Essay aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Geschichte - Allgemeines, Note: sehr gut, Universität Siegen (Geschichte), Veranstaltung: Geschichtsbilder des 20. Jahrhunderts, Sprache: Deutsch, Abstract: Wenn sich je ein Titel von seinem Buch löste - um zum geflügelten Wort zu werden -dann im Fall Spenglers. Sein Werk, so vieldeutig wie universal, stellt keinen geringeren als den im ersten Satz formulierten Anspruch: In diesem Buch wird zum ersten Mal der Versuch gewagt, Geschichte vorauszubestimmen. 1 Oswald Spengler, 1880 in Blankenburg/Harz geboren, entwickelt schon früh Monumentalphantasien. In Schulheften finden sich Notizen über imaginäre Reiche - Einträge zur Bevölkerungsdichte bis hin zur Verfassung. Er entwickelt Chronologien und Historien, es geht um Entscheidungskämpfe, um die Neuordnung Europas und der übrigen Welt. Seine Begeisterung für Literatur und Philosophie führt zu regelrechten Leseobsessionen. Er verschlingt bereits in jungen Jahren große Teile der Weltliteratur und zeigt sich vor allem von der Philosophie Schopenhauers und Nietzsches nachhaltig beeindruckt. Sein Studium der Mathematik und Naturwissenschaft schließt er 1904 mit einer Dissertation über Heraklit ab. Hier benutzt Spengler bereits Motive des Werdens und Vergehens und deutet den Untergang der antiken Aristokratie als „vollkommen zu Ende gedachtes System des Relativismus.“ 2 Nachdem das Erbe seiner Mutter ihn finanziell unabhängig macht hat, gibt er den Lehrberuf auf und läßt sich in München als freier Schriftsteller nieder. Doch statt Anschluß an die Münchener Avantgarde sucht er deren Gegnerschaft. In selbstgewählter Einsamkeit, zwischen Sensibilität und Vermessenheit, beginnt Spengler sein Werk. Die Krise von Agadir, die Deutschland weitgehend politisch isolierte, sieht er als geistigen Wendepunkt, als „Typus einer historischen Zeitwende, die innerhalb eines großen historischen Organismus von genau begrenzbarem Umfange einen biographisch seit Jahrhunderten vorbestimmten Platz hatte“ 3 ; sie wird für ihn zum Kairos. Spenglers Werk will Diagnose und Prognose sein. In einem Brief an einen Verleger spricht er von „einer vollständigen Analyse der menschlichen Kultur“. 4 Er will mehr als Zivilisationskritik aus einem Zeitgefühl heraus. Spenglers neue Methode soll es möglich machen, Geschichte in ihren noch nicht abgelaufenen Stadien vorauszusagen. Der erste Band, der 1918 erscheint, trägt den Untertitel „Gestalt und Wirklichkeit“. Hier geht es Spengler darum, die Formensprache der großen Kulturen darzulegen, ihre Wurzeln und die Grundlagen ihrer Symbolik aufzuzeigen. Im weiteren versucht er einen Vergleich der Kulturen untereinander. [...]