Auf dem Höhepunkt des Ersten Weltkrieges sollen die beiden britischen Soldaten Schofield (George MacKay) und Blake (Dean Charles Chapman) eine nahezu unmögliche Mission erfüllen. In einem nervenraubenden Wettlauf gegen die Zeit müssen sie sich tief ins Feindesgebiet wagen und eine Nachricht überbringen, die verhindern soll, dass hunderte ihrer Kameraden in eine tödliche Falle geraten. Eine schmerzlich persönliche Dimension bekommt die ohnehin nervenaufreibende Aufgabe, weil vom Gelingen auch das Leben von Blakes Bruder abhängt.
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Die Schwere der Welt: Sam Mendes Die Alliierten: Die Entstehung von "1917" Die Filmmusik von "1917" Filmkommentar mit Regisseur/ Co-Autor Sam Mendes Filmkommentar mit Kameramann Roger DeakinsFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2020Der Erste Weltkrieg in einer Einstellung
Immersion ist aber auch nicht alles: Sam Mendes' Film "1917" begleitet zwei britische Soldaten durch das Niemandsland
Immersion, das ist ein inflationäres Zauberwort in der bildenden Kunst und ein bisschen auch im Kino. Erstaunlich resistent hat es aus den Virtual-Reality-Konzepten der neunziger Jahre überlebt, und wenn man auch nie so genau weiß, was denn dieses "Eintauchen" genau bedeuten soll, so hört es sich doch immer wieder sehr wichtig an. Ob man durch die auch schon wieder abklingende 3D-Mode tiefer eintaucht, ob man, wie ein Sportsender vor vielen Jahren warb, "mittendrin statt nur dabei" ist, das hängt im Kino ja eher von einer umgekehrten Bewegung ab: dass der Film, den man sieht, einen Sog ausübt, der einen hineinzieht - was allerdings auch wieder nur eine Metapher ist.
Wenn man die Metapher allzu wörtlich zu nehmen versucht hat, ist das selten gutgegangen. Hollywoods subjektive Kamera in Filmen wie "Die Dame im See" (1947) oder "Dark Passage" (1947), wo das Publikum unzufrieden war, dass es Humphrey Bogarts Gesicht erst nach einer Dreiviertelstunde zu sehen bekam, war keine Erfolgsstory. Bei László Nemes "Son of Saul" (2015), in dem man nicht ausschließlich, aber meistens über die Schulter eines KZ-Insassen in Auschwitz blickte, war das Ergebnis ziemlich umstritten. Auch der Immersionseffekt, der durch den Verzicht auf Schnitte entstehen soll, durch ungebrochene Aufmerksamkeit, durch ein Dabeisein ohne Blickwechsel, hat eine seltsame Dialektik: Statt hineinzuziehen in die Welt des Films, kehrt dieses Verfahren gerade das Gemachtsein hervor, weil es die Kamera mitunter zwingt, seltsame Positionen einzunehmen. Und es hinterlässt leicht den Eindruck, hier solle vor allem demonstriert werden, was alles möglich ist.
Ähnliche Streueffekte sind auch im neuen Film von Sam Mendes zu beobachten, der gerade einen Golden Globe für das beste Drama gewonnen hat und deshalb zu den Oscar-Favoriten gezählt wird. "1917" ist in einer Einstellung gedreht - beziehungsweise so geschickt montiert, dass die Schnitte unsichtbar bleiben. Die Geschichte, die der Film erzählt, handelt vom Weg zweier einfacher britischer Soldaten im Ersten Weltkrieg. Ein General schickt sie los durchs Niemandsland, um ein anderes Bataillon vor einer deutschen Falle zu warnen und so das Leben von 1600 Menschen zu retten.
Die Kamera begleitet Schofield (George MacKay) und Blake (Dean-Charles Chapman) durch das Schützengrabenlabyrinth, zeigt sie von vorn, wartet an einer Ecke und zeigt sie dann von hinten. Treu wie ein Hund wartet sie, setzt sich wieder in Bewegung, ist dabei, wenn sie, von den Kameraden bedauert, aus den Gräben klettern und ins offene Gelände müssen. Riesige wassergefüllte Krater, Schlamm, Stacheldraht, Sprengfallen und Blindgänger warten dort, fette Ratten, die dank der vielen Leichen reichlich zu fressen haben, ein Arm im Matsch, das Gesicht eines verschütteten Toten. In einem Unterstand werden die beiden fast lebendig begraben, als eine Dynamitladung explodiert. Ein Reigen des Grauens.
Das ist nicht leicht auszuhalten, aber die Darstellung ist deshalb nicht, wie der Kameramann Roger Deakins im "Guardian" betont hat, naturalistisch: "Zeigte man, wie es wirklich aussah, säße nach fünf Minuten niemand mehr im Kino." Dem ist nicht zu widersprechen. Zweifeln allerdings kann man schon daran, ob das Prinzip der einen Einstellung wirklich die Form ist, nach der diese Geschichte verlangt. Denn ohne zu viel preisgeben zu wollen: Nach etwa fünfzig der hundertzehn Minuten gibt es eine Zäsur, durch die sich die dramaturgische Konstellation nachhaltig verändert.
Sein Formprinzip gibt der Film deshalb aber nicht auf, auch wenn er nun eher die gängigen Stationen und Situationen abarbeitet, die in einem Kriegsfilm auftauchen können. Die gesprengte Brücke und den Sniper aus dem Hinterhalt, den Kampf Mann gegen Mann, die spektakuläre Rettung um Haaresbreite. Man sieht die Ruinen einer Stadt im Feuerschein, eine junge Französin mit einem Baby, das nicht ihres ist; hört den A-capella-Gesang eines Soldaten für einen Trupp auf einer Waldlichtung. Und erlebt den Kampf gegen die schwindende Zeit, das nahende Morgengrauen, wenn der Angriff der Briten beginnen soll.
Es ist nicht so, dass Sam Mendes, der, sehr verständlich, nach zwei Bond-Filmen mal wieder etwas anderes machen wollte, nicht wüsste, wie man das effektsicher, aber nicht reißerisch inszeniert; wie man zwei jungen Schauspielern Raum lässt, sich zu profilieren. Und natürlich liegt im Verzicht auf die geläufige Syntax von Schuss und Gegenschuss eine Faszination. Der Zwang hinzuschauen wird stärker, das Grauen wird nicht durch erhöhte Schnittfrequenz gemildert; es gibt keine zweite Handlungsebene, keinen Wechsel zwischen Kommandeursstab und den Soldaten im Niemandsland, der den Zuschauer kurzzeitig entlastete. Die Mission dauert so lange wie der Film. Erzählte Zeit und Erzählzeit fallen zusammen.
Aber ob da nun mehr Immersion ist, ob, wie Roger Deakins meint, das Verfahren bei einer jüngeren Generation, die mit Videospielen groß geworden ist, besser ankomme - das ist bloße Spekulation, weil der programmierte und wie immer marginale Eingriff in die Handlung eines Videospiels ja zumindest noch die Illusion erweckt, sich aus der passiven Betrachterposition zu lösen. In "1917" hat man irgendwann eben den Eindruck, dass Konzept erdrücke die Situation; die Entscheidung, die Soldaten wie ein stummer Augenzeuge von außen zu betrachten, sei wichtiger als die optimale Auflösung einer Szene, wie sie ein Schnitt bewirken kann. Da zieht, wie das auch schon in einem One-Shot-Film wie Sebastian Schippers "Victoria" zu sehen war, eine gewisse Monotonie ein, obwohl die Geschichte unterwegs eine andere als die absehbare Gestalt angenommen hat.
So enttäuschend das sein mag, eines kann man Sam Mendes allerdings nicht vorhalten: dass er aus dem Weg der beiden Soldaten durchs Niemandsland rückwirkend eine patriotische Mission, eine Demonstration britischen Heroismus gemacht hätte, wie es im Johnson-Großbritannien sicher vielen gefallen würde. Nicht Opferbereitschaft, sondern Gehorsam ist es, der die beiden Meldegänger aus den Gräben bringt, und ihre Kameraden sind froh, dem entgangen zu sein. Ihr Schicksal ist den Offizieren ziemlich gleichgültig, wie sich am Ende deutlich zeigen wird. Auch mehr als hundert Jahre danach gibt es da nichts zu verklären.
PETER KÖRTE
Ab Donnerstag im Kino
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Immersion ist aber auch nicht alles: Sam Mendes' Film "1917" begleitet zwei britische Soldaten durch das Niemandsland
Immersion, das ist ein inflationäres Zauberwort in der bildenden Kunst und ein bisschen auch im Kino. Erstaunlich resistent hat es aus den Virtual-Reality-Konzepten der neunziger Jahre überlebt, und wenn man auch nie so genau weiß, was denn dieses "Eintauchen" genau bedeuten soll, so hört es sich doch immer wieder sehr wichtig an. Ob man durch die auch schon wieder abklingende 3D-Mode tiefer eintaucht, ob man, wie ein Sportsender vor vielen Jahren warb, "mittendrin statt nur dabei" ist, das hängt im Kino ja eher von einer umgekehrten Bewegung ab: dass der Film, den man sieht, einen Sog ausübt, der einen hineinzieht - was allerdings auch wieder nur eine Metapher ist.
Wenn man die Metapher allzu wörtlich zu nehmen versucht hat, ist das selten gutgegangen. Hollywoods subjektive Kamera in Filmen wie "Die Dame im See" (1947) oder "Dark Passage" (1947), wo das Publikum unzufrieden war, dass es Humphrey Bogarts Gesicht erst nach einer Dreiviertelstunde zu sehen bekam, war keine Erfolgsstory. Bei László Nemes "Son of Saul" (2015), in dem man nicht ausschließlich, aber meistens über die Schulter eines KZ-Insassen in Auschwitz blickte, war das Ergebnis ziemlich umstritten. Auch der Immersionseffekt, der durch den Verzicht auf Schnitte entstehen soll, durch ungebrochene Aufmerksamkeit, durch ein Dabeisein ohne Blickwechsel, hat eine seltsame Dialektik: Statt hineinzuziehen in die Welt des Films, kehrt dieses Verfahren gerade das Gemachtsein hervor, weil es die Kamera mitunter zwingt, seltsame Positionen einzunehmen. Und es hinterlässt leicht den Eindruck, hier solle vor allem demonstriert werden, was alles möglich ist.
Ähnliche Streueffekte sind auch im neuen Film von Sam Mendes zu beobachten, der gerade einen Golden Globe für das beste Drama gewonnen hat und deshalb zu den Oscar-Favoriten gezählt wird. "1917" ist in einer Einstellung gedreht - beziehungsweise so geschickt montiert, dass die Schnitte unsichtbar bleiben. Die Geschichte, die der Film erzählt, handelt vom Weg zweier einfacher britischer Soldaten im Ersten Weltkrieg. Ein General schickt sie los durchs Niemandsland, um ein anderes Bataillon vor einer deutschen Falle zu warnen und so das Leben von 1600 Menschen zu retten.
Die Kamera begleitet Schofield (George MacKay) und Blake (Dean-Charles Chapman) durch das Schützengrabenlabyrinth, zeigt sie von vorn, wartet an einer Ecke und zeigt sie dann von hinten. Treu wie ein Hund wartet sie, setzt sich wieder in Bewegung, ist dabei, wenn sie, von den Kameraden bedauert, aus den Gräben klettern und ins offene Gelände müssen. Riesige wassergefüllte Krater, Schlamm, Stacheldraht, Sprengfallen und Blindgänger warten dort, fette Ratten, die dank der vielen Leichen reichlich zu fressen haben, ein Arm im Matsch, das Gesicht eines verschütteten Toten. In einem Unterstand werden die beiden fast lebendig begraben, als eine Dynamitladung explodiert. Ein Reigen des Grauens.
Das ist nicht leicht auszuhalten, aber die Darstellung ist deshalb nicht, wie der Kameramann Roger Deakins im "Guardian" betont hat, naturalistisch: "Zeigte man, wie es wirklich aussah, säße nach fünf Minuten niemand mehr im Kino." Dem ist nicht zu widersprechen. Zweifeln allerdings kann man schon daran, ob das Prinzip der einen Einstellung wirklich die Form ist, nach der diese Geschichte verlangt. Denn ohne zu viel preisgeben zu wollen: Nach etwa fünfzig der hundertzehn Minuten gibt es eine Zäsur, durch die sich die dramaturgische Konstellation nachhaltig verändert.
Sein Formprinzip gibt der Film deshalb aber nicht auf, auch wenn er nun eher die gängigen Stationen und Situationen abarbeitet, die in einem Kriegsfilm auftauchen können. Die gesprengte Brücke und den Sniper aus dem Hinterhalt, den Kampf Mann gegen Mann, die spektakuläre Rettung um Haaresbreite. Man sieht die Ruinen einer Stadt im Feuerschein, eine junge Französin mit einem Baby, das nicht ihres ist; hört den A-capella-Gesang eines Soldaten für einen Trupp auf einer Waldlichtung. Und erlebt den Kampf gegen die schwindende Zeit, das nahende Morgengrauen, wenn der Angriff der Briten beginnen soll.
Es ist nicht so, dass Sam Mendes, der, sehr verständlich, nach zwei Bond-Filmen mal wieder etwas anderes machen wollte, nicht wüsste, wie man das effektsicher, aber nicht reißerisch inszeniert; wie man zwei jungen Schauspielern Raum lässt, sich zu profilieren. Und natürlich liegt im Verzicht auf die geläufige Syntax von Schuss und Gegenschuss eine Faszination. Der Zwang hinzuschauen wird stärker, das Grauen wird nicht durch erhöhte Schnittfrequenz gemildert; es gibt keine zweite Handlungsebene, keinen Wechsel zwischen Kommandeursstab und den Soldaten im Niemandsland, der den Zuschauer kurzzeitig entlastete. Die Mission dauert so lange wie der Film. Erzählte Zeit und Erzählzeit fallen zusammen.
Aber ob da nun mehr Immersion ist, ob, wie Roger Deakins meint, das Verfahren bei einer jüngeren Generation, die mit Videospielen groß geworden ist, besser ankomme - das ist bloße Spekulation, weil der programmierte und wie immer marginale Eingriff in die Handlung eines Videospiels ja zumindest noch die Illusion erweckt, sich aus der passiven Betrachterposition zu lösen. In "1917" hat man irgendwann eben den Eindruck, dass Konzept erdrücke die Situation; die Entscheidung, die Soldaten wie ein stummer Augenzeuge von außen zu betrachten, sei wichtiger als die optimale Auflösung einer Szene, wie sie ein Schnitt bewirken kann. Da zieht, wie das auch schon in einem One-Shot-Film wie Sebastian Schippers "Victoria" zu sehen war, eine gewisse Monotonie ein, obwohl die Geschichte unterwegs eine andere als die absehbare Gestalt angenommen hat.
So enttäuschend das sein mag, eines kann man Sam Mendes allerdings nicht vorhalten: dass er aus dem Weg der beiden Soldaten durchs Niemandsland rückwirkend eine patriotische Mission, eine Demonstration britischen Heroismus gemacht hätte, wie es im Johnson-Großbritannien sicher vielen gefallen würde. Nicht Opferbereitschaft, sondern Gehorsam ist es, der die beiden Meldegänger aus den Gräben bringt, und ihre Kameraden sind froh, dem entgangen zu sein. Ihr Schicksal ist den Offizieren ziemlich gleichgültig, wie sich am Ende deutlich zeigen wird. Auch mehr als hundert Jahre danach gibt es da nichts zu verklären.
PETER KÖRTE
Ab Donnerstag im Kino
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main