In jedem von uns steckt ein Tier, sagt man. Aber steckt auch in jedem von uns ein Mensch? Eine junge georgische Familie mitten im grauen Winter Berlins. Exilanten, die ein neues Leben beginnen müssen und doch vom alten verfolgt werden. Und ein Hochhaus, das hermetisch abgeriegelt ist, aber die ganze irrsinnige Welt zu beherbergen scheint, flüchtige Generäle, entlaufene Zootiere und jede Menge Abfall. Nur für die Zukunft ist kaum Platz. Ein intensiver Roman über den Verlust und das Finden der Sprache und die Familie als letzte Gemeinschaft in einer unwirtlichen Gegenwart. Der Vater, ein Schriftsteller, verliert langsam seine Sprache. Die Tochter Stella spielt stattdessen dauernd mit Worten. Ihre Mutter Marika muss immer für alle Probleme eine Lösung finden. Als sie zu einem Kindergeburtstag am anderen Ende der Stadt aufbrechen, begegnet ihnen eine zweite Geschichte von einem alten Hochhaus aus Sowjetzeiten. Mit elektrischen Zäunen und vergitterten Fenstern von der Außenwelt abgeschnitten, ersticken die Bewohner zusehends im eigenen Müll. Flüchtige Generäle und entlaufene Zootiere geistern durch die Gänge und seit einiger Zeit verschwinden die Kinder. Kann der Mensch gerettet werden oder wird er sich selbst auslöschen? Wozu erzählen, worauf hoffen, wenn am Ende alle Erzeugnisse nur den Abfall vermehren? Zoorama ist die literarische Suche nach Überlebensmitteln für eine aus den Fugen geratene Welt. »Zoorama gleicht für mich einem Labyrinth, das man atemlos durchquert, als wäre es eine Sache der Unmöglichkeit innezuhalten oder gar umzukehren. Ähnlich Dantes Vergil, treibt uns das Alter Ego des Autors zielsicher durch sein eigenes, persönliches Inferno. Er führt uns durch das schmutzige und graue Berlin, ins zerstückelte, für ihn nur noch aus Versatzstücken bestehende Tbilisi, hinein in ein apokalyptisches Hochhaus mitsamt seinen skurrilen und dem Untergang geweihten Bewohnern.« Nino Haratischwili »Viele Osteuropäer müssen heute wieder aus Angst in den Westen fliehen, ins Exil. Einer dieser Flüchtlinge ist Zaza Burchuladze. […] Doch das Land, das man mitbringt ins Exil, ist nur so groß wie die Fußsohlen und die Trauer im Kopf.« Herta Müller »Zaza Burchuladze ist ein markanter, origineller, mit niemandem sonst vergleichbarer Schriftsteller. Seine Prosa trägt etwas Unvorhersagbares in sich – für einen zeitgenössischen Autor das wichtigste Qualitätsmerkmal.« Wladimir Sorokin
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2022Creepypasta mit sentimentaler Soße
Der wilde Wahn hat eine Heimat im Berlinroman: Zaza Burchuladzes "Zoorama"
Der Schub, den der Gastlandauftritt Georgiens auf der Frankfurter Buchmesse 2018 der Veröffentlichung von georgischer Literatur auf Deutsch gegeben hat, scheint anzuhalten - aber mit ihm wird oft auch daran erinnert, dass manche georgischen Schriftsteller nicht in ihrer Heimat, sondern im Exil leben, weil ihnen in der Heimat Schreckliches widerfahren ist. Der 1973 in Tiflis geborene experimentelle Schriftsteller Zaza Burchuladze etwa wurde auf der Straße verprügelt, man versuchte ihn mit einem Auto anzufahren und verbrannte seine Bücher. Seit 2014 lebt er in Berlin.
Burchuladzes neuer Roman "Zoorama" beginnt mit einem scheinbar realistischen Setting, suggeriert sogar eine Nähe zur Autobiographie: Der Erzähler heißt Zaza und lebt ebenfalls in Berlin. Eine Frau namens Marika hat eine beruhigende Wirkung auf ihn, allerdings wird schnell klar, dass er wohl traumatisiert ist: Er schreit in ein Kissen und sagt: "Manchmal bleibt einem auch nichts anderes übrig als zu heulen." Marika ist ebenfalls von brüchiger Gestalt, womöglich dem Reich der Phantasie entsprungen. Wie dem auch sei: "Ich hätte ihr auch etwas versprochen, wenn mir nach Reden zumute gewesen wäre, sogar eine Stadt zu bauen, so schön wie die Erinnerung an ihre eigene in einem fremden Land." Doch beide, erfahren wir, verbindet dieselbe Katastrophe: "Seitdem denken wir nur von Tag zu Tag."
Von Tag zu Tag ergibt sich im teils vertraut wirkenden Berlin Überraschendes. Plötzlich hat der Erzähler ein Kind. Dann beginnt eine Frau zu leuchten. In Burchuladzes Prosa mischen sich dokumentarische Einsprengsel - Berichte von politisch Verfolgten, Gespräche über Sprache und Literatur - mit zunehmend phantastischen, wahnhaften Passagen. Das muss einen im Berlinroman nach Alfred Döblins epochalem "Berlin Alexanderplatz", worin der Hauptfigur die Dächer abzurutschen scheinen und ihr mythische Gestalten erscheinen, nicht mehr verwundern, Berlin scheint ja in Literatur und Film für wahnhaftes Erleben bis heute geradezu gemacht. Bei Burchuladze nimmt es aber durchaus wilde Formen an, wenn dem Erzähler beim Verlassen eines Fahrstuhls plötzlich eine Armee von Zwergen entgegenkommt, die sich bald darauf als tote Kinder erweisen. Es sind auch Kriegsszenarien, die im Wahn aufscheinen, gipfelnd im Tanz mit einem Maschinengewehr.
Und doch werden die Explosionen der Phantasie immer wieder geerdet, vielleicht begründet durch Realia - wie die Erinnerung an das Autodafé von Burchuladzes Büchern in Tiflis, bei der sich herausstellt, dass "die Mitarbeiter des Buchladens die Bücher selbst in Brand gesteckt haben", systematisch: "Das ist so, wie wenn Großmütter Neugeborene von der Entbindungsstation stehlen würden, weil ihnen etwas an ihnen nicht gefällt, und sie gleich dort im Hof ertränken würden wie blinde Welpen."
Zu den traurigsten Passagen gehören die, in denen der Erzähler bekennt, früher einmal an die Kraft der Literatur geglaubt zu haben - nun sagt er: "Von der Belletristik generell erwarte ich nichts mehr." Aber zugleich belügt das vorliegende Buch dieses bittere Bekenntnis, indem es sich doch noch einmal aufbäumt, nicht zuletzt in einer zweiten, surrealistisch anmutenden Textebene, die als "Ausstellung der Wörter" gekennzeichnet ist, eine Art rettendes Museum für experimentelle Prosa. "Stell Dir autonome Creepypasta mit sentimentaler Sauce vor", sagt der Erzähler einmal zu deren Beschreibung. Und die scheint ganz gut zu passen. JAN WIELE
Zaza Burchuladze:
"Zoorama". Roman.
Aus dem Georgischen von Sybilla Heinze.
Tropen Verlag bei
Klett-Cotta, Stuttgart 2022. 320 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der wilde Wahn hat eine Heimat im Berlinroman: Zaza Burchuladzes "Zoorama"
Der Schub, den der Gastlandauftritt Georgiens auf der Frankfurter Buchmesse 2018 der Veröffentlichung von georgischer Literatur auf Deutsch gegeben hat, scheint anzuhalten - aber mit ihm wird oft auch daran erinnert, dass manche georgischen Schriftsteller nicht in ihrer Heimat, sondern im Exil leben, weil ihnen in der Heimat Schreckliches widerfahren ist. Der 1973 in Tiflis geborene experimentelle Schriftsteller Zaza Burchuladze etwa wurde auf der Straße verprügelt, man versuchte ihn mit einem Auto anzufahren und verbrannte seine Bücher. Seit 2014 lebt er in Berlin.
Burchuladzes neuer Roman "Zoorama" beginnt mit einem scheinbar realistischen Setting, suggeriert sogar eine Nähe zur Autobiographie: Der Erzähler heißt Zaza und lebt ebenfalls in Berlin. Eine Frau namens Marika hat eine beruhigende Wirkung auf ihn, allerdings wird schnell klar, dass er wohl traumatisiert ist: Er schreit in ein Kissen und sagt: "Manchmal bleibt einem auch nichts anderes übrig als zu heulen." Marika ist ebenfalls von brüchiger Gestalt, womöglich dem Reich der Phantasie entsprungen. Wie dem auch sei: "Ich hätte ihr auch etwas versprochen, wenn mir nach Reden zumute gewesen wäre, sogar eine Stadt zu bauen, so schön wie die Erinnerung an ihre eigene in einem fremden Land." Doch beide, erfahren wir, verbindet dieselbe Katastrophe: "Seitdem denken wir nur von Tag zu Tag."
Von Tag zu Tag ergibt sich im teils vertraut wirkenden Berlin Überraschendes. Plötzlich hat der Erzähler ein Kind. Dann beginnt eine Frau zu leuchten. In Burchuladzes Prosa mischen sich dokumentarische Einsprengsel - Berichte von politisch Verfolgten, Gespräche über Sprache und Literatur - mit zunehmend phantastischen, wahnhaften Passagen. Das muss einen im Berlinroman nach Alfred Döblins epochalem "Berlin Alexanderplatz", worin der Hauptfigur die Dächer abzurutschen scheinen und ihr mythische Gestalten erscheinen, nicht mehr verwundern, Berlin scheint ja in Literatur und Film für wahnhaftes Erleben bis heute geradezu gemacht. Bei Burchuladze nimmt es aber durchaus wilde Formen an, wenn dem Erzähler beim Verlassen eines Fahrstuhls plötzlich eine Armee von Zwergen entgegenkommt, die sich bald darauf als tote Kinder erweisen. Es sind auch Kriegsszenarien, die im Wahn aufscheinen, gipfelnd im Tanz mit einem Maschinengewehr.
Und doch werden die Explosionen der Phantasie immer wieder geerdet, vielleicht begründet durch Realia - wie die Erinnerung an das Autodafé von Burchuladzes Büchern in Tiflis, bei der sich herausstellt, dass "die Mitarbeiter des Buchladens die Bücher selbst in Brand gesteckt haben", systematisch: "Das ist so, wie wenn Großmütter Neugeborene von der Entbindungsstation stehlen würden, weil ihnen etwas an ihnen nicht gefällt, und sie gleich dort im Hof ertränken würden wie blinde Welpen."
Zu den traurigsten Passagen gehören die, in denen der Erzähler bekennt, früher einmal an die Kraft der Literatur geglaubt zu haben - nun sagt er: "Von der Belletristik generell erwarte ich nichts mehr." Aber zugleich belügt das vorliegende Buch dieses bittere Bekenntnis, indem es sich doch noch einmal aufbäumt, nicht zuletzt in einer zweiten, surrealistisch anmutenden Textebene, die als "Ausstellung der Wörter" gekennzeichnet ist, eine Art rettendes Museum für experimentelle Prosa. "Stell Dir autonome Creepypasta mit sentimentaler Sauce vor", sagt der Erzähler einmal zu deren Beschreibung. Und die scheint ganz gut zu passen. JAN WIELE
Zaza Burchuladze:
"Zoorama". Roman.
Aus dem Georgischen von Sybilla Heinze.
Tropen Verlag bei
Klett-Cotta, Stuttgart 2022. 320 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Jan Wiele fällt anhand des neuen Buches von Zaza Burchuladze vielerlei auf: Seit dem Gastlandauftritt Georgiens bei der Buchmesse vor vier Jahren wird mehr und mehr georgische Literatur übersetzt - und mehr und mehr realisiert der Rezensent, wieviele Autoren mittlerweile fliehen mussten. Das daraus resultierende Trauma sieht er auch in "Zoorama." Autofiktionales decke sich dabei mit Fantastischem in der Geschichte von Zaza und Marika, die in Berlin gestrandet sind. An Berlin Alexanderplatz fühlt sich Wiele bisweilen erinnert, diese große, experimentelle Berlingeschichte, wenn im Buch mal wieder Wildes und Unglaubliches, auch an Krieg erinnerndes, geschieht. Burchuladze finde jedoch immer wieder zurück zur Bodenständigkeit - und zur verlorenen Hoffnung in die Macht der Literatur. Diese Kraft sieht der Rezensent in diesem "rettenden Museum für experimentelle Prosa" noch klar erhalten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Die Wörter spielen eine große Rolle in Zoorama. Es ist quasi eine Liebeserklärung an die Wörter, an die Literatur, an das Schreiben, an die Bücher.« Stephan Ozsváth, Rbb 24 Inforadio, 19. März 2023 Stephan Ozsváth rbb 24 Inforadio 20230319