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Zwei Bedingungen hatte Ralf König zu erfüllen, als er sich an sein eigenes Album der Comicserie "Lucky Luke" machte.
Ralf König ist seit einigen Wochen gut ausgerüstet. In seiner Kölner Dachgeschosswohnung hängen Westernhut, Revolvergurt und ein Long John am Garderobenständer. Zwei dieser drei Requisiten darf man erwarten, wenn ein Comiczeichner sich anschickt, einen "Lucky Luke"-Comic zu machen, also eine Geschichte über den berühmten einsamen Cowboy, der schneller zieht als sein Schatten. Aber der Long John, ein Unterwäscheeinteiler mit aufknöpfbarem Hinterteil? Nun, wer zu den Lesern von "Lucky Luke" zählt, wird schon manche Figur in diesem Accessoire gesehen haben - vor allem, wenn es darangeht, sie zu teeren und zu federn.
Und wer Ralf Königs eigene Comics kennt, der weiß, dass Männer in Unterwäsche darin regelmäßig auftreten; so nun auch in "Zarter Schmelz", seinem "Lucky Luke"-Album. König ist einerseits der international wohl berühmteste deutsche Comiczeichner und andererseits sicher der berühmteste Schwulencomiczeichner der Welt. Seine populärste Geschichte, "Der bewegte Mann" von 1987, hat sich viele hunderttausend Mal verkauft, die Verfilmung sahen gar Millionen. Und zwar nicht nur ein homosexuelles Publikum, für das König, geboren 1960, seit seinem Kunststudium Comics zeichnet, sondern ein breiter Querschnitt von Menschen, die sich an der Selbstironie dieses Autors erfreuen und sein umfangreiches Gesamtwerk als Chronik der deutschen Schwulenemanzipation schätzen gelernt haben. Aus Königs Comics erfährt man mehr über Fragen gesellschaftlicher Toleranz oder des Selbstverständnisses der Subkultur als aus soziologischen Studien. So nun auch in "Zarter Schmelz".
Als das erste "Lucky Luke"-Abenteuer erschien, 1946, war König noch gar nicht geboren. Der Belgier Maurice de Bevere, der seinen Namen zu Morris amerikanisiert hatte und selbst seinerzeit erst dreiundzwanzig Jahre alt war, ließ seiner Liebe zu den Westernklischees des damaligen Kinos freien Lauf. Neun Jahre später stieg dann ein Mann als Szenarist in die Cowboy-Serie ein, der sie für mehr als zwanzig Jahre inhaltlich prägen sollte: René Goscinny, der auch Vater von "Asterix" werden sollte. Mit seinen Geschichten wurde "Lucky Luke" in den sechziger Jahren in Deutschland zum Erfolg. Die Alben von Morris und Goscinny gehören dementsprechend zu Ralf Königs frühesten Leseeindrücken, und als sein Kollege Mawil vor zwei Jahren als Deutscher einen Sonderband der Serie zeichnen durfte ("Lucky Luke sattelt um", F.A.Z. vom 17. April 2019), war der Neid groß: "Da muss ich wohl geseufzt haben, dass ich das auch mal gern machen würde. Und beim Egmont Verlag kriegten sie spitze Ohren. Dabei war das nur halb ernst gemeint, Western hab ich mir kaum zugetraut, mit all den Pferden und Kulissen. Aber dann hat es einen Riesenspaß gemacht." Zwei Bedingungen waren allerdings zu erfüllen. Die eine gilt seit den Achtzigerjahren: Lucky Luke, bis dahin stets mit Zigarette im Mundwinkel unterwegs, darf nicht mehr rauchen. Die zweite war neu und auf König gemünzt: Lucky Luke selbst darf nicht schwul werden. "Das kannte ich aus meiner Jugend: Wenn ich bei meinem Freund unter dem Dachboden übernachtet habe, hat mein Vater auch immer gesagt: ,Aber nicht rauchen!' Das mit ,schwul' war von ihm damals sicherlich mitgemeint."
Gegen eine schwule Geschichte um den Helden herum hatten die französischen Lizenzgeber jedoch nichts einzuwenden, und König entwarf für "Zarter Schmelz" eine Rahmenhandlung, die von der Liebe zwischen den Viehtreibern Terrence McQueen und Bud Willis erzählt. Deren virile Namensvorbilder hätten sich wohl nicht träumen lassen, mit Homophobie im Westernstädtchen Straight Gulch konfrontiert zu werden - und dabei von Lucky Luke unterstützt. Doch nicht nur von ihm. "Als Kind fand ich Lucky Luke sexy", sagt König, "aber besonders toll war für mich Calamity Jane aus dem gleichnamigen Album, weil sie so derb war. Es war vom ersten Moment an klar, dass sie in meinem ,Lucky Luke'-Comic auftreten würde. Der Auftritt der Daltons, die Morris selbst etwas zu oft bemüht hat, ergab sich dagegen erst spät, auf Seite 40. Ich brauchte Bösewichter, weil sich meine ursprünglich dafür vorgesehenen Viehdiebe im Laufe der Arbeit an der Geschichte in Autogrammjäger verwandelt hatten - ich wollte immer schon einmal die Sammler-Nerds von den Comicfestivals zeichnen. Die Daltons passten dann aber perfekt in meinen Plot."
In Frankreich erwartete man vorab ein Storyboard mit dem kompletten Entwurf der Handlung, aber so arbeitet König nicht. "Ich erzähle drauflos. Nur irgendwann in der Mitte der Arbeit hatte ich eine schlaflose Nacht, weil ich mir Sorgen machte, ob all die Ideen, die ich noch hatte, überhaupt unterzubringen sein würden. Da habe ich dann doch ein Bleistift-Storyboard angelegt, und es ging so gut auf, dass ich sofort noch die Daltons eingearbeitet habe. Das kam dann ganz geschmeidig auf den Punkt."
Eines hat Ralf König, der schon seit Längerem über einer Geschichte zum Phänomen der politischen Korrektheit brütet, erfahren müssen: "Einen Comic wie ,Lucky Luke' in solch hypersensiblen Zeiten zu zeichnen ist schwierig. Schon bei der Ankündigung von ,Zarter Schmelz' hat sich jemand öffentlich beklagt, dass bei mir Indianer als Indianer bezeichnet werden. Aber meine Geschichte spielt achtzehnhundertsoundso, da wird Lucky Luke sicher nicht sagen: ,Wir werden von Native Americans beobachtet.'"
Und eines wiederum konnte König gegenüber den in anderer Hinsicht hypersensiblen früheren Zeiten gutmachen: "Als Kind war ich fasziniert davon, dass männlichen Comicfiguren immer die Brustwarzen fehlten, auch dem sexy Lucky Luke. Die habe ich dann fein säuberlich mit Buntstift nachgemalt." Im eigenen Album wird das nun keinem Leser mehr abverlangt.
ANDREAS PLATTHAUS
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
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