Zeitanhalter - ein Musikroman für Auge, Ohr und Herz. Mit Soundtrack zum Buch, exklusiv via Downloadlink bei jedem Buchkauf. /// Inhalt: Marlena ist die Sängerin einer Kölner Pop-Rock-Band, die unmittelbar vor ihrer ersten großen Deutschlandtournee steht. Fanchöre, Presse, große Konzerthallen - eigentlich könnte sie auf Wolke 7 schweben. Doch während um sie herum scheinbar alles gleichzeitig passiert, hat die 30-Jährige schwer mit einem nicht verarbeiteten Trauma zu kämpfen. Als dann auch noch ihr Keyboarder kurz vor Tourneestart die Band verlässt und sich trotz zahlloser Castings kein geeigneter Nachfolger finden lässt, steht plötzlich nicht nur die Tour auf dem Spiel, sondern auch die Freundschaft, die die Band seit jeher verband. Bis in letzter Minute Simon im Proberaum auftaucht. Wäre da nur nicht diese hässliche Vorgeschichte, die Marlena mit ihm verbindet...
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2017Vom Wunsch der Künstler, die Zeit anzuhalten
Ein Musikroman nebst Soundtrack und ein engagierter Essay tänzeln gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Dichtung und Wahrheit
Dichter lügen, Sänger nie. Dass die seit 2012 von den ABC Studios produzierte, unermüdlich die Sujets Liebe und Betrug, Ruhm und Absturz durchexerzierende Musikserie "Nashville" - eine der seifigsten aller Fernsehseifenopern - so schnell süchtig macht, liegt nicht zuletzt daran, dass die Grenzen zur Realität verschwimmen, weil die heiligen Orte der Country-Szene und die professionell inszenierten Gesangsauftritte eine tragende Rolle spielen. In der ansonsten nur für das "Hot Chicken Festival" berühmten Stadt des Country boomt seither der Tourismus, die als Sänger agierenden Schauspieler geben inzwischen Konzerte, und die Alben zur Sendung sind eine eigene Erfolgsgeschichte. Musik aber kann keine Fiktion sein.
Aus dem Nashville Deutschlands, so zumindest Kölns bescheidene Eigenwahrnehmung als unwiderstehliche Musikmetropole (und Stadt der heißen "Höhner"), kommt nun ein kleines Projekt, dessen Reiz nicht ganz unähnlich ist. Linda Nowaks Roman "Zeitanhalter" spielt an erkennbaren Kölner Orten und handelt von einer psychisch labilen Sängerin namens Marlena, die mit ihrer Gefühlspop-Band Freifahrtschein gerade den großen Durchbruch erlebt. Kurz vor der ersten Headliner-Tour ist jedoch der Keyboarder abgesprungen und wird ersetzt durch den begabten Simon. Dass die Sängerin zunächst allergisch reagiert, erklärt sich schnell: Simon ist die mehr als komplizierte Liebe ihres Lebens. Die Komplikation besteht darin, dass Simon diese Liebe vor Jahren, als die beiden ein musikalisches Duo bildeten, nicht erwidert hat. Jetzt reißen die alten Wunden wieder auf, und Marlena versinkt in einem Strudel aus Hoffnung und Panik. Den Herzschmerz-Kompositionen ("Ich geb' dich frei") verleiht eben das aber jene magische Intensität, auf die es auf der Bühne ankommt.
Die Handlung ist also kaum weniger seifig als der "Nashville"-Plot. Sie wird auch dadurch nicht wesentlich komplexer, dass sich Marlena wegen eines Überfallstraumas in therapeutischer Behandlung befindet. Für einen Roman aus der Sex-, Drugs- und Rock-'n'-Roll-Abteilung geht es zudem erstaunlich rücksichtsvoll zu, neudeutsch empfindsam, könnte man auch sagen. Gespart wird dafür am Dionysischen: Spieleabend, Videorunde ("Almost Famous") und Jugendpowergottesdienst, exzessiver wird es nicht, aber auch das heute vermutlich authentischer als Hotelzimmerverwüstungen. Was den sprachlich recht anspruchslosen Roman auszeichnet, ist sein psychologisches Gespür: Wie die Hauptfigur an der eigenen Unnahbarkeit leidet, wie jede Selbstüberwindung in ihr Gegenteil kippt, wie die dadurch hervorgerufene Wut als Bestätigung des Misstrauens gedeutet wird, das muss dem echten Leben abgeschaut sein, so glaubhaft wirkt es. Einzig das Happy End fällt dagegen ab.
Das Projekt ist freilich größer als der Roman, denn das in seinem Zentrum stehende Album, ganz lustig "Protagonist" betitelt, existiert tatsächlich und kann vom Leser mit einem beigefügten Code heruntergeladen werden. Der Musiker Dennis Kresin hat es mit sicherer Hand arrangiert, Linda Nowak den Gesang beigesteuert. Schnell wird klar, dass es sich nicht um Zusatz-Content handelt, sondern um den Nukleus des Ganzen. So verwundert auch nicht, dass diese fiktive Band in Köln Flashmob-Konzerte veranstaltet hat und derzeit (samt Lesungen) durch Deutschland tourt. Wie viel man mit den melancholischen Popballaden anfangen kann, hängt natürlich vom Geschmack ab, aber ein Publikum dürfte es angesichts des Erfolgs von Sängerinnen wie Julia Engelmann, Lotte oder Alina durchaus geben. Und anders als die Genannten hat Freifahrtschein keine Angst vor anspruchsvollen Instrumentierungen und Ausflügen ins rotzig Rockige, so gleich beim Eröffnungsstück "Sintflut". Die Musik überwölbt hier also den Text, und doch ist der Roman mehr als Marketing-Surround-Sound. Es geht Linda Nowak um die Grenzverwischung, um das Wagnis, Erfindung und Realität - auch zwei Liebende mit kompliziertem Beziehungsstatus - in freischwebender Höhe miteinander zu vereinen. Das ist nicht in allen Aspekten gelungen, aber doch eine wahrhaft künstlerische Haltung.
Man darf sich gleichwohl darüber wundern, wie selbstverständlich die eigene Befindlichkeit heute im Fokus junger deutscher Musik steht. So müssen eben Autoren und Wissenschaftler übernehmen, was früher zum guten Ton von Punk und Rock gehörte: den Angriff auf die Verhältnisse. Das tut die Literaturwissenschaftlerin Elke Brüns, die seit Jahren zum Verhältnis von Narration und Armut forscht, mit dem so luziden wie engagierten Essay "Unbehaust", in dem sie der wachsenden sozialen Ungleichheit in Deutschland mit Goethe, Gorki, Adorno und Foucault zu Leibe rückt. Ihre Leitfrage lautet: "Wie viel Armut muss eine Gesellschaft ertragen, ohne sie an den Rand zu verbannen?"
Soeben sind neue Rekordzahlen verkündet worden: 860 000 Menschen in Deutschland sind derzeit wohnungslos, wovon etwa 52 000 als Obdachlose auf der Straße leben, Tendenz stark steigend. Brüns hebt darauf ab, dass die in der Literaturgeschichte spätestens seit der Romantik gängige Idealisierung des Vagabundierenden zu einer symbolischen Aufwertung der Figur des Obdachlosen beitragen kann. Während die Behausten Unbehauste als Menetekel deuteten und ausgrenzten - "Obdachlose repräsentieren in Deutschland eine Devianz und Andersartigkeit, die den gesellschaftlichen Hygiene-, Schönheits- und Normvorstellungen diametral widerspricht" -, habe sich die Literatur stets fasziniert gezeigt von der radikalen Freiheit, für die der moderne Nomade stehe.
Auch Brüns also will die Erfindungen der Literatur auf höherer Ebene mit der tristen Realität arrondieren. Den Bettler am Straßenrand als existentielle und nicht als armselige Gestalt zu deuten, als alten Bekannten und nicht als Wesensfremden, hilft diesem zwar nicht unmittelbar, aber ein solches Aufbrechen des Diskurses könnte durchaus dazu beitragen, die bedrückenden ökonomischen Rahmenbedingungen - Mietwucher und Wohnungsnot - endlich in Angriff zu nehmen. Freilich geht die Entwicklung, wie Brüns weiß, zurzeit in die entgegengesetzte Richtung: Bettelverbote im öffentlichen Raum sind auf dem Vormarsch, Armut wird bestraft. Wenn diese Haltung siegt, hat nicht einmal mehr die blauäugige Literatur Rettung im Angebot: Vor uns die Sintflut.
OLIVER JUNGEN.
Linda Nowak: "Zeitanhalter". Roman.
Books on Demand/eBook (inklusive Album). 9,99 [Euro].
Elke Brüns: "Unbehaust".
Essay. Mikrotext. 3,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Musikroman nebst Soundtrack und ein engagierter Essay tänzeln gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Dichtung und Wahrheit
Dichter lügen, Sänger nie. Dass die seit 2012 von den ABC Studios produzierte, unermüdlich die Sujets Liebe und Betrug, Ruhm und Absturz durchexerzierende Musikserie "Nashville" - eine der seifigsten aller Fernsehseifenopern - so schnell süchtig macht, liegt nicht zuletzt daran, dass die Grenzen zur Realität verschwimmen, weil die heiligen Orte der Country-Szene und die professionell inszenierten Gesangsauftritte eine tragende Rolle spielen. In der ansonsten nur für das "Hot Chicken Festival" berühmten Stadt des Country boomt seither der Tourismus, die als Sänger agierenden Schauspieler geben inzwischen Konzerte, und die Alben zur Sendung sind eine eigene Erfolgsgeschichte. Musik aber kann keine Fiktion sein.
Aus dem Nashville Deutschlands, so zumindest Kölns bescheidene Eigenwahrnehmung als unwiderstehliche Musikmetropole (und Stadt der heißen "Höhner"), kommt nun ein kleines Projekt, dessen Reiz nicht ganz unähnlich ist. Linda Nowaks Roman "Zeitanhalter" spielt an erkennbaren Kölner Orten und handelt von einer psychisch labilen Sängerin namens Marlena, die mit ihrer Gefühlspop-Band Freifahrtschein gerade den großen Durchbruch erlebt. Kurz vor der ersten Headliner-Tour ist jedoch der Keyboarder abgesprungen und wird ersetzt durch den begabten Simon. Dass die Sängerin zunächst allergisch reagiert, erklärt sich schnell: Simon ist die mehr als komplizierte Liebe ihres Lebens. Die Komplikation besteht darin, dass Simon diese Liebe vor Jahren, als die beiden ein musikalisches Duo bildeten, nicht erwidert hat. Jetzt reißen die alten Wunden wieder auf, und Marlena versinkt in einem Strudel aus Hoffnung und Panik. Den Herzschmerz-Kompositionen ("Ich geb' dich frei") verleiht eben das aber jene magische Intensität, auf die es auf der Bühne ankommt.
Die Handlung ist also kaum weniger seifig als der "Nashville"-Plot. Sie wird auch dadurch nicht wesentlich komplexer, dass sich Marlena wegen eines Überfallstraumas in therapeutischer Behandlung befindet. Für einen Roman aus der Sex-, Drugs- und Rock-'n'-Roll-Abteilung geht es zudem erstaunlich rücksichtsvoll zu, neudeutsch empfindsam, könnte man auch sagen. Gespart wird dafür am Dionysischen: Spieleabend, Videorunde ("Almost Famous") und Jugendpowergottesdienst, exzessiver wird es nicht, aber auch das heute vermutlich authentischer als Hotelzimmerverwüstungen. Was den sprachlich recht anspruchslosen Roman auszeichnet, ist sein psychologisches Gespür: Wie die Hauptfigur an der eigenen Unnahbarkeit leidet, wie jede Selbstüberwindung in ihr Gegenteil kippt, wie die dadurch hervorgerufene Wut als Bestätigung des Misstrauens gedeutet wird, das muss dem echten Leben abgeschaut sein, so glaubhaft wirkt es. Einzig das Happy End fällt dagegen ab.
Das Projekt ist freilich größer als der Roman, denn das in seinem Zentrum stehende Album, ganz lustig "Protagonist" betitelt, existiert tatsächlich und kann vom Leser mit einem beigefügten Code heruntergeladen werden. Der Musiker Dennis Kresin hat es mit sicherer Hand arrangiert, Linda Nowak den Gesang beigesteuert. Schnell wird klar, dass es sich nicht um Zusatz-Content handelt, sondern um den Nukleus des Ganzen. So verwundert auch nicht, dass diese fiktive Band in Köln Flashmob-Konzerte veranstaltet hat und derzeit (samt Lesungen) durch Deutschland tourt. Wie viel man mit den melancholischen Popballaden anfangen kann, hängt natürlich vom Geschmack ab, aber ein Publikum dürfte es angesichts des Erfolgs von Sängerinnen wie Julia Engelmann, Lotte oder Alina durchaus geben. Und anders als die Genannten hat Freifahrtschein keine Angst vor anspruchsvollen Instrumentierungen und Ausflügen ins rotzig Rockige, so gleich beim Eröffnungsstück "Sintflut". Die Musik überwölbt hier also den Text, und doch ist der Roman mehr als Marketing-Surround-Sound. Es geht Linda Nowak um die Grenzverwischung, um das Wagnis, Erfindung und Realität - auch zwei Liebende mit kompliziertem Beziehungsstatus - in freischwebender Höhe miteinander zu vereinen. Das ist nicht in allen Aspekten gelungen, aber doch eine wahrhaft künstlerische Haltung.
Man darf sich gleichwohl darüber wundern, wie selbstverständlich die eigene Befindlichkeit heute im Fokus junger deutscher Musik steht. So müssen eben Autoren und Wissenschaftler übernehmen, was früher zum guten Ton von Punk und Rock gehörte: den Angriff auf die Verhältnisse. Das tut die Literaturwissenschaftlerin Elke Brüns, die seit Jahren zum Verhältnis von Narration und Armut forscht, mit dem so luziden wie engagierten Essay "Unbehaust", in dem sie der wachsenden sozialen Ungleichheit in Deutschland mit Goethe, Gorki, Adorno und Foucault zu Leibe rückt. Ihre Leitfrage lautet: "Wie viel Armut muss eine Gesellschaft ertragen, ohne sie an den Rand zu verbannen?"
Soeben sind neue Rekordzahlen verkündet worden: 860 000 Menschen in Deutschland sind derzeit wohnungslos, wovon etwa 52 000 als Obdachlose auf der Straße leben, Tendenz stark steigend. Brüns hebt darauf ab, dass die in der Literaturgeschichte spätestens seit der Romantik gängige Idealisierung des Vagabundierenden zu einer symbolischen Aufwertung der Figur des Obdachlosen beitragen kann. Während die Behausten Unbehauste als Menetekel deuteten und ausgrenzten - "Obdachlose repräsentieren in Deutschland eine Devianz und Andersartigkeit, die den gesellschaftlichen Hygiene-, Schönheits- und Normvorstellungen diametral widerspricht" -, habe sich die Literatur stets fasziniert gezeigt von der radikalen Freiheit, für die der moderne Nomade stehe.
Auch Brüns also will die Erfindungen der Literatur auf höherer Ebene mit der tristen Realität arrondieren. Den Bettler am Straßenrand als existentielle und nicht als armselige Gestalt zu deuten, als alten Bekannten und nicht als Wesensfremden, hilft diesem zwar nicht unmittelbar, aber ein solches Aufbrechen des Diskurses könnte durchaus dazu beitragen, die bedrückenden ökonomischen Rahmenbedingungen - Mietwucher und Wohnungsnot - endlich in Angriff zu nehmen. Freilich geht die Entwicklung, wie Brüns weiß, zurzeit in die entgegengesetzte Richtung: Bettelverbote im öffentlichen Raum sind auf dem Vormarsch, Armut wird bestraft. Wenn diese Haltung siegt, hat nicht einmal mehr die blauäugige Literatur Rettung im Angebot: Vor uns die Sintflut.
OLIVER JUNGEN.
Linda Nowak: "Zeitanhalter". Roman.
Books on Demand/eBook (inklusive Album). 9,99 [Euro].
Elke Brüns: "Unbehaust".
Essay. Mikrotext. 3,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main