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Obwohl es sich um den wohl einflussreichsten Soziologen der (bundes-)deutschen Nachkriegszeit handelt, ist es um Helmut Schelsky (1912-1984) und sein Werk still geworden. Zwar sind seine öffentlichkeitswirksamen Deutungsangebote – von der „skeptischen Generation“ über die „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ bis hin zum „Sachzwang“ – heute noch weithin geläufig. Doch letztlich verblassten hinter der hohen Suggestivität dieser Schlagworte die genuin soziologischen Beiträge mehr und mehr. Das vorliegende Buch gibt erstmals eine kritische Einleitung in das sozialwissenschaftliche Gesamtwerk…mehr

Produktbeschreibung
Obwohl es sich um den wohl einflussreichsten Soziologen der (bundes-)deutschen Nachkriegszeit handelt, ist es um Helmut Schelsky (1912-1984) und sein Werk still geworden. Zwar sind seine öffentlichkeitswirksamen Deutungsangebote – von der „skeptischen Generation“ über die „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ bis hin zum „Sachzwang“ – heute noch weithin geläufig. Doch letztlich verblassten hinter der hohen Suggestivität dieser Schlagworte die genuin soziologischen Beiträge mehr und mehr. Das vorliegende Buch gibt erstmals eine kritische Einleitung in das sozialwissenschaftliche Gesamtwerk Schelskys und zeigt dabei, dass dessen damalige Suche nach Wirklichkeit eine Vielzahl an überraschend aktualisierungsfähigen Überlegungen enthält. Es richtet sich sowohl an Studierende wie an Wissenschaftler, die aus fachgeschichtlichem, systematischem oder gegenwartsdiagnostischem Blickwinkel an einer Neubewertung der Soziologie Schelskys interessiert sind.
Autorenporträt
Dr. Patrick Wöhrle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der TU Dresden. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind soziologische Theorie und Theoriegeschichte, Kultursoziologie und historische Semantik.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2015

Der Mann, der den Sachzwang entdeckte

So fremd war ihm am Ende sein Fach, dass sich Helmut Schelsky selbst einen "Anti-Soziologen" nannte. Patrick Wöhrle legt nun nahe, dieser intellektuellen Gründerfigur der Bundesrepublik endlich den ihr gemäßen Platz einzuräumen.

In Hermann Lübbes Nachruf auf seinen alten Freund und Mitstreiter ist zu lesen: "Nicht leicht verständlich bleibt die Resignation, die Helmut Schelsky in seinen letzten Lebensjahren in einen Winkel des Burgenlandes sich zurückziehen ließ, während er doch die Wirkung und Anerkennung seines Lebenswerkes, die weltweit waren, hätte genießen sollen." Doch zutreffend war diese, wenn man so will, postume Ermahnung wie Ermunterung von 1984 nicht.

Von den späten sechziger Jahren an hatte sich Schelsky zu einem Außenseiter innerhalb des eigenen Faches entwickelt und die Selbstbezeichnung des "Anti-Soziologen" gewählt. Fremd war ihm die Profession (nicht zuletzt: politisch) geworden, deren Etablierung er einst in der Bundesrepublik maßgeblich mitbetrieben hatte.

Auch mag man ein Fragezeichen hinter die Aussage zur internationalen Reputation und Ausstrahlungskraft setzen. Patrick Wöhrle kann allerdings zeigen, wie frühzeitig sich sein 1912 in Chemnitz geborener Protagonist schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in der American Library Karlsruhe selbst mit intellektuellen Leitfiguren der internationalen Soziologie befasste. Dies dürfte einer der Gründe dafür gewesen sein, weshalb Schelsky in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten zu den Modernisierern innerhalb der sich erst ausformenden bundesdeutschen Soziologie avancieren konnte. Weder politisch noch methodisch ist er für diese Phase als Konservativer angemessen charakterisiert.

Bereits in seinen frühen Schriften nach 1945 habe Schelsky auch "erste Signale seiner neuen Demokratiekompatibilität" ausgesandt. Angesichts seiner jugendbewegten, konservativ-revolutionären und nationalsozialistischen Begeisterungsfähigkeit vergangener Jahre ist diese Konversion, deren Vollzug wie geschmiert vonstattengegangen zu sein scheint, nicht leicht zu erklären. Wöhrle lässt einen in dieser Hinsicht ein wenig ratlos zurück.

Sein Schelsky beginnt im Grunde erst in der zweiten Jahrhunderthälfte, während beispielsweise die beiden Qualifikationsschriften des idealistisch-philosophisch gestimmten Autors über Fichte und Hobbes ohne Beachtung bleiben. Dies ist insofern problematisch, als sich der Philosoph Schelsky vor 1945 nicht eindeutig vom Soziologen Schelsky nach 1945 scheiden lässt. Nicht nur beharrte Schelsky 1939 an seiner Alma Mater in Königsberg auf der Verleihung der Doppelvenia für Philosophie und Soziologie, sondern auch Wöhrle liefert gelegentlich Belege für einen entsprechenden Traditionsüberhang, etwa im Falle seiner ausgezeichneten Miniatur zu Schelskys Universitätsschrift "Einsamkeit und Freiheit" von 1963, die geistesgeschichtlich grundierte Passagen mit knallharter empirischer Sozialwissenschaft ("Auf der Suche nach Wirklichkeit") verband.

Schelsky erscheint ein Stück weit aus der Zeit herausgelöst, will der Autor doch dessen "soziologische Aktualität (und Klassizität!)" herausstreichen. Dies beginnt damit, dass Wöhrle die wiederholt vorgebrachte These von der Theoriearmut bei Schelsky zurückweist. So habe er die bei seinem Lehrer Arnold Gehlen aufgegriffene Denkfigur der Institution eigenständig weiterentwickelt und dynamisiert. Was bei Gehlen larmoyant-pessimistische Töne der Kulturkritik und der allgemeinen Degeneration hervorbrachte, würdigte Schelsky offener, weil er seinen Institutionenbegriff modernisierend-elastisch anlegte und von essentialistischer Starrheit befreite.

Wöhrle lässt uns hier wie sonst, dazu frei von Soziologenjargon, an seinen kenntnisreichen Lektüren von Schelskys Werken teilhaben. "Die skeptische Generation", häufig auf ein Stichwort des Zeitgeistes reduziert, lohne einen genaueren Blick in die Schrift von 1957 selbst, die zu den Pionierleistungen einer empirischen, begrifflich differenzierten, nicht normativ überwölbten Jugendsoziologie zähle. Die darin vorgebrachten Überlegungen zur "Erziehung der Väter" (neben einer "Erziehung der Kinder") seien im Falle moderner Mediennutzung durchaus relevant und weit entfernt von Verfallsklagen.

Ähnliches lässt sich von Schelskys hellsichtiger Hochschulkritik behaupten, die im Angesicht von Drittmittelfetisch, Bologna-Reform und Vernetzungsdiktat aktueller denn je erscheint.

Schelsky verstand es, diesen wie anderen mit schriftstellerischem Geschick entfalteten Funktions- und Institutionenanalysen feine Dosen von Polemik und Urteilsfreude beizumischen. Das gilt auch für seinen langen Essay "Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation" aus dem Jahr 1961, der ihm dauerhaft den Ruf eines "technokratischen Konservativen" einbrachte: Der technischen Moderne stand er zwar aufgeschlossen gegenüber, aber er ließ an die Stelle politischer Kategorien die bis heute viel zitierten und beklagten "Sachzwänge" treten. Wöhrle betont aber zu Recht, wie wenig Schelsky nur eine solche Entpolitisierung begrüßte, stattdessen mit seiner strukturanalytischen Diagnose eine Warnung verband und auf "gestaltende Gegenkräfte" hoffte.

Im Verlauf der siebziger Jahre schwand bei einem zunehmend resignierten Schelsky indes die Hoffnung, an der sich ihm durch und durch (links-)konformistisch präsentierenden Universität solche überhaupt noch zu finden. Die von ihm wahrgenommene "sozialreligiöse" Herrschaft der Linksintellektuellen, nicht zuletzt auch im eigenen Fach, ließ dort, wie er meinte, keinen institutionellen Platz mehr für ihn. In seinem polemisch-kritischen, gleichwohl gelehrten Spätwerk "Die Arbeit tun die anderen" (1975) sprach er von sich selbst als einem "Renegaten" und heftete sich im Schlusskapitel erstmals das Etikett des "Anti-Soziologen" an.

So aktualitäts- und werkorientiert Wöhrles Einführung dem eigenen Anspruch nach ist, lässt sie doch wiederholt historische Hintergründe wenigstens schemenhaft aufscheinen. Damit weckt sie zugleich das Bedürfnis nach Konturierung, damit sich die Denkwege des Zeitdiagnostikers und (Anti-)Intellektuellen Schelsky wie auch seine diversen Rollenspiele als Wissenschaftsmanager, Publizist oder Politikberater schärfer abzeichnen. Die Zeit- und Ideenhistoriker beginnen erst damit, Schelsky und andere intellektuelle Gründerfiguren der Bundesrepublik zu entdecken. Die Soziologen mögen derweil untereinander aushandeln, ob und inwiefern sie eine Schelsky-Renaissance mitmachen und ihn in den Kanon ihrer Klassiker aufnehmen wollen. Und sei es nur jener der ungeliebten.

ALEXANDER GALLUS

Patrick Wöhrle:

"Zur Aktualität von Helmut Schelsky". Einleitung in sein Werk.

Springer VS, Wiesbaden 2015. 195 S., br., 24,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Patrick Wöhrle eilt zur späten Ehrenrettung des Soziologen Helmut Schelsky, berichtet Alexander Gallus. Indem Schelsky in den bewegten Sechzigerjahren die "Sachzwänge" in die Soziologie einführte, hatte er sich den damals unbeliebten Ruf eines Technokraten und Konservativen eingefangen, erklärt der Rezensent. Wöhrle gelingt es mit seinen klugen und jargonfreien Lektüren tatsächlich, Schelsky aus dieser Ecke herauszuholen und Interesse für seine Arbeiten zu wecken, lobt Gallus. Etwas schade findet der Rezensent allerdings, dass Schelsky für Wöhrle nur in den Nachkriegsjahren von Interesse zu sein scheint, was einerseits dessen philosophische Arbeiten zu kurz kommen und andererseits den schnellen Wandel Schelskys vom bekennenden Nationalsozialisten zum braven Demokraten etwas unterbelichtet lässt, so Gallus.

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