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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Was für eine gebündelte, stille Kraft dieser Text hat, welche klare Frische, kann man vielleicht daraus ersehen, dass da nach dem Lesen, nachts um halb zwölf, der unbändige Wunsch war, laufen zu gehen."
(SZ)
Laufend der Leere entgegen: Haruki Murakami philosophiert über die Analogie von Laufen und Schreiben - und deckt damit sein poetologisches Verfahren auf.
Virtuos jongliert er mit Abgründigem, Übernatürlichem, mit Versatzstücken aus Zeitgeschichte, Popkultur, östlicher und westlicher Mythologie: Die Rede ist von dem 1949 geborenen japanischen Bestsellerautor Haruki Murakami. Bezaubernd und verstörend sind Werke wie "Hardboiled Wonderland und das Ende der Welt" (1990, Original 1984) oder "Naokos Lächeln" (2001, Original 1987). Mit dem sportphilosophisch-autobiographischen Buch "Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede" schlägt der passionierte Läufer nun ungewohnt leise Töne an: "Das meiste über mich selbst und das Schreiben von Romanen habe ich durch mein tägliches Lauftraining gelernt, auf natürliche, physische, praktische Weise."
In den Morgenstunden schreibt er vier Stunden, dann joggt er zehn Kilometer. Seit 1983 hat er an vierundzwanzig internationalen Marathonläufen und diversen Triathlons teilgenommen. Wovon aber redet Murakami in seinem Lauftagebuch? Über die Weltflucht konstruiert er Einsamkeitsanalogien und Wechselbeziehungen zwischen dem Laufen und der Schriftstellerei, zwischen Konditionssport und Poesie. In den Etappen zwischen Hawaii und Tokio, Massachusetts und Athen spiegeln sich Blessuren und Weltschmerz (Murakami nennt es "Runner's Blue"), in der Schrittmelodie der Postmoderne eröffnen sich Malaisen, Durststrecken, Sinnkrisen.
Im "vielgestaltigen Polyrhythmus", der nicht nur das Laufen, sondern auch die Struktur seiner Literatur auszeichnet, ergeht sich Murakami in einem Stream of Consciousness, der den frei fliegenden Gedanken beim Joggen ähnelt. Seine Reflexionen handeln von den fast gleichzeitigen Anfängen als Romanschriftsteller und Langstreckenläufer, evozieren Themen wie Transzendenz und Ritual, Leidenschaft und Maßstäblichkeit, Grenzüberschreitung und Genialität.
Zwar verfällt Murakami auf den ersten Blick zuweilen in den Duktus lakonisch-leichtfüßiger Lifestyle-Literatur. Jedoch ist es eher eine verzweifelte Wellness, die der laufende Romancier hier zelebriert, ein Austreibungsexerzitium. In Murakamis romantisch-ästhetizistischem Selbstverständnis des Dichters ist Schreiben ein Selbstvergiftungsprozess: "Wenn man einen Roman schreibt, also eine Geschichte konzipiert, wird tief im Innern des menschlichen Wesens eine Art Gift abgesondert, das dann zur Oberfläche steigt." Es gebe keinen kreativen Akt ohne Vermittlung des Giftes, das im therapeutischen Akt des Laufens neutralisiert werden müsse.
Im Jahr 1983, zu Beginn seiner Läuferkarriere, lief Murakami die olympische Strecke des Ur-Marathons zwischen Marathon und Athen: Wie in der Erzählung "Lauf, Melos, lauf!" des Japaners Dazai Osamu stilisiert er ihn als Wettlauf mit der Sonne, als seine persönliche Urszene. Konträr zum klassischen Credo der Antike lautet seine Leitphilosophie des Langstreckenläufers: "Ein ungesunder Geist braucht einen gesunden Körper." Murakami berührt immer dann, wenn er auf offener Strecke innehält und den Marathonlauf distanzierter reflektiert, wenn er ihn etwa als "Kreislauf aus nutzlosen Aktivitäten" umschreibt.
Wie in Murakamis fiktionalen Büchern tauchen auch hier die Metapher des Maschinenmenschen, Stichwörter wie "Autopilot", "Automaten" oder "Autoimmunsystem" auf. Dabei werden sowohl der heroische Gestus als auch gesellschaftliche Männlichkeitsideale selbstironisch untergraben: Im Eintrag zum New York City Marathon erzählt er von der Angst, den Schrittmacher mit dem Schild "4 Stunden" an sich vorbeiziehen lassen zu müssen. Das Programm der Marathonläufe im Herbst und Winter und der Triathlons im Sommer prägt den Lebensrhythmus des Autors. Japans einstiger literarischer Shootingstar ist in seinen Suchbewegungen reifer, introspektiver geworden. "Wovon ich rede" ist, wenn nicht ein Alters-, so in jedem Fall ein Alterungswerk. Das nuancenreiche Erfassen des Marginalen und der kontemplative Charakter stehen in Japans tausendjähriger Tagebuchtradition. So gerät der Marathon für den in seinen Romanen gerne Großstädter in der Identitätskrise porträtierenden Murakami zu einer Art postmodernem Pfad der Erleuchtung: "Ich laufe, um Leere zu erlangen." Er nimmt mystische oder zenbuddhistische Züge an, wobei Murakamis Gedanken beim Laufen die Leere "wie eine Achse" umkreisen: "Im Grunde denke ich an gar nichts. Ich laufe einfach weiter in meiner wohligen, hausgemachten Leere, meinem wehmütigen Schweigen."
Bei einem Ultramarathon, einem Hundertkilometerlauf um den im nordjapanischen Hokkaido am Ochotskischen Meer gelegenen Saroma-See, erlebt er "in der Gegend von Kilometer 75" schließlich einen physischen und mentalen Durchbruch, als sei er "durch eine Mauer gegangen", findet sich "auf der anderen Seite" wieder, in einer im Modus der Selbstvergessenheit kursorisch erfahrenen illusorischen Anderswelt, die auch Seinssurrogat und Fluchtpunkt im phantastisch-surrealen Universum der verlorenen Helden seiner Bücher ist: "Der Himmel, der Wind, das Gras, die Kühe, die es fraßen, die Zuschauer, ihre Rufe, der See, Romane, die Wirklichkeit, die Vergangenheit, Erinnerungen, all das spielte keine Rolle mehr für mich. Nur die nächsten drei Meter vor mir, auf die ich meine Füße setzte, zählten für mich. Sie waren der winzige Sinn des Lebens für den Menschen - falsch, die Maschine, die ich war."
STEFFEN GNAM.
Haruki Murakami: "Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede". Aus dem Japanischen übersetzt von Ursula Gräfe. Dumont Buchverlag, Köln 2008. 165 S., geb., 16,90 [Euro].
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