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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Sophie Schönberger über das demokratische "Wir"
Es mangelt nicht an Theorien über Veränderungen der westlichen Gesellschaften in den vergangenen Jahren. Damit verbunden sind oft Analysen von deren Folgen für die Demokratie, ein Stichwort heißt Populismus, ein anderes "libertärer Autoritarismus". Sophie Schönberger, Professorin für öffentliches Recht in Düsseldorf, hat nun einen Essay vorgelegt, der einen neuen Anlauf nimmt. Ihr Buch steht unter dem Titel: "Zumutung Demokratie". Was die Autorin da als Zumutungen bezeichnet, sind Erscheinungen, die es - stärker oder weniger ausgeprägt, offen artikuliert oder unterdrückt - überall gibt. Sie hängen mehr mit Gesellschaft "an sich" zusammen als mit einer bestimmten Regierungsform. Schönbergers Diagnose ist, dass wir unsere Mitmenschen nicht gut "aushalten" (weniger gut, als dies früher der Fall war?). Dass dies ein Grund für politische Spaltungen ist, gilt, wenn es denn stimmen sollte, sicher nicht nur für die Demokratie. In autoritären Systemen brechen Konflikte nur deshalb nicht offen aus, weil sie unterdrückt oder kaschiert werden.
Dass sich Unzufriedenheit und Protest in freiheitlich organisierten Gemeinschaften besonders lautstark artikulieren, ist nicht verwunderlich. Eine Erklärung dafür ist, dass es heute eine Unzahl von Medien und Plattformen gibt, auf denen sich jeder, der mit irgendetwas nicht zufrieden ist, ungehemmt äußern kann. Und die Gegenthese zu Schönbergers Behauptung wäre, dass dies weniger mit neuen Dispositionen der Einzelnen zu tun hat als vielmehr mit der inneren Dynamik der Demokratie: Politiker, die im Wettbewerb miteinander stehen, wecken und nähren immer weiter wachsende Erwartungen an staatliche Leistungen und Steuerung, indem sie sich für fast alles, was dem Menschen widerfahren kann, für zuständig erklären - von der Wiege bis zur Bahre.
Es ist offensichtlich, dass damit Enttäuschungen und Frustration geradezu programmiert sind, weil Umfang und Dramatik der Probleme, vor denen unsere "postmodernen" Gesellschaften stehen, die Möglichkeiten und Kapazitäten der Staaten - zumindest einzelner Staaten - drastisch überfordern. Das gilt zum Beispiel für das Versprechen stetig wachsenden Wohlstandes, für die ständige Ausweitung sozialstaatlicher Leistungen auf jedes Alter und alle Lebensbereiche und bis hin zur Anforderung, hier und jetzt das Weltklima zu retten.
Bei Schönberger kommen diese Themen nicht vor. Das ist auch nicht nötig, denn sie sind schon in vielen anderen Büchern abgehandelt worden. Auch die recht freihändig verarbeiteten soziologischen und sozial-psychologischen Beschreibungen sind nicht sonderlich originell. Sie wirken hier ein wenig wie Versatzstücke eines Theoriebaukastens, denen mangels Empirie die Überzeugungskraft abgeht. So hat etwa die Klage, die Gesellschaft zerfalle in lauter "Ichs", über denen das Gemeinsame, das "Wir", das Schönbergers Meinung nach zur Demokratie gehört, zu kurz kommt, sicherlich einen wahren Kern; aber neu ist auch diese Erkenntnis nicht.
Doch was bedeutet sie? Schönberger hat eine steile These parat: "Den anderen auszuhalten und als grundsätzlich gleich zu akzeptieren ist jedenfalls umso leichter, je vertrauter er mir ist. Die Zumutungen der Demokratie werden daher tendenziell abgeschwächt, wenn man sich darauf einlässt, die anderen Mitglieder der demokratischen Gemeinschaft in einem weiteren Sinn als Teil des eigenen Lebens zu begreifen. Lässt man sich nicht darauf ein, wirken diese Begegnungen im eigenen Leben hingegen umso stärker als Zumutung in der Demokratie." Wenn es so einfach wäre! Es ist eine alte und gut dokumentierte Erkenntnis der Soziologie, dass gerade Nähe als Zumutung empfunden werden, also Konflikte hervorbringen kann, während die Lockerung zu enger Bindungen, also mehr Distanz, befriedende Wirkung hat.
Schönberger greift zur Abmilderung der von ihr postulierten demokratischen Zumutungen auf bekannte Konzepte zurück, die vom Kommunitarismus inspiriert sind, also auf Versuche, räumlich wie geistig und politisch mehr Gemeinschaft zu stiften. Nichts ist falsch an "Townhall Meetings", die es inzwischen überall gibt. Ob "demokratische Begegnungsangebote" , die sich Schönberger auch in Parks, auf öffentlichen Plätzen, in Freibädern, Cafés oder Bibliotheken wünscht, die von ihr definierten Zumutungen wirklich abmildern könnten, erscheint dennoch zweifelhaft. Eine mehr humoristische Pointe setzt am Schluss ihr Beispiel, die "Trinkhallenkultur im Ruhrgebiet" als kommunitaristisches Angebot zu verstehen. GÜNTHER NONNENMACHER
Sophie Schönberger: "Zumutung Demokratie". Ein Essay.
C. H. Beck Verlag, München 2023. 192 S., br., 16,- Euro.
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Deutschlandfunk Lesart, Christian Rabhansl
"Die Verfassungsrechtlerin untersucht, wie die Demokratie als Regierungs- wie als Lebensform dem Zusammenfinden und dem Auseinanderdriften der Individuen begegnet."
OE1 Radiogeschichten, Peter Zimmermann
"Überall dort, wo Recht und Politik berührt sind, folgt man dem flüssig geschriebenen Buch gern. "
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Jürgen Kaube
"Warum empfinden offensichtlich genug Menschen Demokratie als Zumutung? Fragt die Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger in ihrem Essayband."
WDR 5 Politikum, Max von Malotki
"Sieht das Problem in der sinkenden Bereitschaft, Mitmenschen auszuhalten."
Augsburger Allgemeine, Vincent Fendt
"Hat untersucht, welche Rolle das ,Wir' in unserer Staatsform noch spielt."
The Pioneer Podcast Briefing, Chelsea Spiecker
"Keine Zumutung, sondern vielmehr erhellend. ... Bietet Orientierung, Einordnung und vorsichtigen Optimismus in Bezug auf die mangelhafte Staatsform Demokratie."
Sächsische Zeitung, Karl Adam