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Ein Sammelband versucht die Positionsbestimmung der Zukunftsforschung
Wozu ein dicker Band über "Zukunftsforschung"? Könnten wir wissen, was morgen sein wird, wüssten wir es ja schon heute. Tun wir aber nicht, sagte der Philosoph Karl Popper. Die Aufsatzsammlung aus Anlass des siebzigsten Geburtstags des Zukunftsforschers Rolf Kreibich soll der Selbstvergewisserung dieses Zweigs der Soziologie dienen. Für das Publikum fällt dabei wenig ab, darunter immerhin die zitierte Einsicht von Popper, an die der Physiker Michael Jischa erinnert.
Der Unternehmensberater Karlheinz Steinmüller sieht den Platz der Zukunftsforschung zwischen zwei Spielarten des Fatalismus: der Chaostheorie und dem geschichtsphilosophischen Determinismus. Nur eine "Analyse von Möglichkeitsräumen" könne der Zukunftsgestaltung den Weg weisen. Diese "Möglichkeitsräume" leuchtet der Band jedoch nur schwach aus. Wir quälen uns durch methodologisches Kauderwelsch hindurch, stoßen jedoch nicht auf originelle Szenarien oder Imaginationen unwahrscheinlicher Ereignisse mit großem Einfluss. Der Leser fühlt sich dagegen erfrischt, wenn ein Ingenieur und Philosoph wie Günter Ropohl die Luft aus Wörtern wie "Wissenschaftsgesellschaft", "Wissensgesellschaft" oder "Informationsgesellschaft" herauslässt. Gerd Bosbach und Klaus Bingler legen Denkfehler in der Bevölkerungsstatistik offen. Sie entzaubern die apokalyptische Dramatik des "Altenquotienten", des künftigen Verhältnisses der Erwerbstätigen zur "Versorgungslast", mit dem Versicherungsvertreter uns ihre Vorsorgeprodukte verkaufen. Ernst Ulrich von Weizsäcker wirbt für sein neues Buch und plädiert für eine Erhöhung der "Ressourcenproduktivität" im Gegensatz zum Ziel eines Steigerns der klassischen Arbeitsproduktivität. Er beschreibt den "Möglichkeitsraum" der Politik mit nachvollziehbaren Fakten.
Ärgerlich hingegen sind zahlreiche Beiträge, die sich um das mit Moral aufgeblasene Wort "Nachhaltigkeit" drehen. Der SPD-Politiker Michael Müller schwadroniert von einer "neuen Ordnung" im Rahmen "regulativer Ideen" von Kant und Hegel. Für diesen "normativen" Zweig der Zukunftsforschung stehen ebenfalls die Beiträge des ehemaligen SPD-Politikers Christoph Zöpel oder der Autoren um den Politikwissenschaftler Alfred Auer. Zöpel verbindet den Gedanken der "Nachhaltigkeit" auf unklare Weise mit der Sicherheit des Menschen in der "Weltgesellschaft". Die Autoren um Auer suchen hingegen Auswege aus dem kapitalistischen "Wachstumszwang" und streben die "Überwindung der zinsgetriebenen Wachstumsabhängigkeit" an.
Was ist interessant an diesen Positionen? Eigentlich nur, dass sie beispielhaft zum Ausdruck bringen, wie wenig unsere (finanz-)technisch, rechtlich und politisch ausdifferenzierte Gesellschaft über ihre eigenen Voraussetzungen informiert ist und wie sehr sie deshalb von Selbstzweifeln zernagt wird. Denn es ist zumindest für den Rezensenten schwer zu sehen, auf welche Weise ökologischer Raubbau oder soziale Ungerechtigkeit jenseits rechtsstaatlicher Eigentumsordnungen bekämpft werden könnten, wie sie zwar für den kapitalistischen "zinsgetriebenen" Westen immer noch selbstverständlich sind, nicht jedoch für die meisten anderen Weltteile. Der "Homo cooperativus", den ein anderer Autor als das nett klingende "Menschenbild der Neuen Umweltökonomie" beschwört, scheint uns aus einer glücklich überwundenen Zeit der kollektiven Verantwortungslosigkeit zuzuwinken.
Das Elend der "normativen" Zukunftsforschung bringt der Politik- und Wirtschaftsberater Horst W. Opaschowski in diesem Band unfreiwillig auf den Begriff: "Illusionen kann man zerstören, Visionen nie."
CHRISTOPH ALBRECHT
Reinhold Popp, Elmar Schüll (Hrsg.): "Zukunftsforschung und Zukunftsgestaltung". Beiträge aus Wissenschaft und Praxis. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 2009. 723 S., 48 Abb., geb., 99,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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