Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin herausgegeben von Helmut Altrichter, Horst Möller, Margit Szöllösi-Janze, Andreas Wirsching
Redaktion: Johannes Hürter, Thomas Raithel
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Hermann Graml untersucht die Außenpolitik der Präsidialkabinette
Hermann Graml: Zwischen Stresemann und Hitler. Die Außenpolitik der Präsidialkabinette Brüning, Papen und Schleicher (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Band 83). R. Oldenbourg Verlag, München 2001. 250 Seiten, 49,80 Mark.
Die Pariser Ordnung der Staatenwelt nach dem Ersten Weltkrieg war strukturell instabil, weil sie die Staaten Europas in Sieger und Verlierer, in Verteidiger des Status quo und in Revisionisten teilte. Dennoch betrieben die beiden Hauptkontrahenten Deutschland und Frankreich seit 1924 eine Politik der Annäherung. So stellte sich Anfang der dreißiger Jahre die entscheidende Frage, ob ein echter Interessenausgleich innerhalb der bestehenden Ordnung möglich sein würde.
Die Rahmenbedingungen wurden allerdings schwieriger: mit der vorzeitigen Räumung des Rheinlandes 1930 war das Reservoir französischer Konzessionsbereitschaft erschöpft. Zudem schmälerte die über ganz Europa hereinbrechende Finanz- und Wirtschaftskrise die Bereitschaft zu weiterer Kooperation auf allen Seiten. Obendrein türmte sich in Deutschland eine zunehmende Welle des Nationalismus auf, die auch die deutsche Außenpolitik im Übergang von den parlamentarischen Regierungen der Weimarer Republik zu den Präsidialkabinetten nicht unberührt lassen konnte.
Hermann Gramls "Außenpolitik der Präsidialkabinette" füllt eine lange klaffende Lücke, die Peter Krügers Standardwerk von 1985 in programmatischer Absicht hinterließ, weil er die Jahre ab 1930 schon nicht mehr zur "Außenpolitik der Republik von Weimar" zählt. Diese Einschätzung ist Teil einer Forschungsposition, die den Präsidialkabinetten - namentlich der Regierung Brüning - ein umfassendes Programm der inneren und äußeren Umgestaltung der Republik in restaurativer, jedenfalls antiparlamentarischer und nationalistischer Absicht zuschreibt. Demgegenüber betont eine andere Forschungsrichtung vielmehr die Zwangslagen und engen Handlungsspielräume, die der Regierung Brüning vor allem kurzfristiges Krisenmanagement diktierten; sie betont zugleich die Offenheit der politischen Perspektiven in der deutschen Staatskrise.
Graml verfolgt die zentrale Frage nach dem Verhältnis der Außenpolitik der Präsidialkabinette einerseits zur Weimarer Außenpolitik bis 1930 und andererseits zur frühen nationalsozialistischen Außenpolitik. Mit der Bildung des ersten Präsidialkabinetts im März 1930 setzt er den entscheidenden Bruch an. Die Regierung Brüning habe "hinter der Weimarer Fassade" den "Aufbau eines autoritären Systems" angestrebt. Dazu gehörte eine deflationäre Finanzpolitik, "die das Land an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs steuern mußte", um die Abschaffung der Reparationen durchzusetzen. Dem nationalistischen Druck in Deutschland habe sich die Regierung Brüning "auch aus eigenem Antrieb" zugunsten "aktiver Revisionspolitik" gebeugt, so etwa "anti-französische Positionen bezogen, um . . . den Angriff auf den territorialen Status quo Kontinentaleuropas einzuleiten". Das Projekt einer deutsch-österreichischen Zollunion 1931 habe in dieser Hinsicht einen konkreten Versuch dargestellt.
Diese "revisionspolitisch motivierte Rechtsdrift der Regierung Brüning" bedeutete einen "klaren Bruch mit den Grundsätzen und den taktischen Rezepten Stresemannscher Politik", die Graml zugleich zum (nicht zuletzt moralischen) Maßstab erhebt: Verständigung, weitgehendes Arrangement mit dem Status quo und (wenn auch nicht sicher belegbar) die Bereitschaft zum Verzicht auf Revisionspolitik auch gegenüber Polen. Ob dabei die revisionistische Komponente von Stresemanns Politik nicht unterschätzt wird, bleibt allerdings zu fragen.
Der klassischen Revisionismusthese, wie sie Graml vertritt, läßt sich entgegenhalten, daß die Regierung Brüning einem radikalen Revisionismus doch gerade entgegenstand - sosehr sie sich der gewandelten Stimmung im Lande nicht entziehen konnte und sosehr ihre Außenpolitik im Vergleich zu Stresemann deutlich revisionistischer orientiert war. Auch die These vom Primat einer Abschaffung der Reparationen, aus dem eine bewußt ruinöse Finanzpolitik abgeleitet worden wäre, hat die jüngere Forschung revidiert und als ursprüngliches Ziel Brünings vielmehr eine Sanierung der Staatsfinanzen herausgearbeitet. Damit fand gerade das erste Präsidialkabinett internationale Anerkennung, während es auf heftige Ablehnung von nationalistischer Seite in Deutschland stieß.
Allerdings betont Graml auch, daß die Regierung Brüning noch "keinen Bruch mit sämtlichen Möglichkeiten und Elementen der Weimarer Außenpolitik" darstellte. Der wurde erst mit der konfrontativen Außenpolitik des Brüning-Nachfolgers Franz von Papen vollzogen, die den Boden des Weimarer Revisionismus "im Zeichen einer autarkistischen Ideologie" verlassen habe und den "Übergang zu jener neuen Periode" markierte, "die von den Ambitionen und Formen des nationalsozialistischen Expansionismus bestimmt wurde".
Die Interpretation der Außenpolitik der Präsidialkabinette hängt davon ab, wie man die unterschiedlichen Aspekte gewichtet. Man kann dies anders tun als Hermann Graml. Daß sein ganz aus den Quellen geschriebenes, klares und kraftvolles Buch zur Debatte einlädt, spricht nur für seine Bedeutung.
ANDREAS RÖDDER
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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