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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ein ordnungsethischer Blick auf das Reich der Mitte
Da sich seit dem Überfall Putins auf die Ukraine auch Chinas politische Entscheidungen verändert hätten, müsse Deutschlands Umgang mit China neu bedacht werden, hieß es in einem Mitte Juli in der F.A.Z. erschienenen Bericht zur Chinastrategie der Bundesregierung. China sei gleichzeitig Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale. Partner und Wettbewerber sind alle Staaten, mit denen Deutschland Handel treibt, aber bloß China gilt als systemischer Rivale. Um zu wissen, was das im Rahmen der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung heißt, müssen wir China und sein Handeln in der Welt besser verstehen, schreibt Jens Spahn in seinem Geleitwort zu der Studie von Elmar Nass, in der dieser Chinas Wirtschaft aus ordnungsethischer Sicht analysiert. Elmar Nass ist katholischer Theologe sowie Sozial- und Wirtschaftsethiker. Er hat den Lehrstuhl für Christliche Sozialwissenschaften und gesellschaftlichen Dialog an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie inne.
Was ist denn nun an Chinas Wirtschaftsordnung so anders, dass wir es mit dem Alleinstellungsmerkmal "systemischer Rivale" versehen können? Elmar Nass prüft daher, was den Sozialismus chinesischer Prägung ausmacht. Chinas Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wird auch als sozialistische Marktwirtschaft bezeichnet. Haben wir es mit einem Spannungsverhältnis oder einer Symbiose zu tun? Die von Elmar Nass ins Zentrum seiner Analyse gestellte "Vogelkäfig-Analogie" klärt auf. Sie wird seit dem Reformer Deng Xiaoping als die gültige Position der Kommunistischen Partei Chinas (KPChin) angesehen: Die chinesische Wirtschaft sei der Vogel; der Käfig, das heißt die Parteikontrolle, sei zu erweitern, damit der Vogel gesünder und kräftiger werde, aber man dürfe den Käfig nicht öffnen oder entfernen, damit der Vogel nicht wegfliege.
Der Käfig selbst ist durch die vier Grundprinzipien definiert: Festhalten am sozialistischen Weg, an der demokratischen Diktatur des Volks, an der Führung durch die Kommunistische Partei und am Marxismus-Leninismus und den Ideen von Mao Tse-tung. Die Kommunistische Partei Chinas will dem Individuum Freiraum geben, um sich in der marktwirtschaftlichen Welt zu bewähren. Der Mensch sei keine willenlose Marionette, doch solle er sich sozialistischen Idealen verpflichtet fühlen. Natürlich lässt sich der Käfig auch verengen, wie es derzeit unter dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Staatspräsidenten, Xi Jinping, geschieht.
Die Legitimation für die Herrschaft der Partei ist nicht mehr die proletarische Weltrevolution, sondern Wohlstand und Patriotismus. Die chinesische Führung weiß um die wohlfahrtsschaffende Kraft des Außenhandels, doch sieht sie ihn nicht bloß als Arbeitsteilung zwischen Nationen, sondern immer auch aus der Perspektive des Patriotismus.
Die deutsche Bundesregierung nimmt an, dass Chinas Wirtschaftsstrategie danach trachte, die Abhängigkeit vom Ausland zu verringern und gleichzeitig die Abhängigkeit internationaler Produktionsketten von China zu verstärken. Doch ist der Austausch interdependent, und Erpressungsversuche enden meist damit, dass die Handelspartner sich gegenseitig schädigen. Die Bundesregierung sollte eher Antworten darauf finden, so können wir Elmar Nass verstehen, wie China seine weltwirtschaftlichen Ambitionen durch Ankauf strategischer Brückenköpfe und über Infrastrukturinvestitionen in seinen Interessengebieten wahrnimmt. Deutschland und die Europäische Union (EU) binden dagegen Außenhandel und Investitionsprojekte an westliche Werte, wozu auch die Wahrung von Sozialstandards gehört. Daher wenden sich die potentiellen Adressaten lieber China zu, dessen patriotische Interessen nicht auf die Wahrung der Menschenrechte in den Zielländern ausgerichtet sind.
Ein praktisches Beispiel für chinesischen Patriotismus ist die Umsetzung des Projekts "Neue Seidenstraße". Das wird den Fernhandel beleben, weil neben dem Seeweg Verkehrsmagistralen auf dem Festland erschlossen werden. Die Vergabe von Krediten und Aufträgen für den Bau der notwendigen Infrastruktur erfolgt ganz im Sinne des chinesischen Patriotismus. Doch dämmert es den lokalen Politikern inzwischen, dass die Chinesen es mit ihrem Patriotismus übertreiben. Deutschland und die EU sollten ihren Einfluss und ihre Fähigkeiten nutzen, um aus diesem Projekt eine Situation zu machen, von der alle profitieren.
Erhellend sind auch die Überlegungen von Elmar Nass zu den Konsequenzen des neokonfuzianischen Konzepts weltweiter Harmonie. Die Ablösung des weltwirtschaftlichen Wettbewerbsprinzips durch allseitige Harmonie setzt eine Instanz voraus, die diese konstituiert und bewahrt. Das lässt die Frage aufkommen, ob nach der "Pax Britannica" und der "Pax Americana" nun die Ära "Pax Sinaica" anbricht. Die Chinastudie von Elmar Nass legt nahe, in die universitäre Ausbildung von Chinakennern zu investieren, auch um unseren systemischen Rivalen besser verstehen und einschätzen zu können. Etwa 50 Professuren für Sinologie gibt es zurzeit an unseren Universitäten und Hochschulen im Vergleich zu 173 Professuren für Gender Studies. JOACHIM STARBATTY
Elmar Nass: Ziele und Werte "sozialistischer Marktwirtschaften". Chinas Wirtschaft aus ordnungsethischer Sicht.
Reihe Wirtschaft kontrovers, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2023, 154 Seiten, 25 Euro.
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