl wirklich dem politisch Verfolgten offen steht: „Deshalb müssen Menschen, die nicht politisch verfolgt werden oder keinem Bürgerkrieg entflohen sind, in der Regel in ihre Heimat zurückkehren.“ (S.81) Was mit den 550.000 Asylbewerbern geschehen soll, die eigentlich abgeschoben werden müssten, aber dennoch in Deutschland leben, schreibt er nicht.
Gegenüber Terroristen gibt es keine Toleranz, denn es gilt das Toleranz-Paradox: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz.“ (S.85)
Er fordert die Förderung der Religion: „Denn da der demokratische Staat selber keinen Sinn stiften kann und darf, braucht er sinnstiftende Gemeinschaften.“ (S.88)
Die Marktwirtschaft muss um die Adjektive ökologisch, sozial und digital erweitert werden. Kernpunkt ist das Prinzip Bildung für alle.
Unsere Kultur ruht auf drei Hügeln: der Akropolis für die Demokratie, das Pantheon für das römische Recht und Golgatha für die jüdisch-christliche Tradition.
Ökonomie und Ökologie, Zusammenhalt und Vielfalt, Heimat und offene Gesellschaft, Fortschritt und Humanität, das Regionale, Nationale und Europa, wirtschaftliche Dynamik und sozialen Ausgleich, Sicherheit und Freiheit, Humanität und Ordnung, das versteht Kretschmann unter einer Politik des Und.
Der Autor erläutert seine Weltanschauung und bleibt nicht wie Habeck in Sprachbildern stecken. Ich vergebe noch die Bestnote, auch wenn ich die Migration und die Sinnstiftung noch gerne entfaltet hätte.
st