„Wer oft in die Oper geht, kommt nach Hause und will singen. Wer viel liest, will bald auch schreiben.“ Mit diesen Einstiegs-Sätzen war ich dabei, die Gedanken von Hannelore Schlaffer auflesen und weiter spinnen zu wollen.
Sie beschreibt im ersten Essay, wie ihre Lust am Schreiben entstand. Als
6-Jährige genoss sie 1945 die erste Klasse und war traurig, als die Weihnachtsferien anfingen. Aber…mehr„Wer oft in die Oper geht, kommt nach Hause und will singen. Wer viel liest, will bald auch schreiben.“ Mit diesen Einstiegs-Sätzen war ich dabei, die Gedanken von Hannelore Schlaffer auflesen und weiter spinnen zu wollen.
Sie beschreibt im ersten Essay, wie ihre Lust am Schreiben entstand. Als 6-Jährige genoss sie 1945 die erste Klasse und war traurig, als die Weihnachtsferien anfingen. Aber bald ging es weiter und sie liebte die weiße, schnell fließende Schrift auf der Schiefertafel, noch heute trägt sie gerne schwarz-weiss und die Buchstaben entwickelten sich bei ihr so zu Worten, Sätzen, Gedanken, Ideen. Von der Kreide über die Schreibmaschine zum Laptop, sie lernte auch blind zu tippen und skizziert die so entstehende Kunst des schnellen Korrigierens, des fast lautlosen Formulierens mit der ganz einfachen, 10-fingrigen Doppelhand.
Die zweite Momentaufnahme ihres Lebens geht über das Lesen. Wer seinen Kindern schon mal vorgelesen hat, weiß es. Das Unglaubliche, Furchterregende muss passieren, um die Erzählung so einzurichten, dass alles schnellstens aufgelöst und der Gerechtigkeit zugeführt wird. Die kleine Hanne entkommt ihren drangsalierenden Brüdern immer mit einem Buch und schließlich gewinnt sie Vater und Lieblingsbruder für Karl May, ein lebenslang bleibendes Erlebnis, wie bei mir auch. Bildung aber war das nicht, sie wusste aus den Erzählungen des Karl May nichts über das aktuelle Amerika. „Bildung, die sich in Büchern auskennt, dient mehr dem emotionalen und intellektuellen Training, weniger der Wissensvermittlung.“
Niemand redete als Jugendliche über Bücher, außer im Pflicht-Deutsch-Unterricht. Sie leidet und flieht ins Theater, ihre abgeschottete, einsame Welt. Umgeben von Brüdern, die aggressiv nicht lesen, ich kann mir vorstellen, was in ihr vorging. Erst an der Uni konnte sie ernsthaft über Bücher reden, jenseits simpler Plauderei. "Gleich nach der Lust, Bücher zu besitzen, kommt das Vergnügen, über sie zu reden." (Charles Nodier) Sie kehrt immer wieder zurück in die Einsamkeit des Lesens, aber auch die Unterhaltung mit jenen langen Briefen, die Bücher ja im Grunde sind. Sie selbst schrieb in der Jugend abartig gute Briefe, eines ihrer Kennzeichen.
Dass man Bücher beim Schreiben nicht um sich haben will, um nicht gestört zu werden, wäre mir zuviel. In jedem Fall aber interessant, es zu begreifen und durchaus nachvollziehen zu können. Umgebende Bücher vermitteln mir eine Art Wohngefühl, ein Gemeinschaftserlebnis mit vielen Denkern, die jene schwierigste Leistung vollbracht haben, die es (für mich) gibt: ein ganzes Buch zu durchdenken, es zu schreiben, verwerfen, korrigieren und letzten Endes so stehen zu lassen, wie der eigene Gedankengang es in jenem Moment erforderte.
Kurzum, ich habe begonnen, sehr schnell, mich mit Hannelore Schlaffer zu unterhalten, sie gleichsam zu befragen, ihr zu widersprechen und doch jene Gleichklänge zu erleben, die alle Leser von Karl May aufweisen: Verständnis für Schicksale und Einsamkeiten, die auch Karl May erlebt hat. Seine Lebensgeschichte ist eine der spannendsten überhaupt, der unglaublichsten.
Wunderschön, die Beschreibung einer Bibliothek: „Die Bibliothek ist kein Ort, sondern ein Zustand, in dem nicht nur der Geist, sondern auch der Körper fast schwerelos wird.“ Man ist allein und doch zusammen, „man versinkt ins Buch und fühlt dennoch ein Außen.“ 2020 eröffnet die neue Württembergische Landesbibliothek in Stuttgart, Hannelore Schlaffer beschreibt den Leseplatz dort, den Gemeinschaftsraum als eine Vereinzelung hinter einem Bullauge, für das Lesen keinesfalls ein Ort sein kann. Man fragt sich automatisch, was Architekten denken, die Interieurs entwickeln fernab von Bedürfnissen der Leser.
Suche ich nach dem Konzept dieser Bibliothek, an die jeder Verlag/Autor auch die sog. Pflichtexemplare schicken muss, finde ich schnell im Netz ein Papier: „Wissen teilen – Konzept für die Württembergische Landesbibliothek 2020-2025.“
Kurz gesagt soll alles Digitale weiter vorangetrieben werden, vom Leser und dem Ort des Lesens in einem Gemeinschaftsraum liest man in diesem Papier eigentlich nichts. Der Leser schrumpft sozusagen in das überall reproduzierbare Verhältnis Auge-ComputerScreen zusammen, natürlich kann er in diesem Zusammenhang auch Texte hören, gar sehen. Die Umgebung wird mithin ausgeblendet, sie kann überall stattfinden, und auch vor Ort gibt man einem Gemeinschafts-Lese-Erlebnis wie von Hannelore Schlaffer so schön beschrieben, keine Aufmerksamkeit mehr. In jedem Fall werde ich diese Bibliothek in nächster Zeit besuchen.
Bücher sind nichts als längere Briefe. Die Gedanken von Hannelore Schlaffer haben mich bestens unterhalten, sie versteht es meisterhaft, über Lesen und Schreiben nachzudenken und hat mich als Bücherliebhaber wirklich berührt. Ein ungewöhnliches, wunderschönes Buch, das den weiten Horizont seiner Urheberin in 13 Essays auffächert.