Gwen Cummings (Sandra Bullock) hat ein ernst zunehmendes Problem: sich selbst. Die erfolgreiche Autorin und Regisseurin führt als Partygirl an der Seite ihres Lovers Jasper (Dominic West) ein Leben im Dauerrausch von Drogen, Sex und Alkohol. Ein Unfall-Skandal im Suff bei der Hochzeit ihrer Schwester bringt Gwen eine Zwangseinweisung in eine Reha-Klinik ein - und führt sie in die Konfrontation mit einer ganz neuen Erfahrung: Entzug inmitten eines Haufens sehr schräger Vögel, die so ganz anders sind als die locker-flippige Party-Meute, von der sie sonst umgeben ist. Anfänglich will Gwen die zahlreichen Verbote in der Klinik nicht hinnehmen. Und auf ihre Mitpatienten schaut sie mit Verachtung herab. Aber im Laufe der verordneten 28 Tage beginnt sie sich langsam zu verändern. Doch die wahre Herausforderung liegt noch vor ihr.
Bonusmaterial
- Kinotrailer - Biographien Crew - Making Of - Audiokommentar - Texttafeln - entfernte Szenen - Soundtrack - Santa-Cruz der Film im Film - Loudinn Wainwright Songs - Wie man eine Kette aus Kaugummipapier machtFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2000Mit Karacho aus dem Alkohol
Kino als Entziehungskur: Sandra Bullock in "28 Tage"
Trotz Sandra Bullock ist der Film "28 Tage" alles andere als ein Star-Vehikel, auch wenn der Anfang den Star in einem Vehikel zeigt. Das kommt so: Auf der Hochzeit ihrer gesitteten Schwester Lily (Elizabeth Perkins) hat sich die von Sandra Bullock verkörperte Stadtpflanze Gwen gründlich danebenbenommen. Nicht genug, dass sie volltrunken zum Fest erscheint. Auch hat sie in einer unflätigen Rede auf das Brautpaar ihren künftigen Schwager als "Würstchen" bezeichnet. Anschließend fällt sie rücklings in die riesige Hochzeitstorte. Weit davon entfernt, all dies peinlich zu finden, zerrt sie sich das verklebte Kleid vom Körper und startet - noch ganz im Rausch ihrer unkonventionellen Lebensart - im Geländewagen eines Gastes in Richtung der nächst gelegenen Ortschaft. Dort will sie ernstlich eine neue Torte besorgen.
Der Ausflug endet alsbald auf der Veranda eines Einfamilienhauses. Zuvor ist Gwen von der Fahrbahn abgekommen, um Haaresbreite an einem Gartenzwerg vorbeigeschrammt - er hätte ein Kind sein können, sagt später der Therapeut - und hat den Vorgarten des gepflegten Mittelstandsheimes durchpflügt. Als sie in ihren schwarzen Dessous zwar benommen, aber immer noch trunken kichernd aus dem Fahrzeug taumelt, steht sie offensichtlich entweder am Anfang eines neuen Lebensabschnittes oder am Ende weitergehender Hoffnungen auf ein sinnvolles Leben.
Nach dem Willen der Rechtsprechung soll es ein Neuanfang werden. Gwen erhält die Möglichkeit, ihre Strafe für Trunkenheit am Steuer nicht im Gefängnis, sondern im Rahmen einer Entziehungskur abzuleisten. Die titelgebenden "28 Tage" bezeichnen den Zeitraum, den sie zu diesem Zweck in einer zwar landschaftlich reizvoll gelegenen, aber nach strengen Richtlinien organisierten Reha-Klinik verbringt. Sie umreißen damit zugleich den größten Teil der Erzählzeit des Filmes und der Entwicklungsgeschichte Gwens. Nur allmählich nimmt sie Abschied von der Lüge eines wild-berauschenden, weil heftig berauschten Lebens. Auch ihr Selbstbild als Literatin, die sich mittels Alkohol inspiriert und dabei die Weltliteratur geschlossen auf ihrer Seite weiß, bröckelt im egalitären Umfeld der Klinik.
Anfangs ist von solchen Irritationen jedoch wenig zu spüren. Gwen, von körperlichen Entzugssymptomen geplagt, lässt keine Gelegenheit aus, sich dem bunten Haufen ihrer Schicksalsgenossen als widersetzliches Monstrum zu präsentieren. Man kann sie ein bisschen verstehen: Tatsächlich wirken die Gestalten, die da im Chor um die Gnade des Herrn bitten, eher kläglich als hoffnungsfroh. Jasper (Dominic West), Gwens charismatischer Lover aus trunkenen Zeiten, platzt wie ein schöner Versucher des Bösen in die glanzlose Reha-Welt: Beim Paddeln auf dem Anstaltssee hält er nicht nur ein Fläschchen Schampus und einen Heiratsantrag parat, sondern auch seine Weltsicht hinsichtlich Leben und Alkohol.
Der Mensch, so umreißt Jasper seine Weltsicht, sei zum Unglück bestimmt. Einzig Betäubung mache sein Dasein auf Erden erträglich. Der Alkohol biete sich da bloß als eine von vielen Möglichkeiten an, zu denen Jasper auch das Sammeln von Briefmarken zählt. Und Gwen? Die ersten Tage der Therapie sind nicht völlig spurlos an ihr vorübergegangen. Kläglich wirken nun weniger die Leidensgenossen als vielmehr die eigenen Versuche, der Klinik und der Einsicht in die verpatzte Biographie zu entkommen. Allmählich gibt Gwen ihre Protesthaltung auf. Als sie schließlich eine Bürste schultert und schweren Herzens den Gang zur Säuberung der Anstaltstoiletten antritt, atmet der Zuschauer auf: Endlich befindet sich die schwankende Heldin auf dem richtigen, dem geradlinigen Weg zu seelischer Reinheit und sozialer Verantwortung. Jaspers Antrag bleibt unerhört.
Dass Hollywood von Zeit zu Zeit einen Problemfilm im Angebot hat, ist nichts Unbekanntes. Doch so angenehm unsentimental und kitschfrei wie in "28 Tage" werden soziale Themen im Unterhaltungskino sonst selten behandelt. Die Regisseurin Betty Thomas trifft (nach einem Drehbuch von Susannah Grant) den richtigen Ton zwischen Lebensernst und Galgenhumor. Und die Hauptdarstellerin nutzt die Gelegenheit zu einer überraschenden Demonstration ihrer Möglichkeiten. Sandra Bullock nicht auf Speed, sondern auf Entzug - einer solchen Rolle gerecht zu werden hat man der Schauspielerin kaum zugetraut.
Aber "28 Tage" ist, wie gesagt, mehr als ein Star-Vehikel. Auch als stärkendes Gruppenerlebnis für Anonyme Alkoholiker wäre der Film, so passend er ansonsten scheinen mag, unterfordert. Denn in seinen besten Momenten handelt "28 Tage" nicht allein vom Alkoholismus. Sondern von der Ehrlichkeit im Umgang mit sich selbst und der Kraft, die aus ihr entsteht.
STEFFEN JACOBS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kino als Entziehungskur: Sandra Bullock in "28 Tage"
Trotz Sandra Bullock ist der Film "28 Tage" alles andere als ein Star-Vehikel, auch wenn der Anfang den Star in einem Vehikel zeigt. Das kommt so: Auf der Hochzeit ihrer gesitteten Schwester Lily (Elizabeth Perkins) hat sich die von Sandra Bullock verkörperte Stadtpflanze Gwen gründlich danebenbenommen. Nicht genug, dass sie volltrunken zum Fest erscheint. Auch hat sie in einer unflätigen Rede auf das Brautpaar ihren künftigen Schwager als "Würstchen" bezeichnet. Anschließend fällt sie rücklings in die riesige Hochzeitstorte. Weit davon entfernt, all dies peinlich zu finden, zerrt sie sich das verklebte Kleid vom Körper und startet - noch ganz im Rausch ihrer unkonventionellen Lebensart - im Geländewagen eines Gastes in Richtung der nächst gelegenen Ortschaft. Dort will sie ernstlich eine neue Torte besorgen.
Der Ausflug endet alsbald auf der Veranda eines Einfamilienhauses. Zuvor ist Gwen von der Fahrbahn abgekommen, um Haaresbreite an einem Gartenzwerg vorbeigeschrammt - er hätte ein Kind sein können, sagt später der Therapeut - und hat den Vorgarten des gepflegten Mittelstandsheimes durchpflügt. Als sie in ihren schwarzen Dessous zwar benommen, aber immer noch trunken kichernd aus dem Fahrzeug taumelt, steht sie offensichtlich entweder am Anfang eines neuen Lebensabschnittes oder am Ende weitergehender Hoffnungen auf ein sinnvolles Leben.
Nach dem Willen der Rechtsprechung soll es ein Neuanfang werden. Gwen erhält die Möglichkeit, ihre Strafe für Trunkenheit am Steuer nicht im Gefängnis, sondern im Rahmen einer Entziehungskur abzuleisten. Die titelgebenden "28 Tage" bezeichnen den Zeitraum, den sie zu diesem Zweck in einer zwar landschaftlich reizvoll gelegenen, aber nach strengen Richtlinien organisierten Reha-Klinik verbringt. Sie umreißen damit zugleich den größten Teil der Erzählzeit des Filmes und der Entwicklungsgeschichte Gwens. Nur allmählich nimmt sie Abschied von der Lüge eines wild-berauschenden, weil heftig berauschten Lebens. Auch ihr Selbstbild als Literatin, die sich mittels Alkohol inspiriert und dabei die Weltliteratur geschlossen auf ihrer Seite weiß, bröckelt im egalitären Umfeld der Klinik.
Anfangs ist von solchen Irritationen jedoch wenig zu spüren. Gwen, von körperlichen Entzugssymptomen geplagt, lässt keine Gelegenheit aus, sich dem bunten Haufen ihrer Schicksalsgenossen als widersetzliches Monstrum zu präsentieren. Man kann sie ein bisschen verstehen: Tatsächlich wirken die Gestalten, die da im Chor um die Gnade des Herrn bitten, eher kläglich als hoffnungsfroh. Jasper (Dominic West), Gwens charismatischer Lover aus trunkenen Zeiten, platzt wie ein schöner Versucher des Bösen in die glanzlose Reha-Welt: Beim Paddeln auf dem Anstaltssee hält er nicht nur ein Fläschchen Schampus und einen Heiratsantrag parat, sondern auch seine Weltsicht hinsichtlich Leben und Alkohol.
Der Mensch, so umreißt Jasper seine Weltsicht, sei zum Unglück bestimmt. Einzig Betäubung mache sein Dasein auf Erden erträglich. Der Alkohol biete sich da bloß als eine von vielen Möglichkeiten an, zu denen Jasper auch das Sammeln von Briefmarken zählt. Und Gwen? Die ersten Tage der Therapie sind nicht völlig spurlos an ihr vorübergegangen. Kläglich wirken nun weniger die Leidensgenossen als vielmehr die eigenen Versuche, der Klinik und der Einsicht in die verpatzte Biographie zu entkommen. Allmählich gibt Gwen ihre Protesthaltung auf. Als sie schließlich eine Bürste schultert und schweren Herzens den Gang zur Säuberung der Anstaltstoiletten antritt, atmet der Zuschauer auf: Endlich befindet sich die schwankende Heldin auf dem richtigen, dem geradlinigen Weg zu seelischer Reinheit und sozialer Verantwortung. Jaspers Antrag bleibt unerhört.
Dass Hollywood von Zeit zu Zeit einen Problemfilm im Angebot hat, ist nichts Unbekanntes. Doch so angenehm unsentimental und kitschfrei wie in "28 Tage" werden soziale Themen im Unterhaltungskino sonst selten behandelt. Die Regisseurin Betty Thomas trifft (nach einem Drehbuch von Susannah Grant) den richtigen Ton zwischen Lebensernst und Galgenhumor. Und die Hauptdarstellerin nutzt die Gelegenheit zu einer überraschenden Demonstration ihrer Möglichkeiten. Sandra Bullock nicht auf Speed, sondern auf Entzug - einer solchen Rolle gerecht zu werden hat man der Schauspielerin kaum zugetraut.
Aber "28 Tage" ist, wie gesagt, mehr als ein Star-Vehikel. Auch als stärkendes Gruppenerlebnis für Anonyme Alkoholiker wäre der Film, so passend er ansonsten scheinen mag, unterfordert. Denn in seinen besten Momenten handelt "28 Tage" nicht allein vom Alkoholismus. Sondern von der Ehrlichkeit im Umgang mit sich selbst und der Kraft, die aus ihr entsteht.
STEFFEN JACOBS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main