In seinem neuen, großen Roman erzählt Catalin Dorian Florescu die Geschichte von Zaira und einer Jahrhundertreise von Osteuropa bis nach Amerika. Es ist auch die Geschichte einer unmöglichen Liebe, die die Jahrzehnte überdauert. Zaira wächst auf einem rumänischen Gutshof unter der Obhut ihrer stolzen Großmutter und ihres Cousins Zizi auf. Um sie über ihre Einsamkeit hinwegzutrösten, spielt er für sie Theater, das sie begeistert und das ihr Lebensinhalt wird. Der Krieg, der Faschismus, dann der Kommunismus verändern dramatisch die Lage der Familie. Dank ihrer Begabung wird Zaira zu einer berühmten Marionettenspielerin, doch bleibt sie unstet und rastlos. Ihre große Liebe scheitert. Die Kommunisten bedrohen sie und ihre Familie. Eine gefährliche Flucht über Prag bringt Zaira mit Mann und Tochter nach Amerika. Kämpferisch und zäh, dabei menschlich und liebenswert, gelingt es ihr, in der Fremde eine Existenz aufzubauen, doch glücklich wird sie nicht. Als alte Frau faßt sie den Mut, wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Mit großem erzählerischen Atem, farbig und prall und mit einem verblüffenden Schluß entwirft der Roman das Bild einer Epoche voller dramatischer Konflikte. Catalin Dorian Florescu erzählt mit viel Feingefühl für seine Figuren temporeich und leidenschaftlich die Geschichte einer Frau, die in einem Jahrhundert der Kriege und der Gewalt gegen alle Widerstände ihrer inneren Stimme folgt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.2008Die rote Zaira und ihre Familienbande
Das Übertreiben gehört zu seinen ersten Landsleuten: Catalin Dorian Florescu schreibt eine rumänische Sippengeschichte voller Flunkereien.
An Familien- und Lebensgeschichten, mit denen das zwanzigste Jahrhundert durchmessen wird, herrscht in der deutschsprachigen Literatur unserer Tage kein Mangel. Der Roman "Zaira" bietet die rumänische Perspektive. Catalin Dorian Florescu, Jahrgang 1967, deutsch schreibender Schweizer Schriftsteller rumänischer Herkunft, stellt seine Titelheldin gleich zu Beginn ganz in die Tradition unzuverlässiger Ich-Erzähler, wenn sie sich nicht nur an ihre eigene Geburt erinnern kann, sondern auch damals bereits verstanden haben will, was in ihrer Umgebung geredet wurde. Zaira kommt 1998, als Siebzigjährige, wieder in ihre rumänische Heimat, nachdem sie drei Jahrzehnte in Washington gelebt hat und längst amerikanische Staatsbürgerin geworden ist. Rückblickend erzählt sie ihr Leben. "Das Übertreiben gehört zu meinen ersten Landsleuten", stellt sie fest; und in diesem Sinne ist sie ganz Rumänin geblieben.
So erfahren wir beispielsweise, dass sie, als sie als junge Frau bei einer Schauspielschule in Bukarest vorspricht, von den Theaterleuten gleich mit der größten Schauspielerin des Landes verglichen wird. Das Schauspielstudium nimmt sie dann gar nicht auf; vielmehr wird sie Puppenspielerin in Timisoara. Sowohl bei der Aufnahmeprüfung als auch mit den Marionetten improvisiert sie Szenen, in denen sie sich als kleines Mädchen mit den Figuren der Commedia dell'Arte zusammenführt. Denn solche Szenen hatte ihr zwanzig Jahre älterer Cousin Zizi ihr in ihrer Kindheit vorgespielt. Die Kindheitsmythen und -muster bleiben ihr Leben lang Zairas Bezugspunkte, an denen sie alles misst. Der Autor ist studierter Psychologe.
Zairas Kindheit spielt sich auf einem Landgut in der rumänischen Provinz, im Dorf Strehaia, in der Gutsbesitzerfamilie ab. Mutter und Vater bekommt sie nur selten zu Gesicht. Der Vater ist Kavallerieoffizier, die Mutter hält es auf dem Lande nicht aus; sie zieht es nach Paris, mindestens aber nach Bukarest. Zaira wächst unter der Obhut der Großmutter und der Tante, vor allem aber des von ihr vergötterten Zizi auf. Die Familie heißt Izvoreanu; der Name fällt aber erst auf Seite 116, denn hier ist der Roman am Ende des Zweiten Weltkriegs und bei der Machtübernahme der Kommunisten angekommen. Nun ist es vorbei mit "gnädiger Herr", "gnädige Frau" und "gnädiges Fräulein".
Die Irrungen und Wirrungen des zwanzigsten Jahrhunderts prägen naturgemäß das Leben dieser Familie. So überlebt der Vater Stalingrad, wo rumänische Soldaten an der Seite der Deutschen gekämpft haben. Die egozentrische Mutter hat in Bukarest einen jüdischen Liebhaber, den sie unter Zwang verleugnet. Als aber im Krieg ein Deportationszug mit Menschen in Viehwaggons auf dem Dorfbahnhof hält, lässt sie sich nicht davon abhalten, zu den Wagen zu laufen, um nach ihm zu fragen, wendet sich jedoch desinteressiert ab, als man ihr sagt: "Das sind keine Juden, gnädige Frau, das sind Zigeuner."
In Zairas Sicht haben die Auswirkungen der "großen" Geschichte auf ihr Leben immer auch in den kleinen Geschichten ihrer persönlichen Erfahrungswelt, vor allem ihrer Kindheit, ihre Ursache: Wird die Familie unter den Kommunisten drangsaliert, so steckt dahinter Dumitru, ein Bauernsohn aus Strehaia, der den ehemaligen Gutsherren die Schuld am Unfalltod seines Vaters gibt. Geschieht ihnen nichts Schlimmeres, so liegt dies am Schutz durch den ehemaligen Liebhaber der Mutter, der, nachdem er durch Flucht in die Sowjetunion überlebt hat, nach dem Krieg ebenfalls Karriere in der Kommunistischen Partei macht.
Zairas weiterer Lebensweg beschert ihr unter anderem zwei Ehen, dazwischen die komplizierte Liebe zu einem Puppenspielerkollegen, den sie endgültig verlässt, als sie von ihm schwanger wird, eine schwierige Beziehung zu ihrer Tochter, 1968 die Flucht nach Österreich über die Tschechoslowakei (just als dort, ohne rumänische Beteiligung, die Truppen des Warschauer Pakts einmarschieren), schließlich ein Immigrantenleben in Amerika. Wer immer Zaira über den Weg läuft, berichtet ihr seine Lebensgeschichte. Das alles wird ausladend und sprachlich solide erzählt, wirkt aber doch zunehmend ermüdend, zumal im letzten Teil, der in der amerikanischen Hauptstadt spielt. Hier gelingt Florescu das Verweben der episodisch auftretenden Personen mit Zairas Leben weniger überzeugend als zuvor. Es mag ja ein Klischee sein, von einem fast 500 Seiten umfassenden Roman zu sagen, kürzer wäre er besser geworden; aber hier trifft es ganz gewiss zu.
Zum Schluss muss Zaira erkennen, dass sie lange blind für manches gewesen ist, was vor ihren Augen ablief. Strehaia hat als Deutungsmuster der Welt eben doch nur bedingt getaugt, scheint sich aber ganz am Ende, wieder in Rumänien, nochmals in grotesker Weise in dieser Hinsicht zu bestätigen. So wird zuletzt noch einmal deutlich, dass dies, bei allen historischen Bezügen, keineswegs ein realistischer Roman ist. Er tarnt sich nur über weite Strecken als ein solcher.
HARDY REICH
Catalin Dorian Florescu: "Zaira". Roman. Verlag
C. H. Beck, München 2008. 479 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Übertreiben gehört zu seinen ersten Landsleuten: Catalin Dorian Florescu schreibt eine rumänische Sippengeschichte voller Flunkereien.
An Familien- und Lebensgeschichten, mit denen das zwanzigste Jahrhundert durchmessen wird, herrscht in der deutschsprachigen Literatur unserer Tage kein Mangel. Der Roman "Zaira" bietet die rumänische Perspektive. Catalin Dorian Florescu, Jahrgang 1967, deutsch schreibender Schweizer Schriftsteller rumänischer Herkunft, stellt seine Titelheldin gleich zu Beginn ganz in die Tradition unzuverlässiger Ich-Erzähler, wenn sie sich nicht nur an ihre eigene Geburt erinnern kann, sondern auch damals bereits verstanden haben will, was in ihrer Umgebung geredet wurde. Zaira kommt 1998, als Siebzigjährige, wieder in ihre rumänische Heimat, nachdem sie drei Jahrzehnte in Washington gelebt hat und längst amerikanische Staatsbürgerin geworden ist. Rückblickend erzählt sie ihr Leben. "Das Übertreiben gehört zu meinen ersten Landsleuten", stellt sie fest; und in diesem Sinne ist sie ganz Rumänin geblieben.
So erfahren wir beispielsweise, dass sie, als sie als junge Frau bei einer Schauspielschule in Bukarest vorspricht, von den Theaterleuten gleich mit der größten Schauspielerin des Landes verglichen wird. Das Schauspielstudium nimmt sie dann gar nicht auf; vielmehr wird sie Puppenspielerin in Timisoara. Sowohl bei der Aufnahmeprüfung als auch mit den Marionetten improvisiert sie Szenen, in denen sie sich als kleines Mädchen mit den Figuren der Commedia dell'Arte zusammenführt. Denn solche Szenen hatte ihr zwanzig Jahre älterer Cousin Zizi ihr in ihrer Kindheit vorgespielt. Die Kindheitsmythen und -muster bleiben ihr Leben lang Zairas Bezugspunkte, an denen sie alles misst. Der Autor ist studierter Psychologe.
Zairas Kindheit spielt sich auf einem Landgut in der rumänischen Provinz, im Dorf Strehaia, in der Gutsbesitzerfamilie ab. Mutter und Vater bekommt sie nur selten zu Gesicht. Der Vater ist Kavallerieoffizier, die Mutter hält es auf dem Lande nicht aus; sie zieht es nach Paris, mindestens aber nach Bukarest. Zaira wächst unter der Obhut der Großmutter und der Tante, vor allem aber des von ihr vergötterten Zizi auf. Die Familie heißt Izvoreanu; der Name fällt aber erst auf Seite 116, denn hier ist der Roman am Ende des Zweiten Weltkriegs und bei der Machtübernahme der Kommunisten angekommen. Nun ist es vorbei mit "gnädiger Herr", "gnädige Frau" und "gnädiges Fräulein".
Die Irrungen und Wirrungen des zwanzigsten Jahrhunderts prägen naturgemäß das Leben dieser Familie. So überlebt der Vater Stalingrad, wo rumänische Soldaten an der Seite der Deutschen gekämpft haben. Die egozentrische Mutter hat in Bukarest einen jüdischen Liebhaber, den sie unter Zwang verleugnet. Als aber im Krieg ein Deportationszug mit Menschen in Viehwaggons auf dem Dorfbahnhof hält, lässt sie sich nicht davon abhalten, zu den Wagen zu laufen, um nach ihm zu fragen, wendet sich jedoch desinteressiert ab, als man ihr sagt: "Das sind keine Juden, gnädige Frau, das sind Zigeuner."
In Zairas Sicht haben die Auswirkungen der "großen" Geschichte auf ihr Leben immer auch in den kleinen Geschichten ihrer persönlichen Erfahrungswelt, vor allem ihrer Kindheit, ihre Ursache: Wird die Familie unter den Kommunisten drangsaliert, so steckt dahinter Dumitru, ein Bauernsohn aus Strehaia, der den ehemaligen Gutsherren die Schuld am Unfalltod seines Vaters gibt. Geschieht ihnen nichts Schlimmeres, so liegt dies am Schutz durch den ehemaligen Liebhaber der Mutter, der, nachdem er durch Flucht in die Sowjetunion überlebt hat, nach dem Krieg ebenfalls Karriere in der Kommunistischen Partei macht.
Zairas weiterer Lebensweg beschert ihr unter anderem zwei Ehen, dazwischen die komplizierte Liebe zu einem Puppenspielerkollegen, den sie endgültig verlässt, als sie von ihm schwanger wird, eine schwierige Beziehung zu ihrer Tochter, 1968 die Flucht nach Österreich über die Tschechoslowakei (just als dort, ohne rumänische Beteiligung, die Truppen des Warschauer Pakts einmarschieren), schließlich ein Immigrantenleben in Amerika. Wer immer Zaira über den Weg läuft, berichtet ihr seine Lebensgeschichte. Das alles wird ausladend und sprachlich solide erzählt, wirkt aber doch zunehmend ermüdend, zumal im letzten Teil, der in der amerikanischen Hauptstadt spielt. Hier gelingt Florescu das Verweben der episodisch auftretenden Personen mit Zairas Leben weniger überzeugend als zuvor. Es mag ja ein Klischee sein, von einem fast 500 Seiten umfassenden Roman zu sagen, kürzer wäre er besser geworden; aber hier trifft es ganz gewiss zu.
Zum Schluss muss Zaira erkennen, dass sie lange blind für manches gewesen ist, was vor ihren Augen ablief. Strehaia hat als Deutungsmuster der Welt eben doch nur bedingt getaugt, scheint sich aber ganz am Ende, wieder in Rumänien, nochmals in grotesker Weise in dieser Hinsicht zu bestätigen. So wird zuletzt noch einmal deutlich, dass dies, bei allen historischen Bezügen, keineswegs ein realistischer Roman ist. Er tarnt sich nur über weite Strecken als ein solcher.
HARDY REICH
Catalin Dorian Florescu: "Zaira". Roman. Verlag
C. H. Beck, München 2008. 479 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.07.2008Der traurige Blick auf die Zehen kann nicht alles sein
Eine Burleske der Abschweifungen: Catalin Dorian Florescus Roman „Zaira” erzählt vom Heimatverlust
Vertraute Gerüche und Speisen, die Melodie einer Sprache, die Gesten, Gebärden und Lebensgewohnheiten der Menschen, die Konturen einer Landschaft: Vieles bleibt zurück, wenn jemand den Ort seiner Herkunft verlässt. Geschieht das freiwillig, so wird er sich an das Zurückgelassene zwar erinnern, aber die Erinnerung wird nicht allzu schmerzhaft sein. Für den Emigranten ist das anders. Ihm verklärt sich leicht, was er verlassen musste. Ob daraus Trauer wird oder Melancholie ist Veranlagungssache, ganz ohne Nostalgie wird es selten gehen.
Das nostalgische Denken
Catalin Dorian Florescu, der 1967 in Rumänien geboren wurde und als Fünfzehnjähriger mit seinen Eltern in die Schweiz emigrierte, sprach einmal von „einer Art nostalgischem Denken”, das zum Leben der meisten Emigranten gehöre. Florescu ist kein Melancholiker, eher ein pittoreskes Erzähltalent. Er hat Spaß an verrückten Geschichten, an bunten Szenen, am Burlesken und Skurrilen, an der sinnlichen Evidenz von Momentaufnahmen. Seine bisherigen Romane waren durch eigene Erfahrung gedeckt: Das Debüt „Wunderzeit” aus dem Jahr 2001 erzählt die Fluchtgeschichte; „Der kurze Weg nach Hause” (2002) von den Suchbewegungen dreier junger Männer zwischen Ost und West, zwischen Lebensgier und erstem Überdruss; in „Der blinde Masseur” (2006) kehrt ein Mann, der in der Schweiz Karriere gemacht hat, nach zwanzig Jahren in sein rumänisches Heimatdorf zurück. In seinem neuen Roman, „Zaira”, will Catalin Dorian Florescu deutlich mehr. Er will, wie derzeit viele jüngere Autoren, ran ans 20. Jahrhundert. Und er erzählt einen historischen Bilderbogen am Beispiel einer Emigrantin.
Zaira, die siebzigjährige Ich-Erzählerin, kehrt nach dreißig Jahren zum ersten Mal nach Timisoara zurück, der bekanntesten Stadt des Banat, wo sie lebte, bevor sie 1968 über Prag und Wien in die USA emigrierte. Nun sitzt sie im Kaffeehaus, erinnert sich an ihre „schwindelerregende” Lebensreise, von der sie chronologisch, aber im Flunkerstil eines Tristram Shandy (also mit vorgeburtlichem Wissen und einer Menge Abschweifungen) erzählt, während sie zugleich auf etwas wartet, von dem der Leser erst ganz am Schluss erfährt.
Wie es sich für eine solche Romanheldin gehört, kommt Zaira im Wartesaal eines Bahnhofs zur Welt. Ihre Mutter ist gewissermaßen auf der Durchreise. Kaum hat sie die Tochter angesehen und für „potthässlich” erklärt, ist sie schon wieder weg. Sie lebt in Paris und Bukarest, ihr Mann ist Kavallerieoffizier und ständig unterwegs. Zaira kommt zu den Großeltern, einer reichen Gutsbesitzerfamilie im Dörfchen Strehaia. Ihre schöne „Eil-eil-Mutter” besucht sie gelegentlich, ansonsten wird sie von drei Ersatzmüttern versorgt: der Großmutter, ihrer Tante Sofia und vom über alles geliebten älteren Cousin Zizi. Weil die Cousine immer nur im Bett liegt und ihre Zehen anstarrt, beginnt er, ihr Geschichten zu erzählen. Aus Stoffresten formt er Puppen, deren Figuren der Commedia dell’Arte nachempfunden sind und auch so reden.
Die eigentlich nette Idee wird dem Roman zum Verhängnis. Denn sie gibt den burlesken Ton vor: ein ständiges Wiederholen von Wörtern, Phrasen, Typisierungen, ein Plaudern und naives Welterklären. Für den Autor mag das eine Rückeroberung der Kindheit sein, für den Leser ist das auf Dauer aber nur schwer erträglich. Es beginnt schon im ersten Drittel, in dem die Gutsbesitzerfamilie Izvoreanu noch Herrin ihres Schicksals ist und setzt sich bis in die ersten Kriegsjahre fort. Nach dem Einmarsch der Russen ist erst einmal Schluss mit dem Puppentheater, und auch der Ton ist nicht mehr ganz so naiv. Zizi wird unter den Demütigungen des Kommunismus zum Säufer und stirbt. Zaira, schon vor der Zeit eine Melancholikerin, wird Puppenspielerin eines Kindertheaters in Timisoara.
Tellerwaschen gehört dazu
Florescu tut des Guten und Schlechten zu viel. Er kann keine Pointe, keine Wiederholung auslassen. Da wird gesoffen und gehurt und die Ehe gebrochen, immer und immer wieder, ein einziger Reigen. Als Zaira mit dem Meeresbiologen Robert und der Tochter Iona nach Washington zieht, ändert sich zumindest die Szenerie. Von der Tellerwäscherin steigt sie auf zur Geschäftsführerin eines Nobel-Restaurants, nur um am Ende zu erfahren, dass Robert sie noch schlimmer betrogen hat als jeder Mann zuvor.
Florescu will zwei Dinge, die schwer zusammengehen, in eins zwingen: Burleske und Melancholie. Das eine ist ein Modus exaltierter Veräußerung, das andere einer der Innerlichkeit. Er versucht, die Stegreifkomödie stereotyper Verwicklungen mit einer individuellen Lebensgeschichte zu verknüpfen, die der Leser nachvollziehen kann. Doch das Schicksal Zairas lässt einen merkwürdig unberührt. Man muss gar nicht auf Herta Müller oder Richard Wagner verweisen, die so viel eindrücklicher aus dem Rumänien Ceausescus erzählt haben. Allein das stetige Schwanken der Ich-Erzählerin zwischen einer vorausblickenden, wissenden Erzählhaltung, die dem Leser andeutet, was gleich geschehen wird – sie muss es schließlich wissen, denn sie hat es erlebt –, und völliger Unwissenheit zeigt, dass der Autor nicht mit der Aufgabe fertig geworden ist, die er sich vorgenommen hat. Da hilft es auch nicht, dass er am Ende ein Geheimnis konstruiert. Denn längst ist aus der Geschichte Folklore geworden. MEIKE FESSMANN
CATALIN DORIAN FLORESCU: Zaira. Roman. C.H. Beck Verlag, München 2008. 478 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Eine Burleske der Abschweifungen: Catalin Dorian Florescus Roman „Zaira” erzählt vom Heimatverlust
Vertraute Gerüche und Speisen, die Melodie einer Sprache, die Gesten, Gebärden und Lebensgewohnheiten der Menschen, die Konturen einer Landschaft: Vieles bleibt zurück, wenn jemand den Ort seiner Herkunft verlässt. Geschieht das freiwillig, so wird er sich an das Zurückgelassene zwar erinnern, aber die Erinnerung wird nicht allzu schmerzhaft sein. Für den Emigranten ist das anders. Ihm verklärt sich leicht, was er verlassen musste. Ob daraus Trauer wird oder Melancholie ist Veranlagungssache, ganz ohne Nostalgie wird es selten gehen.
Das nostalgische Denken
Catalin Dorian Florescu, der 1967 in Rumänien geboren wurde und als Fünfzehnjähriger mit seinen Eltern in die Schweiz emigrierte, sprach einmal von „einer Art nostalgischem Denken”, das zum Leben der meisten Emigranten gehöre. Florescu ist kein Melancholiker, eher ein pittoreskes Erzähltalent. Er hat Spaß an verrückten Geschichten, an bunten Szenen, am Burlesken und Skurrilen, an der sinnlichen Evidenz von Momentaufnahmen. Seine bisherigen Romane waren durch eigene Erfahrung gedeckt: Das Debüt „Wunderzeit” aus dem Jahr 2001 erzählt die Fluchtgeschichte; „Der kurze Weg nach Hause” (2002) von den Suchbewegungen dreier junger Männer zwischen Ost und West, zwischen Lebensgier und erstem Überdruss; in „Der blinde Masseur” (2006) kehrt ein Mann, der in der Schweiz Karriere gemacht hat, nach zwanzig Jahren in sein rumänisches Heimatdorf zurück. In seinem neuen Roman, „Zaira”, will Catalin Dorian Florescu deutlich mehr. Er will, wie derzeit viele jüngere Autoren, ran ans 20. Jahrhundert. Und er erzählt einen historischen Bilderbogen am Beispiel einer Emigrantin.
Zaira, die siebzigjährige Ich-Erzählerin, kehrt nach dreißig Jahren zum ersten Mal nach Timisoara zurück, der bekanntesten Stadt des Banat, wo sie lebte, bevor sie 1968 über Prag und Wien in die USA emigrierte. Nun sitzt sie im Kaffeehaus, erinnert sich an ihre „schwindelerregende” Lebensreise, von der sie chronologisch, aber im Flunkerstil eines Tristram Shandy (also mit vorgeburtlichem Wissen und einer Menge Abschweifungen) erzählt, während sie zugleich auf etwas wartet, von dem der Leser erst ganz am Schluss erfährt.
Wie es sich für eine solche Romanheldin gehört, kommt Zaira im Wartesaal eines Bahnhofs zur Welt. Ihre Mutter ist gewissermaßen auf der Durchreise. Kaum hat sie die Tochter angesehen und für „potthässlich” erklärt, ist sie schon wieder weg. Sie lebt in Paris und Bukarest, ihr Mann ist Kavallerieoffizier und ständig unterwegs. Zaira kommt zu den Großeltern, einer reichen Gutsbesitzerfamilie im Dörfchen Strehaia. Ihre schöne „Eil-eil-Mutter” besucht sie gelegentlich, ansonsten wird sie von drei Ersatzmüttern versorgt: der Großmutter, ihrer Tante Sofia und vom über alles geliebten älteren Cousin Zizi. Weil die Cousine immer nur im Bett liegt und ihre Zehen anstarrt, beginnt er, ihr Geschichten zu erzählen. Aus Stoffresten formt er Puppen, deren Figuren der Commedia dell’Arte nachempfunden sind und auch so reden.
Die eigentlich nette Idee wird dem Roman zum Verhängnis. Denn sie gibt den burlesken Ton vor: ein ständiges Wiederholen von Wörtern, Phrasen, Typisierungen, ein Plaudern und naives Welterklären. Für den Autor mag das eine Rückeroberung der Kindheit sein, für den Leser ist das auf Dauer aber nur schwer erträglich. Es beginnt schon im ersten Drittel, in dem die Gutsbesitzerfamilie Izvoreanu noch Herrin ihres Schicksals ist und setzt sich bis in die ersten Kriegsjahre fort. Nach dem Einmarsch der Russen ist erst einmal Schluss mit dem Puppentheater, und auch der Ton ist nicht mehr ganz so naiv. Zizi wird unter den Demütigungen des Kommunismus zum Säufer und stirbt. Zaira, schon vor der Zeit eine Melancholikerin, wird Puppenspielerin eines Kindertheaters in Timisoara.
Tellerwaschen gehört dazu
Florescu tut des Guten und Schlechten zu viel. Er kann keine Pointe, keine Wiederholung auslassen. Da wird gesoffen und gehurt und die Ehe gebrochen, immer und immer wieder, ein einziger Reigen. Als Zaira mit dem Meeresbiologen Robert und der Tochter Iona nach Washington zieht, ändert sich zumindest die Szenerie. Von der Tellerwäscherin steigt sie auf zur Geschäftsführerin eines Nobel-Restaurants, nur um am Ende zu erfahren, dass Robert sie noch schlimmer betrogen hat als jeder Mann zuvor.
Florescu will zwei Dinge, die schwer zusammengehen, in eins zwingen: Burleske und Melancholie. Das eine ist ein Modus exaltierter Veräußerung, das andere einer der Innerlichkeit. Er versucht, die Stegreifkomödie stereotyper Verwicklungen mit einer individuellen Lebensgeschichte zu verknüpfen, die der Leser nachvollziehen kann. Doch das Schicksal Zairas lässt einen merkwürdig unberührt. Man muss gar nicht auf Herta Müller oder Richard Wagner verweisen, die so viel eindrücklicher aus dem Rumänien Ceausescus erzählt haben. Allein das stetige Schwanken der Ich-Erzählerin zwischen einer vorausblickenden, wissenden Erzählhaltung, die dem Leser andeutet, was gleich geschehen wird – sie muss es schließlich wissen, denn sie hat es erlebt –, und völliger Unwissenheit zeigt, dass der Autor nicht mit der Aufgabe fertig geworden ist, die er sich vorgenommen hat. Da hilft es auch nicht, dass er am Ende ein Geheimnis konstruiert. Denn längst ist aus der Geschichte Folklore geworden. MEIKE FESSMANN
CATALIN DORIAN FLORESCU: Zaira. Roman. C.H. Beck Verlag, München 2008. 478 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Durchwachsen findet Rezensentin Beatrix Langner diesen Roman über ein rumänisches Emigrantenleben aus den 1960er Jahren, die Catalin Dorian Florescu vorgelegt hat. Das Buch scheint ihr "halb Roman, halb Lebensbericht". Sie vermutet, dass der Autor auf eine autobiografische Vorlage zurückgegriffen hat und sich damit einer "Wirklichkeit aus zweiter Hand" bedient. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Das Problem im vorliegenden Fall ist für Langner aber, dass der Autor dem Leben seiner bewunderten Romanheldin Zaira, die 1968 aus Rumänien flieht und in den USA ein Nobelrestaurant leitet, erzählerisch nicht wirklich gewachsen ist. Zaira wirkt auf Langner doch oft wie eine "Puppe ihres Autors". Sie hält ihm vor, diese Figur nicht "von innen heraus" entwickelt zu haben. Zudem kritisiert sie die immer wieder "plakativen Bilder", die Florescu verwendet. Auf der anderen Seite hebt sie bei aller Kritik hervor, der Roman breite durchaus mit Charme, Witz und Poesie ein "aufregendes, reiches, mutiges Leben zwischen den Diktaturen, Ländern, Kontinenten und Systemen" vor dem Leser aus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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