"Zwischenstadt" handelt von der Auflösung der kompakten historischen europäischen Stadt zwischen historischem Stadtkern und offener Landschaft, zwischen dem Ort als Lebensraum und den Nichtorten der Raumüberwindung, zwischen den kleinen örtlichen Wirtschaftskreisläufen und der Abhängigkeit vom Weltmarkt. Das Buch beschäftigt sich mit der verstädterten Landschaft bzw. der verlandschafteten Stadt, ohne diese allgegenwärtige Stadtform kulturkritisch und ökologisch zu verdammen. Im Bemühen um Vorurteilslosigkeit analysiert, wird diese Stadtform auf ihre Gestaltungsmöglichkeiten untersucht. Dabei werden liebgewonnene Tabus und Übereinkünfte zwischen Planern und Politikern in Frage gestellt. In den ersten Kapiteln wird geprüft, wie der Mythos der alten Stadt den Blick verstellt, ob zentrale Begriffe des Städtebaus noch angemessen benutzt werden, wie die "Zwischenstadt" zeitgemäß interpretiert werden kann und wie sich das Leben darin unter heutigen sozio-ökonomischen Bedingungen organisiert. In den abschließenden zwei Kapiteln werden Ästhetik und Lesbarkeit, die Gestaltbarkeit und die notwendigen Reformen der Planungsorganisatoren diskutiert. Thematisch geordnete, eigenständige Bildfolgen veranschaulichen das Thema "Zwischenstadt".
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.1997In der Durcheinanderstadt
Brachflächen zu Spielräumen: Thomas Sieverts schärft den Blick für die Reize der Peripherie
Nichts ist einfacher, als mit ein paar höhnischen Sätzen Stimmung gegen die Peripherie zu machen. Niemand liebt die trostlosen Flickenteppiche aus Möbelabholmärkten, Laubenkolonien, Reiterhöfen, Fernleitungen und Autobahnzubringern. Zu groß ist die Sehnsucht nach der kompakten, nach der "traditionellen europäischen" Stadt, allzu offenkundig häßlich ist Suburbia, als daß es viele Verehrer fände. Und so schenken Architekten und Raumplaner den schmutzigen Siedlungsrändern meist allenfalls peripheres Interesse. Thomas Sieverts begibt sich also auf unwegsames Gelände, wenn er die ausgefransten Stadtlandschaften aus der Schmuddelecke herauszuholen sucht.
Ohne den "fraktalen Reichtum", die "anarchische Dynamik" dieser ästhetisch planlos wirkenden, aber aus vielen rationalen Einzelentscheidungen gewachsenen Ballungsräume über Gebühr zu preisen, entzaubert der in Darmstadt lehrende Stadtplaner die geschönten Bilder traditioneller Urbanität, deren Propagandisten Gewühl und Gestank, Elend und Schmutz der Metropolen hartnäckig ausblenden. Das Zeitalter der Boulevards und Bohemiens sei unwiederbringlich vorbei, konstatiert Sieverts. Die historische Stadt mit ihren gedrängten Häuserzeilen und geschlossenen Straßenkorridoren hinter festen Mauern tauge nicht mehr als Leitmotiv für Planer und Architekten. Es heiße Abschied nehmen von der romantischen Vorstellung einer scharfen Grenze zwischen Häusermeer und Gartenreich.
Tatsächlich dominiert in der Realität längst der diffuse, fließende Übergang zwischen Dichte und Weite, zwischen Grün und Grau, "zwischen Ordnung und Labyrinth, zwischen Hochkultur und Gartenzwerg". Die in dieser wuchernden Übergangszone entstandene "Zwischenstadt", wie Sieverts sie am Beispiel des Ruhrgebietes, aber auch des Großraums Stuttgart und der Rhein-Main-Region beschreibt, hat kein Gesicht, keinen Namen, keinen Bürgermeister und vor allem kein Selbstbewußtsein.
Sie ist das Produkt der hochmotorisierten, arbeitsteiligen Wohlstandsgesellschaft, die mehr Platz für Arbeit und Wohnen beansprucht als jede andere Generation zuvor. Seit Jahrzehnten wächst die durchschnittliche Wohnfläche jährlich um einen halben Quadratmeter. Für alles und jedes wird Raum geschaffen, kaum eine Tätigkeit ist mehr unbehaust, sieht man einmal von der sonntäglichen Autowäsche am Straßenrand und gelegentlichen Demonstrationen ab. Die räumliche Ausdifferenzierung aber verschlingt riesige Flächen und dünnt so zusammen mit der gesellschaftlichen Atomisierung die dichte Stadt immer weiter aus. Alles Leben zerstreut sich in die verstädterte Landschaft. In diesem ortlosen Raum huschen moderne Nomaden umher. Zwischen Kongreßhotels, Flughäfen, Kindergärten und Shopping-Centern irrlichtern Individuen, die in Aschaffenburg wohnen, in Frankfurt arbeiten, in Offenbach einkaufen und täglich zwei bis drei Stunden lang im Auto sitzen.
Da man diese Entwicklung weder ignorieren noch ändern könne, müsse man die Zwischenstadt akzeptieren, wie sie ist, fordert Sieverts. Er plädiert dafür, sich in das Unumkehrbare zu fügen und aus der Not eine Tugend zu machen: "Statt einen Verlust der Mitte zu beklagen, könnte man eine moderne Netzstruktur erkennen, die unserer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft angemessener ist als die alten Zentrumsmuster." Es ist die Stärke seines Essays, daß er den Mythos der Urbanität entzaubert und nüchtern die Realität der unübersichtlichen, polyzentrischen, transitorischen Durcheinanderstadt beschreibt.
Sieverts Vorschläge hingegen, sie "begreifbar, lesbar und damit innerlich verfügbar" zu machen, wirken, vorsichtig formuliert, ein wenig hilflos. Bei den Handlungsanweisungen, so allgemein er sie auch hält, kommt der ehemalige Direktor der Internationalen Bauausstellung Emscher Park nie so recht aus der Defensive heraus. Ratlos steht der Planer vor einer Situation, die sein Handeln erzwingt, aber seine traditionellen Instrumente überfordert: Brachflächen kurzerhand zu "Spielräumen" zu erklären, die Zwischenstadt zum modischen "Erlebnisfeld" umzuwidmen und auf die identitätsstiftende Kraft von Freilichtkonzerten in ausgedienten Stahlwerken zu hoffen, greift vielleicht doch zu kurz. HEINRICH WEFING
Thomas Sieverts: "Zwischenstadt". Zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land. Verlag Vieweg, Braunschweig 1997. 173 S., Abb., br., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Brachflächen zu Spielräumen: Thomas Sieverts schärft den Blick für die Reize der Peripherie
Nichts ist einfacher, als mit ein paar höhnischen Sätzen Stimmung gegen die Peripherie zu machen. Niemand liebt die trostlosen Flickenteppiche aus Möbelabholmärkten, Laubenkolonien, Reiterhöfen, Fernleitungen und Autobahnzubringern. Zu groß ist die Sehnsucht nach der kompakten, nach der "traditionellen europäischen" Stadt, allzu offenkundig häßlich ist Suburbia, als daß es viele Verehrer fände. Und so schenken Architekten und Raumplaner den schmutzigen Siedlungsrändern meist allenfalls peripheres Interesse. Thomas Sieverts begibt sich also auf unwegsames Gelände, wenn er die ausgefransten Stadtlandschaften aus der Schmuddelecke herauszuholen sucht.
Ohne den "fraktalen Reichtum", die "anarchische Dynamik" dieser ästhetisch planlos wirkenden, aber aus vielen rationalen Einzelentscheidungen gewachsenen Ballungsräume über Gebühr zu preisen, entzaubert der in Darmstadt lehrende Stadtplaner die geschönten Bilder traditioneller Urbanität, deren Propagandisten Gewühl und Gestank, Elend und Schmutz der Metropolen hartnäckig ausblenden. Das Zeitalter der Boulevards und Bohemiens sei unwiederbringlich vorbei, konstatiert Sieverts. Die historische Stadt mit ihren gedrängten Häuserzeilen und geschlossenen Straßenkorridoren hinter festen Mauern tauge nicht mehr als Leitmotiv für Planer und Architekten. Es heiße Abschied nehmen von der romantischen Vorstellung einer scharfen Grenze zwischen Häusermeer und Gartenreich.
Tatsächlich dominiert in der Realität längst der diffuse, fließende Übergang zwischen Dichte und Weite, zwischen Grün und Grau, "zwischen Ordnung und Labyrinth, zwischen Hochkultur und Gartenzwerg". Die in dieser wuchernden Übergangszone entstandene "Zwischenstadt", wie Sieverts sie am Beispiel des Ruhrgebietes, aber auch des Großraums Stuttgart und der Rhein-Main-Region beschreibt, hat kein Gesicht, keinen Namen, keinen Bürgermeister und vor allem kein Selbstbewußtsein.
Sie ist das Produkt der hochmotorisierten, arbeitsteiligen Wohlstandsgesellschaft, die mehr Platz für Arbeit und Wohnen beansprucht als jede andere Generation zuvor. Seit Jahrzehnten wächst die durchschnittliche Wohnfläche jährlich um einen halben Quadratmeter. Für alles und jedes wird Raum geschaffen, kaum eine Tätigkeit ist mehr unbehaust, sieht man einmal von der sonntäglichen Autowäsche am Straßenrand und gelegentlichen Demonstrationen ab. Die räumliche Ausdifferenzierung aber verschlingt riesige Flächen und dünnt so zusammen mit der gesellschaftlichen Atomisierung die dichte Stadt immer weiter aus. Alles Leben zerstreut sich in die verstädterte Landschaft. In diesem ortlosen Raum huschen moderne Nomaden umher. Zwischen Kongreßhotels, Flughäfen, Kindergärten und Shopping-Centern irrlichtern Individuen, die in Aschaffenburg wohnen, in Frankfurt arbeiten, in Offenbach einkaufen und täglich zwei bis drei Stunden lang im Auto sitzen.
Da man diese Entwicklung weder ignorieren noch ändern könne, müsse man die Zwischenstadt akzeptieren, wie sie ist, fordert Sieverts. Er plädiert dafür, sich in das Unumkehrbare zu fügen und aus der Not eine Tugend zu machen: "Statt einen Verlust der Mitte zu beklagen, könnte man eine moderne Netzstruktur erkennen, die unserer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft angemessener ist als die alten Zentrumsmuster." Es ist die Stärke seines Essays, daß er den Mythos der Urbanität entzaubert und nüchtern die Realität der unübersichtlichen, polyzentrischen, transitorischen Durcheinanderstadt beschreibt.
Sieverts Vorschläge hingegen, sie "begreifbar, lesbar und damit innerlich verfügbar" zu machen, wirken, vorsichtig formuliert, ein wenig hilflos. Bei den Handlungsanweisungen, so allgemein er sie auch hält, kommt der ehemalige Direktor der Internationalen Bauausstellung Emscher Park nie so recht aus der Defensive heraus. Ratlos steht der Planer vor einer Situation, die sein Handeln erzwingt, aber seine traditionellen Instrumente überfordert: Brachflächen kurzerhand zu "Spielräumen" zu erklären, die Zwischenstadt zum modischen "Erlebnisfeld" umzuwidmen und auf die identitätsstiftende Kraft von Freilichtkonzerten in ausgedienten Stahlwerken zu hoffen, greift vielleicht doch zu kurz. HEINRICH WEFING
Thomas Sieverts: "Zwischenstadt". Zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land. Verlag Vieweg, Braunschweig 1997. 173 S., Abb., br., 38,- DM.
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