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Kaum wahrgenommen: Verhör- und Verfolgungsmethoden des MfS
Johannes Raschka: Zwischen Überwachung und Repression - Politische Verfolgung in der DDR 1971 bis 1989. Verlag Leske + Budrich, Opladen 2001. 387 Seiten, 24,54 Euro.
Parallel zur weltpolitischen Entspannungspolitik zwischen Ost und West gab es in der DDR zwischen 1969 und 1982 eine außerordentliche Ausweitung des Personals des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Jährlich wuchs die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter um drei- bis viertausend, wurden verstärkt Inoffizielle Mitarbeiter (IM) angeworben. Als innenpolitische Konsequenz der von der Regierung Brandt/Scheel begonnenen Deutschlandpolitik änderten sich seit 1971 - mit der Wahl des bisherigen Sicherheitssekretärs Honecker zum SED-Chef - Mittel und Methoden des Staatssicherheitsdienstes.
Das MfS legte ein dichtes Netz der Überwachung und Kontrolle über die gesamte Bevölkerung und verfeinerte seinen Repressionsmechanismus. Nicht mehr Verhaftung, Geständniserzwingung mittels physischer Gewalt und Verurteilung zu drakonischen Strafen standen jetzt im Vordergrund, sondern menschenverachtender Terror im Vorfeld von Verhaftungen politisch Andersdenkender. Aus außenpolitischen Rücksichten erschienen Prozesse und Verurteilungen zu drastischen Strafen oft nicht opportun. Der Kampf des Staatssicherheitsdienstes richtete sich gegen neue "Feinde": Bürger, die unter Berufung auf Verpflichtungen der zum anerkannten Völkerrechtssubjekt gewordenen DDR Menschen- und Bürgerrechte einforderten. Fluchtverhinderung, Zurückdrängen von Ausreiseanträgen und Unschädlichmachung regimekritischer Gruppen standen im Vordergrund.
Das vorliegende Buch bietet Analyse und Dokumentation der politischen Verfolgung in der Amtszeit Honeckers. Darin liegt sein besonderer Wert: Es läßt die Dokumente, vor allem in der Form von personengebundenen Stasi-Akten, selber sprechen. So ist Raschkas Arbeit ein gutes Beispiel dafür, wie politische und historische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes erfolgen muß, wenn sie nachhaltig zur politischen Bildung beitragen soll. Raschkas Untersuchung basiert auf der Auswertung von 576 Fragebögen von Opfern politischer Verfolgung in der DDR zwischen 1971 und 1989, 24 Gesprächen mit Betroffenen aus dem Teilnehmerkreis und der Einsicht in einhundert Opfer-Akten, von denen ein Teil ausführlich publiziert wird. Entstanden ist ein plastisches Bild, das deutlich macht, wie Bespitzelung, Zersetzung, Zuführung, Festnahme, Verhör sowie Verurteilung und Strafhaft nicht nur vereinzelt oder zufällig angewandte Instrumente sind, sondern einen zusammenhängenden Mechanismus der Repression darstellen.
Es ist das Verdienst dieser Arbeit, anschaulich gemacht zu haben, was es für einen DDR-Bewohner und seine Familie, für seine Freunde und in seinem Betrieb bedeutete, wenn er in das Fadenkreuz der Stasi geraten war, über ihn eine "Operative Personenkontrolle" oder ein "Operativer Vorgang" verfügt, Maßnahmenpläne aufgestellt, Maßnahmen der "Zersetzung" eingeleitet und "Zuführungen", Aufenthaltsbeschränkungen oder Observierungen vorgenommen wurden, was meistens mit Postkontrolle, Telefonabhören, akustischer Überwachung und "konspirativen" Wohnungsdurchsuchungen einherging. Opfer solcher Maßnahmen, die darauf gerichtet waren, "vorbeugend ein Wirksamwerden feindlich-negativer Kräfte zu unterbinden", waren neben Andersdenkenden, die sich in den siebziger und achtziger Jahren zumeist unter dem Dach vor allem der evangelischen Kirche zusammenfanden, Ausreisewillige, die sich durch eine Ablehnung ihres Antrags und materielle Vergünstigungen nicht von ihrem Begehren abhalten ließen. Sie wurden von der Stasi als "hartnäckige Ersucher auf Übersiedlung" eingestuft, von denen "demonstrativ-provokatorische Handlungen" befürchtet wurden.
Der Autor verweist darauf, daß die vom MfS mit geheimdienstlichen Methoden gesammelten Beweismittel "offiziell verwendbar" gemacht werden mußten, wenn an eine strafrechtliche Verfolgung gedacht war - schließlich sollte die DDR ein "sozialistischer Rechtsstaat" sein. Bei den Verhören durch die Untersuchungsführer des MfS, das ja nach der Strafprozeßordnung der DDR ein offizielles Untersuchungsorgan war, kam es darauf an, die fehlenden offiziellen Beweise durch Geständnisse zu erbringen. Bei den Verhören zur Geständniserzwingung spielte unter weitgehendem Verzicht auf physische Gewalt psychischer Druck eine große Rolle - er reichte von Isolation, Verunsicherung, systematischer Desinformation über die Festnahme von Familienangehörigen als Druckmittel bis zu Zermürbungstechniken und psychischen Mißhandlungen. Zu Recht beklagt der Autor, daß diese Verhörmethoden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. Hinzuzufügen ist, daß die Untersuchungsführer und Vernehmer des MfS strafrechtlich nicht belangt werden konnten, ja einzelne heute als Rechtsanwälte praktizieren.
PETER JOCHEN WINTERS
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