Das Debüt der Saison 2020 - Aufmacher der Messe-Literaturbeilagen von Zeit und SPIEGEL. Tennis als Spiegel des Lebens - in ihrem literarischen Debüt schlägt Andrea Petkovic die Brücke zwischen Sport und Literatur, und begeistert mit zutiefst ehrlichen und anrührenden Geschichten. Andrea Petkovic nimmt uns mit in die Welt eines faszinierenden Sports, der so unkontrollierbar und aufregend ist wie das Leben selbst. Wie gelingt die Balance zwischen Siegesgewissheit und Selbstzweifel? Wie schafft man es, trotz Niederlagen und Verletzungen die Freude am Spiel nicht zu verlieren? Klug, poetisch und mit warmherzigem Humor erzählt sie Geschichten aus ihrer Jugend als Flüchtlingskind, von Begegnungen auf und neben dem Tennisplatz, von ihrer zerrissenen serbisch-deutschen Seele und wilden New Yorker Nächten, von weiblichen Körpern im Leistungssport - und von ihrer Liebe zu Literatur und Musik. So ist Petkovic' Debüt als literarische Autorin eine bewegende und witzige Hommage an das Auf und Ab des Lebens.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Gerald Kleffmann kann es kaum fassen, dass eine Profi-Tennisspielerin wie Andrea Petkovic sich für Literatur interessiert, ein Buch veröffentlicht und auch noch erzählen kann. Die im Band versammelten Erzählungen um "große Narrative" wie Glück, Unglück und Liebe hält er für nachdenklich, ja weise, aber auch witzig. Wie der Geist von Dostojewksi und Foster Wallace zusammengeht, der für Kleffmann durch das Buch weht, weiß allein der Rezensent. Über Empathie und Beobachtungsgabe der Autorin gerät der Rezensent regelrecht ins Schwärmen, nur ihre Neigung zum Superlativ teilt er nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.11.2020Alles, was ich über Tennis weiß
Spiel, Satz, Erweckungserlebnis: Andrea Petković ist mit
„Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ ein exzellentes Erzähldebüt geglückt
VON GERALD KLEFFMANN
Der erste Schriftsteller, der sie fesselte, war Fjodor Dostojewski. Ihn entdeckte Andrea Petković eher widerwillig, als eines seiner Bücher auf einem Nachttisch lag. Sie war in Melbourne, als Tennisprofi ist man ja immer irgendwo, und so hatte sie sich für diese weite Reise „Schuld und Sühne“ eingepackt. Zwei Wochen nahm sie das Buch nicht in die Hand. Aber als sie den Deckel aufklappte und den ersten Satz las, „legte sich eine allumfassende Ruhe über mein Gemüt“. So erinnert sie sich.
Das war der Beginn von Petkovićs Liebe zur Literatur. Schon bald sollte sie auf den zweiten prägenden Autor stoßen. Wieder war sie in einem Hotelzimmer und bürstete sich die Haare, als ein Mann mit Brille im Fernsehen einer Interviewerin von seinem Schaffen berichtete: „Sagen Sie doch selbst, wenn sie alleine im Hotelzimmer säßen und zappten durch die Kanäle“, fragte der Mann, „würden Sie sich lieber einen langatmigen, verkopften Nerd angucken, der über Literatur referiert, oder bleiben Sie bei Pamela Anderson hängen, die halb nackt am Strand Malibus entlangrennt?“ Petković schrieb den Namen jenes Mannes in ihr Notizbuch: David Foster Wallace. Sie unterstrich ihn zweimal. Nicht ahnend, dass sie durch diesen Kerl eine neue Welt kennen lernen würde. Sie tauchte ein in seine Werke. Setzte sich mit seinen Gedanken auseinander. Sogar über Tennis, ihrem Metier, hatte er brillant geschrieben, in „String Theory“. Für Petković ein „Erweckungserlebnis“.
Es ist tragisch, dass Foster Wallace nicht mehr lebt, aber das, was er seinerzeit bei einer nicht ganz unbedeutenden Sportlerin aus Germany ausgelöst hat, nämlich plötzliche Lust auf Literatur, hat zu einem erstaunlichen Ergebnis geführt. Das Multitalent Petković gründete im Frühjahr nicht nur einen virtuellen Bücherklub, in dem sich Nerds wie sie in die Zeilen ihrer Lieblinge fräsen. Die 33-Jährige hat nun ein eigenes Werk vorgelegt. Vielleicht steht ja Foster Wallace gerade irgendwo da oben, kämmt sich das Haar – und lächelt.
„Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ ist ein reflektierendes, oft witziges, noch öfter nachdenkliches, weises Buch geworden. In 18 Erzählungen, die sich zu einer Collage ihres Lebens vereinen, findet sich zweifellos der Geist von Dostojewski und Foster Wallace wieder. Es geht in ihren Episoden nicht um Tennistechniken oder eine vollständige Chronologie ihrer Karriere. Es sind die großen Narrative, die sie beschäftigen und verstehen will, Glück, Unglück, Freundschaft, Liebe, Enttäuschung, Einsamkeit, Drama.
Nun ist es keine Selbstverständlichkeit, dass einem Quereinsteiger aus dem Profisport eine derartige Lebens- und Selbstreflexion gelingt. Wenn sich frühere oder aktuelle Athleten an eigene Erzählungen wagen, geht das in der Regel fürchterlich schief. Plattitüden und Redundanzen haben viele Versuche sterbenslangweilig gemacht. Oft liegt das an den Ghostwritern. In der ewigen Hitparade der unzumutbarsten Biografien führen traditionell die Fußballer, aber auch in Petkovićs Branche gab es schon mehr als genug Veröffentlichungen, die dem sportlichen Schaffen der Protagonisten nicht mal annähernd gerecht wurden.
Boris Becker zum Beispiel hat einmal mächtig danebengegriffen, als er auf einen im Society-Segment beheimateten Autor setzte. Trash war das Ergebnis. Das Selbstporträt „Open“ des früheren Tennisprofis Andre Agassi wiederum gilt als Meisterwerk, zum einen, weil der Amerikaner schonungslos Zweifel, Ängste, Selbsthass und Drogenmissbrauch beichtete. Zum anderen, weil er auf J. R. Moehringer zurückgriff, einen Pulitzerpreisträger, der für ihn die Worte fand, als er die vermeintlich heile Fassade des Stars niederriss, um den wahren Menschen dahinter zu zeigen.
Mit der Einnahme von Chrystal Meth kann Petković zwar nicht dienen, ein paar Mezcal zu viel sind bei ihr schon der ultimative Exzess gewesen (zumindest laut Buch), sie hat auch keinen Moehringer angeheuert. Sie entblößt sich aber auch – und sie hat jede Zeile selbst verfasst, was ihr Schaffen noch ungewöhnlicher macht.
Zugute kam Petković, dass sie schon seit Jahren, wenn es ihr Sport zuließ, Kolumnen und Essays publizierte, etwa für die FAZ, den Spiegel und das SZ Magazin, aber auch auf Englisch für das anspruchsvolle Racquet Magazine. Sie hat sich ohne großen Turniertriumph eine Fangemeinde erarbeitet, wobei nicht immer auszumachen ist, ob sie eine intellektuelle Tennisspielerin oder eine tennisspielende Intellektuelle ist. Ihr Buch beantwortet diese Frage auch nicht. In jedem Fall hat sie schwarzen Humor. „German beer makes things okay“, ist seit Jahren ihr sich selbst persiflierendes Motto.
Andrea Petković, in Tuzla im heutigen Bosnien und Herzegowina geboren, in Darmstadt aufgewachsen, wo Vater Zoran Mitte der Achtzigerjahre Arbeit als Tennistrainer fand und Schutz für die Familie vor dem Krieg, war immer anders als ihre langjährigen Weggefährtinnen Angelique Kerber, Sabine Lisicki, Julia Görges. Extrovertierter, emotionaler, suchender, aber auch mal rabaukiger. Ihr Buch ist auch als Ankunft zu verstehen, dabei will sie noch ein Jahr als Profi spielen.
„Alles, was ich sicher über Tennis weiß, ist, dass Tennisliebhaber auch Lebensliebhaber sind“, schreibt sie. Da ist eine Athletin, die früher schon mal nach ein, zwei Fehlern auf dem Platz zusammenbrach, die in China tagelang weinte und keinen Sinn in ihrem Beruf sah, bei sich angekommen. Das spiegelt sich auch in der Sicherheit und Aufgeräumtheit ihres Erzählstils wider.
Phasenweise, vor allem wenn es explizit nicht um Tennis geht, vergisst man, dass sie „die Petko“ ist, wie sie ihre Anhänger rufen. Sie ist dann einfach nur eine exzellente Kurzgeschichtenschreiberin mit der Gabe, auch kleine Dinge zu sehen, die man gerne übersieht. Besonders anschaulich wird das in jener Episode, als sie eine Musikband, die tatsächlich Tennis heißt, auf Tour durch Arizona und New Mexiko begleitet und nüchtern beschreibt, wie monoton und zäh Soundchecks sind und wie wenig Energie für Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll übrig bleibt, nämlich keine.
Natürlich hat das Buch auch Schwächen, bei ihrer Liebe zum Superlativ hätte Petković jemand einfangen können. Und man spürt, dass sie manche Schilderung aus ihrem Tennisleben eher pflichtbewusst abarbeitet. Wenn sie aber frei galoppiert und ohne den Zwang zur Zuspitzung Momente dokumentarisch seziert, ergeben sich anrührende Sequenzen. Dazu zählt vor allem ihre Begegnung als junge Spielerin mit Danica, einer Begabung wie sie, voller Träume und Ängste wie sie, die doch im Tennis auf der Strecke blieb. Petković erhebt sich nicht über Danica, sondern ist da als Autorin fast nur Beobachterin und offenbart Empathie – ihr gehen Geschichten Gestrandeter nahe.
Zu denen sie sich ab und an selbst zählt. Materiell mag Petković ausgesorgt haben, sie verdiente Millionen, aber die inneren Kämpfe hörten ja nie auf. Deshalb möchte man eigentlich in ihrem nächsten Buch auch nur, dass sie sich an neue Bartresen hängt oder nächtelang durch New York streunt, ihrem „seelischen Äquivalent“, und den Zufall Schicksal spielen lässt. Gerne auch, wie in diesem Buch, mit ein klein wenig literarischem Spielraum. So manch poröser Erinnerung habe sie kreativ etwas nachgeholfen.
Rollenspiele sind bei ihr indes kein Mittel zum Zweck. Dass Grenzen ineinanderfließen können, ist Ausdruck der Freiheit, die sie sich nimmt. So wurde sie auch, teils notgedrungen, sozialisiert. Sie selbst schildert offen, wie sie als Migrantenkind stets den dringenden Wunsch verspürt hatte, irgendwo dazuzugehören. Wenn man allerdings so wissbegierig und neugierig ist wie sie, gibt es eben viele Seiten, auf die man sich schlagen kann.
Das kann heute ihre Künstlerclique in New York sein und morgen ein Meeting mit ihrem Tennisteam. Deshalb ist es auch kein Widerspruch, zumindest in der Welt von Andrea Petković, dass sie in ihrem Buch philosophisch Parallelen zieht zwischen den Rivalitäten der Maler Willem de Kooning und Jackson Pollock sowie der Tennis-Asse Roger Federer und Rafael Nadal – und an anderer Stelle sich besorgt mit der Frage beschäftigt, warum sie Bikinis nicht mag.
Andrea Petković: Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht. Erzählungen. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 272 Seiten, 20 Euro.
Wovon das Buch handelt?
Von Glück und Unglück, Liebe
und Einsamkeit – und dem Leben
Als Migrantenkind habe
sie einst dringend
dazugehören wollen
Große Fangemeinde auch ohne großen Turniergewinn: die deutsche Tennisspielerin Andrea Petković.
Foto: dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Spiel, Satz, Erweckungserlebnis: Andrea Petković ist mit
„Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ ein exzellentes Erzähldebüt geglückt
VON GERALD KLEFFMANN
Der erste Schriftsteller, der sie fesselte, war Fjodor Dostojewski. Ihn entdeckte Andrea Petković eher widerwillig, als eines seiner Bücher auf einem Nachttisch lag. Sie war in Melbourne, als Tennisprofi ist man ja immer irgendwo, und so hatte sie sich für diese weite Reise „Schuld und Sühne“ eingepackt. Zwei Wochen nahm sie das Buch nicht in die Hand. Aber als sie den Deckel aufklappte und den ersten Satz las, „legte sich eine allumfassende Ruhe über mein Gemüt“. So erinnert sie sich.
Das war der Beginn von Petkovićs Liebe zur Literatur. Schon bald sollte sie auf den zweiten prägenden Autor stoßen. Wieder war sie in einem Hotelzimmer und bürstete sich die Haare, als ein Mann mit Brille im Fernsehen einer Interviewerin von seinem Schaffen berichtete: „Sagen Sie doch selbst, wenn sie alleine im Hotelzimmer säßen und zappten durch die Kanäle“, fragte der Mann, „würden Sie sich lieber einen langatmigen, verkopften Nerd angucken, der über Literatur referiert, oder bleiben Sie bei Pamela Anderson hängen, die halb nackt am Strand Malibus entlangrennt?“ Petković schrieb den Namen jenes Mannes in ihr Notizbuch: David Foster Wallace. Sie unterstrich ihn zweimal. Nicht ahnend, dass sie durch diesen Kerl eine neue Welt kennen lernen würde. Sie tauchte ein in seine Werke. Setzte sich mit seinen Gedanken auseinander. Sogar über Tennis, ihrem Metier, hatte er brillant geschrieben, in „String Theory“. Für Petković ein „Erweckungserlebnis“.
Es ist tragisch, dass Foster Wallace nicht mehr lebt, aber das, was er seinerzeit bei einer nicht ganz unbedeutenden Sportlerin aus Germany ausgelöst hat, nämlich plötzliche Lust auf Literatur, hat zu einem erstaunlichen Ergebnis geführt. Das Multitalent Petković gründete im Frühjahr nicht nur einen virtuellen Bücherklub, in dem sich Nerds wie sie in die Zeilen ihrer Lieblinge fräsen. Die 33-Jährige hat nun ein eigenes Werk vorgelegt. Vielleicht steht ja Foster Wallace gerade irgendwo da oben, kämmt sich das Haar – und lächelt.
„Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ ist ein reflektierendes, oft witziges, noch öfter nachdenkliches, weises Buch geworden. In 18 Erzählungen, die sich zu einer Collage ihres Lebens vereinen, findet sich zweifellos der Geist von Dostojewski und Foster Wallace wieder. Es geht in ihren Episoden nicht um Tennistechniken oder eine vollständige Chronologie ihrer Karriere. Es sind die großen Narrative, die sie beschäftigen und verstehen will, Glück, Unglück, Freundschaft, Liebe, Enttäuschung, Einsamkeit, Drama.
Nun ist es keine Selbstverständlichkeit, dass einem Quereinsteiger aus dem Profisport eine derartige Lebens- und Selbstreflexion gelingt. Wenn sich frühere oder aktuelle Athleten an eigene Erzählungen wagen, geht das in der Regel fürchterlich schief. Plattitüden und Redundanzen haben viele Versuche sterbenslangweilig gemacht. Oft liegt das an den Ghostwritern. In der ewigen Hitparade der unzumutbarsten Biografien führen traditionell die Fußballer, aber auch in Petkovićs Branche gab es schon mehr als genug Veröffentlichungen, die dem sportlichen Schaffen der Protagonisten nicht mal annähernd gerecht wurden.
Boris Becker zum Beispiel hat einmal mächtig danebengegriffen, als er auf einen im Society-Segment beheimateten Autor setzte. Trash war das Ergebnis. Das Selbstporträt „Open“ des früheren Tennisprofis Andre Agassi wiederum gilt als Meisterwerk, zum einen, weil der Amerikaner schonungslos Zweifel, Ängste, Selbsthass und Drogenmissbrauch beichtete. Zum anderen, weil er auf J. R. Moehringer zurückgriff, einen Pulitzerpreisträger, der für ihn die Worte fand, als er die vermeintlich heile Fassade des Stars niederriss, um den wahren Menschen dahinter zu zeigen.
Mit der Einnahme von Chrystal Meth kann Petković zwar nicht dienen, ein paar Mezcal zu viel sind bei ihr schon der ultimative Exzess gewesen (zumindest laut Buch), sie hat auch keinen Moehringer angeheuert. Sie entblößt sich aber auch – und sie hat jede Zeile selbst verfasst, was ihr Schaffen noch ungewöhnlicher macht.
Zugute kam Petković, dass sie schon seit Jahren, wenn es ihr Sport zuließ, Kolumnen und Essays publizierte, etwa für die FAZ, den Spiegel und das SZ Magazin, aber auch auf Englisch für das anspruchsvolle Racquet Magazine. Sie hat sich ohne großen Turniertriumph eine Fangemeinde erarbeitet, wobei nicht immer auszumachen ist, ob sie eine intellektuelle Tennisspielerin oder eine tennisspielende Intellektuelle ist. Ihr Buch beantwortet diese Frage auch nicht. In jedem Fall hat sie schwarzen Humor. „German beer makes things okay“, ist seit Jahren ihr sich selbst persiflierendes Motto.
Andrea Petković, in Tuzla im heutigen Bosnien und Herzegowina geboren, in Darmstadt aufgewachsen, wo Vater Zoran Mitte der Achtzigerjahre Arbeit als Tennistrainer fand und Schutz für die Familie vor dem Krieg, war immer anders als ihre langjährigen Weggefährtinnen Angelique Kerber, Sabine Lisicki, Julia Görges. Extrovertierter, emotionaler, suchender, aber auch mal rabaukiger. Ihr Buch ist auch als Ankunft zu verstehen, dabei will sie noch ein Jahr als Profi spielen.
„Alles, was ich sicher über Tennis weiß, ist, dass Tennisliebhaber auch Lebensliebhaber sind“, schreibt sie. Da ist eine Athletin, die früher schon mal nach ein, zwei Fehlern auf dem Platz zusammenbrach, die in China tagelang weinte und keinen Sinn in ihrem Beruf sah, bei sich angekommen. Das spiegelt sich auch in der Sicherheit und Aufgeräumtheit ihres Erzählstils wider.
Phasenweise, vor allem wenn es explizit nicht um Tennis geht, vergisst man, dass sie „die Petko“ ist, wie sie ihre Anhänger rufen. Sie ist dann einfach nur eine exzellente Kurzgeschichtenschreiberin mit der Gabe, auch kleine Dinge zu sehen, die man gerne übersieht. Besonders anschaulich wird das in jener Episode, als sie eine Musikband, die tatsächlich Tennis heißt, auf Tour durch Arizona und New Mexiko begleitet und nüchtern beschreibt, wie monoton und zäh Soundchecks sind und wie wenig Energie für Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll übrig bleibt, nämlich keine.
Natürlich hat das Buch auch Schwächen, bei ihrer Liebe zum Superlativ hätte Petković jemand einfangen können. Und man spürt, dass sie manche Schilderung aus ihrem Tennisleben eher pflichtbewusst abarbeitet. Wenn sie aber frei galoppiert und ohne den Zwang zur Zuspitzung Momente dokumentarisch seziert, ergeben sich anrührende Sequenzen. Dazu zählt vor allem ihre Begegnung als junge Spielerin mit Danica, einer Begabung wie sie, voller Träume und Ängste wie sie, die doch im Tennis auf der Strecke blieb. Petković erhebt sich nicht über Danica, sondern ist da als Autorin fast nur Beobachterin und offenbart Empathie – ihr gehen Geschichten Gestrandeter nahe.
Zu denen sie sich ab und an selbst zählt. Materiell mag Petković ausgesorgt haben, sie verdiente Millionen, aber die inneren Kämpfe hörten ja nie auf. Deshalb möchte man eigentlich in ihrem nächsten Buch auch nur, dass sie sich an neue Bartresen hängt oder nächtelang durch New York streunt, ihrem „seelischen Äquivalent“, und den Zufall Schicksal spielen lässt. Gerne auch, wie in diesem Buch, mit ein klein wenig literarischem Spielraum. So manch poröser Erinnerung habe sie kreativ etwas nachgeholfen.
Rollenspiele sind bei ihr indes kein Mittel zum Zweck. Dass Grenzen ineinanderfließen können, ist Ausdruck der Freiheit, die sie sich nimmt. So wurde sie auch, teils notgedrungen, sozialisiert. Sie selbst schildert offen, wie sie als Migrantenkind stets den dringenden Wunsch verspürt hatte, irgendwo dazuzugehören. Wenn man allerdings so wissbegierig und neugierig ist wie sie, gibt es eben viele Seiten, auf die man sich schlagen kann.
Das kann heute ihre Künstlerclique in New York sein und morgen ein Meeting mit ihrem Tennisteam. Deshalb ist es auch kein Widerspruch, zumindest in der Welt von Andrea Petković, dass sie in ihrem Buch philosophisch Parallelen zieht zwischen den Rivalitäten der Maler Willem de Kooning und Jackson Pollock sowie der Tennis-Asse Roger Federer und Rafael Nadal – und an anderer Stelle sich besorgt mit der Frage beschäftigt, warum sie Bikinis nicht mag.
Andrea Petković: Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht. Erzählungen. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 272 Seiten, 20 Euro.
Wovon das Buch handelt?
Von Glück und Unglück, Liebe
und Einsamkeit – und dem Leben
Als Migrantenkind habe
sie einst dringend
dazugehören wollen
Große Fangemeinde auch ohne großen Turniergewinn: die deutsche Tennisspielerin Andrea Petković.
Foto: dpa
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2020Die Resolute
FRANKFURT Andrea Petkovic liest aus ihrem Debüt im Frankfurter Literaturhaus
Erst vor einer Woche war sie bei Thea Dorn im Literarischen Quartett. Jetzt besuchte Andrea Petkovic das Frankfurter Literaturhaus. Sie war zwar nur per Livestream im Gespräch mit Alf Mentzer zu erleben, aber umso intensiver. Denn die Kamera ist gnadenlos: Jedes Mienenspiel, jedes Spiel der Hände, alles, was der Präsenz-Gast aus der Distanz zum Podium sonst nicht wahrnehmen kann, gerät in den Fokus. Beide, die Profi-Tennisspielerin und der Literaturchef des Hessischen Rundfunks, liefen zur großen Form eines idealen Zusammenspiels auf: ebenbürtig im profunden Ausloten eines Sports, der im Ruch steht, nur für Wohlhabende praktikabel zu sein, und der Profi-Turnier-Tour, einer Lebensform, die junge, physisch hochleistungsfähige Menschen oft an die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit bringt.
Petkovic, geboren 1987 in Bosnien und nach der Emigration ihrer Eltern 1988 in Darmstadt aufgewachsen, war mal die Nummer acht der Weltrangliste. Jetzt ist sie 33 Jahre alt und hat Knorpelschäden in beiden Knien. Bevor sie im kommenden Jahr doch wieder zu Turnieren antritt, hat sie ihr literarisches Debüt vorgelegt, einen autobiographisch grundierten Erzählungsband unter dem Titel "Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht" (KiWi). Die Nacht, wie sie etwa ihre einstige Doppelpartnerin erlebte, als sie vor einem Final-Match nervlich durchdrehte, weil sie fünf Monate von ihren Eltern in Montenegro getrennt gewesen war und das Geld so dringend brauchte. Petkovic empfand sie als "Zwillingsidentität". Das war die "Nacht"-Passage. Das Händeschütteln mit ihrem Lieblingsautor Jonathan Franzen im Frankfurter Schauspielhaus hat sie dagegen zum "best day ever" verarbeitet.
Lesen zählte schon immer zu den Lieblingsbeschäftigungen der Hochbegabten, die, nach Überspringen der elften Schulklasse, das Abitur mit der Note 1,2 abgelegt hatte. Sie gehe immer mit acht bis zehn Büchern im Gepäck auf Tour, verriet sie jetzt. Philipp Roth, vor allem aber David Foster Wallace gehören zu ihren Autoren-Spezis. Um mit Gleichgesinnten über Autoren reden zu können, hat sie einen "Racquet-Book-Club" gegründet. Dabei hatte sie es gar nicht so leicht als Tochter von Einwanderern. Die Eltern, ihr Vater war Tennistrainer, hätten sich unwohl gefühlt in Deutschland und daher Fassaden aufgebaut. Sie sei unter strenger Kontrolle aufgewachsen. "Auf dem Tennisplatz konnte ich alle Wut und Aggressionen rauslassen", sagt die Tochter heute. "Die Freiheit des Tennisplatzes war unabdingbar wichtig in meinem Leben." Auf den Angriff, die Taktik der Gegnerin warten? Nein. "Ich muss selbst entscheiden."
Die Resolute ist aber auch selbstreflektiert. Das merkt man ihrem Buch an, in dem sie, wie auf dem Court, auch um ihre Identität kämpft. Zu Serena Williams, der "Schwarzen im weißen Sport", empfindet sie "Schwesterlichkeit". Rituale, dazu zählte auch ein morgendliches Vollkorn-Croissant, habe sie überwunden. Erst mit etwa 30 Jahren aber habe sie gelernt, mit Niederlagen umzugehen, denn: "Schuld und Scham machen einsam." Mentzer vermutete, dass ein Lebensmodell zwischen Schuld und Triumph nicht gesellschaftstauglich sei. "Tennis ist wie eine griechische Tragödie", erwiderte Petkovic. Mentzer, der mit einfühlsamen und kenntnisreichen Fragen glänzte, lag nur einmal daneben: "Buchseite und Tennisplatz entsprechen sich als Rechteck, in dem alles erlaubt ist." Regeln aber gibt es hier wie dort.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
FRANKFURT Andrea Petkovic liest aus ihrem Debüt im Frankfurter Literaturhaus
Erst vor einer Woche war sie bei Thea Dorn im Literarischen Quartett. Jetzt besuchte Andrea Petkovic das Frankfurter Literaturhaus. Sie war zwar nur per Livestream im Gespräch mit Alf Mentzer zu erleben, aber umso intensiver. Denn die Kamera ist gnadenlos: Jedes Mienenspiel, jedes Spiel der Hände, alles, was der Präsenz-Gast aus der Distanz zum Podium sonst nicht wahrnehmen kann, gerät in den Fokus. Beide, die Profi-Tennisspielerin und der Literaturchef des Hessischen Rundfunks, liefen zur großen Form eines idealen Zusammenspiels auf: ebenbürtig im profunden Ausloten eines Sports, der im Ruch steht, nur für Wohlhabende praktikabel zu sein, und der Profi-Turnier-Tour, einer Lebensform, die junge, physisch hochleistungsfähige Menschen oft an die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit bringt.
Petkovic, geboren 1987 in Bosnien und nach der Emigration ihrer Eltern 1988 in Darmstadt aufgewachsen, war mal die Nummer acht der Weltrangliste. Jetzt ist sie 33 Jahre alt und hat Knorpelschäden in beiden Knien. Bevor sie im kommenden Jahr doch wieder zu Turnieren antritt, hat sie ihr literarisches Debüt vorgelegt, einen autobiographisch grundierten Erzählungsband unter dem Titel "Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht" (KiWi). Die Nacht, wie sie etwa ihre einstige Doppelpartnerin erlebte, als sie vor einem Final-Match nervlich durchdrehte, weil sie fünf Monate von ihren Eltern in Montenegro getrennt gewesen war und das Geld so dringend brauchte. Petkovic empfand sie als "Zwillingsidentität". Das war die "Nacht"-Passage. Das Händeschütteln mit ihrem Lieblingsautor Jonathan Franzen im Frankfurter Schauspielhaus hat sie dagegen zum "best day ever" verarbeitet.
Lesen zählte schon immer zu den Lieblingsbeschäftigungen der Hochbegabten, die, nach Überspringen der elften Schulklasse, das Abitur mit der Note 1,2 abgelegt hatte. Sie gehe immer mit acht bis zehn Büchern im Gepäck auf Tour, verriet sie jetzt. Philipp Roth, vor allem aber David Foster Wallace gehören zu ihren Autoren-Spezis. Um mit Gleichgesinnten über Autoren reden zu können, hat sie einen "Racquet-Book-Club" gegründet. Dabei hatte sie es gar nicht so leicht als Tochter von Einwanderern. Die Eltern, ihr Vater war Tennistrainer, hätten sich unwohl gefühlt in Deutschland und daher Fassaden aufgebaut. Sie sei unter strenger Kontrolle aufgewachsen. "Auf dem Tennisplatz konnte ich alle Wut und Aggressionen rauslassen", sagt die Tochter heute. "Die Freiheit des Tennisplatzes war unabdingbar wichtig in meinem Leben." Auf den Angriff, die Taktik der Gegnerin warten? Nein. "Ich muss selbst entscheiden."
Die Resolute ist aber auch selbstreflektiert. Das merkt man ihrem Buch an, in dem sie, wie auf dem Court, auch um ihre Identität kämpft. Zu Serena Williams, der "Schwarzen im weißen Sport", empfindet sie "Schwesterlichkeit". Rituale, dazu zählte auch ein morgendliches Vollkorn-Croissant, habe sie überwunden. Erst mit etwa 30 Jahren aber habe sie gelernt, mit Niederlagen umzugehen, denn: "Schuld und Scham machen einsam." Mentzer vermutete, dass ein Lebensmodell zwischen Schuld und Triumph nicht gesellschaftstauglich sei. "Tennis ist wie eine griechische Tragödie", erwiderte Petkovic. Mentzer, der mit einfühlsamen und kenntnisreichen Fragen glänzte, lag nur einmal daneben: "Buchseite und Tennisplatz entsprechen sich als Rechteck, in dem alles erlaubt ist." Regeln aber gibt es hier wie dort.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Die hochbegabte Tennisspielerin Andrea Petkovic wechselt ins Autorenfach [...]. Entstanden sind berührende Geschichten aus der Welt des Leistungssports, die davon leben, dass die 33-Jährige von außen auf sich selbst schauen kann.« Jens Meifert Kölnische Rundschau 20201217