Es gibt Bücher, die treffen mich einfach mitten ins Herz. „Zwischen und tausend Bilder“ von der norwegischen Autorin Neda Alaei ist eines davon. Es geht um Sanna, deren Mutter vor einem Jahr starb, und die sich seitdem um ihren Vater kümmert, der sich entweder in seine Arbeit stürzt oder gar nicht
erst aufsteht. So oder so ist er eines nie – für Sanna da. Sie versucht, so gut es geht…mehrEs gibt Bücher, die treffen mich einfach mitten ins Herz. „Zwischen und tausend Bilder“ von der norwegischen Autorin Neda Alaei ist eines davon. Es geht um Sanna, deren Mutter vor einem Jahr starb, und die sich seitdem um ihren Vater kümmert, der sich entweder in seine Arbeit stürzt oder gar nicht erst aufsteht. So oder so ist er eines nie – für Sanna da. Sie versucht, so gut es geht zurechtzukommen, Schule, Haushalt und die Abkehr ihrer besten Freundin zu bewältigen und den Vater zu umsorgen. Und dann ist da noch Yousef, der Neue in ihrer Klasse, der Fotografie genauso liebt wie sie und an den sie immer öfter denken muss. Über all dem vergisst sie jedoch, an jemand ganz Wichtiges zu denken, nämlich sich selbst. Was solche ein Situation emotional, psychisch und körperlich mit einem jungen Menschen macht, davon erzählt dieses Buch.
Dass „Zwischen uns tausend Bilder“ mir so unter die Haut ging lag unter anderem daran, dass die Figur von Sanna so nahbar war. Dies wurde stilistisch durch die Ich-Perspektive und die Nutzung des Präsens erreicht. Alles geschieht unmittelbar, als Leser:in ist man überall dabei – in Sannas Herz und in ihrem Kopf – und schon alltägliche Handlungen offenbaren intensive Gefühle. Wenn sie die Wohnung putzt, ihrem Vater Kaffee kocht und eine Notiz mit Herz hinterlässt, sie im Hof sitzt und den Nachbarskater krault. Überall schlummern die Emotionen und sie warten nur darauf, herauszubrechen.
Doch bevor dies geschieht, ist Sanna davon überzeugt, alles hinzubekommen. Hinbekommen zu müssen. Sie muss funktionieren, die Erwachsene sein und ihren Vater schützen, schließlich ist er alles, was sie noch hat. Ihre beste Freundin hat sich abgewandt und eine neue Freundin gefunden. Niemand ist da, mit dem sie reden könnte, gleichzeitig gibt es so vieles, über das sie nicht reden kann. Dinge, die sie selbst nicht versteht, von denen sie so überfordert ist, dass sie alles lieber ganz tief in sich vergräbt. Oder in Kaffee ertränkt, von dem sie viel zu viel trinkt. Doch wer funktionieren und Erwachsen sein muss, tauscht eben Kakao gegen Kaffee. „Ich mache alles wieder gut“, sagt sie sich, und isoliert sich zunehmend von der Welt.
Die Handlung reduziert sich folglich immer mehr auf ihre Gedankenwelt und ihre Empfindungen. Wären da nicht die kurzen Lichtblicke, die Treffen mit Yousef, der sie zum Fotografieren animieren möchte. Sieht er, was mit Sanna los ist? Und was ist mit Trine, Sannas Lehrerin? Auch sie spürt, dass etwas in Sannas Leben ganz und gar nicht in Ordnung ist. Doch können sie etwas ausrichten oder prallen sie an dem Schutzwall ab, den Sanna um sich herum erreichtet hat?
Das Motiv des Fotografierens zieht sich durch die gesamte Geschichte. Das fand ich wundervoll, denn es stellt einerseits für Sanna eine Verbindung zu ihrer Mutter dar, die leidenschaftlich gerne fotografierte. Andererseits ermöglicht ihr das Fotografieren den Kontakt zu Yousef, er und die Bilder sind wie ein Strohhalm, der sie vor dem Ertrinken rettet. Zeitgleich ist die Symbolkraft großartig, denn Sanna fehlt zu Beginn der Mut, Fotos zu schießen. Zu sehr setzt sie sich unter Druck, die Bilder müssten ihr perfekt gelingen. Und was soll sie überhaupt fotografieren? Was möchte sie mit ihren Bilder erzählen? Was wagt sie, preiszugeben? Was wird für die Welt sichtbar, wenn sie fotografiert? Hier bleibt ganz viel Interpretationsraum für Leser:innen.
„Zwischen uns tausend Bilder“ von Neda Alaei hat mich wahnsinnig berührt. Was für eine atmosphärische und emotionale Geschichte. Sanna nahm mich mit in ihre Welt, die voll ist von der Sorge um ihren Vater, Trauer über den Verlust ihrer Freundin und sanfter Freude am Kontakt zu Yousef. Vor allem aber spürte ich ihre Einsamkeit und ihre Überforderung. Wenn es einer Autorin gelingt, mich so intensiv an einer Geschichte teilhaben zu lassen, ist das etwas ganz Besonders. Ich hoffe inständig, dass sich noch viele andere mitnehmen lassen!