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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ins Stammbuch der westlichen Eliten geschrieben: Ein Band versammelt Essays des Historikers Fritz Stern
Die Sorge um die Freiheit, um das Erbe der Aufklärung, dessen Wert erst wirklich erkannt wird, wenn es in Gefahr gerät - das ist das bestimmende Thema des Essay-Bandes von Fritz Stern: Für den deutschamerikanischen Historiker ist dieses Erbe ein einendes Element, das die besten Traditionen und Leistungen Amerikas mit der friedlichen Revolution in Osteuropa 1989 genauso in Beziehung setzt wie Heinrich Heine zu Willy Brandt. Es stiftet die Verbindung zwischen den hier versammelten Texten, die auf den ersten Blick wenig miteinander verknüpft.
Sie reichen von sehr persönlichen Nachrufen auf einzelne Weggefährten wie Ralf Dahrendorf und Bronislav Geremek über Gedanken zu Stärken und Schwächen des deutschen Kaiserreichs bis hin zu Stellungnahmen mit unmittelbarem Gegenwartsbezug - einer Würdigung der europäischen Einigung und einer kritischen Liebeserklärung an die Vereinigten Staaten. Unter ihnen ist auch eine bislang unveröffentlichte Analyse der Wiedervereinigung, die Stern Ende 1990 verfasste. Sie greift die wichtigsten Punkte aus dem berühmten Gespräch des Historikers mit Margaret Thatcher einige Monate zuvor auf. In diesem Gespräch hatte Stern die britische Premierministerin davon überzeugt, dass die Bundesrepublik ein fundamental anderer Staat sei als das Deutschland von 1914 oder von 1939 und dass daher von der Wiedervereinigung keine Gefahr für Deutschlands Nachbarn ausgehe.
Sterns sehr differenzierte Sicht auf die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik als innere und äußere Befriedung, verbunden mit einem nicht immer einfachen, aber letztlich überwiegend aufrichtigen Umgang mit der Vergangenheit, kommt hier wieder zum Ausdruck. Dabei profitiert er von seiner besonderen Perspektive als intimer Kenner des Landes, der zugleich von außen auf Europas Mitte schaut.
Der beste Text aber ist ein kurzes Porträt des Chemikers Fritz Haber. Hier gelingt dem Autor das Kunststück, seinem Helden, immerhin Sterns Patenonkel, dem er seinen Vornamen verdankt, mit Empathie gegenüberzutreten, ohne ihn aus dessen Schuld zu entlassen. Habers Forschungen revolutionierten die Düngemittel- und Munitionsherstellung; vor allem aber war er selbst maßgeblich an Entwicklung und Einsatz von Giftgas im Ersten Weltkrieg beteiligt. Damit zeichnet Stern nicht nur das Bild eines genialen Wissenschaftlers, sondern betont auch eindringlich die politisch-moralische Verantwortung, ohne deren Wahrnehmung technischer Fortschritt zur Gefahr werden kann. Diese Mahnung hat an Aktualität nicht verloren. Auch hinter den bahnbrechenden Entwicklungen im Bereich Big Data oder der Biotechnologie stecken oft genug außergewöhnlich begabte Männer und Frauen, die auf ihrer Suche nach Problemlösungen den Blick für die Folgen des eigenen Handelns verlieren können.
So deutlich Sterns Bekenntnis zu den Werten und Erfolgen der Aufklärung ausfällt, so nüchtern ist seine Feststellung ihrer Bedrohung. Er sieht die Gefahr, dass wir den Wert der Freiheit womöglich erst in selbstgeschaffenen Kerkern erkennen. Mit klarer Sprache benennt er die aktuellen Herausforderungen. Sie liegen sowohl in einem polarisierten, von sozialer Ungleichheit gelähmten Amerika als auch in einem Europa, dessen innerer Zusammenhalt durch wiedererstarkenden Nationalismus gefährdet wird. In beiden Fällen liegt für Stern die Bedrohung darin, dass Teile der westlichen Eliten nicht die Stärke haben, sich den komplizierten Verhältnissen unserer Zeit zu stellen - mit den von Stern zitierten Worten Max Webers: "Denn Schwäche ist es: dem Schicksal der Zeit nicht in sein ernstes Antlitz blicken zu können." Diese Schwäche mache es so ungemein schwer, den Feinden der Freiheit zu begegnen, ganz gleich, ob sie Vertreter einer reaktionären Rechten sind oder religiöse Fundamentalisten.
Der Bedrohung setzt Stern den aufklärerischen Traum einer humanen Gesellschaft entgegen, verbunden mit dem nüchternen Blick des Historikers auf das Mögliche und die eigene Erfahrung im gewaltgesättigten zwanzigsten Jahrhundert. Fritz Stern wird dabei nie pathetisch, sondern schreibt in einer klaren und zugleich persönlichen Sprache. Er möchte unseren Blick auf die Gegenwart schärfen, um ihren Herausforderungen mit dem Wissen um die Vergangenheit zu begegnen.
MARTIN ALBERS
Fritz Stern: "Zu Hause in der Ferne". Historische Essays.
Verlag C.H. Beck, München 2015. 222 S., geb., 19,95 [Euro].
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