In einer Kleinstadt irgendwo in Pennsylvania verbringt Milton (Sir Ben Kingsley) einen unaufgeregten Lebensabend zwischen Gartenarbeit, Gemeindetreffen und Gedächtnistraining. Weil der Witwer immer kauziger wird, werden seine Wortmeldungen bei den Gemeindeversammlungen selten ernst genommen. Seine Kleinstadt benötige zum Beispiel dringend einen passenderen Slogan, meint Milton, denn "A Great Place to Call Home" ist einfach zu ambivalent... Als eines Nachts ein UFO in Miltons Blumenbeet bruchlandet, will niemand dem alten Mann glauben - nicht der Notruf, nicht der Kassierer im Supermarkt und schon gar nicht der Gemeinderat. Den extraterrestrischen Besucher mit einer Vorliebe für Äpfel bringt Milton trotzdem bei sich unter. Bald entdecken Miltons leicht schrullige Nachbarinnen Sandy (Harriet Harris) und Joyce (Jane Curtin) den ungewöhnlichen Mitbewohner mit den verständnisvollen Augen und schließen ihn direkt ins Herz. Aus Komplizenschaft wird Gemeinschaft - und aus Nachbarn werden Freunde... bis die Regierung doch noch aktiv wird und nach dem Alien zu suchen beginnt.
Bonusmaterial
3 Chibisticker 1 Artcard Clean OP + EDFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2024Wenn das Raumschiff in die Azaleen kracht
In der Kinokomödie "A Great Place to Call Home" beichten Ben Kingsley, Jane Curtin und Harriet Harris einem Außerirdischen ihre Lebensgeheimnisse.
Wer seine Rolle in einer Komödie glaubhaft spielen will, muss sie ernst nehmen. Ben Kingsley tut genau das in "A Great Place to Call Home", obwohl man beim bloßen Blick auf den Inhalt des Films meinen könnte, es handle sich um ganz leichte Kinokost: Kingsley gibt, mit schlohweißem Haar und großer Brille, den Rentner Milton. Der ist achtundsiebzig Jahre alt, mag Ordnung und lässt sich nicht leicht aus der Ruhe bringen. In einer beschaulichen Kleinstadt in Pennsylvania führt er ein geruhsames Leben. Er wässert seine Blumen, füttert im Garten Vögel und wiegelt ab, wenn seine Tochter ihm beweisen will, dass er langsam vergesslich werde (was macht schon eine Bohnendose im Badezimmerschrank). Weil Milton ein ordnungsliebender Mensch ist, beteiligt er sich regelmäßig an den Sitzungen des Gemeinderats, bei denen er, da sich niemand der Beschwerden annimmt, immer wieder die gleichen Dinge vorträgt. Der Werbeslogan der Kleinstadt, "a great place to call home", sei aufgrund der Doppeldeutigkeit des Wörtchens "call" unpräzise und sollte verbessert werden. Und man benötige zusätzliche Fußgängerüberwege, für ältere Menschen wie ihn sei die Hauptstraße sonst zu gefährlich. So weit, so vernünftig - und eben auch unergiebig, denn alte Menschen nimmt niemand mehr so recht ernst.
Das bekommt Milton noch stärker zu spüren, als eines Nachts ein Ufo in seinem Garten abstürzt, die Azaleen umpflügt und die Vogeltränke demoliert. Milton tut, was jeder vernünftige Mensch tun würde: Er ruft den Polizeinotruf an, wo man ihn für einen Spinner hält. Er versucht, seine Tochter zu erreichen, deren Mailbox allerdings voll ist. Dann legt er sich wieder ins Bett und hofft, alles sei ein Traum. Aber am nächsten Morgen ist das Raumschiff noch immer da. Milton verflucht also kurz die Vernichtung seiner Azaleen, erinnert sich dann an seinen Anstand und bietet dem kleinen Außerirdischen, der auf seiner Veranda hockt, eine Decke und eine Auswahl an Nahrungsmitteln an, von denen jener allein die Äpfel vertilgt. Natürlich will Milton, ordnungsliebend wie er ist, die zerstörten Azaleen und vor allem die Beseitigung des Ufos aus seinem Garten in der nächsten Gemeinderatssitzung zum Thema machen. Doch dort erntet er nur scheele Blicke der Vorsitzenden, gibt aber immerhin den beiden Rentnerinnen Joyce und Sandy den Vorwand, ihn anzusprechen.
Sowohl Jane Curtin, die ihre Joyce mit nervöser Neugier spielt, als auch Harriet Harris, deren Sandy naive Gutmütigkeit im Blick hat, sind herausragende Komödiendarstellerinnen, die Pointen und Timing über Jahre in Fernsehsitcoms (Curtin in "Kate & Allie", Harris in "Frasier") übten. Kingsley steht ihnen in nichts nach, auch wenn die dramatischen Rollen seine Komödienerfolge überschatten. Erinnert man sich jedoch, wie er als Watson in der britischen Sherlock-Holmes-Komödie "Without a Clue" (1988) selbst dann noch Grimassen mit hüpfenden Augenbrauen zog, wenn die Kamera ihn nur im Bildhintergrund einfing, oder wie breit er in "Iron Man 3" (2013) in nuschelige Kiffersprache verfiel, wenn er einen abgehalfterten Schauspieler mimen muss, der sich als Terrorist ausgibt, dann weiß man: Der Mann ist ein begnadeter Komödienschauspieler.
So ernst wie jeder der drei seine Rolle nimmt der Film auch die Handlung. Wie unterhält man sich zum Beispiel mit einem Alien? Milton, dem korrekte Wörter so wichtig sind ("call home"), muss feststellen, dass sein neuer außerirdischer Mitbewohner keinen Laut von sich gibt. Also behilft er sich wie jeder Mensch, der einen Gast aus einem fremden Sprachraum aufnimmt, mit dem Zeigen und Deuten. Als der Außerirdische irgendwann seinerseits einen Kommunikationsversuch per Piktogramm wagt, wird es ausgerechnet Joyce sein, die versteht, was er den dreien mitteilen will.
Regisseur Marc Turtletaub hat sich bislang vornehmlich als unabhängiger Produzent für Arthousefilme wie das Roadmovie "Little Miss Sunshine" oder das asiatische Familiendrama "The Farewell" hervorgetan, "A Great Place to Call Home" ist erst der dritte Spielfilm, bei dem er selbst auch die Regie übernommen hat. Im Umgang mit Schauspielern setzt er auf deren Kreativität, verzichtet auf Proben und lässt sich vielmehr gern davon leiten, was seine Darsteller aus einer Szene machen wollen. Mit dieser recht radikalen Arbeitsweise hat er bei Curtin, Kingsley und Harris drei Komplizen gefunden, die die Herausforderung freudig annehmen. Zumal Turtletaub eine weitere Hürde eingebaut hat, wenn er seine Darsteller vor die Frage stellt: Wie spielt man eine Szene mit dem Alien, wenn man die einzige Person ist, die sprechen darf? Diese Szenen geben den dreien die Bühne, die sie verdienen, und treten wie funkelnde Sterne am Nachthimmel hervor. Jeder und jede der drei bekommt Platz, der jeweiligen Figur mehr charakterliche Tiefe zu geben und dabei zugleich das eigene Können zur Schau zu stellen. Kingsley erzählt von Miltons Einsamkeit, Curtis lässt ihre Joyce an wilde Zeiten zurückdenken (und sogar singen), und Harriet öffnet ihre Sandy gegenüber dem Alien in einer Weise, die nahelegt, dass sehr lange niemand mehr solche Gefühlstiefe ausgehalten hat.
Diese Monologe werden so zu Geständnissen, in denen Wahrheiten zutage treten, denen sich die Figuren allein nie gestellt hätten. Ganz subtil erzählt der Film und erzählen die Darsteller von Vergänglichkeit, vom Altwerden und vom Überprüfen der Vorstellung, was man für ein erfülltes Leben hält.
Und natürlich stürzen sich die drei, um die sich sonst niemand mehr kümmerte, zusammen in ein Abenteuer. Denn schon bald hat die Regierung die Spur des abgestürzten Raumschiffs aufgenommen, "und wir alle wissen ja, was mit dem armen Kerlchen passiert, wenn die Regierung es schnappt", raunt Sandy ihren Mitverschwörern zu. Sie helfen also dem Außerirdischen - oder hilft nicht vielmehr der Außerirdische ihnen, weil er sie aus den Routinen schüttelt, sie zu einem Team macht und sie vor Entscheidungen stellt, denen sie ohne ihn nie ins Auge geblickt hätten? Die Antwort darauf ist sehr lustig und deshalb sehr ernst zu nehmen. MARIA WIESNER
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In der Kinokomödie "A Great Place to Call Home" beichten Ben Kingsley, Jane Curtin und Harriet Harris einem Außerirdischen ihre Lebensgeheimnisse.
Wer seine Rolle in einer Komödie glaubhaft spielen will, muss sie ernst nehmen. Ben Kingsley tut genau das in "A Great Place to Call Home", obwohl man beim bloßen Blick auf den Inhalt des Films meinen könnte, es handle sich um ganz leichte Kinokost: Kingsley gibt, mit schlohweißem Haar und großer Brille, den Rentner Milton. Der ist achtundsiebzig Jahre alt, mag Ordnung und lässt sich nicht leicht aus der Ruhe bringen. In einer beschaulichen Kleinstadt in Pennsylvania führt er ein geruhsames Leben. Er wässert seine Blumen, füttert im Garten Vögel und wiegelt ab, wenn seine Tochter ihm beweisen will, dass er langsam vergesslich werde (was macht schon eine Bohnendose im Badezimmerschrank). Weil Milton ein ordnungsliebender Mensch ist, beteiligt er sich regelmäßig an den Sitzungen des Gemeinderats, bei denen er, da sich niemand der Beschwerden annimmt, immer wieder die gleichen Dinge vorträgt. Der Werbeslogan der Kleinstadt, "a great place to call home", sei aufgrund der Doppeldeutigkeit des Wörtchens "call" unpräzise und sollte verbessert werden. Und man benötige zusätzliche Fußgängerüberwege, für ältere Menschen wie ihn sei die Hauptstraße sonst zu gefährlich. So weit, so vernünftig - und eben auch unergiebig, denn alte Menschen nimmt niemand mehr so recht ernst.
Das bekommt Milton noch stärker zu spüren, als eines Nachts ein Ufo in seinem Garten abstürzt, die Azaleen umpflügt und die Vogeltränke demoliert. Milton tut, was jeder vernünftige Mensch tun würde: Er ruft den Polizeinotruf an, wo man ihn für einen Spinner hält. Er versucht, seine Tochter zu erreichen, deren Mailbox allerdings voll ist. Dann legt er sich wieder ins Bett und hofft, alles sei ein Traum. Aber am nächsten Morgen ist das Raumschiff noch immer da. Milton verflucht also kurz die Vernichtung seiner Azaleen, erinnert sich dann an seinen Anstand und bietet dem kleinen Außerirdischen, der auf seiner Veranda hockt, eine Decke und eine Auswahl an Nahrungsmitteln an, von denen jener allein die Äpfel vertilgt. Natürlich will Milton, ordnungsliebend wie er ist, die zerstörten Azaleen und vor allem die Beseitigung des Ufos aus seinem Garten in der nächsten Gemeinderatssitzung zum Thema machen. Doch dort erntet er nur scheele Blicke der Vorsitzenden, gibt aber immerhin den beiden Rentnerinnen Joyce und Sandy den Vorwand, ihn anzusprechen.
Sowohl Jane Curtin, die ihre Joyce mit nervöser Neugier spielt, als auch Harriet Harris, deren Sandy naive Gutmütigkeit im Blick hat, sind herausragende Komödiendarstellerinnen, die Pointen und Timing über Jahre in Fernsehsitcoms (Curtin in "Kate & Allie", Harris in "Frasier") übten. Kingsley steht ihnen in nichts nach, auch wenn die dramatischen Rollen seine Komödienerfolge überschatten. Erinnert man sich jedoch, wie er als Watson in der britischen Sherlock-Holmes-Komödie "Without a Clue" (1988) selbst dann noch Grimassen mit hüpfenden Augenbrauen zog, wenn die Kamera ihn nur im Bildhintergrund einfing, oder wie breit er in "Iron Man 3" (2013) in nuschelige Kiffersprache verfiel, wenn er einen abgehalfterten Schauspieler mimen muss, der sich als Terrorist ausgibt, dann weiß man: Der Mann ist ein begnadeter Komödienschauspieler.
So ernst wie jeder der drei seine Rolle nimmt der Film auch die Handlung. Wie unterhält man sich zum Beispiel mit einem Alien? Milton, dem korrekte Wörter so wichtig sind ("call home"), muss feststellen, dass sein neuer außerirdischer Mitbewohner keinen Laut von sich gibt. Also behilft er sich wie jeder Mensch, der einen Gast aus einem fremden Sprachraum aufnimmt, mit dem Zeigen und Deuten. Als der Außerirdische irgendwann seinerseits einen Kommunikationsversuch per Piktogramm wagt, wird es ausgerechnet Joyce sein, die versteht, was er den dreien mitteilen will.
Regisseur Marc Turtletaub hat sich bislang vornehmlich als unabhängiger Produzent für Arthousefilme wie das Roadmovie "Little Miss Sunshine" oder das asiatische Familiendrama "The Farewell" hervorgetan, "A Great Place to Call Home" ist erst der dritte Spielfilm, bei dem er selbst auch die Regie übernommen hat. Im Umgang mit Schauspielern setzt er auf deren Kreativität, verzichtet auf Proben und lässt sich vielmehr gern davon leiten, was seine Darsteller aus einer Szene machen wollen. Mit dieser recht radikalen Arbeitsweise hat er bei Curtin, Kingsley und Harris drei Komplizen gefunden, die die Herausforderung freudig annehmen. Zumal Turtletaub eine weitere Hürde eingebaut hat, wenn er seine Darsteller vor die Frage stellt: Wie spielt man eine Szene mit dem Alien, wenn man die einzige Person ist, die sprechen darf? Diese Szenen geben den dreien die Bühne, die sie verdienen, und treten wie funkelnde Sterne am Nachthimmel hervor. Jeder und jede der drei bekommt Platz, der jeweiligen Figur mehr charakterliche Tiefe zu geben und dabei zugleich das eigene Können zur Schau zu stellen. Kingsley erzählt von Miltons Einsamkeit, Curtis lässt ihre Joyce an wilde Zeiten zurückdenken (und sogar singen), und Harriet öffnet ihre Sandy gegenüber dem Alien in einer Weise, die nahelegt, dass sehr lange niemand mehr solche Gefühlstiefe ausgehalten hat.
Diese Monologe werden so zu Geständnissen, in denen Wahrheiten zutage treten, denen sich die Figuren allein nie gestellt hätten. Ganz subtil erzählt der Film und erzählen die Darsteller von Vergänglichkeit, vom Altwerden und vom Überprüfen der Vorstellung, was man für ein erfülltes Leben hält.
Und natürlich stürzen sich die drei, um die sich sonst niemand mehr kümmerte, zusammen in ein Abenteuer. Denn schon bald hat die Regierung die Spur des abgestürzten Raumschiffs aufgenommen, "und wir alle wissen ja, was mit dem armen Kerlchen passiert, wenn die Regierung es schnappt", raunt Sandy ihren Mitverschwörern zu. Sie helfen also dem Außerirdischen - oder hilft nicht vielmehr der Außerirdische ihnen, weil er sie aus den Routinen schüttelt, sie zu einem Team macht und sie vor Entscheidungen stellt, denen sie ohne ihn nie ins Auge geblickt hätten? Die Antwort darauf ist sehr lustig und deshalb sehr ernst zu nehmen. MARIA WIESNER
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