Digitalisierung war für Opernhäuser und Konzertsäle, Theater und Museen lange allenfalls ein Marketingthema. Dass sich für die Zauberorte des Analogen auch digitale Wunderkammern öffnen könnten – kaum vorstellbar. Holger Noltze vermisst dieses neue Terrain und prüft seine Entdeckungen auf ihren Mehrwert für die ästhetische Erfahrung der Zukunft. Langsam erst – manchmal von der Not getrieben, manchmal von Abenteuerlust – entdecken Opern- und Konzerthäuser die eigenständigen Qualitäten des Streaming, entwickeln Museen digitale Sammlungen, die Schaulust und Kunstverstand ansprechen. Es ist höchste Zeit, dass die Kulturinstitutionen sich auf ihre Kernkompetenzen der Kuratierung und qualitativen Unterscheidung besinnen. Dann können sie die Möglichkeiten des Web zur Vertiefung und Differenzierung nutzen, um den Hunger auf ästhetische Entdeckungen jenseits des Erwarteten und Erwartbaren zu wecken. Dafür braucht es neben überzeugenden Erlösmodellen vor allem kluge Lenkung, Fantasie, Komplexitätstoleranz – und die Bereitschaft, ins Unbekannte aufzubrechen.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Christian Thomas entwickelt zusammen mit dem Musikkritiker Holger Noltze im Hinblick auf das Internet eine Sehnsucht nach Ordnung. So, ahnt Thomas, wäre es möglich, das Dumme und den Hass einzuhegen beziehungsweise abzugrenzen gegen das Relevante und die Expertise. Dass der Autor Thomas zufolge mit deutlichen Sympathien für das Analoge das Digitale nicht einfach verdammt, sondern zu differenzieren versucht, was in seine Wunderkammer kommt, was nicht, findet der Rezensent sympathisch. Noltzes sammelnder, ordnender, bewertender Gestus erinnert Thomas an einen Kurator. Ihm schließt er sich gerne an.
© Perlentaucher Medien GmbH
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