Studienarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,7, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Sprache: Deutsch, Abstract: Gerhart Hauptmann behandelt in seiner 1887 entstandenen novellistischen Studie „Bahnwärter Thiel“ einen auf den ersten Blick typisch naturalistischen Stoff: Thiel, Bahnwärter aus „Schön-Schornstein, einer Kolonie an der Spree“ (3)1, lebt ein eintöniges und deprimierendes Leben, im Laufe dessen er seine erste Frau verliert, später auch den gemeinsamen Sohn und daraufhin, weil er diesen Verlust nicht verkraften kann, seine zweite Frau und ihr gemeinsames Kind eigenhändig tötet. Grundvoraussetzungen, um das Werk der genannten Gattung zuzuordnen, sind somit gegeben: Arbeitermilieu, Verbrechen, der Mensch als Opfer seiner Umstände. Dennoch ist Hauptmann für dieses Werk mehrfach der Vorwurf der Stiluntreue hinsichtlich des Naturalismus gemacht worden, was sich primär aus dem Mangel an „Naturschilderung als Selbstzweck“2 begründet. Auch Joseph Gregor „kann hier keinen Naturalismus finden. Alles wandelt durch das Medium der Seele, nicht der physischen Anschauung.“3 Payrhuber spricht der Novelle indes zu, der naturalistischen Programmatik „näher in ihrem Sujet“ zu sein, „greift sie doch einige jener Themen auf, mit denen sich die junge Schriftstellergeneration als Reaktion auf die ökonomischen, gesellschaftlichen und geistigen Umbrüche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vordringlich beschäftigte: eine Hauptfigur, die dem proletarischen Kleinbürgermilieu entstammt; ihre Kontaktarmut und Sprachlosigkeit, Passivität und seelische Vereinsamung; Gleichförmigkeit und Stupidität der beruflichen Tätigkeit und die duch sie geförderte soziale Isolierung; ungezügelte Triebhaftigkeit, die sich zu sexueller Hörigkeit steigert; eine Krankheitsgeschichte, die im Wahnsinn endet; ein Verbrechen, das durch Abhängigkeiten von Milieu und Vererbung mitbedingt ist; nicht zuletzt: die durch den Schnellzug repräsentierte, den Menschen gefährlich bedrohende, ja vernichtende Macht der modernen Technik.”4 Wie ist nun das „dichterische Symbolgefüge“, welches die eindeutige Kategorisierung des Textes verhindert, im Hinblick auf die gesamte „novellistische Studie“ zu lesen? Die vorliegende Arbeit will anhand dieser Frage die Darstellung der Natur und der Eisenbahn untersuchen. Diese sollen speziell in den Szenen der Zugeinfahrten am von Thiel bewachten Bahnübergang gedeutet und in Bezug zum gesamten Text gesetzt werden.