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Eine liberale Rabbinerin entwickelt ein jüdisches Verständnis des Politischen
Es ist ein Buch für Feinschmecker, das Elisa Klapheck vorgelegt hat. Tief taucht die liberale Rabbinerin der Gemeinde Frankfurt mit sieben Essays in die Hebräische Bibel ein, bewertet Nuancen, gibt Deutungshypothesen anhand linguistischer Besonderheiten des Hebräischen (Zauberhaft: So sind die hebräischen Worte für "Wüste" und "sprechen" fast gleich, was Klapheck einen Bogen zum Bund von Gott und Menschen sowie den in der Wüste gegebenen Gesetzen schlagen lässt.) Insgesamt changiert "Zur politischen Theologie des Judentums" damit zwischen einer rabbinischen Predigt mit vielen Zitaten aus der Hebräischen Bibel und einer philosophischen Argumentation. Das Buch ist ganz klar ein theologisches. Es positioniert sich in Debatten, die für manchen Leser alltagsfern wirken mögen, wo es doch Details aus der Wanderung Moses durch die Wüste wälzt und auch mal der Frage nachgeht, ob nun nur die Leviten oder doch alle Israeliten geheiligt sind. Doch das Buch ist auch ein politisches, denn Klapheck bleibt dort nicht stehen, sondern zieht aus ihren Überlegungen Schlüsse über Gleichheit und Populismus, zur globalisierten Wirtschaft, zur Europäischen Union und dem Primat des Rechtsstaates. Kurz: Sie entwickelt ein jüdisches Verständnis des Politischen.
Politisch, das ist für sie zuvorderst die Beziehung zwischen Gott und Mensch, die sich durch demokratische Grundtugenden auszeichnet. Sie kann als Basis für das Interagieren zwischen Menschen, Völkern und Staaten interpretiert werden. Die Idee, die Klapheck in kleinen Schritten entwickelt, geht so: Gott - der in der Tora oft als rachsüchtiger, zürnender Despot auftritt, der den Erdboden auftut, um Aufständische zu verschlingen oder gleich die ganze Menschheit in einer Sintflut ertränkt - arbeitet sich an "seinem" Volk Israel ab. Er wird in Kompromisse und Deals manövriert, die sein Wesen und das der Mensch-Gott-Beziehung verändern. Sie führen eine emanzipierte Beziehung: Beide haben etwas zu sagen.
Das Buch und diese Lesart der Bibel sind ein Plädoyer für Vielfalt und Diskurs. Dafür, dass die Auseinandersetzung mit Worten der Modus ist, in dem man nicht nur Konflikte zwischen Sterblichen am besten beilegt - sondern mit dem man sogar dem Ewigen etwas abtrotzen kann. So verhandelt etwa Abraham mit Gott über die Vernichtung Sodoms - und gewinnt. Am Ende dann aber wieder nicht, da er nicht einmal zehn Gerechte in der Stadt findet, weswegen nur sein Schwager gerettet wird, aber immerhin: Er hat Gottes Gerechtigkeitsvorstellung hinterfragt und ihn überzeugt, dass es nicht fair ist, Unschuldige aus Groll gegen die Schuldigen mit zu vernichten.
Angenehm anders ist der Blick auf biblische Geschichten, die auch Christen bekannt sein dürften, wenn sie ihr Altes Testament kennen. So versteht Klapheck Eva zum Beispiel nicht als Ursünderin, sondern als Verwirklicherin von Freiheit. Oder die Verwirrung der Sprachen nach dem Turmbau zu Babel nicht als Strafe, sondern als Erguss von Gottes Vielfalt unter den Menschen: "Den Menschen geschieht ein politischer Segen!"
Ein besonders erhellendes Kapitel ist das letzte, in dem Klapheck knapp das Leben in der Diaspora als wirtschaftlichen Erfolgsfaktor charakterisiert und die Halacha als dezentrale, zusammenhaltende und zugleich ultrakomplexe Rechtstradition als den jüdischen Teil der vielzitierten jüdisch-christlichen Tradition in Europa ausmacht. "Jüdisch" ist nach dieser Lesart: diskursiv, demokratisch, sozial-marktwirtschaftlich, globalisiert, aufklärerisch. Und, wie Klapheck beruhigenderweise feststellt: "Man kann auch als Nichtjude in einer jüdischen Tradition stehen." THERESA WEISS
Elisa Klapheck: Zur politischen Theologie des Judentums.
Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2022. 242 S., 24,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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