Examensarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Pädagogik - Heilpädagogik, Sonderpädagogik, Note: 2, Universität zu Köln (Seminar für Hörgeschädigtenpädagogik), Sprache: Deutsch, Abstract: Mein Nachbar ist gehörlos, Analphabet und kann weder sprechen noch gebärden, sich nur im engsten Familienkreis notdürftig verständigen. Als er mit acht Jahren in Folge einer Viruserkrankung das Gehör verlor, nahmen ihn seine Eltern aus der Schule und behielten ihn im Haus. Sie empfanden es als Schande, ein gehörloses Kind zu haben, deshalb sollte es der Öffentlichkeit möglichst verborgen bleiben. Das liegt jetzt fast sechzig Jahre zurück. Inzwischen gibt es das Bundesgleichstellungsgesetz vom 1.5.2002, das die Gebärdensprache als eigenständige Sprache anerkennt. Auch die zunehmende Präsenz von Gehörlosen in den Medien (wie z.B. in dem Film „Jenseits der Stille“, im „Tatort“ oder durch Gebärdensprachdolmetscher in der Nachrichtensendung „Phönix“ oder durch die Sendung für Gehörlose von Gehörlosen „Sehen statt Hören“) zeigt, dass sich das Bild der Gehörlosen in der Öffentlichkeit gewandelt hat. Ein Schicksal wie das meines Nachbarn ist heute in der Bundesrepublik nicht mehr vorstellbar. Neue Erkenntnisse in der Gebärdensprach-Forschung und ein damit zusammenhängendes neues Selbstverständnis der Gehörlosen haben dazu geführt, dass Gehörlosigkeit immer häufiger nicht nur aus pathologischer Sicht betrachtet wird. Die Gehörlosen haben ein positives Selbstbewusstsein entwickelt, das das Ausmaß der Hörschädigung in den Hintergrund treten lässt. Sie sehen sich weniger als Menschen mit Behinderung, sondern vielmehr als Teil einer eigenen kulturellen Gemeinschaft. Beobachtet man Gehörlose, die ihre Gehörlosigkeit nicht verleugnen, in einer hörenden Umgebung, z.B. eine Gruppe gebärdender junger Erwachsener im Zug, ist zu beobachten, dass sich das positive Selbstbild der Gehörlosen auch auf die Hörenden überträgt, die ihnen begegnen. Von anfänglich befremdeter Neugier wechseln die Blicke der Hörenden meist rasch zu fasziniertem Interesse, mit dem die in der Regel intensive und lebendige gebärdensprachliche Konversation verfolgt wird.