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-> Abschied von gestern (Deutschland 1966): Ein junges Mädchen, Anita G. Ihre Eltern wurden im Dritten Reich eines Morgens abgeholt. Sie kommt aus dem Osten. Jetzt friert sie sich durch den Westen. Dreierlei Deutschland.
-> Gelegenheitsarbeit einer Sklavin (Deutschland 1973): Eine Ehe mit Kindern inmitten der Protestbewegung. Roswitha Bronski plant gesellschaftliche Veränderungen. Außerhalb der Familie fallen sie ihr leichter.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / Szenenanwahl - Animiertes DVD-Menü - DVD-Menü mit Soundeffekten - Brutalität in Stein (11 min.) -
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Produktbeschreibung
-> Abschied von gestern (Deutschland 1966):
Ein junges Mädchen, Anita G. Ihre Eltern wurden im Dritten Reich eines Morgens abgeholt. Sie kommt aus dem Osten. Jetzt friert sie sich durch den Westen. Dreierlei Deutschland.

-> Gelegenheitsarbeit einer Sklavin (Deutschland 1973):
Eine Ehe mit Kindern inmitten der Protestbewegung. Roswitha Bronski plant gesellschaftliche Veränderungen. Außerhalb der Familie fallen sie ihr leichter.

Bonusmaterial

DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / Szenenanwahl - Animiertes DVD-Menü - DVD-Menü mit Soundeffekten - Brutalität in Stein (11 min.) - Ein Liebesversuch (13 min.) - Lehrer im Wandel (11 min.) - Sam remembers Papa Kong - Booklet mit Texten von Alexander Kluge
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2010

Was hat sich denn überhaupt verändert?
Alexander Kluges Film aus dem Jahr 1966 lässt nichts ruhen, was die Bundesrepublik damals stillzustellen bemüht war

Der Titel hätte nicht besser und provozierender gewählt sein können: "Abschied von gestern". Jeder Kinoliebhaber musste das 1966 als Bekräftigung des Oberhausener Manifestes verstehen, das vier Jahre zuvor Papas Kino schriftlich den Laufpass gegeben hatte. Aber die praktische Umsetzung des damit ausgerufenen Neuen Deutschen Films war eher schleppend in Gang gekommen. Umso begieriger erwartete man nun das Spielfilmdebüt des bislang nur als Dokumentarist hervorgetretenen Alexander Kluge, der in Oberhausen einer der Wortführer gewesen war.

Und dann das: Auf einer dem Film vorangestellten Schrifttafel verkündet Kluge: "Von gestern trennt uns kein Abgrund, sondern die veränderte Lage." Hier wird also nicht Revolution beschworen, sondern Anpassung. Und doch ist der Satz keineswegs harmlos. Denn Kluge kündigte damit jenes bequeme Denkmuster auf, das zwischen "Drittem Reich" und Bundesrepublik einen historischen Bruch sah. "Abschied von gestern" proklamiert dagegen: Nur die Lage ist eine andere, die Protagonisten sind die gleichen geblieben und die Überzeugungen auch. Gezeigt wird das am Schicksal einer Jüdin, deren in juristischer Seminartradition abgekürzter Name in Klammern dem Filmtitel nachgestellt ist: Anita G. Sie war, einer realen Person nachgebildet, bereits Gegenstand einer Erzählung in Kluges 1962 erschienenem Prosaband "Lebensläufe", der kleine Biographien versammelte, die der Autor als exemplarisch für Deutschland empfand.

Einer dieser Lebensläufe war der jener kurz vor dem Krieg geborenen Anita G., die 1957 aus der DDR in den Westen gekommen war und dort 1959 wegen Diebstahls ins Gefängnis ging. Genau hier setzt der Film an: im Gerichtssaal. Hans Korte spielt mit schneidendem Ton einen in Distanz erstarrten Braunschweiger Richter, der in Anita G. nur die Täterin sieht, nicht auch das Opfer, das als jüdisches Kind verfolgt wurde, dessen Eltern unter den Nazis deportiert und nach der glücklichen Rückkehr in der DDR enteignet worden waren und das seiner aus all dem resultierenden ständigen Angst durch die Flucht in die Bundesrepublik zu entkommen suchte. Mildernde Umstände durch die Schreckenserlebnisse? Der Richter reagiert kühl: "Nach der Lebenserfahrung wirkt das bei jungen Leuten nicht nach." Seine Lebenserfahrungen als Angehöriger der deutschen Elite sind andere als die der Jüdin Anita G.

Deshalb kein Abgrund, der uns von der Vergangenheit trennt, sondern nur die anderen Umstände. Dass Anita G. nicht ins Lager geschickt wird, sondern ins Gefängnis, ist nicht einer anderen Einstellung gegenüber ihrer Person zu verdanken, sondern nur einer anderen Situation. Sie wird konkret im Ort des anfänglichen Geschehens: Braunschweig. Das ist jene Stadt, die Hitler eingebürgert hatte, in der aber auch nach dem Krieg für kurze Zeit ein Mann juristisch wirkte, der in "Abschied von gestern" eine zentrale Rolle übernimmt, ohne sie zu spielen: der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Der einzige Bruch, den es überhaupt geben kann, ist der von einem Individuum zum anderen. Es sind solche untergründigen Bezüge wie der durch Braunschweig vermittelte von Hitler zu Fritz Bauer, die Kluges Film ausmachen. Noch beim wiederholten Ansehen wird man neue Themenketten erkennen, Details entschlüsseln oder Dialoge zueinander in Beziehung setzen. Es ist keine Montage der Attraktionen, wie Eisenstein sie entwickelt hat, sondern eine Montage der Assoziationen. "Abschied von gestern", dieses Zentralwerk des Neuen Deutschen Films, entdeckt man selbst jedes Mal wieder neu. Denn auch seine Rezeption richtet sich nach der je veränderten Lage.

Der erste Satz setzt den Leitton für das, was sich dann vierundachtzig Minuten lang auf der Leinwand entfaltet: Auch Kluges Spielfilmdebüt gehorcht jenem essayistischen Interesse, das den 1932 in Halberstadt geborenen Regisseur bis heute antreibt. Vor 1966 war er nicht nur Dokumentarfilmer, sondern auch Jurist und Schriftsteller, hatte bei Adorno an der Frankfurter Universität studiert, und aus all diesen Erfahrungen fließen Elemente in die Handlung von "Abschied von gestern" ein. Die autobiographischen Bezüge werden auf die Spitze getrieben, wenn Kluge und sein Kameramann Edgar Reitz am Rosenmontag 1966 in Köln auf die Straße gehen und den Karneval filmen, in dessen Trubel die mittlerweile wieder freigelassene, aber an ihrer Umgebung scheiternde Anita G. gerät. Der Rosenmontag 1966 fiel auf den 14. Februar, Kluges Geburtstag.

Damit nicht genug des eigenen Lebens im fremden. Anita G. wird gespielt von Alexandra Kluge, der 1937 geborenen Schwester des Regisseurs, die im Gegensatz zu ihm nach der Trennung ihrer Eltern in der DDR geblieben war und erst 1957 in den Westen ausreiste. Diese Jahreszahlen sind auch die Eckdaten der Biographie von Anita G. Die filmische Existenz der Hauptfigur verschwimmt mit der realen der Hauptdarstellerin, und es ist diese Anteilnahme, die Alexandra Kluge zu einer Leistung herausgefordert hat, die im deutschen Kino ihresgleichen sucht. Beim Filmfestival von Venedig, wo "Abschied von gestern" am 5. September 1966 seine Premiere erlebte, gewann nicht nur das Werk einen Silbernen Löwen, sondern Alexandra Kluge auch den Preis als beste Darstellerin.

Man kann nur bedauern, dass diese faszinierende Frau, die das Zeug zu einer deutschen Jeanne Moreau hatte, danach kaum noch Filme gedreht und stattdessen ihre Karriere als Ärztin weiterverfolgt hat. Immerhin: In "Gelegenheitsarbeit einer Sklavin" konnte Alexander Kluge seine Schwester 1973 noch einmal dem Kino zurückgewinnen. Das war jener Film, den Kluge zwei Jahre später um eine Textsammlung "zur realistischen Methode" ergänzte, die mit dem Satz eines spanischen Gastarbeiters schließt: "Das Leben der Menschen ist eher ,strahlenförmig'."

Anita G. ist ein Stern, der strahlt, aber darüber verglühen muss. Es ist kein Platz für sie in einer Nachkriegsgesellschaft, die sich mit der Vergangenheit arrangiert hat, indem sie sie beschweigt. Die Existenz einer Flüchtigen wie Anita G. ist ein Störfaktor, und nur einmal findet sie im Laufe des Films eine Beschäftigung, die die Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht: als Zimmermädchen in einem Hotel, das von einem ehemaligen jüdischen Lagerhäftling geführt wird. Kluge schneidet die Erzählung des realen Nathan Gnatz wie so manches andere Stück Cinéma vérité in "Abschied von gestern" ein, und so hören wir im Spielfilm die ergreifende Schilderung eines Befreiten, der nicht in der Lage war, Rache an seinen Peinigern zu nehmen, obwohl ihm die russischen Befreier eine Pistole in die Hand drückten. Als dieser Hotelbesitzer eines Tages auf Reisen ist, kündigt man Anita G. sofort.

Alexander Kluge hat mit "Abschied von gestern" den großen Film zur Vergangenheitsbewältigung gedreht, indem er nichts ruhen lässt, was die Bundesrepublik stillzustellen bemüht war. Darum die kreisende Kamera, die mittels Zeitraffer beschleunigten Autofahrten, das dokumentarische Material. Und doch gibt es keine Hoffnung. Fritz Bauer, der der erneut des Diebstahls angeklagten Anita G. als letzte Hilfe empfohlen wird, wird im Film zwar durch zwei dokumentarische Aufnahmen eingeführt, aber die junge Frau wagt nicht, den stets von seiner Sorge um die Gerechtigkeit Gehetzten anzusprechen. So sitzt sie am Ende wieder in der Zelle, ein Kind wird abgetrieben, und die letzte Kreisbewegung, die Edgar Reitz für "Abschied von gestern" gedreht hat, misst den Gefängnishof aus. Das ist die Vision des deutschen Lebens der Anita G.

ANDREAS PLATTHAUS

Die F.A.Z.-Filmedition "Momente des deutschen Films", einzeln oder im Schuber (mit Michael Althens und Hans Helmut Prinzlers "Auge in Auge"), ist jetzt im Handel.

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