Im Zentrum des Buches stehen die politischen Konversionen des jüdischen Juristen und hochrangigen Mitarbeiter des SED-Parteiapparats Leo Zuckermann (1908–1985), der sich in einer kurzen Zeitspanne zwischen Zweitem Weltkrieg und Beginn des Ost-West-Konflikts für die Rechte der Juden als Kollektiv einsetzte. So befürwortete er sowohl die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina als auch die Restitution oder Entschädigung von den Nazis geraubten jüdischen Vermögens. Anstoß für diese beispiellose und weithin vergessene Haltung innerhalb der Arbeiterbewegung hatte ihm die Diskussion der Nachrichten von der Vernichtung der europäischen Juden im mexikanischen Exil gegeben, in der herkömmliche marxistische Gewissheiten vorübergehend durchlässig und für die Integration eines jüdischen Selbstverständnisses empfänglich wurden. Ausgehend von Leo Zuckermanns politischer Biografie leistet die Studie eine Erklärung dafür, weshalb dem Holocaust in der politischen Erinnerung der kommunistischen Bewegung kaum Bedeutung zukam.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Leo Zuckermann war möglicherweise der wichtigste SED-Funktionär, "der jemals in den Westen flüchtete", lernt Kritiker Klaus Hillenbrand in der Biografie, die Philipp Graf über einen heutzutage fast Unbekannten geschrieben hat. Zuckermann war Jude, der sich in den 1920er Jahren dem Kommunismus zuwandte und schon im französischen Exil Überlegungen anstellte, wie nach dem Krieg Entschädigungen für die Jüdinnen und Juden durchgesetzt werden könnten, ein Ziel, das mit dem wachsenden Antisemitismus gerade in der Sowjetunion scheitern musste, wie Hillenbrand weiß. Als sich die Stimmung in der DDR mehr und mehr veränderte, emigrierte Zuckermann in den Westen und schließlich ins mexikanische Exil, wo er, rund 30 Jahre später, erneut auf Erich Honecker traf. Ein spannendes Buch über "einen mehrfach Gescheiterten", schließt Hillenbrand.
© Perlentaucher Medien GmbH
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