Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, CY, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, IRL, I, L, M, NL, P, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
In seinem Roman "Zum rosa Hahn" erzählt Erik Fosnes Hansen von zwei Goldmachern und einem grotesken Stadtstaat
Als freischaffender Künstler, der sein Publikum mit flüchtigen Kunststücken erfreut, muss man das Leben manchmal nehmen, wie es sich ergibt. Der umherziehende "Goldmacher" zum Beispiel, der sich zu Beginn von Erik Fosnes Hansens Roman "Zum rosa Hahn" in einer Gaststätte einmietet: Er hatte auf seinem Fußweg eigentlich ein ganz anderes Ziel, fieberte einem Schäferstündchen in Cottbus entgegen. Aber dann begegnete er auf der Landstraße einem älteren Kollegen, der ihn dermaßen zutextete, dass sich alles anders ergab. Und sie gelangten gemeinsam nach Jüterbog.
Was für eine seltsame Stadt. Sie trägt denselben Namen wie das mit einem prächtigen mittelalterlichen Stadtkern gesegnete "märkische Mantua" südlich von Berlin. Nur ist die Welt des Romans in Zeit und Raum nicht verortbar. In dieser Steampunk-Version von Brandenburg gibt es eine Zentralbehörde in Potsdam, die über so schöne Dinge wie künstliche Zusatzsonnen und so unschöne wie Geheimdienstler verfügt.
Und in Jüterbog, einer von Wachleuten abgeschirmten konstitutionellen Physiokratie, in der schon die Kinder die perfekten Massagetechniken lernen (keine Physiokratie ohne Physiotherapie), regiert die die Farbe Rosa liebende Markgräfin mit den Tasten einer Wolkenschreibmaschine, unterstützt von einem Hofstaat, zu dem ein Chefästhetiker zählt, zynischen Bürokraten, die Kältegeneratoren vor dem Haus verarmter Bürger aufstellen, und Sozialarbeitern, die von besagtem Haus auch noch die Farbe abkratzen.
Eiskalte Lehrer raten zum Verkauf schwer erziehbarer Söhne. Abgebrühte Kirchenvertreter, die sich mit säuselnden Chören umgeben ("Der Herr ließ seine Diashow über euch leuchten!", "Eine feste Burg ist unser Gott, ia-ia-oh!"), machen die Mutter eines lungenkranken Mädchens auf die Möglichkeiten zur "zügigen Einschläferung" und das "Sonderangebot für Kinderbestattungen" aufmerksam. Totschläger schaffen Bauern, die im Rathaus Konkurs anmelden, aus der Welt und ihre Familien mit roten Halsbändern "als Lockvögel" in den Wald.
Mit anderen Worten: Da hat sich erheblich was aufgestaut beim norwegischen Autor Erik Fosnes Hansen. Mit dem bitterbösen, aber auch brüllend komischen Roman "Zum rosa Hahn", der im Original im Herbst 2020 erschien, stellt er einen Zerrspiegel auf, in dem nicht nur Leser seiner Heimat in die Gegenwart zu spähen meinen.
Bissig kommentiert der Kommentar unter anderem den Zustand des Theaterlebens, das in Jüteborg nur noch aus "Floorshows" im Dienst des Stadtmarketings besteht (im Büro des Bühnenmeisters stehen "eine Massagebank sowie eine Probechaiselongue für junge Schauspielerinnen"). Oder auch den des Journalismus, der durch einen ungepflegten "Schmierfink" von der "Kultur und Leichtsinnigkeitsredaktion" des Jüteboger Abendblatts verkörpert wird. Der trägt eine Tasche "aus robustem Sensationsleder".
Immerhin: Noch fliegen in Jüterbog die Abendzeitungen "in Keilformation durch die Straße, alle wie vorgeschrieben in drei Metern Höhe mit schweren Flügelschlägen", und überhaupt ist in dieser Stadt das Leben in allen Dingen. Leere Zimmer seufzen, weil sie die in ihnen gespielte Musik von früher vermissen, Tulpenzwiebeln jammern aus Angst vor dem Winter, durchs Fenster geworfene Brötchen "kreischen vor Höhenangst laut auf". Der Straßenbelag schafft es "angesichts des geringen Instandhaltungsbudgets . . . nicht mehr, sich nachts zu straffen und zu sammeln". Fabulierfreude pur.
Sieht man einmal vom Clownesken ab, herrscht auch hier wieder der unaufdringlich märchenhafte Erzählton, der einst den Bestseller "Choral am Ende der Reise" über die Musiker der Titanic und später die Außenseitergeschichte "Das Löwenmädchen" sowie "Ein Hummerleben" über ein kriselndes Hotel in den Achtzigerjahren geprägt hat.
Wie man eine Handlung zusammenhält, muss man diesem Autor ebenfalls nicht erklären. Sie rollt einem Auftritt entgegen, den die beiden "Goldmacher" in Jüterbog nach einem lukullischen Abend im Gasthof planen. Aber (mit diesem Zauberwort professioneller Schwadroneure endet jedes Kapitel, bevor die Perspektive jäh wechselt und der Satz im Anfang des nächsten mit unerwartetem Inhalt fortgesetzt wird), aber sie erzählt auch von der jungen Clotilde, die wie eine twitternde Politikerin im Jetzt und Hier vor ihrem Himmelsschreiber sitzt und unter Einfallslosigkeit leidet, von einer alleinerziehenden Mutter mit schwierigem Sohn und todkranker Tochter und einigen sprechenden Tieren, die möglicherweise als Spione arbeiten. Bei Katzen, Hunden und Mäusen weiß man ja nie.
Ein Thriller deutet sich an, und auch wenn es nicht allzu sehr thrillt - es bewahrt den Roman vor Längen. Erik Fosnes Hansen, der im NRK-Radio erzählte, diese Geschichte auf einen Traum hin einfach mal ohne großen Plan angefangen zu haben, ein Buch, das am Ende nicht zuletzt von einem Menschen handelt, der sich radikalisiert, legt mit "Zum rosa Hahn" ein bis zum Ende überraschendes Werk vor. Der Einband der deutschen Ausgabe schimmert golden. MATTHIAS HANNEMANN
Erik Fosnes Hansen:
"Zum rosa Hahn". Roman.
Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 476 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In seinem Roman "Zum rosa Hahn" erzählt Erik Fosnes Hansen von zwei Goldmachern und einem grotesken Stadtstaat
Als freischaffender Künstler, der sein Publikum mit flüchtigen Kunststücken erfreut, muss man das Leben manchmal nehmen, wie es sich ergibt. Der umherziehende "Goldmacher" zum Beispiel, der sich zu Beginn von Erik Fosnes Hansens Roman "Zum rosa Hahn" in einer Gaststätte einmietet: Er hatte auf seinem Fußweg eigentlich ein ganz anderes Ziel, fieberte einem Schäferstündchen in Cottbus entgegen. Aber dann begegnete er auf der Landstraße einem älteren Kollegen, der ihn dermaßen zutextete, dass sich alles anders ergab. Und sie gelangten gemeinsam nach Jüterbog.
Was für eine seltsame Stadt. Sie trägt denselben Namen wie das mit einem prächtigen mittelalterlichen Stadtkern gesegnete "märkische Mantua" südlich von Berlin. Nur ist die Welt des Romans in Zeit und Raum nicht verortbar. In dieser Steampunk-Version von Brandenburg gibt es eine Zentralbehörde in Potsdam, die über so schöne Dinge wie künstliche Zusatzsonnen und so unschöne wie Geheimdienstler verfügt.
Und in Jüterbog, einer von Wachleuten abgeschirmten konstitutionellen Physiokratie, in der schon die Kinder die perfekten Massagetechniken lernen (keine Physiokratie ohne Physiotherapie), regiert die die Farbe Rosa liebende Markgräfin mit den Tasten einer Wolkenschreibmaschine, unterstützt von einem Hofstaat, zu dem ein Chefästhetiker zählt, zynischen Bürokraten, die Kältegeneratoren vor dem Haus verarmter Bürger aufstellen, und Sozialarbeitern, die von besagtem Haus auch noch die Farbe abkratzen.
Eiskalte Lehrer raten zum Verkauf schwer erziehbarer Söhne. Abgebrühte Kirchenvertreter, die sich mit säuselnden Chören umgeben ("Der Herr ließ seine Diashow über euch leuchten!", "Eine feste Burg ist unser Gott, ia-ia-oh!"), machen die Mutter eines lungenkranken Mädchens auf die Möglichkeiten zur "zügigen Einschläferung" und das "Sonderangebot für Kinderbestattungen" aufmerksam. Totschläger schaffen Bauern, die im Rathaus Konkurs anmelden, aus der Welt und ihre Familien mit roten Halsbändern "als Lockvögel" in den Wald.
Mit anderen Worten: Da hat sich erheblich was aufgestaut beim norwegischen Autor Erik Fosnes Hansen. Mit dem bitterbösen, aber auch brüllend komischen Roman "Zum rosa Hahn", der im Original im Herbst 2020 erschien, stellt er einen Zerrspiegel auf, in dem nicht nur Leser seiner Heimat in die Gegenwart zu spähen meinen.
Bissig kommentiert der Kommentar unter anderem den Zustand des Theaterlebens, das in Jüteborg nur noch aus "Floorshows" im Dienst des Stadtmarketings besteht (im Büro des Bühnenmeisters stehen "eine Massagebank sowie eine Probechaiselongue für junge Schauspielerinnen"). Oder auch den des Journalismus, der durch einen ungepflegten "Schmierfink" von der "Kultur und Leichtsinnigkeitsredaktion" des Jüteboger Abendblatts verkörpert wird. Der trägt eine Tasche "aus robustem Sensationsleder".
Immerhin: Noch fliegen in Jüterbog die Abendzeitungen "in Keilformation durch die Straße, alle wie vorgeschrieben in drei Metern Höhe mit schweren Flügelschlägen", und überhaupt ist in dieser Stadt das Leben in allen Dingen. Leere Zimmer seufzen, weil sie die in ihnen gespielte Musik von früher vermissen, Tulpenzwiebeln jammern aus Angst vor dem Winter, durchs Fenster geworfene Brötchen "kreischen vor Höhenangst laut auf". Der Straßenbelag schafft es "angesichts des geringen Instandhaltungsbudgets . . . nicht mehr, sich nachts zu straffen und zu sammeln". Fabulierfreude pur.
Sieht man einmal vom Clownesken ab, herrscht auch hier wieder der unaufdringlich märchenhafte Erzählton, der einst den Bestseller "Choral am Ende der Reise" über die Musiker der Titanic und später die Außenseitergeschichte "Das Löwenmädchen" sowie "Ein Hummerleben" über ein kriselndes Hotel in den Achtzigerjahren geprägt hat.
Wie man eine Handlung zusammenhält, muss man diesem Autor ebenfalls nicht erklären. Sie rollt einem Auftritt entgegen, den die beiden "Goldmacher" in Jüterbog nach einem lukullischen Abend im Gasthof planen. Aber (mit diesem Zauberwort professioneller Schwadroneure endet jedes Kapitel, bevor die Perspektive jäh wechselt und der Satz im Anfang des nächsten mit unerwartetem Inhalt fortgesetzt wird), aber sie erzählt auch von der jungen Clotilde, die wie eine twitternde Politikerin im Jetzt und Hier vor ihrem Himmelsschreiber sitzt und unter Einfallslosigkeit leidet, von einer alleinerziehenden Mutter mit schwierigem Sohn und todkranker Tochter und einigen sprechenden Tieren, die möglicherweise als Spione arbeiten. Bei Katzen, Hunden und Mäusen weiß man ja nie.
Ein Thriller deutet sich an, und auch wenn es nicht allzu sehr thrillt - es bewahrt den Roman vor Längen. Erik Fosnes Hansen, der im NRK-Radio erzählte, diese Geschichte auf einen Traum hin einfach mal ohne großen Plan angefangen zu haben, ein Buch, das am Ende nicht zuletzt von einem Menschen handelt, der sich radikalisiert, legt mit "Zum rosa Hahn" ein bis zum Ende überraschendes Werk vor. Der Einband der deutschen Ausgabe schimmert golden. MATTHIAS HANNEMANN
Erik Fosnes Hansen:
"Zum rosa Hahn". Roman.
Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 476 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main