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"Ein moderner Klassiker... ein fulminanter Roman." DIE ZEIT
1955, in einer Vorstadt nahe New York: Hinter dem gepflegten Vorgarten tobt ein Ehekrieg. Frank und April Wheeler, einst ein junges, hoffnungsfrohes und vielversprechendes Paar, drohen unter dem Druck der allgemeinen Erwartungen an eine glückliche Ehe und ein erfolgreiches Berufsleben zugrunde zu gehen. Harmlose Äußerungen entzünden sich zu Hasstiraden und steigern sich zu bedrohlicher Wortlosigkeit.
Richard Yates’ Debütroman machte ihn in den USA schlagartig bekannt und sorgte auch in Deutschland dafür, dass Jahre nach dem Tod
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Produktbeschreibung
"Ein moderner Klassiker... ein fulminanter Roman."
DIE ZEIT

1955, in einer Vorstadt nahe New York: Hinter dem gepflegten Vorgarten tobt ein Ehekrieg. Frank und April Wheeler, einst ein junges, hoffnungsfrohes und vielversprechendes Paar, drohen unter dem Druck der allgemeinen Erwartungen an eine glückliche Ehe und ein erfolgreiches Berufsleben zugrunde zu gehen. Harmlose Äußerungen entzünden sich zu Hasstiraden und steigern sich zu bedrohlicher Wortlosigkeit.

Richard Yates’ Debütroman machte ihn in den USA schlagartig bekannt und sorgte auch in Deutschland dafür, dass Jahre nach dem Tod des Autors das Yates-Fieber ausbrach.

»Das eindringliche Psychogramm einer Ehe, die von Beginn an den Virus des Scheiterns in sich trägt. (…) Eine Tragödie hinter pastellfarbenen Fassaden.« Brigitte

Autorenporträt
Richard Yates wurde 1926 in Yonkers, New York, geboren und lebte bis zu seinem Tod 1992 in Alabama. Obwohl seine Werke zu Lebzeiten kaum Beachtung fanden, gehören sie heute zum Wichtigsten, was die amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts zu bieten hat. Wie Ernest Hemingway prägte Richard Yates eine Generation von Schriftstellern. Die DVA publiziert Yates' Gesamtwerk auf Deutsch, zuletzt erschien der Roman "Eine strahlende Zukunft". Das Debüt "Zeiten des Aufruhrs" wurde 2009 mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet in den Hauptrollen von Regisseur Sam Mendes verfilmt. "Cold Spring Harbor", zuerst veröffentlicht 1986, ist Yates' letzter vollendeter Roman.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2003

Mannsein als Wille und Wahn
Richard Yates zerlegt den amerikanischen Traum der Fünfziger

Es ist Charme und Schmerz dieses Alters, daß sich das Wollen und das Wissen noch die Waage halten. Der Rasen ist naturgrün und recht kurz geschnitten; der Hang senkt sich dabei schon ein wenig zur Straße hin; der Stein wiegt schwer in den Händen. Eigentlich braucht hier niemand einen Weg, aber was soll's: Das Land ist Amerika, der Job ist in der Stadt, die Ehefrau steht mit einem Glas Sherry in der Küche, die Kinder hüpfen in der Sonne herum, und überhaupt hat man sich schon lange nicht mehr so stark gefühlt. "Die Schläfen schmerzten ihm vor Begeisterung und Triumph, als er einen Felsbrocken aus seinem von weißen Würmern durchwimmelten Bett hob und ihn kopfüber durch das erzitternde Laubwerk rollen ließ, denn er war schließlich ein Mann." Darum geht es. Aber was ist ein Mann?

Und wie faßt man das an, was die anderen Leben nennen; wie fühlt sich das an? Im Grunde ist Frank Wheeler jemand, der auf so eine simple Frage eine Antwort hätte - oder jedenfalls jemand, der auf so eine Frage hin zu einem Monolog ansetzen würde, an dessen spätem Ende er zufrieden in die Runde blicken und gar nicht merken würde, wie viel er geredet und wie wenig er gesagt hätte. Frank Wheeler führt ein Leben, das sich anfühlt wie eine ranzige Packung "Quaker Oats", er ist jemand, der glaubt, sich durch etwas Intelligenz und Zynismus aus dieser Haferflockenidylle von Mittelstandsamerika erheben zu können - dabei ist auch sein Leben schon angefressen vom Schimmel der Lüge.

Frank Wheeler ist gerade dreißig geworden. Den Abend seines Geburtstages verbringt er mit seiner Frau, den Nachmittag mit seiner Geliebten. Richard Yates erzählt das ganz beiläufig und erst am Ende eines Kapitels, in dem er all die Lügen und Selbsttäuschungen ausbreitet, mit denen Frank sein Leben eingerichtet hat; und in dem, wie Yates das tut, wie sich die Überraschung des Helden über sein eigenes Alter mit kindlicher Naivität und der Ahnung von Schuld verbindet, ist der Autor ganz nah bei seinem großen Vorbild: F. Scott Fitzgerald. "Zeiten des Aufruhrs" heißt Yates' Roman, der vor mehr als vierzig Jahren geschrieben wurde und nun auf deutsch erschienen ist. Der große Gatsby ist in der Mittelschicht angekommen.

Als Yates seinen Roman 1961 veröffentlichte, wurde er von der Kritik gefeiert - den National Book Award gewann in jenem Jahr allerdings Walker Percy für sein Buch "Der Kinogeher": auch er erzählt die Geschichte eines Dreißigjährigen. Vielleicht sind es bestimmte Zeiten, in denen sich diese Geschichten besonders gut schreiben lassen, Zeiten, in denen sich im individuellen Spiel von Ambition und Enttäuschung auch die Anlage einer ganzen Gesellschaft spiegeln läßt. Für Fitzgerald waren es die späten Zwanziger, für Yates und Percy die frühen Sechziger, für Bret Easton Ellis oder Jay McInerney waren es die frühen Neunziger. Immer geht es in diesen Büchern um den amerikanischen Traum, der gebaut wurde auf Lügen, Alkohol und schlechten Sex; und immer geht es um die Frage, wie sich Normalität herstellen läßt, ohne dem Konformismus zu erliegen.

Bei Yates sind es die Selbsttäuschungen von Menschen, die nicht merken, daß ihnen genau das Leben zustößt, das sie eigentlich verachten. Es war ein Abend wie immer, die Campells waren zu Gast, Shep und Milly, und April, Franks überaus süße Frau, hatte Highballs für alle gemacht. Aber Frank "versuchte mit allen Mitteln, der erschreckenden, eindeutigen Erkenntnis, daß man sich eigentlich nichts zu sagen hatte, aus dem Weg zu gehen". Ein, zwei Jahre vorher hätten sie noch gemeinsam über die unhaltbaren politischen Zustände herziehen können, über Senator McCarthy etwa, nun aber hat sich das Politische erschöpft, das Private ist unangenehm ins Blickfeld gerückt. Wie brillant war Frank immer gewesen, wie beredt, wie ziellos. Aus der Stadt waren sie hier heraus gezogen, aus New York nach Connecticut. Sie hatten den Suburbia-Traum der fünfziger Jahre gelebt, obwohl sie wußten, daß es nicht ihr Traum war, im Gegenteil. Aber sie hatten nicht gewußt, welchen Preis sie dafür zahlen müssen.

Die große Stärke von "Zeiten des Aufruhrs" ist die Präzision, mit der Yates sich auf die Suche danach macht, wo genau die Lüge anfängt, die dieses Leben durchdringt und vernichtet. Mit welchem Blick es anfängt, mit welcher Geste, mit welchem Wort - vor allem mit welchem Wort. In dem Streit nach dem Debakel der Theateraufführung, mit der das Buch beginnt, wird die Art, wie zwei Menschen sich verfehlen können in ihren Eitelkeiten und Ambitionen, so psychologisch genau geschildert, daß es einen bei der Lektüre fast körperlich schmerzt. Wie die Frau aus Enttäuschung immer härter wird, wie der Mann aus Hilflosigkeit immer gewalttätiger wird. Die Idee mit der Theatergruppe war dabei nur dem Versuch entsprungen, der Mittelmäßigkeit der Umgebung zu entgehen - und endete damit, daß die Lebenslügen entkleidet wurden. "Schau dich an und sag mir, wie du überhaupt nur" - sie warf den Kopf zurück, ihre entblößten Zähne schimmerten weiß im Mondlicht - "wie du überhaupt nur auf die Idee kommen kannst, ein Mann zu sein!"

Manchmal bricht diese etwas ungelenke Modernität durch, in Sprache wie Struktur - aber vor allem in der großen Kluft zwischen Innen und Außen, zwischen Gedachtem und Gesagtem entfaltet der Roman seinen Sog, der ihn auch Jahre nach dem ersten Erscheinen irritierend beiläufig durchzieht. Die Lüge führt hier ihr geheimnisvolles Regime, das ein sehr amerikanisches ist; Frank und April sind sozusagen partners in crime. Sie bewundert ihn und will ihm ihr Leben zu Füßen legen, das Frank dann nur ratlos betrachtet wie einen schweren Stein. Er weiß gar nicht, wie tief ihre Verletzungen sind, aus ihrer Kindheit, aus der verhinderten Abtreibung, aus dem mit Widerstand betriebenen Plan, nach Europa zu gehen, um dort ein Leben zu finden, das diesen Namen verdient. Die Sympathie ist dabei eher bei der Frau, obwohl sie kalt und schwierig erscheint - wenn man so will, hat Yates in dieser Eheskizze Fitzgeralds "Gatsby" und "Zärtlich ist die Nacht" zusammengebracht.

Mit Brutalität und sanfter Sorgfalt zerlegt Yates diese Zwischenwelt des amerikanischen Traums in den Unschuldsjahren der Fünfziger, den glasigen Alkoholismus dieser Vorstadtexistenzen, den beliebigen Karrierismus des selbsterklärten Mittelstandsrebellen Frank, der in der gleichen Riesenfirma arbeitet wie einst sein Vater. Revolutionary Hill heißt die Siedlung, in die die Wheelers gezogen sind, ein Durchschnittsparadies der fünfziger Jahre - und "Revolutionary Hill" heißt der Roman auch im Original, was sehr viel anspielungsreicher, tiefgründiger und dabei beiläufiger ist als der deutsche Titel. Denn Zeiten des Aufruhrs sind es ja gerade nicht, von denen hier erzählt wird. Höchstens vom Aufruhr der Dreißigjährigen, die an die Tore ihrer Träume stoßen.

"Jedenfalls, mit den - mit den Menschen kennt man sich nie richtig aus", sagt die Maklerin, die den Wheelers ihr Haus verkauft hat, zu ihrem Mann, der sich vor Jahren ein Hörgerät angeschafft hat, das er bei Bedarf abstellen kann. Am Ende, als ein anderes Paar in das Haus der Wheelers gezogen ist und seine Frau zu einem ihrer Monologe ansetzt, da tut er genau das. Er schaltet ab. Nicht sehr männlich. Aber effektiv.

GEORG DIEZ

Richard Yates: "Zeiten des Aufruhrs". Roman. Nachwort von Richard Ford. Aus dem Englischen übersetzt von Hans Wolf. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2002. 376 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Amerika in den fünfziger Jahren. In einer Vorstadt von New York leben April und Frank Wheeler einer rosigen Zukunft entgegen. Er arbeitet in der City, sie, erfolgreiche Schauspielschülerin, widmet sich vorerst den Kindern. Während beide noch vom sozialen Aufstieg träumen, bröckelt die Welt hinter der pastellfarbenen Fassade. Der Absturz scheint unvermeidlich. Richard Yates lässt eine Epoche besichtigen und dabei Böses ahnen. Sein prophetischer Gesellschaftsroman von 1961 ist in den USA ein Klassiker und jetzt auch auf Deutsch zu entdecken." (Hörzu)

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.04.2006

Homer des Mittelstandes
Richard Yates und die Kunst der Gegenständlichkeit
„Elf Arten der Einsamkeit” - der Titel von Richard Yates’ Geschichtensammlung ist ungewöhnlich treffend. Dieser Band von Shortstorys, in den Vereinigten Staaten 1962 erschienen, aber erst jetzt ins Deutsche übersetzt, wirkt wie nach einem Plan geschrieben. Seine Kasuistik menschlicher Verlorenheit ist reich und erdrückend. Ein neuer Schüler in einer mittelständischen Schulklasse, der sich durch Armut, Unwissenheit und Verlogenheit blamiert; ein keusches, aber erwartungsvolles Brautpaar, dessen erste erotische Annäherung am Vorabend der Hochzeit traurig misslingt; ein pedantischer Armee-Ausbilder, dessen hingebungsvolle Arbeit mit einer sinnlosen Versetzung zerstört wird; ein Tuberkulose-Kranker, dessen Frau fremdgeht, während er eine endlose Kur im Krankenhaus absitzt; ein angestellter Versager, dem nichts anderes bleibt, als seine Entlassung mit schicksalhafter Ergebenheit anzunehmen - so sehen die Arten der Einsamkeit bei Yates aus.
Seine Geschichten sind bitter und schön, ihr Stil ist deutlich und durchsichtig, ihr Milieu durchschnittlich und zugänglich, ihre Poesie ist tief bewegend. In Amerika wird seit einigen Jahren darüber gerätselt, warum es Richard Yates mit Anerkennung und Erfolg so schwer hat. Es gibt, im Internet leicht zu finden, einen langen Essay von Stewart O’Nan zu dieser Frage. Ein besonders trauriges Beispiel eines „writer’s writer”, eines Autors für Autoren, sei Yates, so O’Nan, denn hier sei nichts von schwieriger Metaphernkunst, nichts von verwickelter Erzähltechnik und intellektualistischem Spiel, das es dem breiten Lesepublikum schwer mache, einen Zugang zu finden. O’Nan hat recht: Yates’ Geschichten sind so packend wie man es sich nur wünschen kann, umweglos und klar aufgebaut, kein Motiv ist zu viel, keines wird liegen gelassen, vorbildlich ist ihre Ökonomie. Technisch vollkommener wurde das knappe Genre der Kurzgeschichte selten bespielt.
So stellt Yates den armseligen neuen Mitschüler der ersten Story vor: „Er kam früh und setzte sich in die hinterste Reihe, kerzengerade, mit exakt unter dem Tisch gekreuzten Füßen, die Hände mitten auf der Schreibplatte verschränkt - als mache ihn die Symmetrie weniger verdächtig; als die übrigen Kinder hintereinander hereinmarschierten und ihre Plätze einnahmen, bedachte ihn jeder mit einem langen ausdruckslosen Blick.” Die Situation ist glasklar, der eine und die Vielen; ihr Potenzial ist noch offen, und darin liegt die Spannung der Geschichte. Es erfüllt sich auf grauenhafte, jedoch absehbare Weise. Der Neue wird, nicht ohne eigenes Zutun, aber auch unvermeidlich, zum lächerlichen Outsider. Nicht die überraschende Wendung, sondern das Eintreffen der übelsten Befürchtungen macht die Wucht der Erzählung aus.
Und so in allen elf Arten der Einsamkeit. Ein Angestellter, der im tiefsten Inneren weiß, dass er der ewige Verlierer ist, erwartet seine Entlassung, und er wird entlassen - auf die peinigende Szene der Kündigung ist er so gut vorbereitet, dass sie ihm wie eine Abfolge wohlkalkulierter Filmschnitte erscheint, so beim Verlassen des Chefbüros, wo er sich selbst mit dem Auge einer Kamera zu sehen meint, die vor ihm hergeht, um seinen Abgang zu filmen.
Wenn Yates sich trotz vorzüglicher kritischer Resonanz und einmütiger Hochschätzung durch Kollegen wie Richard Ford oder Joyce Carol Oates nie wirklich durchgesetzt hat - der „New Yorker” lehnte zu seinen Lebzeiten alle Geschichten von ihm ab -, dann muss es an der profunden Trostlosigkeit liegen, die seine Erzählungen auszeichnet. Das gilt auch für seinen berühmtesten Roman, der seinen Weg erst spät ins Deutsche nahm und der jetzt einen verdienten kanonischen Platz in der Manesse-Bibliothek der Weltliteratur gefunden hat: „Revolutionary Road”, übersetzt mit „Zeiten des Aufruhrs”.
Auch ihn zeichnet diese erdrückende Unvermeidlichkeit aus, im Großen wie im Kleinen. Schon die berühmte meisterhafte Ouvertüre, die das peinigende Scheitern einer ambitionierten Laienaufführung eines Theaterstücks von Szene zu Szene nachzeichnet, hat diese albtraumhafte Absehbarkeit. Für die Hauptdarstellerin - eine der Hauptfiguren des Romans - zerschlägt sich an diesem Abend ein Traum von Künstlertum und Ausbruch aus einer spießigen Umgebung; ihr Ehemann vermag sie nicht zu trösten, und die hässlichen Streitereien auf der Heimfahrt von der verpatzten Premiere präludieren einem Elend, das dieses Scheitern ins Große des ganzen Lebens projiziert. So sieht der Mann bei der Ankunft daheim ihr Haus: „Das Haus war dunkel; als er heranfuhr, ließ ihn dessen Anblick, eine langgezogene milchige Silhouette im Dunkel von Bäumen und Himmel, an den Tod denken.” Und darin ist schon alles beschlossen, was das Buch in den folgenden 500 Seiten erfüllt.
So trostlos Yates’ Erzählungen und sein großer Roman sind, so bewegend schön sind sie. Dies mag an ihrem schwer fassbaren Untergrund von Bekümmernis und Erbarmen liegen; sie sind nicht kalt. Vielleicht auch an den Spuren Humors, die trauervoll und warm in ihnen auftauchen. Der neue Mitschüler kommt aus New York City; und „normalerweise trug der Umstand, dass einer aus New York kam, dem Betreffenden ein gewisses Prestige ein . . . Andererseits war auf den ersten Blick zu erkennen, dass Vincent Sabella überhaupt nichts mit Wolkenkratzern zu tun hatte”.
Entscheidend aber dürfte eine genuin ästhetische Qualität sein: die Gegenständlichkeit von Yates’ Erzählen. Es bietet Anlass, auf den Unterschied von Realismus und Gegenständlichkeit hinzuweisen, der die Geschichte des modernen Romans begleitet. Realistisch sind Erzählungen, die mit Informationen, Kausalitäten und Psychologie operieren, also an das alltägliche Verständnis von Wirklichkeit anknüpfen. Solche Romane können - man denke an Zola oder Tom Wolfe - mit ihrer Detailfülle und Beobachtungsgabe unterhaltsam und welterschließend sein, doch im Kern bleiben sie narrativer Journalismus, der gerade so viel Poesie enthält wie es auch gute Reportagen tun.
Gegenständlichkeit dagegen ist eine genuin dichterische Qualität, wenn man so will: das Homerische unter modernen Bedingungen. Sein Meister ist Gustave Flaubert, vor allem der Flaubert der „Madame Bovary” oder des „Einfachen Herzens”. Die gläserne, farbige, sinnliche Deutlichkeit dieser Kunst bleibt hintergründig und vieldeutig, sie ähnelt in vieler Hinsicht hyperrealistischer Malerei von der Art Edward Hoppers. Große Teile der besten amerikanischen Erzählkunst haben diesen raffiniert einfachen homerischen Zug, ihre Spannung entwickelt sich nicht in den überraschenden Wendungen eines Plots, sondern in der ausmalenden Entwicklung einer Situation. Yates’ Geschichten sind fast pointenlos, meist unanekdotisch - die Züge des Novellistischen, die auch bei ihm zu finden sind, so im längsten, letzten und schwächsten Stück der „Elf Einsamkeiten”, tun seiner Prosa nie gut.
Anlage und Stil gegenständlicher Literatur kommen in ihren besten Momenten zur vollkommenen Deckung: Der Stil ist so dicht gefügt und schmucklos, dass er mit der Komposition der jeweiligen Geschichte, ihrem Rhythmus und ihren Motiven, zusammenfällt. Flauberts Ästhetik des mot juste, des punktgenau treffenden Worts, findet hier ihre zeitgemäße Ausprägung. Die Spannung von Artistik und Realismus ist im perfekten Zusammenklang aufgehoben - und damit ist auch gesagt, dass das Lob, bei Yates werde der „amerikanische Traum demontiert”, ihn banalisiert und verfehlt.
Richard Yates (1926 bis 1992), der ein von Alkoholismus und exzessivem Zigarettenkonsum verkürztes Leben als freier Autor und Hochschullehrer für „creative writing” führte, das ihm einigen Ruhm, aber nur mäßigen Erfolg brachte, ist mittlerweile ein Klassiker der amerikanischen Moderne, dem die Kenner nur noch John Cheever an die Seite stellen. Deutsche Leser können ihn nun in zwei vorzüglich übersetzten Bänden entdecken. Eine höhere Kunst der Einfachheit können sie schwerlich finden.
GUSTAV SEIBT
RICHARD YATES: Elf Arten der Einsamkeit. Short stories. Aus dem Amerikanischen von Anette Grube und Hans Wolf. Deutsche Verlagsanstalt, München 2006. 285 Seiten, 19,90 Euro.
RICHARD YATES: Zeiten des Aufruhrs. Roman. Aus dem Amerikanischen von Hans Wolf. Nachwort von Eva Menasse. Manesse Verlag, Zürich 2006. 570 Seiten, 23,50 Euro.
Erzähler der Einsamkeit: Richard Yates
Foto: DVA
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Michael Schmitt ist froh, dass Richards Yates' lange Zeit weitgehend unbekannte Werke jetzt, vierzehn Jahre nach dessen Tod, auch für deutschsprachige Leser erscheinen. Denn Yates' großartige Beobachtungsgabe und präzise Beschreibung der Charaktere sollten keinem vorenthalten werden. Schmitt ist beeindruckt, wie der Autor seine Figuren mit all ihren Schwächen so darstellt, dass der Leser sie trotzdem nicht dafür verurteilt und auf diese herabschaut, sondern sich stattdessen mit ihnen identifiziert. In dem Roman "Zeiten des Aufruhrs", der in den Vereinigten Staaten bereits Anfang der sechziger Jahre erschien, protokolliere der Autor äußerst detailliert und ungeschönt das Alltagsleben in einem New Yorker Vorort. Schmitt ist begeistert von diesem Porträt der amerikanischen Gesellschaft, die zu jener Zeit enorme Veränderungen erlebte: Man hatte plötzlich mehr Freiheiten, konnte aber auch sehr schnell einsam werden. Ebenso eingenommen ist der Rezensent von der Übersetzung von Hans Wolf, die Yates' Genauigkeit beim Erzählen auch im Deutschen bewahrt hat.

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»Ein scharfkantiges, wahres Buch, menschlich, modern und erwartet witzig.« Zeit online