Bisher stand die ukrainische Moderne im Schatten der russischen. Dabei waren von den 1910er bis zu den 1930er Jahren neben Moskau und St. Petersburg bzw. Leningrad auch Kiew, Charkiw und Odessa wichtige Knotenpunkte der Kunst und Kultur der Avantgarde. Dort fanden bedeutende Ausstellungen statt, die Impulse für neue Kunstrichtungen gaben. Unter den Absolventen der Kiewer Kunstschule schlugen nicht wenige später eine internationale Karriere ein. Dazu gehörten der Bildhauer Aleksandr Archipenko, die Malerin und Bühnenbildnerin Aleksandra Ekster sowie der Erneuerer jüdischer Kunst Issachar Ber Ryback. Auch Vassilij Kandinskij und Kazimir Malevic hatten enge Kontakte zur Ukraine. Mit den Internationalen Izdebskij-Salons in Odessa verband sich der Anfang von Kandinskijs Karriere als Wegbereiter der Moderne. Malevic, der aus der Ukraine stammte und die ukrainische Sprache beherrschte, unterrichtete in den letzten Jahren seines Lebens am Kiewer Kunstinstitut. Dass verschiedene Strömungen - von Neobyzantinismus zu Konstruktivismus, von Symbolismus zu Kubofuturismus - nebeneinander existierten, war für die ukrainische Moderne bezeichnend. In der bildenden Kunst wie in der Literatur diskutierten Modernisten mit Traditionalisten. Künstler aller Lager empfanden ein Bedürfnis, ihr Kunstverständnis einem breiteren Publikum in der Ukraine und in Europa zu öffnen. Dazu standen ihnen eine Reihe neu gegründeter Zeitschriften zur Verfügung. Manche ukrainische Zeitschrift überdauerte um einige Jahre die Zeit, als die Avantgarde in Sowjetrussland schon verdrängt und verpönt war. Umso schwerer traf sie dann allerdings die Schärfe der stalinistischen Repressalien. In dieser Publikation wird erstmals der Versuch unternommen, Texte ukrainischer Künstler, Kunsttheoretiker und Publizisten jener Zeit dem deutschsprachigen Leser in einer kommentierten Ausgabe näherzubringen.
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