Der Zölibat verpflichtet katholische Priester zur Ehelosigkeit. Trotz sexuellem Missbrauch durch Priester wird er bis heute als ein Grundpfeiler der Kirche verteidigt. Hubert Wolf zeigt dagegen, dass der Zölibat gar nicht so alt ist und es heute bereits verheiratete Priester gibt. Er hinterfragt die diversen Begründungen und findet gute Gründe dafür, den Zölibat endlich abzuschaffen. Sein kirchenhistorisch profunder, glasklar argumentierender Weckruf sollte auch im Vatikan gehört werden. Die Ehelosigkeit der Priester wurde mit ihrer kultischen Reinheit begründet. Sie diente dem Schutz der Kirche vor Erbansprüchen legitimer Söhne und später zur Abgrenzung von den Protestanten. Noch von Johannes Paul II. wurde der Zölibat mit Verweis auf Jesus spirituell verklärt. Doch gehäufte Missbrauchsfälle lassen fragen, ob die priesterliche Ehelosigkeit immer heilsam ist. Hubert Wolf stellt die umstrittene Einrichtung rigoros auf den kirchenhistorischen Prüfstand. Er erklärt, wie es zum Zölibat kam, warum die alten Argumente nicht mehr ziehen und welche guten Gründe es heute dagegen gibt: Ausnahmen vom Zölibat haben sich bewährt, der Priestermangel könnte behoben und die Gefahr des Missbrauchs eingedämmt werden. In einem gibt Hubert Wolf den Fürsprechern des Zölibats allerdings recht: Mit seinem Wegfall könnte das klerikale System mit seiner Geringschätzung von «Laien» und Frauen insgesamt zur Disposition stehen. Und das wäre auch gut so.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.07.2019Den Engeln ähnlich
Mit dem mittelalterlichen Enthaltsamkeitsgebot des Zölibats steht
sich die katholische Kirche selbst im Weg. Mit seinem neuen Buch liefert der Kirchenhistoriker
Hubert Wolf der Debatte neuen Zündstoff und Zölibatsgegnern Argumente
VON RUDOLF NEUMAIER
Es gibt noch Katholiken, die Engeln alles zutrauen. Dem Teufel auch. „Beten wir zum Erzengel Michael“, hat ein besonders frommer Engelfreund vor wenigen Tagen seine Facebook-Freunde aufgerufen, „dass er die Kirche vor den Plänen des Widersachers beschützt!“ Anlass war ein Treffen, bei dem soeben Kleriker und Theologen in Rom den Zölibat erörterten, jenes Enthaltsamkeitsgebot, das in der katholischen Kirche seit dem Mittelalter vorgeschrieben ist.
Für die Engelverehrer ist der Zölibat sakrosankt und jeder öffentlich vorgebrachte Zweifel dagegen eine Sünde. Mit inhaltlichen Erläuterungen halten sie sich bisher zurück, der Teufel scheint ihr einziges Argument zu sein. Und jetzt kommt auch noch ein geweihter Priester und wirft ihnen 16 gründlich fundierte Thesen vor den Betschemel, von denen jede einzelne den Zölibat sehr, sehr alt aussehen lässt.
Der Münsteraner Theologe Hubert Wolf, 59, hat sich erstmals in seiner nun doch schon gut 30 Jahre währenden Beschäftigung mit der Kirchengeschichte ausführlich und explizit mit dem Zölibat beschäftigt. Sein Fazit: Es gibt keinen theologisch haltbaren Grund, warum die Kirche daran festhalten soll. Im Gegenteil. Alle Argumente haben sich von selbst erledigt oder sind von der Geschichte bloßgestellt worden.
Seit jeher streitet die Kirche über dieses Thema. Diese historische Dimension des ewigen Streitfalls macht einem Wolfs Buch bewusst. Es erscheint in der kommenden Woche unter dem Titel „Zölibat. 16 Thesen“ bei C.H. Beck (190 Seiten, 14,95 Euro). Der Zölibat ist nicht erst im 20. Jahrhundert für altmodisch und grausam erklärt worden. Gegner gibt es, seit es ihn gibt. Die Befürworter haben sich jedoch immer neue Begründungen einfallen lassen.
Zu den rührendsten Rechtfertigungen gehörte der Wunsch von Papst Pius X., dass Priester durch den Glanz ihrer heiligen Keuschheit „den Engeln ähnlich“ werden sollen. Das beschere ihnen die Hochachtung der Gläubigen und verleihe ihnen „übernatürliche Segenskraft“. Segenskraft durch Verzicht auf Sex? Zweifellos konnten sich schon im Jahr 1908, als Pius’ Lehrschreiben erschien, nur noch die ergebensten unter den Kirchentreuen vorstellen, dass die Enthaltsamkeit flächendeckend praktiziert wurde. Spätestens seit den Enthüllungen sexuellen Missbrauchs durch Priester in allen Teilen der Welt und seit solche Fälle in den Archiven aufgespürt werden, ist der verschwurbelte Engelsvergleich als Heuchelei überführt.
Und heute? Gehen den Zölibatsbefürwortern die Argumente aus. Die längst fällige Abschaffung ist die letzte Chance der katholischen Kirche, unter Beweis zu stellen, dass sie wenigstens zu einem kleinen Schritt in Richtung Weltoffenheit fähig ist. Wegen ihres Umgangs mit Frauen, mit Schwulen und Geschiedenen, die wieder heiraten wollen, nehmen viele Menschen sie nicht mehr ernst oder nicht mehr wahr. Die einst einflussreichste Institution neben staatlichen Gewalten hat sich durch ihre Unnachgiebigkeit in eine Randlage befördert, in der sie dem Großteil gleichgültig ist.
Aber so tief in die düstere Gegenwart braucht der Kirchenhistoriker und Priester Hubert Wolf nicht einmal vorzudringen, um den Zölibat zu demontieren. Dafür reicht ihm eigentlich schon ein kircheninternes Problem, das er den Bischöfen ziemlich genüsslich mit dem Titel „Güterabwägung“ unter die Nase reibt, um Wolfs mitunter frechen Stil aufzugreifen. Der Lehre nach gehört es zu den elementarsten Pflichten des Katholiken, dass er sonntags und an kirchlichen Feiertagen an der Eucharistiefeier teilnimmt. Die Liturgie ist „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“. Doch nur ein geweihter Priester kann sie leiten. Nur er kann die Substanz des Brotes und die Substanz des Weines wesentlich und dauerhaft in den wahren Leib und das wahre Blut Christi verwandeln. So die Lehre.
Was aber, fragt Wolf, wenn nun kein geweihter Priester mehr da ist, weil die Kirche nur unverheiratete Männer ordiniert? Wie sollen die Menschen denn dann zu ihrer Eucharistie kommen, und wie sollen sie letztendlich Seelenheil erlangen, wenn ihnen die regelmäßige Teilnahme am Abendmahl vorenthalten bleibt? Wenn sie ihre Sonntagspflicht nicht mehr erfüllen können? Wolf zitiert gleich zu Beginn seines Buches den im brasilianischen Xingu wirkenden Bischof Erwin Kräutler mit einem Hilferuf an die Kurie in Rom, wonach mehr als zwei Drittel der Katholiken seiner Diözese nicht öfter als dreimal im Jahr die Kommunion empfangen können. Das Bistum Xingu ist flächenmäßig größer als Deutschland. 31 Priester wirken dort für 380 000 Katholiken. Bei der Amazonas-Synode im kommenden Herbst werden südamerikanische Bischöfe in Rom eine Lösung ihres Priesterproblems einfordern. Und sie werden dem Papst Wolfs Buch vorlesen, wenn er es bis dahin nicht schon selbst gelesen hat.
In europäischen Diözesen entwickeln sich die Zahlen ebenfalls in Richtung flächendeckender Priesterausfall: Der katholischen Kirche gehen die Geistlichen derzeit schneller aus als die Gläubigen. Für die sonntägliche Eucharistie gibt es bald keine Gewähr mehr. So gesehen versündigt sich die Kirche an ihren eigenen Gläubigen, wenn sie weiterhin stur auf einer überholten Tradition beharrt. Und das ist es ja nur: eine Tradition. Dem wissenschaftlichen Pragmatiker Wolf bereitet es sichtlich Freude, seinen vergeistigten und weltentrückten Brüdern im Glauben und Kollegen im theologischen Dienst ihre selbstfabrizierten Widersprüche aufzuzeigen: Historiker gegen Dogmatikern und Fundamentaltheoretiker – wer behält die Oberhand?
Einerseits versteigen sich die Zölibatsverteidiger auf das per naturam festgeschriebene göttliche Gebot, jeder sexuelle Akt müsse auf das Zeugen von Kindern ausgerichtet sein. Nach der katholischen Lehre verlange Gott von allen Menschen, fruchtbar zu sein. Dann, sagt Wolf, dürfte doch eigentlich „kein kirchliches Gesetz dem unveränderlichen Naturrecht widersprechen“. Vor diesem Hintergrund habe der Philosoph Friedrich Wilhelm Carové den Zölibat schon im frühen 19. Jahrhundert als zutiefst unmenschlich gebrandmarkt – „als körperliche und geistige Sklaverei“.
Die Aufklärung zeigte damals Wirkung auch in Kirchenfragen. Die Anti-Zölibats-Bewegung war in dieser Zeit rege. Sogar in der Frankfurter Paulskirche wurde 1848 darüber beraten, 110 Abgeordnete beantragten Verhandlungen mit der Kurie über die Aufhebung der Zwangsehelosigkeit, die nach römisch-katholischer Auslegung mit dem Verbot sexueller Handlungen an sich und anderen einherging. Allein die Beharrungskräfte in Rom setzten sich durch.
Das Überwinden des Zölibats wäre ein später Erfolg der Aufklärung gegen die Obskuranten, die Dunkelmänner – dieser Begriff als Reminiszenz an die Antihumanisten des 16. Jahrhunderts ist in Vergessenheit geraten. Er eignet sich aber noch, wenn man in den Foren gedungener Traditionalisten mitliest: Die Dunkelmänner greifen Wolf als „ultraprogressista“ an und als Mitglied einer „Mafia der Kirchenzersetzer“. Es fragt sich allerdings, ob unter den Hierarchen im römischen Amtsklerus die Einsicht obsiegt, dass die Kirche mit ihrer herkömmlichen Von-oben-herab-Struktur am Ende ist und viri probati – gute Männer – braucht, die im Leben stehen. Oder ob sie nach Obskuranten-Art fortregieren und der Welt absolute Enthaltsamkeit vorgaukeln will, wo gleichzeitig hier der Prälat die Männersauna besucht und dort der Domherr ein Kind großzieht, das nie über seinen Vater reden darf.
Progressiv ist es nicht, Befunde aus Bibel, Geschichte und Gegenwart auf den Tisch zu legen. Dass zum Beispiel der Chefapostel Petrus verheiratet war und trotzdem eine komplette Religionsgründung ins Werk setzen konnte. Und dass Priester, Bischöfe und Päpste offen mit Frauen liiert waren. Und dass Kirchenfürsten kein Hehl aus dem rein ökonomischen Kalkül machten, das hinter dem Zölibat steckte. Denn Pfarrer ohne Familie vererbten der Kirche und nicht an Kinder. Bis Papst Gregor VII. im 11. Jahrhundert die Regel verschärfte, hatten viele Bischöfe offiziell verheiratete Männer zu Priestern geweiht, wenn auch mit der ebenso strengen wie absurden Vorgabe, sie hätten sich in der Ehe gefälligst von ihren Frauen fernzuhalten. Einwände wie die des Gelehrten Lampert von Hersfeld hat die Kirche seither konsequent überhört. Der Papst, schrieb Lampert, lockere „nur der Hurerei und Ausschweifung die Zügel“ und versperre „dem Naturtrieb die gewohnte Bahn“. Papst Franziskus hätte einiges gutzumachen.
In manchen Gegenden gibt es so
wenige Priester, dass nur drei
Mal im Jahr Messe gefeiert wird
In der Bibel findet sich
gar kein solches Gebot, selbst
Petrus war verheiratet
Hubert Wolf: 16 Thesen gegen den Zölibat. Foto: KNA
Vollkommene Entsagung: Am Leben und an der Bibel vorbei.
Foto: akg-images
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Mit dem mittelalterlichen Enthaltsamkeitsgebot des Zölibats steht
sich die katholische Kirche selbst im Weg. Mit seinem neuen Buch liefert der Kirchenhistoriker
Hubert Wolf der Debatte neuen Zündstoff und Zölibatsgegnern Argumente
VON RUDOLF NEUMAIER
Es gibt noch Katholiken, die Engeln alles zutrauen. Dem Teufel auch. „Beten wir zum Erzengel Michael“, hat ein besonders frommer Engelfreund vor wenigen Tagen seine Facebook-Freunde aufgerufen, „dass er die Kirche vor den Plänen des Widersachers beschützt!“ Anlass war ein Treffen, bei dem soeben Kleriker und Theologen in Rom den Zölibat erörterten, jenes Enthaltsamkeitsgebot, das in der katholischen Kirche seit dem Mittelalter vorgeschrieben ist.
Für die Engelverehrer ist der Zölibat sakrosankt und jeder öffentlich vorgebrachte Zweifel dagegen eine Sünde. Mit inhaltlichen Erläuterungen halten sie sich bisher zurück, der Teufel scheint ihr einziges Argument zu sein. Und jetzt kommt auch noch ein geweihter Priester und wirft ihnen 16 gründlich fundierte Thesen vor den Betschemel, von denen jede einzelne den Zölibat sehr, sehr alt aussehen lässt.
Der Münsteraner Theologe Hubert Wolf, 59, hat sich erstmals in seiner nun doch schon gut 30 Jahre währenden Beschäftigung mit der Kirchengeschichte ausführlich und explizit mit dem Zölibat beschäftigt. Sein Fazit: Es gibt keinen theologisch haltbaren Grund, warum die Kirche daran festhalten soll. Im Gegenteil. Alle Argumente haben sich von selbst erledigt oder sind von der Geschichte bloßgestellt worden.
Seit jeher streitet die Kirche über dieses Thema. Diese historische Dimension des ewigen Streitfalls macht einem Wolfs Buch bewusst. Es erscheint in der kommenden Woche unter dem Titel „Zölibat. 16 Thesen“ bei C.H. Beck (190 Seiten, 14,95 Euro). Der Zölibat ist nicht erst im 20. Jahrhundert für altmodisch und grausam erklärt worden. Gegner gibt es, seit es ihn gibt. Die Befürworter haben sich jedoch immer neue Begründungen einfallen lassen.
Zu den rührendsten Rechtfertigungen gehörte der Wunsch von Papst Pius X., dass Priester durch den Glanz ihrer heiligen Keuschheit „den Engeln ähnlich“ werden sollen. Das beschere ihnen die Hochachtung der Gläubigen und verleihe ihnen „übernatürliche Segenskraft“. Segenskraft durch Verzicht auf Sex? Zweifellos konnten sich schon im Jahr 1908, als Pius’ Lehrschreiben erschien, nur noch die ergebensten unter den Kirchentreuen vorstellen, dass die Enthaltsamkeit flächendeckend praktiziert wurde. Spätestens seit den Enthüllungen sexuellen Missbrauchs durch Priester in allen Teilen der Welt und seit solche Fälle in den Archiven aufgespürt werden, ist der verschwurbelte Engelsvergleich als Heuchelei überführt.
Und heute? Gehen den Zölibatsbefürwortern die Argumente aus. Die längst fällige Abschaffung ist die letzte Chance der katholischen Kirche, unter Beweis zu stellen, dass sie wenigstens zu einem kleinen Schritt in Richtung Weltoffenheit fähig ist. Wegen ihres Umgangs mit Frauen, mit Schwulen und Geschiedenen, die wieder heiraten wollen, nehmen viele Menschen sie nicht mehr ernst oder nicht mehr wahr. Die einst einflussreichste Institution neben staatlichen Gewalten hat sich durch ihre Unnachgiebigkeit in eine Randlage befördert, in der sie dem Großteil gleichgültig ist.
Aber so tief in die düstere Gegenwart braucht der Kirchenhistoriker und Priester Hubert Wolf nicht einmal vorzudringen, um den Zölibat zu demontieren. Dafür reicht ihm eigentlich schon ein kircheninternes Problem, das er den Bischöfen ziemlich genüsslich mit dem Titel „Güterabwägung“ unter die Nase reibt, um Wolfs mitunter frechen Stil aufzugreifen. Der Lehre nach gehört es zu den elementarsten Pflichten des Katholiken, dass er sonntags und an kirchlichen Feiertagen an der Eucharistiefeier teilnimmt. Die Liturgie ist „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“. Doch nur ein geweihter Priester kann sie leiten. Nur er kann die Substanz des Brotes und die Substanz des Weines wesentlich und dauerhaft in den wahren Leib und das wahre Blut Christi verwandeln. So die Lehre.
Was aber, fragt Wolf, wenn nun kein geweihter Priester mehr da ist, weil die Kirche nur unverheiratete Männer ordiniert? Wie sollen die Menschen denn dann zu ihrer Eucharistie kommen, und wie sollen sie letztendlich Seelenheil erlangen, wenn ihnen die regelmäßige Teilnahme am Abendmahl vorenthalten bleibt? Wenn sie ihre Sonntagspflicht nicht mehr erfüllen können? Wolf zitiert gleich zu Beginn seines Buches den im brasilianischen Xingu wirkenden Bischof Erwin Kräutler mit einem Hilferuf an die Kurie in Rom, wonach mehr als zwei Drittel der Katholiken seiner Diözese nicht öfter als dreimal im Jahr die Kommunion empfangen können. Das Bistum Xingu ist flächenmäßig größer als Deutschland. 31 Priester wirken dort für 380 000 Katholiken. Bei der Amazonas-Synode im kommenden Herbst werden südamerikanische Bischöfe in Rom eine Lösung ihres Priesterproblems einfordern. Und sie werden dem Papst Wolfs Buch vorlesen, wenn er es bis dahin nicht schon selbst gelesen hat.
In europäischen Diözesen entwickeln sich die Zahlen ebenfalls in Richtung flächendeckender Priesterausfall: Der katholischen Kirche gehen die Geistlichen derzeit schneller aus als die Gläubigen. Für die sonntägliche Eucharistie gibt es bald keine Gewähr mehr. So gesehen versündigt sich die Kirche an ihren eigenen Gläubigen, wenn sie weiterhin stur auf einer überholten Tradition beharrt. Und das ist es ja nur: eine Tradition. Dem wissenschaftlichen Pragmatiker Wolf bereitet es sichtlich Freude, seinen vergeistigten und weltentrückten Brüdern im Glauben und Kollegen im theologischen Dienst ihre selbstfabrizierten Widersprüche aufzuzeigen: Historiker gegen Dogmatikern und Fundamentaltheoretiker – wer behält die Oberhand?
Einerseits versteigen sich die Zölibatsverteidiger auf das per naturam festgeschriebene göttliche Gebot, jeder sexuelle Akt müsse auf das Zeugen von Kindern ausgerichtet sein. Nach der katholischen Lehre verlange Gott von allen Menschen, fruchtbar zu sein. Dann, sagt Wolf, dürfte doch eigentlich „kein kirchliches Gesetz dem unveränderlichen Naturrecht widersprechen“. Vor diesem Hintergrund habe der Philosoph Friedrich Wilhelm Carové den Zölibat schon im frühen 19. Jahrhundert als zutiefst unmenschlich gebrandmarkt – „als körperliche und geistige Sklaverei“.
Die Aufklärung zeigte damals Wirkung auch in Kirchenfragen. Die Anti-Zölibats-Bewegung war in dieser Zeit rege. Sogar in der Frankfurter Paulskirche wurde 1848 darüber beraten, 110 Abgeordnete beantragten Verhandlungen mit der Kurie über die Aufhebung der Zwangsehelosigkeit, die nach römisch-katholischer Auslegung mit dem Verbot sexueller Handlungen an sich und anderen einherging. Allein die Beharrungskräfte in Rom setzten sich durch.
Das Überwinden des Zölibats wäre ein später Erfolg der Aufklärung gegen die Obskuranten, die Dunkelmänner – dieser Begriff als Reminiszenz an die Antihumanisten des 16. Jahrhunderts ist in Vergessenheit geraten. Er eignet sich aber noch, wenn man in den Foren gedungener Traditionalisten mitliest: Die Dunkelmänner greifen Wolf als „ultraprogressista“ an und als Mitglied einer „Mafia der Kirchenzersetzer“. Es fragt sich allerdings, ob unter den Hierarchen im römischen Amtsklerus die Einsicht obsiegt, dass die Kirche mit ihrer herkömmlichen Von-oben-herab-Struktur am Ende ist und viri probati – gute Männer – braucht, die im Leben stehen. Oder ob sie nach Obskuranten-Art fortregieren und der Welt absolute Enthaltsamkeit vorgaukeln will, wo gleichzeitig hier der Prälat die Männersauna besucht und dort der Domherr ein Kind großzieht, das nie über seinen Vater reden darf.
Progressiv ist es nicht, Befunde aus Bibel, Geschichte und Gegenwart auf den Tisch zu legen. Dass zum Beispiel der Chefapostel Petrus verheiratet war und trotzdem eine komplette Religionsgründung ins Werk setzen konnte. Und dass Priester, Bischöfe und Päpste offen mit Frauen liiert waren. Und dass Kirchenfürsten kein Hehl aus dem rein ökonomischen Kalkül machten, das hinter dem Zölibat steckte. Denn Pfarrer ohne Familie vererbten der Kirche und nicht an Kinder. Bis Papst Gregor VII. im 11. Jahrhundert die Regel verschärfte, hatten viele Bischöfe offiziell verheiratete Männer zu Priestern geweiht, wenn auch mit der ebenso strengen wie absurden Vorgabe, sie hätten sich in der Ehe gefälligst von ihren Frauen fernzuhalten. Einwände wie die des Gelehrten Lampert von Hersfeld hat die Kirche seither konsequent überhört. Der Papst, schrieb Lampert, lockere „nur der Hurerei und Ausschweifung die Zügel“ und versperre „dem Naturtrieb die gewohnte Bahn“. Papst Franziskus hätte einiges gutzumachen.
In manchen Gegenden gibt es so
wenige Priester, dass nur drei
Mal im Jahr Messe gefeiert wird
In der Bibel findet sich
gar kein solches Gebot, selbst
Petrus war verheiratet
Hubert Wolf: 16 Thesen gegen den Zölibat. Foto: KNA
Vollkommene Entsagung: Am Leben und an der Bibel vorbei.
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