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Die moderne Zeit gilt als universal; die Industriegesellschaften scheinen den linearen und abstrakt-homogenen Zeitbegriff gemeinsam zu haben. Doch wie sieht die Zeitvorstellung in einem so fremden und zugleich modernen Land wie Japan aus, wo die nach westlichem Vorbild übernommene chronometrische Zeit vom Staat eingeführt wurde und den Alltag zu beherrschen scheint? Wie verstehen japanische Frauen und Männer ihre Arbeitszeit, Freizeit, Lebenszeit und Zukunft? Sonja Gabbani-Hedmans detaillierte Analyse lebensgeschichtlicher Erzählungen von Japanern aus der Großstadt Nagoya bringt sehr…mehr

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Produktbeschreibung
Die moderne Zeit gilt als universal; die Industriegesellschaften scheinen den linearen und abstrakt-homogenen Zeitbegriff gemeinsam zu haben. Doch wie sieht die Zeitvorstellung in einem so fremden und zugleich modernen Land wie Japan aus, wo die nach westlichem Vorbild übernommene chronometrische Zeit vom Staat eingeführt wurde und den Alltag zu beherrschen scheint? Wie verstehen japanische Frauen und Männer ihre Arbeitszeit, Freizeit, Lebenszeit und Zukunft? Sonja Gabbani-Hedmans detaillierte Analyse lebensgeschichtlicher Erzählungen von Japanern aus der Großstadt Nagoya bringt sehr vielfältige Zeitvorstellungen zum Vorschein. Diese stellen die Universalität des linearen, abstrakt-homogenen Zeitbegriffs in Frage, der sich von der konkreten sozialen Lebenswirklichkeit der Menschen abgelöst hat. Der Blick auf Japan führt schließlich zur Reflexion über die Zeiterfahrungen in der eigenen Gesellschaft.

Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.

Autorenporträt
Dr. Sonja Gabbani-Hedman ist Unternehmensberaterin für interkulturelle Kommunikation mit den Länderschwerpunkten Japan, Deutschland und Schweden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2006

Arbeiten gefährdet Ihren Lebensplan
Jetzt aber flott, wenn ich bitten darf: Sonja Gabbani-Hedman mißt japanische Zeit im Sauseschritt

Japans hohes Lebenstempo zeigt sich auch in der Grußformel "omatase shimashita!" (ich habe Sie warten lassen) des Personals in den Cafés. Die Zeit als Kalkulationsmasse und Gesellschaftskitt prägt das Verhalten, die Dienstleistungen und die Lebensentwürfe.

Doch hinter der Oberfläche der chronometrischen Zeit, so Sonja Gabbani-Hedmans Annahme, liegt eine folkloristische Zeit. Japans staatliche Kalender- und Zeitreform von 1873 verdrängte auf den ersten Blick die zyklischen und bedeutungsvollen Zeitmuster wie die am chinesischen Tierkreis orientierte Einteilung eines Tages und einer Nacht in jeweils sechs Einheiten und den Mond-Sonnen-Kalender, der neben lokalen rituellen Kalendern existierte. Paradoxerweise ermöglichte erst die Übernahme der präzisen Uhrzeit, des christlichen Kalendersystems und der Weltstandardzeit Japans gesellschaftliche Homogenisierung und Synchronisierung.

Der Aufbau eines zentralisierten Nationalstaates, der die Feudalgesellschaft ablöste, ging mit der staatlichen Durchsetzung der universalen Zeit bei der Einführung der allgemeinen Schul- und Wehrpflicht, der Rationalisierung der Bürokratie und der Betriebe und bei der Koordination der Eisenbahnreisen einher. Neu war die Erfahrung zeitlich begrenzter öffentlicher Veranstaltungen wie Theaterstücke oder Sumo-Wettkämpfe seit den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, nachdem die Zuschauer bis dahin während der laufenden, zeitlich vage festgelegten Vorstellung kamen und gingen. Nach 1945 gelang der endgültige Sieg der westlichen Disziplinarzeit, die Etablierung der "Bildungsganggesellschaft" und die Institutionalisierung der Lebensläufe.

Auf der Suche nach den Schattenorten der dominanten Zeit begibt sich die Autorin in einem Stadtbezirk von Nagoya, der während des Wirtschaftsaufschwungs in den sechziger Jahren einem infrastrukturellen Wandel unterworfen war. Anhand von Lebenserzählungen älterer Bewohner macht sie Zeitkonzepte und Lebensideologien lebendig und verortet den Verlust von Zeitsouveränität an der autobiographischen Schnittstelle zwischen agrarischen und urbanen Gesellschaften.

In der Standardbiographie des japanischen Angestellten erkennt die Autorin unter Rückgriff auf Pierre Bourdieu eine "biographische Illusion" und ein von Brüchen geprägtes Konzept der Linearität, ein postmodernes Ablaufprogramm von "kurzfristigen institutionellen Arrangements". Augenfällig in den Interviews ist, das die Zukunft fehlt, was durchaus mit der syntaktischen Struktur des Japanischen zusammenhängt.

Die Gründe für eine fehlende Lebensplanung liegen in der Abfolge von Zugehörigkeiten und Identitäten, in der Hierarchie von Verpflichtungen und Institutionen wie Schule, Universität und Betrieb, innerhalb deren Lebenslaufentscheidungen von der universitären Arbeitsvermittlung bis hin zu firmenintern arrangierten Hochzeiten getroffen werden.

In Japan sind die Grenzen zwischen Privatheit und Berufsleben, Arbeit und Freizeit, Haushalt und Berufsarbeit fließend, wie die "Hausfrauendebatte" um die Entlohnung der Hausarbeit in den 1960er Jahren belegt.

Die Studie betont die lokale Ausdehnung von Zeit in "kleinräumlich organisierten Sozialeinheiten" im Alltag, die als soziale Verpflichtung und unter möglicher Umgehung des Arbeitsvertrags das Phänomen des "zu viel Arbeitens" (hataraki-sugi) erklärt. Das räumlich-kontextuelle Zeitverständnis begründet auch die Koexistenz einer öffentlichen und privaten Sphäre in der fernöstlichen Unternehmenskultur, was sich in der obligatorischen Geselligkeit von Firmenfeiern und Trinkgelagen mit Kollegen und Vorgesetzten äußert.

Die Autorin vermutet hinter dem fluchtpunktlosen Sprechen ihrer japanischen Informanten, welche lebensgeschichtliche Ereignisse nicht in einen kohärenten Zusammenhang bringen, kollektive, auf Gabe-Gegengabe-Verhältnissen basierende Zeitregelungen und ein gemeinsames "Zeiten" (timing). Tempo, Tempo - die Zeit zur Lektüre ist kostbar.

STEFFEN GNAM.

Sonja Gabbani-Hedman: "Zeitvorstellungen in Japan". Reflexionen über den uni-versalen Zeitbegriff. Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden 2006. 290 S., br., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Interessant scheint Rezensent Steffen Gnam diese Studie über "Zeitvorstellungen in Japan", die Sonja Gabbani-Hedmans vorgelegt hat. Er bescheinigt der Autorin, die Bedeutung der Einführung der präzisen Uhrzeit, des christlichen Kalendersystems und der Weltstandardzeit in Japan 1873 für die Modernisierung des Landes aufzuzeigen. Hinter der Oberfläche der Herrschaft des westlichen Zeitbegriffs haben sich indes folkloristische Zeitvorstellungen erhalten. In diesen Zusammenhang hebt Gnam die von Gabbani-Hedmans untersuchten lebensgeschichtlichen Erzählungen von älteren Bewohnern Nagoyas hervor, die von anderen Zeitkonzepten erzählen. Deutlich wird für Gnam, dass der Übergang von der agrarischen zur urbanen Gesellschaft in Japan einen Verlust von Zeitsouveränität nach sich zog. Besonders aufschlussreich findet er hier Gabbani-Hedmans Deutung der Standardbiografie des japanischen Angestellten als "biografische Illusion".

© Perlentaucher Medien GmbH