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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2024

Fräulein Jennys Gespür für Löwen

Mit "15 Jahre" will der Regisseur Chris Kraus an seinen Kinoerfolg "Vier Minuten" anknüpfen. Aber der Film verheddert sich in seinen Einfällen.

Fritz Lang, ein Experte für Melodramen wie für Kriminalgeschichten, hat es in einem berühmten Kinoauftritt auf den Punkt gebracht: "In the script it's written, and on the screen it's pictures." Im Drehbuch ist es Schrift, auf der Leinwand sind es Bilder. Wenn man will, ist damit schon das ganze Drama von "15 Jahre" beschrieben, dem Film, mit dem der Regisseur Chris Kraus seinen Überraschungserfolg "Vier Minuten" fortsetzt, gut siebzehn Jahre später. Vor drei Jahren hat das Drehbuch zu "15 Jahre" den Thomas-Strittmatter-Preis der baden-württembergischen Filmförderung gewonnen; die Jury lobte die "handwerkliche Brillanz" des Skripts, das einen "hohen Unterhaltungswert" habe und zugleich eine "enorme Radikalität". Aber jetzt, im Kino, sind es Bilder.

Es geht darum, dass Jenny, die Heldin aus "Vier Minuten", nach fünfzehn Jahren aus dem Gefängnis kommt. Sie wohnt in einer religiös geprägten Resozialisierungseinrichtung, dem "Team Jesus". Und sie will sich rächen, an dem Mann, für den sie unschuldig hinter Gittern gesessen, dem Mann, der sie verraten und vergessen hat. Als sie im Konservatorium, wo sie putzen geht, einen früheren Mitschüler trifft, ergibt sich die Gelegenheit dazu. Denn Jenny, wir erinnern uns, ist eine geniale Pianistin, und Mangold, der Mitschüler, inzwischen künstlerischer Agent, bringt sie mit einem Musiker aus Syrien zusammen, den sie am Klavier begleiten soll. Omar nämlich hat im Bürgerkrieg in Aleppo einen Arm verloren, und Jennys verräterischer Ex-Liebhaber, der unter dem Namen Gimmiemore im Fernsehen Karriere gemacht hat, moderiert inzwischen eine Castingshow, in der Künstler mit körperlichen Behinderungen auftreten. Das syrisch-deutsche Duo wird ausgewählt, zieht in die nächste Runde ein, und eines Tages steht Jenny mit einem Messer in der Hand in Gimmiemores Luxusvilla im Grünen.

Das ist die Geschichte. Sie ist insofern radikal, als sie ihre Einfälle keiner Wahrscheinlichkeitsprüfung unterzieht, wie bei der Illustration von Jennys Gewaltausbrüchen, die darin gipfeln, dass sie einen Polizisten zusammenschlägt, weil er einen ausgebrochenen Zirkuslöwen erschossen hat. Und sie ist auf eine sehr deutsche Weise konventionell, weil sie alles bebildert, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Wir erfahren nicht nur, dass Omars Arm von Terroristen abgehackt wurde, wir sehen es auch. Wir hören jeden Song, den der Sänger Max Prosa für "15 Jahre" komponiert hat, bis zum bitteren Ende, und wir erdulden die Show, in der Jenny und Omar auftreten, in einer zum Fremdschämen gut gemeinten Szenenfolge, die an der Aufgabe scheitert, das deutsche Fernsehen da zu parodieren, wo es am peinlichsten ist.

Hannah Herzsprung, deren Karriere mit "Vier Minuten" begonnen hat, rudert durch diese Erzählrumpelkammer wie eine Schwimmerin zwischen Stromschnellen, aber selbst ihre überwältigende Präsenz kann nicht verhindern, dass dem Film längst die Puste ausgegangen ist, als Jenny und Gimmiemore (Albrecht Schuch) sich endlich allein gegenüberstehen. Was dann noch folgt, ein Mord, ein Selbstmord, ein Krebstod, eine Hochzeit, eine Barszene, hätte als Schlusswendung für mehrere Drehbücher ausgereicht. Für einen Film wie "15 Jahre" ist es immer noch zu wenig. So viel zur Brillanz. ANDREAS KILB

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