»Aufrichtig über das Laufen und aufrichtig über mich zu schreiben, ist nahezu das Gleiche« Haruki Murakami Zwei Leidenschaften bestimmen Haruki Murakamis Leben: das Schreiben und das Laufen. Eines verbindet beide Tätigkeiten – ihre Intensität. Für Haruki Murakami bedeutet das Laufen ein zweites Leben. Hier holt er sich Inspiration, sammelt Kraft und trainiert die Zähigkeit, die er zum Schreiben braucht. Der Entschluss, Romanautor zu werden, kam ihm beim Sport. Das Sitzen am Schreibtisch gleicht er durch Laufen aus. Nach langsamen ersten Schritten hat er sich in den vergangenen Jahrzehnten professionalisiert: Längst sind zu den jährlichen Marathons auch Triathlon und Ultralanglauf über 100 Kilometern hinzugekommen. Haruki Murakami erzählt eindringlich und komisch von seinen Frustrationen, vom Kampf gegen das stets lauernde Versagen und davon, wie er es überwindet. Denn für ihn bleibt das Laufen ein großes, wortloses Glück. Für seinen Grabstein wünscht er sich die Inschrift: »Haruki Murakami 1949-20**, Schriftsteller (und Läufer) – Wenigstens ist er nie gegangen.«
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Haruki Murakamis Buch über das Laufen muss man eigentlich als Autobiografie lesen, stellt Sylvia Staude fest. Darin wird vor allem der geregelte Tagesablauf des im Laufen wie im Schreiben disziplinierten Autors und Marathonläufers beschrieben, der beide Tätigkeiten in Abhängigkeit voneinander stellt und auch ein Lauftagebuch führt. Bisheriger Höhepunkt der Sportkarriere Murakamis war ein 100-Kilometer Ultramarathon. Danach hat sich eine gewisse Laufmüdigkeit, ein "Runner?s Blue" eingestellt, der natürlich auch wieder überwunden werden musste, erfahren wir. Der Rezensentin hat der freimütige und direkte Bericht des mit seinem Körper ringenden Schriftstellers gut gefallen. Murakami scheine die literarische Phantasie als eine Art Gift zu betrachten, das durch Bewegung wieder ausgetrieben werden muss, so Sylvia Staude, die darin auch einen tragischen Zug entdeckt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.02.2008Das Gift der Seele, das nach oben steigt
Immer bleibt das Laufen aufs Schreiben ausgerichtet: Der Schriftsteller Haruki Murakami als Langstreckenläufer
In einem Essay über den Einfluss des Jazz’ auf sein Schreiben zitierte der japanische Schriftsteller Haruki Murakami einmal Thelonious Monk, der auf die Frage nach dem Geheimnis seines Klangs gesagt habe: „,Eine neue Note kann es nicht sein. Die Noten sind alle festgelegt, wie Sie an der Klaviatur sehen. Aber wenn es Ihnen auf eine Note wirklich ankommt, klingt sie anders.‘ An diese Worte erinnere ich mich oft, wenn ich schreibe. Es ist wahr. Es gibt keine neuen Worte. Unser Job (als Schriftsteller) ist es, gewöhnlichen Worten eine neue Bedeutung und spezielle Untertöne zu geben.”
Das Unangenehme, Schale an einigen Murakami-Texten ist, dass darin genau eine solche neue Bedeutung behauptet wird, ein Geheimnis, das freilich nur behauptet, nie aber gelüftet wird. Diese Geheimnisse stolzieren durch den Text wie der Kaiser durchs Märchen, nur dass leider kein Kind am Wegesrand steht und sagt, der Kaiser sei ja nackt. In Murakamis neuem Buch hingegen schmiegt sich der Text so glatt und elegant an den Inhalt wie eine enge Läuferhose an ein schöngeformtes Bein.
Haruki Murakami weiß, wovon er redet, wenn er vom Laufen redet: Sieben mal Boston-Marathon. Ein 100-Kilometer-Ultra nebst transzendentaler Merkwürdigkeit. Triathlons. Tägliches Training. Und das seit 26 Jahren. In „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede” stellt sich Murakami die Frage, warum er das, was er da macht, eigentlich macht. So entstand eine Art Lauftagebuch, gewachsen über drei Jahre, während er sich jeweils auf einen großen Marathon vorbereitete. Da aber für Murakami das Laufen schon biographisch untrennbar mit seinem Schreiben verbunden ist, ist dieses Buch zugleich eine Art poetologische Autobiographie.
Murakami ist ein seltsamer Mensch. Der Entschluss, Schriftsteller zu werden, überkam ihn völlig unvermutet, am 1. April 1982, während er, ein Bier in der Hand, einem Baseballspiel der Yakult Swallows zuschaute. Er betrieb damals einen Jazzclub in Tokio, es war sein freier Tag, er lag im Gras, durchs Stadion hallte gerade der trockene Klang eines geglückten Schlags, als von außen, überraschend wie ein Eisverkäufer, angeblich der Satz „Ich werde einen Roman schreiben” an ihn herantrat. Danach wurde Haruki Murakami Schriftsteller.
Schreiben aber ist gefährlich. Es ist überraschend zu sehen, welch romantizistischem Autorenverständnis dieser zuweilen als postmoderner Popautor gefeierte Autor anhängt: Ein Schriftsteller ringt in Murakamis Augen fortwährend mit den dunklen Mächten der Seele. Beim Schreiben eines Romans werde „tief im Innern des menschlichen Wesens eine Art Gift abgesondert, das dann zur Oberfläche steigt.” Viele Junggenies würden nur deshalb in späteren Jahren nichts Großes mehr schaffen, weil „ihre körperliche Stärke nicht mehr ausreicht, um das Gift, mit dem sie Umgang haben, zu beherrschen.”
So folgte das Laufen dem Schreiben auf dem Fuße: Murakami schreibt jeden Tag vier Stunden. Nach diesem Arbeiten im dunklen Bergwerk Ich ist das Laufen ihm dann vitalisierendes Antidot und Zähigkeitsübung. Sicher, er läuft Marathons und Ultras, und sein Jahresrhythmus richtet sich nach den großen Läufen aus. Immer aber bleibt das Laufen aufs Schreiben ausgerichtet. Was aber nicht bedeutet, dass ihm dabei literarische Ideen kämen oder Sätze, im Gegenteil, das Laufen ist eine Art geistiger Entleerung.
Das Schöne an diesem Laufbuch ist, dass man von aller Laufmystik verschont wird, von Endorphinerweckungsgerede oder dem langen Lauf zu sich selbst. Um die Leere beim Laufen oder um den großen Endorphinknall nach Stunden der Quälerei wird unter Läufern oft ein mühsames Gewese gemacht. Ja, es gibt sie, aber Murakami schreibt achselzuckend darüber. „Wenn ich laufe, laufe ich einfach. Normalerweise in einer Leere. Oder vielleicht sollte ich es umgekehrt ausdrücken: Ich laufe, um Leere zu erlangen. Die Gedanken, die mir beim Laufen durch den Kopf gehen, sind wie Wolken am Himmel. Sie kommen und ziehen vorüber.” Und die eine große epiphanische Erfahrung, die er machte, hatte nicht Beglückung zur Folge, sondern einen jahrelangen „Runner’s Blue”: Bei seinem ersten und einzigen Ultramarathon erlebte Murakami nach Stunden totaler Erschöpfung irgendwann einen jähen „Durchbruch, als wäre ich durch eine Mauer gegangen. Plötzlich merkte ich, dass ich auf der anderen Seite war.” Nicht dass die Erschöpfung oder der Schmerz danach nachließen, dennoch konnte er die letzten 25 Kilometer fast mühelos laufen. Dieses epiphanische Erlebnis wird knapp erzählt – und führt danach überraschenderweise zu einer fundamentalen Laufkrise, ja zu einem lebensumgreifenden Resignationsgefühl.
Auf den Rahmen seines Triathlonrads hat Murakami „18 ’til I Die” gemalt, den Titel eines Bryan-Adams-Hits. „Natürlich ist das ein Witz. Um 18 zu bleiben, bis man stirbt, muss man eben mit 18 sterben”, schreibt er mit dem ihm eigenen Humor. Einer, der erst mit 33 Jahren zu laufen beginnt, baut die meiste Zeit seines Läuferlebens ab. „Aber so ist das eben.” Von diesem Einwilligen in die eigene Vergänglichkeit, der ruhigen Demut en passant, geht eine merkwürdige Kraft aus, so als laufe der alternde Murakami immer tiefer in den Kreislauf der Natur hinein. „Die Jahreszeiten kommen und gehen, die Jahre ziehen vorüber. Ich werde ein Jahr älter und werde wohl wieder einen Roman schreiben. Eine Aufgabe nach der anderen nehme ich in Angriff und erledige sie, so gut ich kann. Immerhin bin ich ein Langstreckenläufer.”
In seinen „Cahiers” schreibt Paul Valéry, man könne die Sprache auf zweierlei Weise beherrschen: „Entweder wie der Athlet seine Muskeln oder wie der Anatom die Muskeln.” Dieses Buch ist auch deshalb so schön, weil hier der Anatom über den Athleten schreibt. Nie will Murakami hier beeindrucken durch Formulierungen (schon gar nicht durch Leistungen oder Zeiten), vielmehr will er nur den kleinen Mann möglichst genau beschreiben, der da einsam durch 165 Seiten läuft, mal in der dampfenden Hitze Hawaiis, mal durch das herbstliche New York – „die Luft ist klar und frisch wie ein mutiger Entschluss” –, mal am winterlichen Charles River entlang. Murakami zeichnet von sich das Bild eines kantigen, unzugänglichen, eher verschrobenen Menschen, der wenige Freunde hat. Und während man diesem stillen, zähen Mann dabei zusieht, wie er von jungen Harvard-Studentinnen überholt wird, muss man an die einsamen Helden aus seinen Büchern denken. Eine der Stärken des Romanciers Murakamis liegt ja gerade in der Schilderung verlorener Typen, fast schon schrathaftiger Einzelgänger, die sich durch eine ihnen fremde Welt bewegen. Und diese seine Liebe zu Einzelgängerfiguren dürfte ihn gerade für jüngere Leser so faszinierend machen, endlich einer, der sie versteht.
Für seinen Grabstein wünscht sich Haruki Murakami, für den Gehen während eines Marathons einer Kapitulation gleichkäme, die Aufschrift:
Schriftsteller (und Läufer)
Zumindest ist er nie gegangen
Was für eine gebündelte, stille Kraft dieser Text hat, welche klare Frische, kann man vielleicht daraus ersehen, dass da nach dem Lesen, nachts um halb zwölf, der unbändige Wunsch war, laufen zu gehen.ALEX RÜHLE
HARUKI MURAKAMI: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede. Dumont Verlag, Köln 2008. 165 Seiten, 16,90 Euro.
„Wenn ich laufe, laufe ich einfach.”
„Die Luft ist klar und frisch wie ein mutiger Entschluss.”
Seinen ersten Marathon lief Haruki Murakami ganz alleine, von Athen nach Marathon, im morgendlichen Berufsverkehr. Es war schrecklich. Foto: Dumont Verlag
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Immer bleibt das Laufen aufs Schreiben ausgerichtet: Der Schriftsteller Haruki Murakami als Langstreckenläufer
In einem Essay über den Einfluss des Jazz’ auf sein Schreiben zitierte der japanische Schriftsteller Haruki Murakami einmal Thelonious Monk, der auf die Frage nach dem Geheimnis seines Klangs gesagt habe: „,Eine neue Note kann es nicht sein. Die Noten sind alle festgelegt, wie Sie an der Klaviatur sehen. Aber wenn es Ihnen auf eine Note wirklich ankommt, klingt sie anders.‘ An diese Worte erinnere ich mich oft, wenn ich schreibe. Es ist wahr. Es gibt keine neuen Worte. Unser Job (als Schriftsteller) ist es, gewöhnlichen Worten eine neue Bedeutung und spezielle Untertöne zu geben.”
Das Unangenehme, Schale an einigen Murakami-Texten ist, dass darin genau eine solche neue Bedeutung behauptet wird, ein Geheimnis, das freilich nur behauptet, nie aber gelüftet wird. Diese Geheimnisse stolzieren durch den Text wie der Kaiser durchs Märchen, nur dass leider kein Kind am Wegesrand steht und sagt, der Kaiser sei ja nackt. In Murakamis neuem Buch hingegen schmiegt sich der Text so glatt und elegant an den Inhalt wie eine enge Läuferhose an ein schöngeformtes Bein.
Haruki Murakami weiß, wovon er redet, wenn er vom Laufen redet: Sieben mal Boston-Marathon. Ein 100-Kilometer-Ultra nebst transzendentaler Merkwürdigkeit. Triathlons. Tägliches Training. Und das seit 26 Jahren. In „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede” stellt sich Murakami die Frage, warum er das, was er da macht, eigentlich macht. So entstand eine Art Lauftagebuch, gewachsen über drei Jahre, während er sich jeweils auf einen großen Marathon vorbereitete. Da aber für Murakami das Laufen schon biographisch untrennbar mit seinem Schreiben verbunden ist, ist dieses Buch zugleich eine Art poetologische Autobiographie.
Murakami ist ein seltsamer Mensch. Der Entschluss, Schriftsteller zu werden, überkam ihn völlig unvermutet, am 1. April 1982, während er, ein Bier in der Hand, einem Baseballspiel der Yakult Swallows zuschaute. Er betrieb damals einen Jazzclub in Tokio, es war sein freier Tag, er lag im Gras, durchs Stadion hallte gerade der trockene Klang eines geglückten Schlags, als von außen, überraschend wie ein Eisverkäufer, angeblich der Satz „Ich werde einen Roman schreiben” an ihn herantrat. Danach wurde Haruki Murakami Schriftsteller.
Schreiben aber ist gefährlich. Es ist überraschend zu sehen, welch romantizistischem Autorenverständnis dieser zuweilen als postmoderner Popautor gefeierte Autor anhängt: Ein Schriftsteller ringt in Murakamis Augen fortwährend mit den dunklen Mächten der Seele. Beim Schreiben eines Romans werde „tief im Innern des menschlichen Wesens eine Art Gift abgesondert, das dann zur Oberfläche steigt.” Viele Junggenies würden nur deshalb in späteren Jahren nichts Großes mehr schaffen, weil „ihre körperliche Stärke nicht mehr ausreicht, um das Gift, mit dem sie Umgang haben, zu beherrschen.”
So folgte das Laufen dem Schreiben auf dem Fuße: Murakami schreibt jeden Tag vier Stunden. Nach diesem Arbeiten im dunklen Bergwerk Ich ist das Laufen ihm dann vitalisierendes Antidot und Zähigkeitsübung. Sicher, er läuft Marathons und Ultras, und sein Jahresrhythmus richtet sich nach den großen Läufen aus. Immer aber bleibt das Laufen aufs Schreiben ausgerichtet. Was aber nicht bedeutet, dass ihm dabei literarische Ideen kämen oder Sätze, im Gegenteil, das Laufen ist eine Art geistiger Entleerung.
Das Schöne an diesem Laufbuch ist, dass man von aller Laufmystik verschont wird, von Endorphinerweckungsgerede oder dem langen Lauf zu sich selbst. Um die Leere beim Laufen oder um den großen Endorphinknall nach Stunden der Quälerei wird unter Läufern oft ein mühsames Gewese gemacht. Ja, es gibt sie, aber Murakami schreibt achselzuckend darüber. „Wenn ich laufe, laufe ich einfach. Normalerweise in einer Leere. Oder vielleicht sollte ich es umgekehrt ausdrücken: Ich laufe, um Leere zu erlangen. Die Gedanken, die mir beim Laufen durch den Kopf gehen, sind wie Wolken am Himmel. Sie kommen und ziehen vorüber.” Und die eine große epiphanische Erfahrung, die er machte, hatte nicht Beglückung zur Folge, sondern einen jahrelangen „Runner’s Blue”: Bei seinem ersten und einzigen Ultramarathon erlebte Murakami nach Stunden totaler Erschöpfung irgendwann einen jähen „Durchbruch, als wäre ich durch eine Mauer gegangen. Plötzlich merkte ich, dass ich auf der anderen Seite war.” Nicht dass die Erschöpfung oder der Schmerz danach nachließen, dennoch konnte er die letzten 25 Kilometer fast mühelos laufen. Dieses epiphanische Erlebnis wird knapp erzählt – und führt danach überraschenderweise zu einer fundamentalen Laufkrise, ja zu einem lebensumgreifenden Resignationsgefühl.
Auf den Rahmen seines Triathlonrads hat Murakami „18 ’til I Die” gemalt, den Titel eines Bryan-Adams-Hits. „Natürlich ist das ein Witz. Um 18 zu bleiben, bis man stirbt, muss man eben mit 18 sterben”, schreibt er mit dem ihm eigenen Humor. Einer, der erst mit 33 Jahren zu laufen beginnt, baut die meiste Zeit seines Läuferlebens ab. „Aber so ist das eben.” Von diesem Einwilligen in die eigene Vergänglichkeit, der ruhigen Demut en passant, geht eine merkwürdige Kraft aus, so als laufe der alternde Murakami immer tiefer in den Kreislauf der Natur hinein. „Die Jahreszeiten kommen und gehen, die Jahre ziehen vorüber. Ich werde ein Jahr älter und werde wohl wieder einen Roman schreiben. Eine Aufgabe nach der anderen nehme ich in Angriff und erledige sie, so gut ich kann. Immerhin bin ich ein Langstreckenläufer.”
In seinen „Cahiers” schreibt Paul Valéry, man könne die Sprache auf zweierlei Weise beherrschen: „Entweder wie der Athlet seine Muskeln oder wie der Anatom die Muskeln.” Dieses Buch ist auch deshalb so schön, weil hier der Anatom über den Athleten schreibt. Nie will Murakami hier beeindrucken durch Formulierungen (schon gar nicht durch Leistungen oder Zeiten), vielmehr will er nur den kleinen Mann möglichst genau beschreiben, der da einsam durch 165 Seiten läuft, mal in der dampfenden Hitze Hawaiis, mal durch das herbstliche New York – „die Luft ist klar und frisch wie ein mutiger Entschluss” –, mal am winterlichen Charles River entlang. Murakami zeichnet von sich das Bild eines kantigen, unzugänglichen, eher verschrobenen Menschen, der wenige Freunde hat. Und während man diesem stillen, zähen Mann dabei zusieht, wie er von jungen Harvard-Studentinnen überholt wird, muss man an die einsamen Helden aus seinen Büchern denken. Eine der Stärken des Romanciers Murakamis liegt ja gerade in der Schilderung verlorener Typen, fast schon schrathaftiger Einzelgänger, die sich durch eine ihnen fremde Welt bewegen. Und diese seine Liebe zu Einzelgängerfiguren dürfte ihn gerade für jüngere Leser so faszinierend machen, endlich einer, der sie versteht.
Für seinen Grabstein wünscht sich Haruki Murakami, für den Gehen während eines Marathons einer Kapitulation gleichkäme, die Aufschrift:
Schriftsteller (und Läufer)
Zumindest ist er nie gegangen
Was für eine gebündelte, stille Kraft dieser Text hat, welche klare Frische, kann man vielleicht daraus ersehen, dass da nach dem Lesen, nachts um halb zwölf, der unbändige Wunsch war, laufen zu gehen.ALEX RÜHLE
HARUKI MURAKAMI: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede. Dumont Verlag, Köln 2008. 165 Seiten, 16,90 Euro.
„Wenn ich laufe, laufe ich einfach.”
„Die Luft ist klar und frisch wie ein mutiger Entschluss.”
Seinen ersten Marathon lief Haruki Murakami ganz alleine, von Athen nach Marathon, im morgendlichen Berufsverkehr. Es war schrecklich. Foto: Dumont Verlag
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
"In Murakamis neuem Buch schmiegt sich der Text so glatt und elegant an den Inhalt wie eine enge Läuferhose an ein schöngeformtes Bein(...)
Was für eine gebündelte, stille Kraft dieser Text hat, welche klare Frische, kann man vielleicht daraus ersehen, dass da nach dem Lesen, nachts um halb zwölf, der unbändige Wunsch war, laufen zu gehen."
(SZ)
Was für eine gebündelte, stille Kraft dieser Text hat, welche klare Frische, kann man vielleicht daraus ersehen, dass da nach dem Lesen, nachts um halb zwölf, der unbändige Wunsch war, laufen zu gehen."
(SZ)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2008Verrannt in die Anderswelt
Laufend der Leere entgegen: Haruki Murakami philosophiert über die Analogie von Laufen und Schreiben - und deckt damit sein poetologisches Verfahren auf.
Virtuos jongliert er mit Abgründigem, Übernatürlichem, mit Versatzstücken aus Zeitgeschichte, Popkultur, östlicher und westlicher Mythologie: Die Rede ist von dem 1949 geborenen japanischen Bestsellerautor Haruki Murakami. Bezaubernd und verstörend sind Werke wie "Hardboiled Wonderland und das Ende der Welt" (1990, Original 1984) oder "Naokos Lächeln" (2001, Original 1987). Mit dem sportphilosophisch-autobiographischen Buch "Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede" schlägt der passionierte Läufer nun ungewohnt leise Töne an: "Das meiste über mich selbst und das Schreiben von Romanen habe ich durch mein tägliches Lauftraining gelernt, auf natürliche, physische, praktische Weise."
In den Morgenstunden schreibt er vier Stunden, dann joggt er zehn Kilometer. Seit 1983 hat er an vierundzwanzig internationalen Marathonläufen und diversen Triathlons teilgenommen. Wovon aber redet Murakami in seinem Lauftagebuch? Über die Weltflucht konstruiert er Einsamkeitsanalogien und Wechselbeziehungen zwischen dem Laufen und der Schriftstellerei, zwischen Konditionssport und Poesie. In den Etappen zwischen Hawaii und Tokio, Massachusetts und Athen spiegeln sich Blessuren und Weltschmerz (Murakami nennt es "Runner's Blue"), in der Schrittmelodie der Postmoderne eröffnen sich Malaisen, Durststrecken, Sinnkrisen.
Im "vielgestaltigen Polyrhythmus", der nicht nur das Laufen, sondern auch die Struktur seiner Literatur auszeichnet, ergeht sich Murakami in einem Stream of Consciousness, der den frei fliegenden Gedanken beim Joggen ähnelt. Seine Reflexionen handeln von den fast gleichzeitigen Anfängen als Romanschriftsteller und Langstreckenläufer, evozieren Themen wie Transzendenz und Ritual, Leidenschaft und Maßstäblichkeit, Grenzüberschreitung und Genialität.
Zwar verfällt Murakami auf den ersten Blick zuweilen in den Duktus lakonisch-leichtfüßiger Lifestyle-Literatur. Jedoch ist es eher eine verzweifelte Wellness, die der laufende Romancier hier zelebriert, ein Austreibungsexerzitium. In Murakamis romantisch-ästhetizistischem Selbstverständnis des Dichters ist Schreiben ein Selbstvergiftungsprozess: "Wenn man einen Roman schreibt, also eine Geschichte konzipiert, wird tief im Innern des menschlichen Wesens eine Art Gift abgesondert, das dann zur Oberfläche steigt." Es gebe keinen kreativen Akt ohne Vermittlung des Giftes, das im therapeutischen Akt des Laufens neutralisiert werden müsse.
Im Jahr 1983, zu Beginn seiner Läuferkarriere, lief Murakami die olympische Strecke des Ur-Marathons zwischen Marathon und Athen: Wie in der Erzählung "Lauf, Melos, lauf!" des Japaners Dazai Osamu stilisiert er ihn als Wettlauf mit der Sonne, als seine persönliche Urszene. Konträr zum klassischen Credo der Antike lautet seine Leitphilosophie des Langstreckenläufers: "Ein ungesunder Geist braucht einen gesunden Körper." Murakami berührt immer dann, wenn er auf offener Strecke innehält und den Marathonlauf distanzierter reflektiert, wenn er ihn etwa als "Kreislauf aus nutzlosen Aktivitäten" umschreibt.
Wie in Murakamis fiktionalen Büchern tauchen auch hier die Metapher des Maschinenmenschen, Stichwörter wie "Autopilot", "Automaten" oder "Autoimmunsystem" auf. Dabei werden sowohl der heroische Gestus als auch gesellschaftliche Männlichkeitsideale selbstironisch untergraben: Im Eintrag zum New York City Marathon erzählt er von der Angst, den Schrittmacher mit dem Schild "4 Stunden" an sich vorbeiziehen lassen zu müssen. Das Programm der Marathonläufe im Herbst und Winter und der Triathlons im Sommer prägt den Lebensrhythmus des Autors. Japans einstiger literarischer Shootingstar ist in seinen Suchbewegungen reifer, introspektiver geworden. "Wovon ich rede" ist, wenn nicht ein Alters-, so in jedem Fall ein Alterungswerk. Das nuancenreiche Erfassen des Marginalen und der kontemplative Charakter stehen in Japans tausendjähriger Tagebuchtradition. So gerät der Marathon für den in seinen Romanen gerne Großstädter in der Identitätskrise porträtierenden Murakami zu einer Art postmodernem Pfad der Erleuchtung: "Ich laufe, um Leere zu erlangen." Er nimmt mystische oder zenbuddhistische Züge an, wobei Murakamis Gedanken beim Laufen die Leere "wie eine Achse" umkreisen: "Im Grunde denke ich an gar nichts. Ich laufe einfach weiter in meiner wohligen, hausgemachten Leere, meinem wehmütigen Schweigen."
Bei einem Ultramarathon, einem Hundertkilometerlauf um den im nordjapanischen Hokkaido am Ochotskischen Meer gelegenen Saroma-See, erlebt er "in der Gegend von Kilometer 75" schließlich einen physischen und mentalen Durchbruch, als sei er "durch eine Mauer gegangen", findet sich "auf der anderen Seite" wieder, in einer im Modus der Selbstvergessenheit kursorisch erfahrenen illusorischen Anderswelt, die auch Seinssurrogat und Fluchtpunkt im phantastisch-surrealen Universum der verlorenen Helden seiner Bücher ist: "Der Himmel, der Wind, das Gras, die Kühe, die es fraßen, die Zuschauer, ihre Rufe, der See, Romane, die Wirklichkeit, die Vergangenheit, Erinnerungen, all das spielte keine Rolle mehr für mich. Nur die nächsten drei Meter vor mir, auf die ich meine Füße setzte, zählten für mich. Sie waren der winzige Sinn des Lebens für den Menschen - falsch, die Maschine, die ich war."
STEFFEN GNAM.
Haruki Murakami: "Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede". Aus dem Japanischen übersetzt von Ursula Gräfe. Dumont Buchverlag, Köln 2008. 165 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Laufend der Leere entgegen: Haruki Murakami philosophiert über die Analogie von Laufen und Schreiben - und deckt damit sein poetologisches Verfahren auf.
Virtuos jongliert er mit Abgründigem, Übernatürlichem, mit Versatzstücken aus Zeitgeschichte, Popkultur, östlicher und westlicher Mythologie: Die Rede ist von dem 1949 geborenen japanischen Bestsellerautor Haruki Murakami. Bezaubernd und verstörend sind Werke wie "Hardboiled Wonderland und das Ende der Welt" (1990, Original 1984) oder "Naokos Lächeln" (2001, Original 1987). Mit dem sportphilosophisch-autobiographischen Buch "Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede" schlägt der passionierte Läufer nun ungewohnt leise Töne an: "Das meiste über mich selbst und das Schreiben von Romanen habe ich durch mein tägliches Lauftraining gelernt, auf natürliche, physische, praktische Weise."
In den Morgenstunden schreibt er vier Stunden, dann joggt er zehn Kilometer. Seit 1983 hat er an vierundzwanzig internationalen Marathonläufen und diversen Triathlons teilgenommen. Wovon aber redet Murakami in seinem Lauftagebuch? Über die Weltflucht konstruiert er Einsamkeitsanalogien und Wechselbeziehungen zwischen dem Laufen und der Schriftstellerei, zwischen Konditionssport und Poesie. In den Etappen zwischen Hawaii und Tokio, Massachusetts und Athen spiegeln sich Blessuren und Weltschmerz (Murakami nennt es "Runner's Blue"), in der Schrittmelodie der Postmoderne eröffnen sich Malaisen, Durststrecken, Sinnkrisen.
Im "vielgestaltigen Polyrhythmus", der nicht nur das Laufen, sondern auch die Struktur seiner Literatur auszeichnet, ergeht sich Murakami in einem Stream of Consciousness, der den frei fliegenden Gedanken beim Joggen ähnelt. Seine Reflexionen handeln von den fast gleichzeitigen Anfängen als Romanschriftsteller und Langstreckenläufer, evozieren Themen wie Transzendenz und Ritual, Leidenschaft und Maßstäblichkeit, Grenzüberschreitung und Genialität.
Zwar verfällt Murakami auf den ersten Blick zuweilen in den Duktus lakonisch-leichtfüßiger Lifestyle-Literatur. Jedoch ist es eher eine verzweifelte Wellness, die der laufende Romancier hier zelebriert, ein Austreibungsexerzitium. In Murakamis romantisch-ästhetizistischem Selbstverständnis des Dichters ist Schreiben ein Selbstvergiftungsprozess: "Wenn man einen Roman schreibt, also eine Geschichte konzipiert, wird tief im Innern des menschlichen Wesens eine Art Gift abgesondert, das dann zur Oberfläche steigt." Es gebe keinen kreativen Akt ohne Vermittlung des Giftes, das im therapeutischen Akt des Laufens neutralisiert werden müsse.
Im Jahr 1983, zu Beginn seiner Läuferkarriere, lief Murakami die olympische Strecke des Ur-Marathons zwischen Marathon und Athen: Wie in der Erzählung "Lauf, Melos, lauf!" des Japaners Dazai Osamu stilisiert er ihn als Wettlauf mit der Sonne, als seine persönliche Urszene. Konträr zum klassischen Credo der Antike lautet seine Leitphilosophie des Langstreckenläufers: "Ein ungesunder Geist braucht einen gesunden Körper." Murakami berührt immer dann, wenn er auf offener Strecke innehält und den Marathonlauf distanzierter reflektiert, wenn er ihn etwa als "Kreislauf aus nutzlosen Aktivitäten" umschreibt.
Wie in Murakamis fiktionalen Büchern tauchen auch hier die Metapher des Maschinenmenschen, Stichwörter wie "Autopilot", "Automaten" oder "Autoimmunsystem" auf. Dabei werden sowohl der heroische Gestus als auch gesellschaftliche Männlichkeitsideale selbstironisch untergraben: Im Eintrag zum New York City Marathon erzählt er von der Angst, den Schrittmacher mit dem Schild "4 Stunden" an sich vorbeiziehen lassen zu müssen. Das Programm der Marathonläufe im Herbst und Winter und der Triathlons im Sommer prägt den Lebensrhythmus des Autors. Japans einstiger literarischer Shootingstar ist in seinen Suchbewegungen reifer, introspektiver geworden. "Wovon ich rede" ist, wenn nicht ein Alters-, so in jedem Fall ein Alterungswerk. Das nuancenreiche Erfassen des Marginalen und der kontemplative Charakter stehen in Japans tausendjähriger Tagebuchtradition. So gerät der Marathon für den in seinen Romanen gerne Großstädter in der Identitätskrise porträtierenden Murakami zu einer Art postmodernem Pfad der Erleuchtung: "Ich laufe, um Leere zu erlangen." Er nimmt mystische oder zenbuddhistische Züge an, wobei Murakamis Gedanken beim Laufen die Leere "wie eine Achse" umkreisen: "Im Grunde denke ich an gar nichts. Ich laufe einfach weiter in meiner wohligen, hausgemachten Leere, meinem wehmütigen Schweigen."
Bei einem Ultramarathon, einem Hundertkilometerlauf um den im nordjapanischen Hokkaido am Ochotskischen Meer gelegenen Saroma-See, erlebt er "in der Gegend von Kilometer 75" schließlich einen physischen und mentalen Durchbruch, als sei er "durch eine Mauer gegangen", findet sich "auf der anderen Seite" wieder, in einer im Modus der Selbstvergessenheit kursorisch erfahrenen illusorischen Anderswelt, die auch Seinssurrogat und Fluchtpunkt im phantastisch-surrealen Universum der verlorenen Helden seiner Bücher ist: "Der Himmel, der Wind, das Gras, die Kühe, die es fraßen, die Zuschauer, ihre Rufe, der See, Romane, die Wirklichkeit, die Vergangenheit, Erinnerungen, all das spielte keine Rolle mehr für mich. Nur die nächsten drei Meter vor mir, auf die ich meine Füße setzte, zählten für mich. Sie waren der winzige Sinn des Lebens für den Menschen - falsch, die Maschine, die ich war."
STEFFEN GNAM.
Haruki Murakami: "Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede". Aus dem Japanischen übersetzt von Ursula Gräfe. Dumont Buchverlag, Köln 2008. 165 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Was für eine gebündelte, stille Kraft dieser Text hat, welche klare Frische.« SÜDDEUTSCHE ZEITUNG »Mit Murakamis Romanen lässt es sich leichter leben, mit seinem Buch über das Laufen bekommt das Joggen eine neue Leichtigkeit.« Leserin, Zeit-Newsletter FREUNDE DER ZEIT »Gradlinig und offen [...] eine ganz spezielle Autobiographie.« FRANKFURTER RUNDSCHAU »Das [...] Buch ist kurzweilig, amüsant und viele Läufer_innen werden sich darin wiederfinden. Absoluter Lesetipp!« Jan Sägert, STERN ONLINE »Ich kenne keinen anderen Autor, der mich so in eine andere Realität führen kann.« Jochen Wegner, ZEIT PODCAST ALLES GESAGT? »Ein passabler Läufer mit bislang 27 Marathons. Und ein noch viel besserer Schriftsteller.« DER TAGESSPIEGEL » 'Wovon ich rede...' ist ein nüchterndes Ich-Buch. [...] Gut so: Murakami verzichtet darauf, dem Endorphinrausch überschwänglich zu huldigen. Er doziert nicht und er missioniert nicht. [...] Wer selbst läuft, auch wenn es nur kürzere Strecken sind - der weiß: Hier hat jemand das Laufen wirklich verstanden.« NRZ »Ein wunderbarer Text. [...] Der Autor spricht über die Dinge des Lebens wie auch des Laufens in einen einfachen, merkwürdig bescheidenen Sprache, die ohne artistische Kraftanstrengung von geradezu beiläufiger Poesie ist.« BERLINER ZEITUNG »Ein grandioses Buch übers Laufen. [...] Selten hat man so viele kluge Dinge über die einfachste Sportart der Welt gelesen.« HESSISCHE ALLGEMEINE