Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin herausgegeben von Helmut Altrichter, Horst Möller, Margit Szöllösi-Janze, Andreas Wirsching
Redaktion: Johannes Hürter, Thomas Raithel
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Eine Studie über die Außenpolitik der Brüning, Papen, Schleicher
„Alle Forschung zur Geschichte der Weimarer Republik steht. .. mit Notwendigkeit unter der Frage nach den Ursachen ihres Zusammenbruchs”, hatte Karl Dietrich Erdmann bereits 1955 über den Forschungsstand zur Weimarer Republik geschrieben. Um so mehr überrascht die Tatsache, dass eine gründliche Darstellung der Außenpolitik der Präsidialkabinette der Weimarer Republik bis vor kurzem ausstand. Hermann Graml, als pensionierter Mitarbeiter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und vorzüglicher Kenner der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts bestens dafür ausgewiesen, hat jetzt mit seiner in der Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte erschienenen Studie „Zwischen Stresemann und Hitler” das Überfällige nachgeholt.
Auf über zweihundert Seiten bringt Graml reichlich Originalquellen zum Sprechen; er analysiert Motive und Kalkül der beteiligten Personen und Mächte; er verknüpft, folgert und urteilt treffsicher. Dies alles wird in sehr lesbarer Form präsentiert, unprätentiös und analytisch klar. Graml zeigt, dass politischer Geschichte nicht der Staub Rankescher Diplomatiegeschichtsschreibung anhaften muss, sie im Gegenteil durchaus zeitgemäß und erkenntnisleitend sein kann.
Die Ergebnisse, die Graml zutage fördert, können sich sehen lassen. Zunächst und vor allem betreffen sie Heinrich Brüning, der vom Sommer 1930 bis zum Frühjahr 1932 die politischen Geschicke der Weimarer Republik bestimmte. Ob der Zentrumspolitiker Brüning der letzte Kanzler vor dem Niedergang der Republik oder bereits der erste im Prozess der Auflösung war, darüber haben die Historiker seit jeher gestritten. Auch Gramls Doppelfrage, ob die Präsidialkabinette näher bei Weimar oder näher bei Hitler standen und ob die vier Präsidialkabinette – Brüning I, Brüning II, von Papen und von Schleicher – als Einheit zu begreifen sind, muss ihre Antwort zunächst bei dem asketischen Westfalen suchen, der sich mit seiner deflationistischen Haushaltspolitik ins Gedächtnis der Nation eingeschrieben hat.
Fiktive Zahlung
Bevor sich Graml Brüning zuwendet, ruft er die Ausgangslage ins Gedächtnis: den alle politischen Gruppierungen in Deutschland einenden Wunsch nach Revision des Versailler Vertrages, dessen psychologische Belastungen, die unübersichtliche außenpolitische Lage und die sich teils überlappenden, teils gegenläufigen politischen Kalkulationen der französischen und der britischen Diplomatie. Auch Brünings Ziel war, wie er in seinen allerdings mit Blick auf faktische Abläufe wenig zuverlässigen Memoiren einmal schrieb, den Versailler Vertrag ins Wanken zu bringen, ohne darüber zu reden. Darin unterschied er sich nicht von Stresemann. Dessen Tod im Oktober 1929 war in der europäischen Politik gleichwohl als Einschnitt empfunden worden. Mehr und mehr war Stresemann zum Friedensgarant und Hoffnungsträger für eine europäische Normalisierung Deutschlands aufgerückt. Dem stand als größte ungelöste Aufgabe nach wie vor das Reparationsproblem entgegen. Die Kampagne gegen den im Juni 1929 von einer internationalen Finanzkommission verabschiedeten Young-Plan mit dem gescheiterten Volksbegehren von 1930 trug wesentlich zu einer weiteren Radikalisierung der öffentlichen Diskussion in Deutschland bei.
Vor diesem Hintergrund hatte politisches Handeln für Brüning enge Grenzen. Ihm saß eine nationalistische Rechte im Nacken, deren Frontmann Treviranus als Regierungsmitglied durch öffentliche Reden den Reichskanzler mehr als einmal in außenpolitische Erklärungsnöte brachte. Die maßgeblich von Außenminister Curtius forcierten Pläne für eine deutsch-österreichische Zollunion waren ebenfalls nicht dazu angetan, das Vertrauen in Brünings Kurs zu stärken. Die Ablehnung der Zollunion durch den Völkerbund war keine Überraschung, das hatte letztlich auch Deutschland einsehen müssen. In der Zeit, in der Curtius das Projekt betrieb und dazu selbst die anfangs noch zögerlichen Österreicher überreden musste, hielt sich Brüning bemerkenswert zurück. Graml bewertet dies auch als Zeichen für dessen Einsicht, eine Fortsetzung der Revisionspolitik nicht gegen den Willen Frankreichs zustande bringen zu können.
Brünings taktisches Kalkül, seine Instrumentalisierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik zugunsten der Außenpolitik, wird vielleicht am besten in den von Graml sorgfältig herausgearbeiteten Bemühungen um eine deutsch- britische Allianz gegen den Young-Plan sichtbar. Auch bei seinen Gesprächen im März 1931 in London, benutzte Brüning die wirtschaftliche Not Deutschlands als diplomatisches Druckmittel und setzte bei den Briten auf die Einsicht in die Vorzüge einer Stabilisierung seiner Regierung.
Die internationale Behandlung des Reparationsproblems Ende der zwanziger Jahre bietet sich geradezu als Lehrbeispiel für die fließenden Übergänge zwischen Innen- und Außenpolitik an und zeigt, wie sehr die Akteure für unumgänglich gehaltene diplomatische Zugeständnisse an Deutschland mit nationalen Agenden verbanden. Dies trifft insbesondere für die französische Politik zu, die nur dann Schalmeienklänge anstimmte, wenn sie wusste, dass ohnehin nichts mehr zu ändern war.
Hinter diesen Winkelzügen hatte sich – nicht zuletzt auf Grund der lautsprecherartig verstärkten Trommelns der öffentlichen Meinung – ein Richtungswechsel vollzogen, der im Resultat den Young-Plan obsolet gemacht hatte. Auf der Lausanner Konferenz, Juli 1932, konnte der gerade zum Reichskanzler ernannte Franz von Papen die von seinem Vorgänger vorbereiteten Erfolge einheimsen. Auf der Konferenz selbst vollzog Papen mit seiner Ankündigung der Bereitschaft zur Zahlung einer Endsumme eine bemerkenswerte Volte, auch wenn er dies mit der politisch gänzlich unrealistischen, nicht erfüllbaren Forderungen nach Anerkennung einer französischen Kriegsschuld verband.
Die letztlich in Lausanne getroffene Lösung des Reparationsproblems auf der Grundlage der fiktiven Zahlung einer deutschen Restschuld in Höhe von 2 Milliarden Reichsmark trägt surreale Züge. Weil sich die Amerikaner nicht zu dem von den Europäern in Lausanne geforderten Schuldenerlass durchrangen, wurde das Abkommen nie ratifiziert, trotzdem hielten sich alle Beteiligten an die Bestimmungen.
War dies auch ein Erfolg der deutschen Außenpolitik? Graml lässt am changierenden Kurs der letzten beiden Präsidialkabinette Papen und Schleicher kaum ein gutes Haar. In Frankreich wollte man von Papens Avancen eines engeren Zusammenschlusses wenig wissen, daran änderte auch deren neue, antibolschewistische Stoßrichtung nichts. Und Schleichers erste Bündnisfühler nach Russland waren genauso erfolglos wie sein innenpolitisches Konzept, die Gewerkschaften für seine Notstandspolitik zu gewinnen und den linken Flügel von der NSDAP abzuspalten. Vertrauen in Deutschland, Stresemanns größtes Kapital, war am Ende der Präsidialregierungen gänzlich abhanden gekommen. Dies war die Folie, auf der sich seit Hitlers Machtergreifung Januar 1933 in der deutschen Außenpolitik ein weiteres Mal ein Wandel, diesmal revolutionärer Art, vollziehen konnte.
Alles in allem hat Graml die historische Forschung über die Präsidialkabinette der Weimarer Republik ein gutes Stück vorangebracht. Er revidiert die Ergebnisse einer deutlich positiveren Sicht von Curtius in einer Bonner Dissertation und folgt bei der Beurteilung Brünings eher den Vorbehalten Brachers als den Sichtweisen Conzes und Morseys. Dabei darf der Leser indes den ohnehin schmalen Spielraum nicht übersehen, der den Handelnden von Weimar auf Grund handwerklicher Unerfahrenheit und psychologische Belastungen gesetzt war.
ULRICH SCHLIE
HERMANN GRAML: Zwischen Stresemann und Hitler. Die Außenpolitik der Präsidialkabinette Brüning, Papen und Schleicher, München 2001 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Bd. 83). 239 Seiten, 24,80 Euro.
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Hermann Graml untersucht die Außenpolitik der Präsidialkabinette
Hermann Graml: Zwischen Stresemann und Hitler. Die Außenpolitik der Präsidialkabinette Brüning, Papen und Schleicher (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Band 83). R. Oldenbourg Verlag, München 2001. 250 Seiten, 49,80 Mark.
Die Pariser Ordnung der Staatenwelt nach dem Ersten Weltkrieg war strukturell instabil, weil sie die Staaten Europas in Sieger und Verlierer, in Verteidiger des Status quo und in Revisionisten teilte. Dennoch betrieben die beiden Hauptkontrahenten Deutschland und Frankreich seit 1924 eine Politik der Annäherung. So stellte sich Anfang der dreißiger Jahre die entscheidende Frage, ob ein echter Interessenausgleich innerhalb der bestehenden Ordnung möglich sein würde.
Die Rahmenbedingungen wurden allerdings schwieriger: mit der vorzeitigen Räumung des Rheinlandes 1930 war das Reservoir französischer Konzessionsbereitschaft erschöpft. Zudem schmälerte die über ganz Europa hereinbrechende Finanz- und Wirtschaftskrise die Bereitschaft zu weiterer Kooperation auf allen Seiten. Obendrein türmte sich in Deutschland eine zunehmende Welle des Nationalismus auf, die auch die deutsche Außenpolitik im Übergang von den parlamentarischen Regierungen der Weimarer Republik zu den Präsidialkabinetten nicht unberührt lassen konnte.
Hermann Gramls "Außenpolitik der Präsidialkabinette" füllt eine lange klaffende Lücke, die Peter Krügers Standardwerk von 1985 in programmatischer Absicht hinterließ, weil er die Jahre ab 1930 schon nicht mehr zur "Außenpolitik der Republik von Weimar" zählt. Diese Einschätzung ist Teil einer Forschungsposition, die den Präsidialkabinetten - namentlich der Regierung Brüning - ein umfassendes Programm der inneren und äußeren Umgestaltung der Republik in restaurativer, jedenfalls antiparlamentarischer und nationalistischer Absicht zuschreibt. Demgegenüber betont eine andere Forschungsrichtung vielmehr die Zwangslagen und engen Handlungsspielräume, die der Regierung Brüning vor allem kurzfristiges Krisenmanagement diktierten; sie betont zugleich die Offenheit der politischen Perspektiven in der deutschen Staatskrise.
Graml verfolgt die zentrale Frage nach dem Verhältnis der Außenpolitik der Präsidialkabinette einerseits zur Weimarer Außenpolitik bis 1930 und andererseits zur frühen nationalsozialistischen Außenpolitik. Mit der Bildung des ersten Präsidialkabinetts im März 1930 setzt er den entscheidenden Bruch an. Die Regierung Brüning habe "hinter der Weimarer Fassade" den "Aufbau eines autoritären Systems" angestrebt. Dazu gehörte eine deflationäre Finanzpolitik, "die das Land an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs steuern mußte", um die Abschaffung der Reparationen durchzusetzen. Dem nationalistischen Druck in Deutschland habe sich die Regierung Brüning "auch aus eigenem Antrieb" zugunsten "aktiver Revisionspolitik" gebeugt, so etwa "anti-französische Positionen bezogen, um . . . den Angriff auf den territorialen Status quo Kontinentaleuropas einzuleiten". Das Projekt einer deutsch-österreichischen Zollunion 1931 habe in dieser Hinsicht einen konkreten Versuch dargestellt.
Diese "revisionspolitisch motivierte Rechtsdrift der Regierung Brüning" bedeutete einen "klaren Bruch mit den Grundsätzen und den taktischen Rezepten Stresemannscher Politik", die Graml zugleich zum (nicht zuletzt moralischen) Maßstab erhebt: Verständigung, weitgehendes Arrangement mit dem Status quo und (wenn auch nicht sicher belegbar) die Bereitschaft zum Verzicht auf Revisionspolitik auch gegenüber Polen. Ob dabei die revisionistische Komponente von Stresemanns Politik nicht unterschätzt wird, bleibt allerdings zu fragen.
Der klassischen Revisionismusthese, wie sie Graml vertritt, läßt sich entgegenhalten, daß die Regierung Brüning einem radikalen Revisionismus doch gerade entgegenstand - sosehr sie sich der gewandelten Stimmung im Lande nicht entziehen konnte und sosehr ihre Außenpolitik im Vergleich zu Stresemann deutlich revisionistischer orientiert war. Auch die These vom Primat einer Abschaffung der Reparationen, aus dem eine bewußt ruinöse Finanzpolitik abgeleitet worden wäre, hat die jüngere Forschung revidiert und als ursprüngliches Ziel Brünings vielmehr eine Sanierung der Staatsfinanzen herausgearbeitet. Damit fand gerade das erste Präsidialkabinett internationale Anerkennung, während es auf heftige Ablehnung von nationalistischer Seite in Deutschland stieß.
Allerdings betont Graml auch, daß die Regierung Brüning noch "keinen Bruch mit sämtlichen Möglichkeiten und Elementen der Weimarer Außenpolitik" darstellte. Der wurde erst mit der konfrontativen Außenpolitik des Brüning-Nachfolgers Franz von Papen vollzogen, die den Boden des Weimarer Revisionismus "im Zeichen einer autarkistischen Ideologie" verlassen habe und den "Übergang zu jener neuen Periode" markierte, "die von den Ambitionen und Formen des nationalsozialistischen Expansionismus bestimmt wurde".
Die Interpretation der Außenpolitik der Präsidialkabinette hängt davon ab, wie man die unterschiedlichen Aspekte gewichtet. Man kann dies anders tun als Hermann Graml. Daß sein ganz aus den Quellen geschriebenes, klares und kraftvolles Buch zur Debatte einlädt, spricht nur für seine Bedeutung.
ANDREAS RÖDDER
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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