Zoopolis offers a new agenda for the theory and practice of animal rights. Most animal rights theory focuses on the intrinsic capacities or interests of animals, and the moral status and moral rights that these intrinsic characteristics give rise to. Zoopolis shifts the debate from the realm of moral theory and applied ethics to the realm of political theory, focusing on the relational obligations that arise from the varied ways that animals relate to human societies and institutions. Building on recent developments in the political theory of group-differentiated citizenship, Zoopolis introduces us to the genuine "political animal". It argues that different types of animals stand in different relationships to human political communities. Domesticated animals should be seen as full members of human-animal mixed communities, participating in the cooperative project of shared citizenship. Wilderness animals, by contrast, form their own sovereign communities entitled to protection against colonization, invasion, domination and other threats to self-determination. `Liminal' animals who are wild but live in the midst of human settlement (such as crows or raccoons) should be seen as "denizens", resident of our societies, but not fully included in rights and responsibilities of citizenship. To all of these animals we owe respect for their basic inviolable rights. But we inevitably and appropriately have very different relations with them, with different types of obligations. Humans and animals are inextricably bound in a complex web of relationships, and Zoopolis offers an original and profoundly affirmative vision of how to ground this complex web of relations on principles of justice and compassion.
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Süddeutsche ZeitungDie neuen Mitbürger
Die angelsächsische Debatte über „animal rights“ erreicht Deutschland – aus der Kritik
an Tierversuchen und Massentierhaltung wird die Forderung nach positiven Rechten für Tiere
VON JENS BISKY
Wer von dem Umgang mit Tieren nicht schweigen will, der muss über Gewalt reden, über Einsperren, Vernutzen, Quälen, Töten. Gewalt ist entweder erlaubt oder verboten oder geboten. Verboten ist es, dem Dackel des Nachbarn die Ohren abzuschneiden. Erlaubt ist es, jedes Jahr etwa fünfzig Millionen männliche Küken zu schreddern oder zu vergasen. Eier sind von ihnen nicht zu erwarten, für die Mast taugen sie nicht. Geboten ist vielerorts die Rattenbekämpfung, wer eine abwassertechnische Anlage betreibt, ist dazu verpflichtet.
Die Grenzen zwischen dem Erlaubten und Verbotenen stehen nicht ein für allemal fest. Gewalt muss legitimiert werden. Es bedarf der Gründe und der Regeln zu ihrer Anwendung. Moderne Gesellschaften verstehen sich selbst als Gesellschaften auf dem Weg in eine Zukunft mit immer weniger, möglichst wenig Gewalt. Wie sie dieses Selbstbild trotz tatsächlicher Gewalttätigkeiten aufrecht erhalten, hat Jan Philipp Reemtsma in seiner klassischen Studie „Vertrauen und Gewalt“ (2008) gezeigt. Er spricht ausschließlich von der Gewalt gegen Menschen, aber alle Versuche, Gewalt gegen Tiere einzudämmen oder ganz zu verbieten, stehen in der kulturellen Tradition der Moderne, die Reemtsma rekonstruiert. Auch deswegen wirken sie in vielem überzeugend.
Das Ohrfeigen von Dienstboten wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts untersagt, Vergewaltigung in der Ehe oder Züchtigung der eigenen Kinder stehen noch nicht so lange unter Strafe. Seit den Siebzigerjahren werden die Stimmen immer lauter, die ein Ende der Gewalt gegen Tiere fordern. Dies scheint ein weiterer Schritt auf dem modernen Sonderweg in eine weitgehend gewaltfreie Gesellschaft.
Drei neue Bücher zur Tierethik lassen den Leser dennoch in einem Zustand der Ratlosigkeit zurück. Wahrscheinlich spiegelt diese Ratlosigkeit die tatsächliche Lage: trotz vieler Tierschutz-Gesetze, trotz gewachsener moralischer Empfindlichkeit gegenüber den Routinen etwa der Massentierhaltung, bessert sich die Situation der Tiere kaum. Die Tierschutzbewegung stecke in einer Sackgasse, konstatieren die Schriftstellerin Sue Donaldson und der politische Philosoph Will Kymlicka in ihrem kecken Entwurf „Zoopolis“. Unaufhörlich wächst die Weltbevölkerung, immer kleiner werden daher die Lebensräume für wild lebende Tiere. Die Fleischproduktion wächst, sie hat sich seit 1980 verdreifacht. In jedem Jahr töten wir etwa 56 Milliarden Tiere zu Zwecken der Ernährung (im Wasser lebende nicht eingerechnet), und es werden immer mehr. Ist das legitim? Ist das zu rechtfertigen? Nein! Darin sind sich die Autoren der drei Bücher einig. Sie nutzen, wenn auch auf verschiedene Weise, moralphilosophische Argumente, um für ihr politisches Ziel zu werben: Tiere sollen nicht länger für menschliche Zwecke genutzt werden. Es sind Bücher von Aktivisten einer Brüderlichkeitsethik, die auch Tiere einschließen soll.
Die Journalistin Hilal Sezgin betreut in der Lüneburger Heide einen Gnadenhof mit Hühnern und Schafen. In einer Mischung aus Geschichten, Beobachtungen und ethischen Überlegungen erklärt sie, warum Tiere, zumindest die Wirbeltiere mit zentralem Nervensystem, ein Recht darauf haben, „moralisch berücksichtigt zu werden“. Es zählt das Schmerzempfinden, es zählt die Individualität des einzelnen Tiers. Das klassische Zitat dazu stammt von Jeremy Bentham (1748-1832): „Die Frage ist nicht: Können sie denken? Oder: Können sie sprechen? Sondern: Können sie leiden?“ Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass sie leiden können, dass sie leiden. Also dürfen wir sie, so Hilal Sezgin, weder quälen noch töten noch nutzen. Sie lässt wie die Mehrzahl der Tierethiker die utilitaristischen Ursprünge hinter sich. Mit Peter Singer, der 1975 sein Buch „Animal Liberation“ veröffentlichte und damit die neuere tierethische Debatte anregte, hat sie nur noch wenig gemein.
Wer sich für die Geschichte der Diskussion interessiert, findet in der von Friederike Schmitz herausgegebenen Textsammlung „Tierethik“ reichlich Material – und wird feststellen, wie verschieden die philosophischen Antworten auf moralische Fragen ausfallen. Unbedingt empfehlen kann man den Aufsatz „Warum Tiere moralisch nicht zählen“ von Peter Carruthers. Er will Tieren keine Rechte zugestehen, da sie keine rationalen Akteure seien – aber er findet Gründe, Grausamkeit gegenüber Tieren zu kritisieren. Ist er ein „Speziesist“, also einer, der Menschen Vorrechte gegenüber Tieren zuspricht, weil sie der Spezies Mensch angehören? Der Begriff „Speziesist“ ist ein Analogon zu „Rassist“.
Hilal Sezgin nutzt gern Argumente der amerikanischen Philosophin Martha Nussbaum, die in der Textsammlung vertreten ist. Ihr von Aristoteles inspirierter „Fähigkeitenansatz“ geht vom „ethisch geprägten Staunen angesichts jeder einzelnen Form tierischen Lebens“ aus – und fragt, wie wir dem „Streben der Tiere nach einem gedeihlichen Leben besser gerecht werden“ können. Medizinische Tierversuche hält sie allerdings für vertretbar.
Sue Donaldson und Will Kymlicka wollen Tieren nicht allein negative Rechte zugestehen, sondern sie mit positiven Bürgerrechten ausstatten: Domestizierte Tiere seien wie Staatsbürger zu behandeln, wilde Tier wie souveräne Gemeinschaften, die vielen Tiere im Schwellenbereich – Tauben, Ratten, Füchse in der Stadt – haben für sie ein Anrecht auf den Einwohnerstatus. Strategisch ist dies eine geschickte Entscheidung: Die Tierrechtsdebatte wird an die ausdifferenzierte akademische Diskussion über Bürgerrechte gekoppelt.
Die Tiere werden dabei im Grunde wie Menschen behandelt, mal mit Behinderten, mal mit Kindern, mal mit Sklaven, mal mit Migranten verglichen. Während Hilal Sezgins Buch dort stark ist, wo die Autorin an unsere Empathie appelliert, liegt die Stärke von Donaldson und Kymlicka in ihrem radikalen Utopismus. Sie wollen nicht von Fürsorge und Umweltschutz reden, sie wollen den großen Wandel. Im Unterschied zu anderen Aktivisten geht es ihnen nicht darum, Tiere in Ruhe zu lassen, sondern mit ihnen aufgrund eines neuen Gesellschaftsvertrags friedlich und gerecht zusammenzuleben.
Je länger man in den drei Büchern liest, desto größer wird freilich der Zweifel, ob die Rede von den Tierrechten nicht das Spezifische des Themas verfehlt. Zugunsten politischer Schlagkraft wird dem Leser einiges Unplausible zugemutet. Das beginnt mit den Hinweisen auf Behinderte, mit den Parallelen zur Sklavenbefreiung. Diese Analogien taugen wenig, sie dienen hauptsächlich der rhetorischen Aufrüstung. Ein Tier im Labor oder im Schlachthof weckt mein Mitleid. Viele Behinderte aber lehnen Mitleid mit sehr guten Gründen ab, es verletzt auf eine infame, kaum zu parierende Weise ihre Würde. Jeder von uns kann im Handumdrehen Bewegungs- oder Sprachfähigkeit verlieren. Zur Maus wird man nur in guten Novellen. Jeder von uns kann versklavt werden. Die Befreiung der Sklaven war entscheidend auch deren Werk. Die „Befreiung der Tiere“, wenn man denn so pathetisch sprechen will, gelänge allein durch eine Selbstverpflichtung der Menschen. Um nicht missverstanden zu werden: Missglückte Analogien, schiefe Argumente sprechen nicht gegen die Ziele der Autoren. Ein Buch gegen das Foltern mag noch so schlecht sein, die Folter ist dadurch nicht gerechtfertigt.
Wie die Autoren mit Tierversuchen zu medizinischen Zwecken umgehen, irritiert. Hilal Sezgin schreibt, sie sei davon ausgegangen, gute Argumente dafür zu finden, was aber nicht gelang. Leider will sie sich nicht auf Details der Empirie einlassen, geht es doch um Ethik. Wo aber hätte Empirie ihr Recht, wenn nicht hier? Muss man nicht abwägen? Muss man davor nicht wissen, welche Erkenntnisse in Versuchen gewonnen wurden, welche Alternativen es gibt? Immerhin schildert Sezgin überzeugend, dass die Versuche notwendig mit Leid und Schmerzen einhergehen. Einzelfallabwägung ist mit der Logik der experimentellen Forschung schwer zu vereinbaren. Tiere müssen bereitgestellt werden, Forschung muss auch irren können. Wer aber eine krebskranke Freundin oder einen herzkranken Bruder hat, wird die Auskunft, das gehöre „gewissermaßen zur Tragik biologischen Lebens und Sterbens“ für eine Feuilletonistenfloskel halten. Donaldson und Kymlicka argumentieren: So wie uns Medikamente aus Menschenversuchen nicht fehlen, werden wir Medikamente und Wissen aus Tierversuchen nach einer Weile nicht vermissen. Muss das größere Mitleid auf der einen Seite mit Kaltherzigkeit auf der anderen einhergehen? Das Argument ist konsequent. Wer von Grundrechten spricht, kann keine Einzelfallabwägung zulassen, höchstens die Tötung einer Giftschlange im Akt der Notwehr.
Leider stellen die Autoren kaum historische Fragen. Die Tierschutzbewegung hat sich im 19. Jahrhundert besonders der Kutschpferde angenommen. Das entscheidende Datum in der Emanzipationsgeschichte der Pferde dürfte dann die Erfindung des Verbrennungsmotors gewesen sein. In der Massentierhaltung dagegen verschlimmern die Fortschritte der Technik das Los der Tiere. Wenn es denn stimmt, dass wir darauf verzichten könnten, weil die Menschheit auch vegan zu ernähren wäre, dann würde dieser Schritt eine der größten historischen Zäsuren bedeuten. Dazu wäre doch wohl mehr zu sagen, als sich in die Frage zu verbeißen, ob man Katzen das Fleisch abgewöhnen soll.
Summieren wir kurz: keine Zoos, keine Zirkustiere, kein Fleischverzehr, Eier und Wolle nur in Ausnahmefällen, kein Käse, wie wir ihn kennen, nirgendwo Zugtiere oder Lastesel, Rücksichtnahme auf Tiere in allen Fragen des Städtebaus, keine Jagd, kein Stierkampf. Es wäre eine vollkommen andere Welt. In der „Übergangszeit“, von der Donaldson und Kymlicka ausgehen, dürften die internationalen Beziehungen nicht einfacher werden. Die Kosten würden die der deutschen „Energiewende“ gewiss übersteigen. Wer trägt sie? Wie organisiert man so etwas politisch? Wie findet man dafür Zustimmung? Wollen wir Ratten in Getreidesilos dulden?
Donaldson und Kymlicka skizzieren ein leicht apokalyptisches Szenario: Wenn die Ressourcen erschöpft sind, wenn Wasser und Land nicht mehr ausreichen, um acht Milliarden Menschen mit Fleisch zu versorgen – vielleicht 2025 –, dann müssen die Tierrechtler mit den richtigen Konzepten bereitstehen. Hilal Sezgin setzt auf persönliche Verhaltensänderung, wie sie überhaupt offener, alltagsnäher argumentiert. Die neue Lebensweise werde auch „befriedigender für uns Menschen sein“. Möglich. Gewiss ist, dass sie mit Ausweichbewegungen und Verteilungskämpfen einhergehen wird. Mehr Sinn für Konflikte, für moralische Dilemmata, mehr Wissen darüber, warum Menschen sich verhalten, wie sie sich verhalten, täte der Diskussion gut. Sezgin hat ja Recht: Daraus, dass etwas war, immer so gemacht wurde, folgt moralphilosophisch wenig. Aber kulturell, politisch, historisch folgt doch wohl einiges daraus.
Die beste Einführung in die Diskussion bleibt J.M. Coetzees Elizabeth-Costello-Geschichte „Das Leben der Tiere“ (dt. 2000) . Als stärkstes Argument in den Gesprächen, die in Aporien enden, erscheint hier das Mitgefühl. Und dieses ist es, das die Gewalt gegen Tiere unerträglich macht. Es geht dabei um unser moralisches Selbstbild und die Frage, an welche gesellschaftlichen Verabredungen wir uns halten wollen. Eben dies, das „speziezistische“ Eigeninteresse macht das Thema so interessant.
Gewalt kann geboten sein,
aber sie muss legitimiert werden –
auch die Gewalt gegen Tiere
Die „Zoopolis“-Autoren fassen ein
großes Umerziehungsprogramm
ins Auge – aber nur sehr vage
„Tiere sind empfindungsfähige Wesen mit eigenen Bedürfnissen und biologischen Kompetenzen. Als solchen steht ihnen offenbar ein Platz innerhalb der Moral zu; nur wissen wir nicht genau, welcher.“ (Hilal Sezgin)
München, November 1991, vor einer Metzgerei im Schlachthofviertel, Thalkirchner Straße. Foto: Regina Schmeken
Hilal Sezgin: Artgerecht ist nur die Freiheit. Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen. Verlag C.H. Beck, München 2014. 301 Seiten, 16,95 Euro.
Friederike Schmitz (Hrsg.): Tierethik. Grundlagentexte. Suhrkamp Verlag,
stw 2082, Berlin 2014.
589 Seiten, 24 Euro.
Sue Donaldson,
Will Kymlicka: Zoopolis.
Eine politische Theorie der Tierrechte. Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 608 Seiten, 36 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die angelsächsische Debatte über „animal rights“ erreicht Deutschland – aus der Kritik
an Tierversuchen und Massentierhaltung wird die Forderung nach positiven Rechten für Tiere
VON JENS BISKY
Wer von dem Umgang mit Tieren nicht schweigen will, der muss über Gewalt reden, über Einsperren, Vernutzen, Quälen, Töten. Gewalt ist entweder erlaubt oder verboten oder geboten. Verboten ist es, dem Dackel des Nachbarn die Ohren abzuschneiden. Erlaubt ist es, jedes Jahr etwa fünfzig Millionen männliche Küken zu schreddern oder zu vergasen. Eier sind von ihnen nicht zu erwarten, für die Mast taugen sie nicht. Geboten ist vielerorts die Rattenbekämpfung, wer eine abwassertechnische Anlage betreibt, ist dazu verpflichtet.
Die Grenzen zwischen dem Erlaubten und Verbotenen stehen nicht ein für allemal fest. Gewalt muss legitimiert werden. Es bedarf der Gründe und der Regeln zu ihrer Anwendung. Moderne Gesellschaften verstehen sich selbst als Gesellschaften auf dem Weg in eine Zukunft mit immer weniger, möglichst wenig Gewalt. Wie sie dieses Selbstbild trotz tatsächlicher Gewalttätigkeiten aufrecht erhalten, hat Jan Philipp Reemtsma in seiner klassischen Studie „Vertrauen und Gewalt“ (2008) gezeigt. Er spricht ausschließlich von der Gewalt gegen Menschen, aber alle Versuche, Gewalt gegen Tiere einzudämmen oder ganz zu verbieten, stehen in der kulturellen Tradition der Moderne, die Reemtsma rekonstruiert. Auch deswegen wirken sie in vielem überzeugend.
Das Ohrfeigen von Dienstboten wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts untersagt, Vergewaltigung in der Ehe oder Züchtigung der eigenen Kinder stehen noch nicht so lange unter Strafe. Seit den Siebzigerjahren werden die Stimmen immer lauter, die ein Ende der Gewalt gegen Tiere fordern. Dies scheint ein weiterer Schritt auf dem modernen Sonderweg in eine weitgehend gewaltfreie Gesellschaft.
Drei neue Bücher zur Tierethik lassen den Leser dennoch in einem Zustand der Ratlosigkeit zurück. Wahrscheinlich spiegelt diese Ratlosigkeit die tatsächliche Lage: trotz vieler Tierschutz-Gesetze, trotz gewachsener moralischer Empfindlichkeit gegenüber den Routinen etwa der Massentierhaltung, bessert sich die Situation der Tiere kaum. Die Tierschutzbewegung stecke in einer Sackgasse, konstatieren die Schriftstellerin Sue Donaldson und der politische Philosoph Will Kymlicka in ihrem kecken Entwurf „Zoopolis“. Unaufhörlich wächst die Weltbevölkerung, immer kleiner werden daher die Lebensräume für wild lebende Tiere. Die Fleischproduktion wächst, sie hat sich seit 1980 verdreifacht. In jedem Jahr töten wir etwa 56 Milliarden Tiere zu Zwecken der Ernährung (im Wasser lebende nicht eingerechnet), und es werden immer mehr. Ist das legitim? Ist das zu rechtfertigen? Nein! Darin sind sich die Autoren der drei Bücher einig. Sie nutzen, wenn auch auf verschiedene Weise, moralphilosophische Argumente, um für ihr politisches Ziel zu werben: Tiere sollen nicht länger für menschliche Zwecke genutzt werden. Es sind Bücher von Aktivisten einer Brüderlichkeitsethik, die auch Tiere einschließen soll.
Die Journalistin Hilal Sezgin betreut in der Lüneburger Heide einen Gnadenhof mit Hühnern und Schafen. In einer Mischung aus Geschichten, Beobachtungen und ethischen Überlegungen erklärt sie, warum Tiere, zumindest die Wirbeltiere mit zentralem Nervensystem, ein Recht darauf haben, „moralisch berücksichtigt zu werden“. Es zählt das Schmerzempfinden, es zählt die Individualität des einzelnen Tiers. Das klassische Zitat dazu stammt von Jeremy Bentham (1748-1832): „Die Frage ist nicht: Können sie denken? Oder: Können sie sprechen? Sondern: Können sie leiden?“ Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass sie leiden können, dass sie leiden. Also dürfen wir sie, so Hilal Sezgin, weder quälen noch töten noch nutzen. Sie lässt wie die Mehrzahl der Tierethiker die utilitaristischen Ursprünge hinter sich. Mit Peter Singer, der 1975 sein Buch „Animal Liberation“ veröffentlichte und damit die neuere tierethische Debatte anregte, hat sie nur noch wenig gemein.
Wer sich für die Geschichte der Diskussion interessiert, findet in der von Friederike Schmitz herausgegebenen Textsammlung „Tierethik“ reichlich Material – und wird feststellen, wie verschieden die philosophischen Antworten auf moralische Fragen ausfallen. Unbedingt empfehlen kann man den Aufsatz „Warum Tiere moralisch nicht zählen“ von Peter Carruthers. Er will Tieren keine Rechte zugestehen, da sie keine rationalen Akteure seien – aber er findet Gründe, Grausamkeit gegenüber Tieren zu kritisieren. Ist er ein „Speziesist“, also einer, der Menschen Vorrechte gegenüber Tieren zuspricht, weil sie der Spezies Mensch angehören? Der Begriff „Speziesist“ ist ein Analogon zu „Rassist“.
Hilal Sezgin nutzt gern Argumente der amerikanischen Philosophin Martha Nussbaum, die in der Textsammlung vertreten ist. Ihr von Aristoteles inspirierter „Fähigkeitenansatz“ geht vom „ethisch geprägten Staunen angesichts jeder einzelnen Form tierischen Lebens“ aus – und fragt, wie wir dem „Streben der Tiere nach einem gedeihlichen Leben besser gerecht werden“ können. Medizinische Tierversuche hält sie allerdings für vertretbar.
Sue Donaldson und Will Kymlicka wollen Tieren nicht allein negative Rechte zugestehen, sondern sie mit positiven Bürgerrechten ausstatten: Domestizierte Tiere seien wie Staatsbürger zu behandeln, wilde Tier wie souveräne Gemeinschaften, die vielen Tiere im Schwellenbereich – Tauben, Ratten, Füchse in der Stadt – haben für sie ein Anrecht auf den Einwohnerstatus. Strategisch ist dies eine geschickte Entscheidung: Die Tierrechtsdebatte wird an die ausdifferenzierte akademische Diskussion über Bürgerrechte gekoppelt.
Die Tiere werden dabei im Grunde wie Menschen behandelt, mal mit Behinderten, mal mit Kindern, mal mit Sklaven, mal mit Migranten verglichen. Während Hilal Sezgins Buch dort stark ist, wo die Autorin an unsere Empathie appelliert, liegt die Stärke von Donaldson und Kymlicka in ihrem radikalen Utopismus. Sie wollen nicht von Fürsorge und Umweltschutz reden, sie wollen den großen Wandel. Im Unterschied zu anderen Aktivisten geht es ihnen nicht darum, Tiere in Ruhe zu lassen, sondern mit ihnen aufgrund eines neuen Gesellschaftsvertrags friedlich und gerecht zusammenzuleben.
Je länger man in den drei Büchern liest, desto größer wird freilich der Zweifel, ob die Rede von den Tierrechten nicht das Spezifische des Themas verfehlt. Zugunsten politischer Schlagkraft wird dem Leser einiges Unplausible zugemutet. Das beginnt mit den Hinweisen auf Behinderte, mit den Parallelen zur Sklavenbefreiung. Diese Analogien taugen wenig, sie dienen hauptsächlich der rhetorischen Aufrüstung. Ein Tier im Labor oder im Schlachthof weckt mein Mitleid. Viele Behinderte aber lehnen Mitleid mit sehr guten Gründen ab, es verletzt auf eine infame, kaum zu parierende Weise ihre Würde. Jeder von uns kann im Handumdrehen Bewegungs- oder Sprachfähigkeit verlieren. Zur Maus wird man nur in guten Novellen. Jeder von uns kann versklavt werden. Die Befreiung der Sklaven war entscheidend auch deren Werk. Die „Befreiung der Tiere“, wenn man denn so pathetisch sprechen will, gelänge allein durch eine Selbstverpflichtung der Menschen. Um nicht missverstanden zu werden: Missglückte Analogien, schiefe Argumente sprechen nicht gegen die Ziele der Autoren. Ein Buch gegen das Foltern mag noch so schlecht sein, die Folter ist dadurch nicht gerechtfertigt.
Wie die Autoren mit Tierversuchen zu medizinischen Zwecken umgehen, irritiert. Hilal Sezgin schreibt, sie sei davon ausgegangen, gute Argumente dafür zu finden, was aber nicht gelang. Leider will sie sich nicht auf Details der Empirie einlassen, geht es doch um Ethik. Wo aber hätte Empirie ihr Recht, wenn nicht hier? Muss man nicht abwägen? Muss man davor nicht wissen, welche Erkenntnisse in Versuchen gewonnen wurden, welche Alternativen es gibt? Immerhin schildert Sezgin überzeugend, dass die Versuche notwendig mit Leid und Schmerzen einhergehen. Einzelfallabwägung ist mit der Logik der experimentellen Forschung schwer zu vereinbaren. Tiere müssen bereitgestellt werden, Forschung muss auch irren können. Wer aber eine krebskranke Freundin oder einen herzkranken Bruder hat, wird die Auskunft, das gehöre „gewissermaßen zur Tragik biologischen Lebens und Sterbens“ für eine Feuilletonistenfloskel halten. Donaldson und Kymlicka argumentieren: So wie uns Medikamente aus Menschenversuchen nicht fehlen, werden wir Medikamente und Wissen aus Tierversuchen nach einer Weile nicht vermissen. Muss das größere Mitleid auf der einen Seite mit Kaltherzigkeit auf der anderen einhergehen? Das Argument ist konsequent. Wer von Grundrechten spricht, kann keine Einzelfallabwägung zulassen, höchstens die Tötung einer Giftschlange im Akt der Notwehr.
Leider stellen die Autoren kaum historische Fragen. Die Tierschutzbewegung hat sich im 19. Jahrhundert besonders der Kutschpferde angenommen. Das entscheidende Datum in der Emanzipationsgeschichte der Pferde dürfte dann die Erfindung des Verbrennungsmotors gewesen sein. In der Massentierhaltung dagegen verschlimmern die Fortschritte der Technik das Los der Tiere. Wenn es denn stimmt, dass wir darauf verzichten könnten, weil die Menschheit auch vegan zu ernähren wäre, dann würde dieser Schritt eine der größten historischen Zäsuren bedeuten. Dazu wäre doch wohl mehr zu sagen, als sich in die Frage zu verbeißen, ob man Katzen das Fleisch abgewöhnen soll.
Summieren wir kurz: keine Zoos, keine Zirkustiere, kein Fleischverzehr, Eier und Wolle nur in Ausnahmefällen, kein Käse, wie wir ihn kennen, nirgendwo Zugtiere oder Lastesel, Rücksichtnahme auf Tiere in allen Fragen des Städtebaus, keine Jagd, kein Stierkampf. Es wäre eine vollkommen andere Welt. In der „Übergangszeit“, von der Donaldson und Kymlicka ausgehen, dürften die internationalen Beziehungen nicht einfacher werden. Die Kosten würden die der deutschen „Energiewende“ gewiss übersteigen. Wer trägt sie? Wie organisiert man so etwas politisch? Wie findet man dafür Zustimmung? Wollen wir Ratten in Getreidesilos dulden?
Donaldson und Kymlicka skizzieren ein leicht apokalyptisches Szenario: Wenn die Ressourcen erschöpft sind, wenn Wasser und Land nicht mehr ausreichen, um acht Milliarden Menschen mit Fleisch zu versorgen – vielleicht 2025 –, dann müssen die Tierrechtler mit den richtigen Konzepten bereitstehen. Hilal Sezgin setzt auf persönliche Verhaltensänderung, wie sie überhaupt offener, alltagsnäher argumentiert. Die neue Lebensweise werde auch „befriedigender für uns Menschen sein“. Möglich. Gewiss ist, dass sie mit Ausweichbewegungen und Verteilungskämpfen einhergehen wird. Mehr Sinn für Konflikte, für moralische Dilemmata, mehr Wissen darüber, warum Menschen sich verhalten, wie sie sich verhalten, täte der Diskussion gut. Sezgin hat ja Recht: Daraus, dass etwas war, immer so gemacht wurde, folgt moralphilosophisch wenig. Aber kulturell, politisch, historisch folgt doch wohl einiges daraus.
Die beste Einführung in die Diskussion bleibt J.M. Coetzees Elizabeth-Costello-Geschichte „Das Leben der Tiere“ (dt. 2000) . Als stärkstes Argument in den Gesprächen, die in Aporien enden, erscheint hier das Mitgefühl. Und dieses ist es, das die Gewalt gegen Tiere unerträglich macht. Es geht dabei um unser moralisches Selbstbild und die Frage, an welche gesellschaftlichen Verabredungen wir uns halten wollen. Eben dies, das „speziezistische“ Eigeninteresse macht das Thema so interessant.
Gewalt kann geboten sein,
aber sie muss legitimiert werden –
auch die Gewalt gegen Tiere
Die „Zoopolis“-Autoren fassen ein
großes Umerziehungsprogramm
ins Auge – aber nur sehr vage
„Tiere sind empfindungsfähige Wesen mit eigenen Bedürfnissen und biologischen Kompetenzen. Als solchen steht ihnen offenbar ein Platz innerhalb der Moral zu; nur wissen wir nicht genau, welcher.“ (Hilal Sezgin)
München, November 1991, vor einer Metzgerei im Schlachthofviertel, Thalkirchner Straße. Foto: Regina Schmeken
Hilal Sezgin: Artgerecht ist nur die Freiheit. Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen. Verlag C.H. Beck, München 2014. 301 Seiten, 16,95 Euro.
Friederike Schmitz (Hrsg.): Tierethik. Grundlagentexte. Suhrkamp Verlag,
stw 2082, Berlin 2014.
589 Seiten, 24 Euro.
Sue Donaldson,
Will Kymlicka: Zoopolis.
Eine politische Theorie der Tierrechte. Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 608 Seiten, 36 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine ZeitungWahlrecht für Staatsbürgerin Huhn und Religionsfreiheit für Citizen Kaninchen
Übung für mehr moralische Vorstellungskraft: Der Philosoph Will Kymlicka und die Schriftstellerin Sue Donaldson plädieren für ein deutlich erweitertes Tierrecht
Wer Lust, Schmerz, Enttäuschung und Befriedigung erfahren kann, wem es nicht egal ist, was ihm widerfährt, der besitzt ein Selbst, egal, ob Mensch oder Tier. Und wer ein Selbst besitzt, für den gilt das Prinzip der Unverletzlichkeit - töten, versklaven, ausnutzen, Familien auseinanderreißen ist verboten. Effizienter Tierschutz lasse sich weder auf Fürsorgeprinzipien noch auf ökologische Argumente gründen, sondern nur auf eine Theorie der Tierrechte, so Will Kymlicka und Sue Donaldson, er politischer Philosoph und bekannt für seine Arbeiten zum Multikulturalismus, sie Schriftstellerin, beide Veganer.
Die konsequenten unter den gängigen Tierrechtstheorien allerdings setzen auf strikte Verbote: keine Nutztierhaltung, denn sie ist immer ausbeuterisch, keine Haustierhaltung, denn sie kann nicht artgerecht sein, keine Eingriffe in Wildtierpopulationen, die doch mehr schaden als nutzen, weil der Mensch die zugrundeliegenden Komplexitäten nicht begreift, am besten gar keine Kontakte zwischen Mensch und Tier.
Für Kymlicka und Donaldson ist diese Position unsinnig, flach und enttäuschend. Unsinnig, weil es schlicht unmöglich sei, den Lebensraum der Tiere und den der Menschen säuberlich zu trennen. Denn schließlich gibt es nicht nur Haustiere, Nutzvieh und Tiere in der Wildnis, sondern auch "Zwischenbereichstiere": all die Spatzen, Mäuse, Ratten, Füchse, Waschbären und - die Autoren sind Kanadier - Kojoten, die unter uns leben. Flach, weil dieser Ansatz nur negative Tierrechte kennt, also Listen mit all dem, was wir Tieren nicht antun dürfen. Und enttäuschend, weil diese Position alle Chancen auf gedeihliche Beziehungen zwischen Mensch und Tier aufgibt, an denen vielen Menschen sehr viel liegt.
Können wir uns wirklich nichts Besseres vorstellen als ein Kontaktverbot zwischen uns und dem Rest der Tierwelt, fragen die Autoren. Und nehmen den Leser mit in das Experiment, eine politische Theorie der Tierrechte auszubuchstabieren, die die Beziehungen zwischen Mensch und Tier in den Mittelpunkt stellt, basierend auf dem Begriff der Gerechtigkeit und der Theorie der Staatsbürgerschaft. Schon nach den ersten Absätzen haben sie den Leser mit diesem ambitionierten Unternehmen gepackt und fesseln ihn bis zum Schluss - über immerhin sechshundert Seiten.
Präzise, doch mit leichter Hand und aufgelockert durch Anekdoten aus dem weiten Feld der Mensch-Tier-Interaktion, entfalten die Autoren, wie eine Zoopolis, ein Staat der Menschen und der Tiere, aussehen könnte, wenn wir uns ihre Grundidee zu eigen machten: Domestizierten Tieren steht die Staatsbürgerschaft zu, Tieren, die weitgehend unabhängig vom Menschen in der Wildnis leben, Souveränität und Zwischenbereichstieren der Einwohnerstatus. Domestizierte Tiere als vollwertige Mitbürger anzuerkennen mache diese erst sichtbar und verpflichte die Menschen, auf ihr subjektives Wohl zu achten.
Betritt der Mensch die Territorien souveräner Tiergesellschaften, habe er sich dort zu verhalten wie in einem anderen Staat. Und Zwischenbereichstiere hätten zwar nicht dieselben Ansprüche wie Staatsbürger, dürften aber ebenso wenig versklavt oder getötet werden wie Ausländer, die im Land leben.
Doch was soll Staatsbürgerin Huhn mit Wahlrecht und Religionsfreiheit? Gar nichts. Solche Fragen werden nur gestellt, um den Rechteansatz ad absurdum zu führen, beklagen die Autoren und erinnern daran, dass auch innerhalb der Kategorie Mensch viele Rechte auf der Basis von Fähigkeiten zugeschrieben werden. Kinder dürfen nicht Auto fahren, Menschen mit erheblichen intellektuellen Defiziten ihre Finanzen nicht selbst verwalten, aber allen kommt dieselbe Unverletzlichkeit zu. Und ihre Interessen zählen bei der Bestimmung des kollektiven Wohls mit. Die Autoren orientieren sich an neueren Konzepten aus der theoretischen Behindertenforschung, etwa der "vertrauensbasierten abhängigen Handlungsfähigkeit". So können Hühner zwar nicht wählen gehen, aber menschliche Vertreter könnten in ihrem Namen sprechen.
Kymlicka und Donaldson verstehen ihre Theorie als Übung zur Erweiterung der moralischen Vorstellungskraft und versuchen sie konsequent zu Ende zu denken, auch wenn's kurios wird: Staatsbürgerschaft etwa ist keine Einbahnstraße. Tiere müssten sich ebenso wie wir den Grundregeln der Zoopolis unterwerfen, müssten den Respekt, den wir ihnen entgegenbringen, erwidern und dürften anderen nicht schaden. Wer in der Zoopolis eine Katze als Gefährtin haben möchte, muss also dafür sorgen, dass sie sich vegan ernährt und trotzdem ein artgerechtes Leben führen kann. Das heißt in der Konsequenz: Katzen sind für ein Leben in der Zoopolis denkbar ungeeignet.
Dieses Beispiel zeigt allerdings auch: Die Regeln stellen wir Menschen auf. Der Hund, der andere anspringt, kommt aus "berechtigtem Paternalismus" eben doch an die Leine, und das Schaf, das mit den Verkehrsregeln nicht zurechtkommt, darf auch nicht frei herumlaufen. Auf viele Fragen gibt es noch keine guten Antworten, gestehen die Autoren, doch es gehe zuerst einmal darum, die Perspektive der Tiere überhaupt in den Blick zu bekommen.
Die Zahl der domestizierten Tiere wird sich in der Zoopolis nach einer Übergangszeit radikal verringern, prognostizieren die Autoren. Denn wenn etwa mit einer Kuh kein Gewinn mehr zu machen ist - schlachten ist natürlich ebenso verboten, wie dem Kalb die Milch wegzutrinken -, wird kaum noch jemand die Verantwortung für sie übernehmen wollen. Die bereits existierenden Kühe müssten für diese Übergangszeit auf einer Art Gnadenhof gehalten werden.
Die gängige Tierrechtsdebatte habe komplett versagt, so Kymlicka und Donaldson. Hier und da erringe sie einen kleinen Fortschritt, doch, global gesehen, werde die Situation immer nur schlimmer. Dennoch haben sie Hoffnung: Zum einen würden die Gefahren und die Kosten unseres Umgangs mit unseren tierischen Gefährten immer offensichtlicher und riefen geradezu nach einer neuen Ethik des Miteinanders. Zum anderen spreche nichts dagegen, dass es uns gelingen könnte, Menschen zu werden, für die der Verzicht auf die Ausnutzung von Tieren irgendwann kein großes Opfer mehr bedeutete, ja, die auf den heutigen Umgang mit Tieren mit der gleichen Abscheu und dem gleichen Unverständnis zurückblicken wie wir heute auf die Sklaverei.
Die politische Theorie der Tierrechte ist ein faszinierendes Unternehmen. Sie klärt Begriffe, weitet den Blick und selbst wo sie bisweilen kurios wird, stößt sie neue Fragen an. Sie könnte den verbissenen Tierrechtsdebatten einen Schwung ins Positive geben: Vielleicht fehlt es uns ja wirklich inzwischen an Phantasie, uns ein positives Verhältnis von Mensch und Natur auch nur vorzustellen.
MANUELA LENZEN
Sue Donaldson und Will Kymlicka: "Zoopolis". Eine politische Theorie der Tierrechte.
Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 597 S., geb., 36,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Übung für mehr moralische Vorstellungskraft: Der Philosoph Will Kymlicka und die Schriftstellerin Sue Donaldson plädieren für ein deutlich erweitertes Tierrecht
Wer Lust, Schmerz, Enttäuschung und Befriedigung erfahren kann, wem es nicht egal ist, was ihm widerfährt, der besitzt ein Selbst, egal, ob Mensch oder Tier. Und wer ein Selbst besitzt, für den gilt das Prinzip der Unverletzlichkeit - töten, versklaven, ausnutzen, Familien auseinanderreißen ist verboten. Effizienter Tierschutz lasse sich weder auf Fürsorgeprinzipien noch auf ökologische Argumente gründen, sondern nur auf eine Theorie der Tierrechte, so Will Kymlicka und Sue Donaldson, er politischer Philosoph und bekannt für seine Arbeiten zum Multikulturalismus, sie Schriftstellerin, beide Veganer.
Die konsequenten unter den gängigen Tierrechtstheorien allerdings setzen auf strikte Verbote: keine Nutztierhaltung, denn sie ist immer ausbeuterisch, keine Haustierhaltung, denn sie kann nicht artgerecht sein, keine Eingriffe in Wildtierpopulationen, die doch mehr schaden als nutzen, weil der Mensch die zugrundeliegenden Komplexitäten nicht begreift, am besten gar keine Kontakte zwischen Mensch und Tier.
Für Kymlicka und Donaldson ist diese Position unsinnig, flach und enttäuschend. Unsinnig, weil es schlicht unmöglich sei, den Lebensraum der Tiere und den der Menschen säuberlich zu trennen. Denn schließlich gibt es nicht nur Haustiere, Nutzvieh und Tiere in der Wildnis, sondern auch "Zwischenbereichstiere": all die Spatzen, Mäuse, Ratten, Füchse, Waschbären und - die Autoren sind Kanadier - Kojoten, die unter uns leben. Flach, weil dieser Ansatz nur negative Tierrechte kennt, also Listen mit all dem, was wir Tieren nicht antun dürfen. Und enttäuschend, weil diese Position alle Chancen auf gedeihliche Beziehungen zwischen Mensch und Tier aufgibt, an denen vielen Menschen sehr viel liegt.
Können wir uns wirklich nichts Besseres vorstellen als ein Kontaktverbot zwischen uns und dem Rest der Tierwelt, fragen die Autoren. Und nehmen den Leser mit in das Experiment, eine politische Theorie der Tierrechte auszubuchstabieren, die die Beziehungen zwischen Mensch und Tier in den Mittelpunkt stellt, basierend auf dem Begriff der Gerechtigkeit und der Theorie der Staatsbürgerschaft. Schon nach den ersten Absätzen haben sie den Leser mit diesem ambitionierten Unternehmen gepackt und fesseln ihn bis zum Schluss - über immerhin sechshundert Seiten.
Präzise, doch mit leichter Hand und aufgelockert durch Anekdoten aus dem weiten Feld der Mensch-Tier-Interaktion, entfalten die Autoren, wie eine Zoopolis, ein Staat der Menschen und der Tiere, aussehen könnte, wenn wir uns ihre Grundidee zu eigen machten: Domestizierten Tieren steht die Staatsbürgerschaft zu, Tieren, die weitgehend unabhängig vom Menschen in der Wildnis leben, Souveränität und Zwischenbereichstieren der Einwohnerstatus. Domestizierte Tiere als vollwertige Mitbürger anzuerkennen mache diese erst sichtbar und verpflichte die Menschen, auf ihr subjektives Wohl zu achten.
Betritt der Mensch die Territorien souveräner Tiergesellschaften, habe er sich dort zu verhalten wie in einem anderen Staat. Und Zwischenbereichstiere hätten zwar nicht dieselben Ansprüche wie Staatsbürger, dürften aber ebenso wenig versklavt oder getötet werden wie Ausländer, die im Land leben.
Doch was soll Staatsbürgerin Huhn mit Wahlrecht und Religionsfreiheit? Gar nichts. Solche Fragen werden nur gestellt, um den Rechteansatz ad absurdum zu führen, beklagen die Autoren und erinnern daran, dass auch innerhalb der Kategorie Mensch viele Rechte auf der Basis von Fähigkeiten zugeschrieben werden. Kinder dürfen nicht Auto fahren, Menschen mit erheblichen intellektuellen Defiziten ihre Finanzen nicht selbst verwalten, aber allen kommt dieselbe Unverletzlichkeit zu. Und ihre Interessen zählen bei der Bestimmung des kollektiven Wohls mit. Die Autoren orientieren sich an neueren Konzepten aus der theoretischen Behindertenforschung, etwa der "vertrauensbasierten abhängigen Handlungsfähigkeit". So können Hühner zwar nicht wählen gehen, aber menschliche Vertreter könnten in ihrem Namen sprechen.
Kymlicka und Donaldson verstehen ihre Theorie als Übung zur Erweiterung der moralischen Vorstellungskraft und versuchen sie konsequent zu Ende zu denken, auch wenn's kurios wird: Staatsbürgerschaft etwa ist keine Einbahnstraße. Tiere müssten sich ebenso wie wir den Grundregeln der Zoopolis unterwerfen, müssten den Respekt, den wir ihnen entgegenbringen, erwidern und dürften anderen nicht schaden. Wer in der Zoopolis eine Katze als Gefährtin haben möchte, muss also dafür sorgen, dass sie sich vegan ernährt und trotzdem ein artgerechtes Leben führen kann. Das heißt in der Konsequenz: Katzen sind für ein Leben in der Zoopolis denkbar ungeeignet.
Dieses Beispiel zeigt allerdings auch: Die Regeln stellen wir Menschen auf. Der Hund, der andere anspringt, kommt aus "berechtigtem Paternalismus" eben doch an die Leine, und das Schaf, das mit den Verkehrsregeln nicht zurechtkommt, darf auch nicht frei herumlaufen. Auf viele Fragen gibt es noch keine guten Antworten, gestehen die Autoren, doch es gehe zuerst einmal darum, die Perspektive der Tiere überhaupt in den Blick zu bekommen.
Die Zahl der domestizierten Tiere wird sich in der Zoopolis nach einer Übergangszeit radikal verringern, prognostizieren die Autoren. Denn wenn etwa mit einer Kuh kein Gewinn mehr zu machen ist - schlachten ist natürlich ebenso verboten, wie dem Kalb die Milch wegzutrinken -, wird kaum noch jemand die Verantwortung für sie übernehmen wollen. Die bereits existierenden Kühe müssten für diese Übergangszeit auf einer Art Gnadenhof gehalten werden.
Die gängige Tierrechtsdebatte habe komplett versagt, so Kymlicka und Donaldson. Hier und da erringe sie einen kleinen Fortschritt, doch, global gesehen, werde die Situation immer nur schlimmer. Dennoch haben sie Hoffnung: Zum einen würden die Gefahren und die Kosten unseres Umgangs mit unseren tierischen Gefährten immer offensichtlicher und riefen geradezu nach einer neuen Ethik des Miteinanders. Zum anderen spreche nichts dagegen, dass es uns gelingen könnte, Menschen zu werden, für die der Verzicht auf die Ausnutzung von Tieren irgendwann kein großes Opfer mehr bedeutete, ja, die auf den heutigen Umgang mit Tieren mit der gleichen Abscheu und dem gleichen Unverständnis zurückblicken wie wir heute auf die Sklaverei.
Die politische Theorie der Tierrechte ist ein faszinierendes Unternehmen. Sie klärt Begriffe, weitet den Blick und selbst wo sie bisweilen kurios wird, stößt sie neue Fragen an. Sie könnte den verbissenen Tierrechtsdebatten einen Schwung ins Positive geben: Vielleicht fehlt es uns ja wirklich inzwischen an Phantasie, uns ein positives Verhältnis von Mensch und Natur auch nur vorzustellen.
MANUELA LENZEN
Sue Donaldson und Will Kymlicka: "Zoopolis". Eine politische Theorie der Tierrechte.
Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 597 S., geb., 36,- [Euro].
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