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»Wolfgang Streeck ist der Polanyi unserer Zeit.« Perry Anderson
In der Hochphase des Neoliberalismus galt die Globalisierung als unvermeidlich und die umverteilende Demokratie als überholt. Wachsender Wohlstand für alle war das Versprechen, wachsende Unfähigkeit, die kapitalistische Ungleichheitsmaschine zu bändigen, ist das Ergebnis. Taumelnde Volksparteien, schrumpfende Gewerkschaften sowie grassierende Zweifel an der Leistungsfähigkeit demokratischer Institutionen sind die eine Folge dieser Entwicklung. Die andere sind Bewegungen wie die »Gelbwesten« sowie neue Parteien an den Rändern…mehr

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Produktbeschreibung
»Wolfgang Streeck ist der Polanyi unserer Zeit.« Perry Anderson

In der Hochphase des Neoliberalismus galt die Globalisierung als unvermeidlich und die umverteilende Demokratie als überholt. Wachsender Wohlstand für alle war das Versprechen, wachsende Unfähigkeit, die kapitalistische Ungleichheitsmaschine zu bändigen, ist das Ergebnis. Taumelnde Volksparteien, schrumpfende Gewerkschaften sowie grassierende Zweifel an der Leistungsfähigkeit demokratischer Institutionen sind die eine Folge dieser Entwicklung. Die andere sind Bewegungen wie die »Gelbwesten« sowie neue Parteien an den Rändern des politischen Spektrums. Längst hat in vielen Ländern ein Tauziehen um die politische Ordnung begonnen, das die Gesellschaften zu zerreißen droht. Angesichts dieser Situation ist die Zeit reif für eine grundlegende Entscheidung, sagt Wolfgang Streeck in seinem fulminanten neuen Buch. Soll es mit dem Umbau des Staatensystems weitergehen wie gehabt, das heißt in Richtung einer noch stärkeren überstaatlichen Zentralisierung? Oder wäre der Weg in eine moderne, auf friedliche Kooperation ausgerichtete »Kleinstaaterei« die bessere Lösung? Mit dem Ziel einer Neubegründung demokratischer Politik vor Augen fällt sein Votum eindeutig aus: für den zweiten Weg, auch und gerade in Europa. Denn schon die EU, wie wir sie kennen, ist Streeck zufolge nicht demokratisierbar.


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Autorenporträt
Wolfgang Streeck, geboren 1946, war bis 2014 Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Er ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Academia Europaea, Korrespondierendes Mitglied der British Academy sowie Honorary Fellow der Society for the Advancement of Socio-Economics. Sein Buch Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus war 2013 für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik nominiert und wurde bislang in 17 Sprachen übersetzt.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2021

Seht nur, wie die Institutionen zerfallen

Da sind doch Fehler im System: Wolfgang Streeck macht sich an die ganz große Transformation der globalisierten Welt.

Wenn man den Titel dieses Buches an einem historischen Vorbild ausrichten wollte, könnte er, frei nach Lenin, "Die neoliberale Hyperglobalisierung als höchstes Stadium des Kapitalismus" heißen. Folgt man Wolfgang Streeck, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung und zeitweiliger Weggefährte von Sahra Wagenknecht und Bernd Stegemann in der Linksbewegung "Aufstehen!", so hat diese Phase in den frühen Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts begonnen: mit dem Zusammenbruch des Systemrivalen Sowjetunion, der den endgültigen Sieg des westlichen Modells von Demokratie plus Marktwirtschaft bekräftigte. Den amerikanischen Politologen Francis Fukuyama verführte das zur steilen These, nun sei ein "Ende der Geschichte" erreicht - natürlich nicht der Ereignisgeschichte, sondern verstanden als struktureller Zustand des globalen Systems.

Heute wissen wir, dass Fukuyama falschlag, wie schon Lenin im Jahr 1917. Streeck illustriert das an großen Krisen, die seither durchlaufen wurden: Weltfinanzkrise, Euro-Schuldenkrise, schließlich die Corona-Pandemie, die zu einem Einbruch der Weltwirtschaft geführt hat. Dazu kommen politische Niederlagen des Westens, vor allem mit den letztlich gescheiterten militärischen Interventionen im Irak und in Afghanistan; schließlich der Aufstieg Chinas zum neuen wirtschaftlichen wie politischen Systemrivalen der westlichen Welt.

Das alles sind, folgt man Streeck, keine kontingenten Entwicklungen, sondern Vorzeichen dafür, dass die Phase der Hyperglobalisierung unvermeidlich an ihr Ende gekommen ist. Er führt ein imposantes theoretisches Gebilde auf, um diese Entwicklung als zwingend zu erweisen. Dafür streift er quer durch Ökonomie, Soziologie, Geschichte und Politikwissenschaft, selbst die philosophische Anthropologie wird genutzt; und entwickelt wird daraus eine holistische Theorie, die nicht weniger anstrebt, als die Natur von Gesellschaften und Staaten sowie des gesamten Staatensystems zu erklären.

Es ist die ganz große Transformation, die Streeck für die Zukunft im Auge hat - und in der Tat ist "The Great Transformation" des österreichischen Wirtschaftshistorikers und Sozialforschers Karl Polanyi eine seiner wichtigsten Quellen. Inspiration bieten auch Edward Gibbons "Untergang und Fall des Römischen Imperiums" und John Maynard Keynes - eine recht heterogene, aparte Mischung.

Diese große Transformation beginnt bei Streeck mit einer Neuformatierung der Demokratie, und hier beginnen auch die Probleme. Die politische Legitimationskrise, die sich im Aufkommen links- und rechtspopulistischer Bewegungen manifestiert, sieht Streeck mit einer gewissen Genugtuung. Denn er bescheinigt ihnen, dass sie mit ihrer Kritik in vielem recht haben und Ziele formulieren, die durchaus in seinem Sinn sind: Ablehnung der "kosmopolitischen Eliten" , überhaupt des politischen "Mainstreams"; Rückgewinnung nationalstaatlicher Souveränität durch Auflösung supranationaler Institutionen wie der EU und Abschaffung von "global governance"; Protektion der heimischen Wirtschaft und Abschottung der Grenzen als Schutz vor einer Überforderung des Sozialstaates durch Migration; breite Partizipation, wobei der bei Gelegenheit gewählte Begriff "plebejisch" anzeigt, in welche Richtung das gehen soll. Die Befürchtung, dass der populistische Zug letztlich bei einer ganz anderen Station ankommen könnte, nämlich in einem autoritären, sogar gewaltbereiten Regime à la Trump, beschäftigt Streeck nicht wirklich.

Nach Streecks Vorstellungen soll das bestehende, dysfunktionale internationale System abgelöst werden von einer Welt souveräner Nationalstaaten, die durch horizontale, gleichberechtigte Kooperation "à la carte" selbstbestimmt mit- und nebeneinander existieren. Wie das funktionieren soll, bleibt trotz einiger Beispiele und vieler theoretischer Einlassungen weitgehend unbestimmt. Auch hier scheint Streeck die Befürchtung, dass die schöne neue Welt im Chaos enden könnte, nicht zu plagen. Manche seiner Thesen über erneuerte internationale Beziehungen sind schlichtweg naiv, etwa dass die UN und das Völkerrecht kleinere oder schwächere Staaten schützen könnten. Gefahren, die von Russland oder China drohen könnten, spielt er herunter. Seltsam ist auch, dass ein Autor, der den Nationalstaat für ein nicht überholtes, sogar unüberwindbares Element der Geschichte hält, der zudem den "Eigensinn" von Gesellschaften und Völkern, ihr Festhalten an Traditionen und Wertvorstellungen, lobt, kaum darauf eingeht, dass auch die von ihm abgelehnten globalen Institutionen ihren Eigensinn und ihre "Pfadabhängigkeiten" haben. Genau aus diesem Grund wären sie, wenn überhaupt, nur unter großen Verwerfungen abzubrechen oder abzuwickeln. Nicht dass Streeck dies durchweg leugnet, aber letztlich kommt die große Transformation für ihn quasi naturwüchsig zustande, weil die bestehenden Verhältnisse nicht mehr funktionieren und ihre Institutionen von selbst verfallen. Gerne schildert Streeck Anzeichen dafür, für Rettungsbemühungen hat er nicht viel mehr als Spott übrig.

Die Grundthesen des Buches sind, dass sich "der Konflikt zwischen (wirtschaftlichem) Globalismus und politischer Demokratie" nicht lösen lässt und "die gesellschaftliche Institutionenlogik . . . nicht liefern (kann), was die wirtschaftliche Kapitalakkumulationslogik verlangt". Sie werden in Streecks Theorie unauflöslich verwoben und als zwingender Zusammenhang dargestellt, aus dem es kein Entkommen gibt. Der EU gilt dabei eine bis zum Hass gesteigerte Abneigung. Streeck hält nicht nur die Währungsunion für ein missglücktes Experiment, sondern den ganzen supranationalen Aufbau für verfehlt; und der Brexit ist für ihn ein Vorbote der fortschreitenden Auflösung dieses Gebildes. Dabei erwähnt er mit keinem Wort, dass die Brexit-Kampagne unter anderem auch eine krude Mischung aus Lügen und imperialer Nostalgie war.

Streeck sieht die EU als ein "unvollendetes und unvollendbares liberales Imperium im Stadium seines absehbaren Scheiterns". Er glaubt, dass die Transferzahlungen, die den Wohlstand der kleineren und ärmeren Mitgliedstaaten gemehrt sowie ihre Folgebereitschaft erkauft haben, inzwischen an Grenzen stoßen. Diese Investitionen seien für die Hegemonialmächte Deutschland und Frankreich schlicht nicht mehr rentabel, selbst wenn sie qua Schulden auf die europäische Ebene verlagert würden. Das Verhältnis zwischen Paris und Berlin analysiert Streeck unter dem Gesichtspunkt einer europäischen Verteidigung. Mit guten Gründen glaubt er, diese könne auch von dem Projekt einer europäischen Armee nicht befördert werden, weil das ganze Unternehmen aussichtslos sei. Nebenbei gesagt, die These, dass die Bundeswehrpräsenz im Baltikum für Russland eine Bedrohung sein oder werden könnte, spiegelt eher Streecks Weltbild als die Realitäten.

Es ist eine Binsenweisheit, dass die europäische Einigung unter dem atomaren Schutzschild der Vereinigten Staaten (und der NATO) nicht nur dem guten Willen der Beteiligten zu verdanken war, sondern auch der kollektiven Erschöpfung nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber dass darauf die längste Friedensphase in der europäischen Geschichte folgte und ein weltweit einmaliges Kooperationsgeflecht entstand, das nicht auf Zwang, sondern auf Vereinbarungen beruht, wäre schon mehr als ein paar Randbemerkungen wert gewesen. Streeck pickt negative Seiten der Kooperation heraus, was daraus an Positivem entstanden ist, kümmert ihn nicht. Die während der Eurokrise geschnürten Rettungspakete sieht er recht einseitig als Austeritätsprogramme; ob sie überhaupt umgesetzt wurden und wie Griechenland (vorläufig) wieder flottgemacht wurde, gerät nicht in seinen Blick.

Die Lösungen, die Streeck vorschlägt, sind skizzenhaft. Das kann man ihm nicht vorwerfen. Aber wenn Streeck zugibt, dass bei manchen Vorschlägen erst praktische Erfahrungen zeigen werden, ob sie zum Ziel führen, und bei anderen ausdrücklich sagt, es könne so kommen, müsse aber nicht - so ist das bei Experimenten, die viele oder gar alle Menschen betreffen, doch ziemlich leichtfertig. Freilich waren das Utopien schon immer.

An Einzelheiten von Streecks wagemutigem, fast halsbrecherischem Entwurf, der sich auf viele Vorarbeiten stützt, mögen sich Fachwissenschaftler und Spezialisten abarbeiten. Beeindruckend ist, dass ein renommierter Wissenschaftler einen solchen Wurf überhaupt wagt, denn dazu gehört Mut und allerdings auch eine Portion Größenwahn. Leider ist das Buch durchgehend von Fachjargon geprägt, Streeck referiert und zitiert seitenweise und langatmig, wenn andere Autoren seine Sicht der Dinge bestätigen. Ist das nicht der Fall, macht er sich gerne herablassend über sie lustig. Manche Redundanzen wären durch ein besseres Lektorat zu vermeiden gewesen. Aber wahrscheinlich wollte sich auch der Lektor nicht mit dem streitbaren Wolfgang Streeck anlegen.

GÜNTHER NONNENMACHER.

Wolfgang Streeck: "Zwischen Globalismus und Demokratie". Politische Ökonomie im ausgehenden Neoliberalismus.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 538 S., geb., 28,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der hier rezensierende Soziologe Armin Nassehi würde den Kollegen Wolfgang Streeck gern vor seinen eigenen Argumenten in Schutz nehmen, wenn der dem Neoliberalismus mit dem "homogenen Nationalstaat" beikommen möchte. Dass solche Ideen in Schnellroda auf Zuspruch stoßen, kann sich Nassehi leicht ausmalen. Allein dem Autor fehlt allzu sehr der Sinn für das kreative Potenzial der Märkte, ahnt der Rezensent. Und wie Streeck die "strukturelle Integrationskrise" moderner Gesellschaften zu lösen versucht, nämlich mit homogenen Kollektiven, lässt Nassehi ratlos zurück. Dass sich der souveräne Nationalstaat selbst genug sei, wie der Autor laut Rezensent behauptet, möchte Nassehi jedenfalls nicht glauben.

© Perlentaucher Medien GmbH
»... Streecks neues Werk [hat] jenen Rang, der wie wenige Veröffentlichungen eine intensive Diskussion verdient.« Otfried Höffe Frankfurter Rundschau 20210808