Dagegen hilft keine individualisierte Verweigerung und auch kein neoliberales Durchschlagen, sondern nur kollektive queerfeministische Praxis. Die Autorin stellt neue (antipatriarchale) Beziehungsund Verhaltensweisen wie Co-Parenting und Post-Romantik vor, mit denen schon vielerorts ein zarter Umgang miteinander erprobt wird, der auch jene befreien wird, die noch immer unter Druck stehen, ihre Männlichkeit zu beweisen.
Eine radikale Analyse der Gewalt heutiger patriarchaler Herrschaft, eine Anstiftung zum rebellischen und zärtlichen Miteinander und ein Mutmacher für all jene, die sich seit Langem mit sexistischen Geschlechterverhältnissen auseinandersetzen, sie bekämpfen und ihnen im Alltag doch so oft nicht entkommen.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ambivalenzen lassen wir lieber mal beiseite: Carolin Wiedemann möchte das politische Projekt des Feminismus in ein umfassendes Programm einbetten.
Das politische Projekt des Feminismus ist in einer schwierigen Lage. Auf der einen Seite hat es sich semantisch zu Tode gesiegt: Wer heute noch behauptet, Frauen seien für bestimmte Berufe nicht geeignet, Männern unterlegen oder für die Familie zuständig, dürfte es schwer haben, ernst genommen zu werden. Auf der anderen Seite ändern sich die Verhältnisse auf allen Ebenen nur schleppend, wenn sie nicht schon wieder auf dem Weg in die Gegenrichtung sind. Kurz gesagt, werden Frauen immer noch seltener befördert als Männer, dafür schlechter bezahlt und häufiger misshandelt. Aber weil unklar bleibt, wem dies als Ganzes zuzurechnen ist, wie viel Pfadabhängigkeit oder ungesteuerte Entwicklung sich mit schlechtem Willen verbindet, wird die Lage kompliziert. In einer solchen Situation bedarf es weniger normativer Vergewisserung, denn wo das Problem liegt, ist reichlich klar, als einer politischen Analyse und Strategie.
Carolin Wiedemanns Buch über den "Sturz des Patriarchats" liefert dazu eine engagierte, viele Rückschläge nicht verleugnende, dennoch bemerkenswert optimistische Rundreise durch die Geschichte der Männerherrschaft, Angebote ihrer theoretischen Analyse und Formen ihrer Überwindung. Ihre Linie ist dabei zunächst politisch inklusiv. Gegen die Vermutung, alter und neuer Feminismus oder auch Identitäts- und Sozialpolitik würden einander widersprechen oder nur auf Kosten der jeweils anderen möglich sein, setzt sie auf ein Projekt, in dem die Befreiung der Geschlechter mit der Befreiung von anderen ökonomischen und sozialen Abhängigkeitsverhältnissen Hand in Hand gehen soll. Man könnte es als einen ganzheitlich linken Politikentwurf beschreiben, auch wenn sie selbst wohl nicht zufällig auf eine solche Zuschreibung verzichtet.
In ihrer materialreichen, leider mitunter etwas abrisshaft und sprunghaft geschriebenen Rekonstruktion ist die gegenwärtige Situation der Frau von anderen politischen Großentwicklungen nicht zu trennen. Auf einer symbolischen Ebene funktioniert das Patriarchat demnach über eine asymmetrische Anerkennungsstruktur, in der Frauen ihr Selbstbild über die männliche Wahrnehmung definieren. Auf einer materiellen Ebene würden diese Abhängigkeiten durch kapitalistische Wirtschaftsformen verstärkt. Auf einer politischen Ebene schließlich verfestige der geschlossene Nationalstaat patriarchale Machtstrukturen.
So hängt auf der einen Seite alles mit allem auf komplizierte Art und Weise zusammen, um doch auf der anderen Seite wieder ganz einfach dargestellt zu werden. Denn im Buch gehen die schlechten, diskriminierenden Seiten von Privatheit, Ökonomie und Politik immer zusammen. Für Ambivalenzen oder doppeldeutige Effekte bleibt da nur selten Platz. Entsprechend ist die Autorin recht schnell dabei, die von ihr selbst dargestellten sozialen Zusammenhänge methodisch schmucklos zu reduzieren: hier ein paar kritische Zeilen zur Sozialtheorie Nancy Frasers, dort der recht nahtlose Übergang vom völkischen Nationalismus zur Kritik des Ehegattensplittings oder eine in ihrer Umstrittenheit nicht gekennzeichnete These zum Verhältnis zwischen neoliberaler Sozialpolitik und Familienwerten.
Was aber ist politisch zu tun? Die Mittel, die Wiedemann gegen das Patriarchat erprobt wissen will, bewegen sich durchweg auf dem Feld sozialer Praktiken. Die Erfolge queerfeministischer Bewegungen, die Weiterentwicklung von Männerbildern, die Erprobung gewaltloser Formen von Sexualität und die Entstehung neuer Beziehungsformen jenseits der Kleinfamilie sind im Angebot und werden von Wiedemann im letzten Teil ihres Buchs teils systematisch, teils anekdotisch vorgestellt. Das ist insoweit überzeugend, als nachhaltiger Wandel auf diesen Gebieten wohl immer einem sozialen Experimentalismus zu verdanken sein dürfte, der durch politische Programme und staatliche Regulierung eher nachvollzogen als angeleitet wird.
Auf der anderen Seite wird man den Eindruck nicht los, dass dieses Programm im Privaten steckenbleiben könnte, also in einer Welt, in der ein befreites Familien- und Sexualleben und eine über sich selbst aufgeklärte Männlichkeit wenig daran ändern, wer im Vorstand sitzt und wer nicht. Dieser Einwand zeigt sich im Buch auch in der charakteristisch asymmetrischen Behandlung all der anderen Fragen, die doch mit dem Problem des Patriarchats so untrennbar verbunden sein sollen. Denn selbst wenn man annimmt, dass der Kapitalismus eine Ursache für Frauendiskriminierung liefert, so bleibt doch offen, was diesen denn ersetzt, wenn er im Namen der Befreiung überwunden worden ist. Anders gefragt: Wie versorgt man sich in der Welt der Zarten und Freien eigentlich mit Gütern?
Natürlich ist Wiedemann nicht vorzuhalten, dass ihr Buch keine neue Wirtschaftsordnung entwirft. Doch etwas mehr Sinn für die politischen Folgen eines so übergreifenden Anspruchs hätte man sich gewünscht. Wenn alles mit allem zusammenhängt, wird es schwierig, dieses Ganze zu bekämpfen. Umso mehr, als die im Westen dominante Form der Männerherrschaft eben viel damit zu tun hat, wie westliche Gesellschaften aufgebaut sind, man aber andererseits schwer bestreiten kann, dass das Patriarchat auch außerhalb des modernen Kapitalismus herrscht. Ohne etwas politische Ökonomie wird es ein politisch so ausgreifender Feminismus wahrscheinlich schon konzeptionell, sicherlich aber praktisch schwer haben.
An dieser Stelle hätten die unangenehmen politischen Fragen ihren Platz, denen sich das Buch entzieht. Mit wem sollte sich die Frauenbewegung wie verbünden? Welche Bedeutung haben relative Erfolge im Kampf um Gleichheit, und können sie von den gesellschaftlichen Bedingungen getrennt werden, die diese Auseinandersetzung nötig werden ließen? Solche Analysen wären vielleicht mit mehr Sinn für die Ambivalenzen zu bewältigen, die moderne Gesellschaften antreiben. Die Einsicht, dass das Private auch das Politische ist, muss eben nicht nur zur Politisierung des Privaten führen, sondern könnte auch die Privatisierung des Politischen vorantreiben.
CHRISTOPH MÖLLERS
Carolin Wiedemann: "Zart und frei". Vom Sturz des Patriarchats.
Matthes & Seitz Verlag,
Berlin 2021. 200 S., geb., 20,- [Euro].
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