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Mit leisem Spott mussten sie rechnen:
Ita Heinze-Greenberg folgt den Spuren deutsch-jüdischer Einwanderer in Palästina und Israel.
Prolog und Epilog dieses Buches führen aufs Meer hinaus. Ein winziger Film von rund drei Minuten hat sich erhalten, auf dem die aus Karlsruhe stammende Fotografin Ellen Auerbach im Herbst 1934 Bilder von der Überfahrt der Patria auf der Route von Triest nach Jaffa, dem Hafen von Tel Aviv, festhält: winkende Menschen am Quai, die Abschied nehmen, Sonne, Wellen, Möwen und die Passagiere, orthodoxe Juden, die beten, Muskeljuden, die Sport treiben, schließlich die elegant gekleideten Passagiere der ersten Klasse. Darunter zwei Herren, die auf dem Weg nach Palästina in die eigene Zukunft reisen: Chaim Weizmann und Erich Mendelsohn. Der eine wird 1948 der erste Präsident des Staates Israel, der andere dessen Baumeister. Mendelsohn wird nach der glücklichen Landung des Schiffes das Haus für die Familie Weizmann in Rehovot bauen, unweit von Tel Aviv. Es nahm die Form eines Schiffes an. Ein Bauhausschiff inmitten wogender Orangenbäume.
Sechs Jahre später, am 25. November 1940, sank die Patria im Hafen von Haifa innerhalb von nur 15 Minuten. Die jüdische Untergrundorganisation Haganah hatte einen Sprengsatz an Deck des vom britischen Militär beschlagnahmten Schiffes geschmuggelt. Ein gezielt herbeigeführtes Leck im Rumpf sollte vereiteln, dass 1900 jüdische Flüchtlinge, eben der nationalsozialistischen Verfolgung entkommen, von der britischen Mandatsmacht nach Mauritius verbracht würden. Die Briten wollten die Aufnahme von noch mehr Emigranten im Land verhindern. Doch die Sprengladung war falsch berechnet. 267 Menschen ertranken. Die Malerin Lea Grundig aus Berlin überlebte den Untergang und berichtete davon in ihren Bildern und Texten.
Diesen zweifachen Prolog wählt Ita Heinze-Greenberg, die über Jahre in Israel geforscht und in Zürich Architekturgeschichte gelehrt hat, als Auftakt für ihr Buch über die "Jeckes". So nannte man die aus Deutschland eingewanderten Juden und Jüdinnen, die ihr Jackett oder Kostüm auch bei sengender Hitze so wenig ablegten wie ihren Doktortitel. Die beiden Geschichten zeigen zwei Linien ihrer Einwanderung: die geglückte Ankunft an der Küste von Palästina oder den verzweifelten Untergang.
Die Jeckes waren eine in Israel mit leisem Spott bedachte Gruppe von Einwanderern aus Deutschland, eine schwer zu schätzende, fünfstellige Zahl von Menschen - so gebildet wie gut ausgebildet, mit Bibliotheken, Hausmusik, der nachmittäglichen Schlafstunde, pünktlich, zuverlässig, höflich und oft verträumt. Sie träumten von Berlin oder Hamburg, München oder Wien, von dort, wo sie herkamen, und wachten in der harten Welt eines Landes auf, das erst urbar gemacht werden musste, in Ortschaften, die erst langsam zu Städten wurden.
Die Geschichte dieser Gruppe von Menschen zerfällt naturgemäß in unendlich viele einzelne Geschichten, in Episoden, Anekdoten, heitere, aber auch tragische. Es ist das große Verdienst dieses Buches, davon zu erzählen, ohne den Zusammenhang aus den Augen zu verlieren. Die Geschichte des Kibbuz Hasorea etwa: 1936 schlugen im Norden des Landes 63 junge Frauen und Männer, durchweg aus begüterten deutsch-jüdischen Familien, buchstäblich ihre Zelte auf, um das Land aufzuforsten. Die jungen "Werkleute" entstammten der jüdischen Wandervogel-bewegung. Einen Hain benannten sie nach Martin Buber, einen anderen nach Thomas Mann, einen dritten Hain nach Hermann Hesse. Sie pflanzten ihre Idole in den Boden des neuen Landes.
Es gab die "Eier-Jeckes", die in einer mustergültig organisierten Genossenschaft Geflügel züchteten und mit Eiern handelten. Und Martin Feuchtwanger, der seinem berühmten, erfolgreichen Bruder Lion 1946 aus Tel Aviv nach Pacific Palisades schrieb: "Wie klein und bedeutungslos meine hiesige verlegerische Tätigkeit ist. Es liegt an dem Land [...], das wie eine von der Welt abgeschnittene Insel ist. Ernaehren kann ich mich von diesem Verlag nicht. Meine Haupttätigkeit besteht im Kochen." Martin Feuchtwanger betrieb einen Mittagstisch für zeitweise 25 Personen.
Die Jeckes konnten nicht in ihren angestammten Berufen bleiben. Es gab zu viele Ärzte, Anwälte, Gelehrte, zu wenig Techniker, Elektriker, Ingenieure und Landwirte. Architekten waren gefragt. Es gab Umschulungen, offizielle von den jüdischen Organisationen und improvisierte, eigene.
Die Baugeschichte zeigt Heinze-Greenberg an den beiden größten Städten des Landes auf: "Die Idee traditionsloser Novität wurde zur Kernqualität der urbanen Identität Tel Avivs und zum Symbol eines nationalen Neuanfangs." Schon früh entwickelte sich die weiße Stadt am Meer mit Kinos, Theatern, Galerien, Cafés, mit einem Museum, mit Konzerten und der jährlichen Levantemesse zum "Hotspot der Moderne", in dem sich die Jeckes zu Hause fühlten. Derselbe Martin Feuchtwanger rühmte seine Stadt: "Tel Aviv ist nur mit den schönsten und jüngsten Städten Kaliforniens vergleichbar."
Anders in Jerusalem, wo Erich Mendelsohn die arabische Architektur, Kuppeln und runde Formen, mit dem modernen Bauhaus verband und einen orientalisch modernen Stil schuf. Man müsse, schrieb der Architekt 1934 seiner Frau nach Berlin, "die Bibel bauen".
Die Sprache der "Jeckes" wurde nicht die der Bibel. Es blieb Deutsch, das 1934 als Unterrichtssprache an der Hebräischen Universität in Jerusalem abgeschafft wurde. Man hatte sie in den Jahren zuvor auch die Deutsche Universität genannt. Bis heute ist Deutsch kein reguläres Schulfach in Israel. Die deutsch-jüdischen Künstler, Architekten und Schriftsteller in Palästina waren von 1933 an vom Land ihrer Herkunft, an dem sie so hingen, abgeschnitten und konnten später nicht wieder daran anknüpfen.
Die Nationalbibliothek in Jerusalem birgt die meisten Nachlässe deutscher Sprache außerhalb von Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Ein großartiger Fundus der Schriften von Martin Buber, Else Lasker-Schüler, Gershom Scholem, kleiner und großer Sammlungen. In diesem Herbst bezieht die Bibliothek einen Neubau, den Herzog & de Meuron entworfen haben. Er hat die Form eines aufgeschlagenen Buches oder eines Schiffs. Es könnte das von Ita Heinze-Greenberg mit seinem sammelnden Charakter sein.
Als Epilog wählt die Autorin noch eine Schiffsgeschichte: Anfang Oktober 1955 lief in der Deutschen Werft in Hamburg-Finkenwerder ein weißer Turbinendampfer vom Stapel: die TS Israel. Er steuerte Haifa an, "schlank und stromlinienförmig wie die neue Nation", schrieb die "Times". Es war der erste Auftrag für einen größeren Schiffsbau, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an die Werft in Hamburg ging - Teil der Reparationen Deutschlands an Israel, die fortan unlösbar zur Geschichte der Emigration seiner Juden gehörten. THOMAS SPARR
Ita Heinze-Greenberg: "Zuflucht im Gelobten Land". Deutsch-jüdische Künstler, Architekten und Schriftsteller in Palästina/Israel.
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2023. 334 S., Abb., geb., 29,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
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_»Man wird immer wieder vom Einzelschicksal in die Gesamterzählung gesogen und kann nicht aufhören zu lesen.« art-Das Kunstmagazin