Berlin 1943/44. Unter der Bedrohung von Bombardierung und Verfolgung treffen zwei sehr unterschiedliche Frauen aufeinander. Lilly ist Ende zwanzig, verheiratet, Mutter von vier Kindern und eine Mitläuferin. Bei einem Konzertbesuch lernt Lilly eine junge Frau kennen: Felice, eine Jüdin, die unter falschen Namen für eine Nazizeitung schreibt und eine Widerstandsgruppe mit Informationen versorgt. Ein Zufall führt die beiden wieder zusammen. Lilly wird heftig umworben und spürt gleichzeitig eine starke Anziehung. Mitten im Bombenkrieg entsteht eine leidenschaftliche Liebe. Bis eines Tages im August 1944 die Gestapo in Lillys Wohnung wartet...
Bonusmaterial
Making Of-Featurette-Hinter den Kulissen-Audio-Interview mit Maria Schrader. DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kinotrailer - Trailer von anderen Filmen - Kapitel- / Szenenanwahl - Making Of - Animiertes DVD-Menü - InterviewsFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.1999Und wußten nicht, was morgen ist
Heute zur Eröffnung der Berlinale, danach im Kino: "Aimée & Jaguar" von Max Färberböck
Exemplarischer ließe sich die Berlinale nicht eröffnen. Ein deutscher Film zum Auftakt unseres großen Festivals, ein Blick zurück auf Berlin im Jahr 1943 und eine wahre Geschichte, deren noch lebende Augenzeugin, die fünfundachtzig Jahre alte Lilly Wust, von sich sagt, sie sei überhaupt nicht wichtig, entscheidend sei allein dieses Denkmal für ihre geliebte Felice. Der Film "Aimée & Jaguar" erzählt von unerhörter Liebe in höchst gefährdeter Zeit, vom Glück des Augenblicks und von rigoroser Lebensgier, von einem Krieg, der sich immer näher an die deutsche Hauptstadt angeschlichen hatte, und von der Tugend ihrer Bewohner, diese Bedrohung jeden Tag neu zu verdrängen. "Die Bomben fielen - na und?" erinnert sich Lilly Wust. "Wir wollten heute leben und wußten nicht, was morgen ist."
Die Unübersichtlichkeit jener Zeit war das erste, was den durch zwei Bella-Block-Krimis und zwei andere außerordentliche Fernsehfilme, "Schlafende Hunde" und "Einer zahlt immer", renommierten und mehrfach ausgezeichneten Regisseur Max Färberböck bei seinem Kinodebüt reizte: "Das war ein ungeheures Neben- und Durcheinander von schreienden Politikern, Mördern, Denunzianten und panischen Menschen, die völlig orientierungslos von einem Tag in den anderen stolperten. Die Stadt verbrannte, dazu sangen Heinz Rühmann und die Rökk. Ein Tanz auf dem Vulkan. Schminken, schön sein, auf dem Weg zum Rendezvous über Leichen steigen, all dies verschmilzt zu einem gewaltigen Schrei." Es zeichnet Färberböck aus, daß er trotzdem nicht überhörte, was zwei Menschen, denen eigentlich unser ganzes Augenmerk gelten soll, erst insgeheim und schließlich mit aller Emphase sich selbst und einander zu gestehen hatten: eine "Liebe, größer als der Tod".
Der Untertitel des Films mag kinoträchtig und kitschig klingen - was die beiden Frauen Lilly Wust und Felice Schragenheim, im Film vage gleichen Alters, im wirklichen Leben mit neun Jahren Altersunterschied, einander verfallen ließ, war ein so wuchtiger Einschlag in beider Dasein, daß ungerührt und distanziert davon kaum zu berichten wäre. "Aimée & Jaguar", gestützt auf das 1994 erstmals und jetzt in einer Neubearbeitung erschienene gleichnamige Buch von Erica Fischer, erzählt keine umfangreiche Geschichte. Kaum ein Jahr war der Liebe zwischen Lilly, zärtlich Aimée genannt, und ihrem Jaguar Felice vergönnt. Im August 1944 wurde die Jüdin von der Gestapo verhaftet und nach Theresienstadt deportiert. Ihre Spur verliert sich in den berüchtigten Todesmärschen der Zeit, Ort und Zeitpunkt ihres Todes sind unbekannt.
Kein großer Zeitraum - aber wieviel menschliche Größe, welche emotionalen Erschütterungen drängen in diesen paar Monaten ans Licht. Daß die Frau eines Soldaten mit vier Kindern und dem Mutterkreuz in Bronze, ein Hausmütterchen, das nur insofern aus der Art schlägt, als es sich immer wieder mal andere Uniformträger ins Haus und ins Bett holt - daß eine solche Portion Biedersinn der verführerischen Selbstsicherheit, Eleganz und Welterfahrenheit einer Jüngeren erliegt, ist weniger unglaublich, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Lilly Wust stellt in Abrede, jene gedankenlose Nazimitläuferin gewesen zu sein, als die sie der Film zeichnet. Aber daß sie hingerissen war vom räuberischen Elan Felices - jeder Augenblick, den diese den Nazis stahl, sei ein Sieg für sie gewesen, sagt der Regisseur -, daß deren Energie und Spontaneität, Kultiviertheit und zugleich Schrankenlosigkeit Lilly überwältigten, ist kein Zweifel. Der erste jähe Kuß auf den Mund gleicht noch einem Schock, den Lilly mit einer Ohrfeige zu bannen sucht. Doch lange kann sie nicht übersehen, daß diese unverschämt selbstbewußte, ihre Angst als Jüdin ebenso tollkühn wie intelligent umspielende Frau genau der Mensch ist, nach dem Lilly sich unausgesprochen immer sehnte: weil er ihr endlich eine andere, eine erfülltere Art von Leben versprach.
Felice hat es lange nicht gewagt, Lilly zu gestehen, daß sie Jüdin sei. Lieber galt sie als sprunghaft, wenn sie tagelang nicht aufzutreiben war, als erotisch unzuverlässig und egoistisch. Daß sie ausgerechnet bei Lillys Hausmädchen im "Pflichtjahr" namens Inge, aus welcher der Film warum auch immer eine Ilse macht, im Keller untergetaucht war, daß sie unter falschem Namen bei der "Nationalzeitung" arbeitete und zugleich einer Widerstandsorganisation mit Informationen zu Diensten war, soll die Geliebte möglichst nicht einmal ahnen. Wie die beiden Frauen sich aber allmählich doch offenbaren müssen und welche selbstverständliche Ehrlichkeit und innere Größe Lilly an den Tag legt, indem sie sich von ihrem Ehemann trennt und Felice ganz zu sich nimmt, das zählt zu den bewegendsten Momenten dieses an Gefühlsvaleurs nicht eben armen Films.
Färberböck, der gemeinsam mit der britischen Autorin Rona Munro auch das Drehbuch schrieb, steigt etwas ungelenk ins Geschehen ein. Eine Wohnung wird aufgelöst, Interessenten machen sich breit. Abseits eine alte Frau, Gram im Gesicht, die grimmig Abschied nimmt: "Fotos und Stuhl gehören mir, alles andere können Sie zu Brennholz machen." Lilly Wust zieht in ein Heim, und unter den Alten dort stößt sie auf ein ihr irgendwie von früher vertrautes Gesicht. Auch Ilse, Lillys Pflichtjahrmädchen und spätere Freundin, hat es ins Heim verschlagen - und sie besinnt sich nun auf die Geschichte von Aimée und Jaguar, die aus Ilses Blickwinkel aufgerollt wird, aber ein paar irritierende Momente lang unversehens auch aus dem Felices. Erst ganz zum Ende des Films schließt sich der Bogen wieder, wenn die beiden alten Frauen ihr Leben resümmieren. "Das Schicksal hat mich betrogen", klagt Lilly, die im Vertrauen auf den Schutz, Mutter von vier Kindern zu sein, sogar couragiert genug war, nach ihrer verhafteten Gefährtin im Konzentrationslager zu suchen. "Erst der Führer, dann das Schicksal", wird sie von Ilse korrigiert. Die Schuld soll nicht namenlos sein.
So bemüht diese Einbettung ins Hier und Jetzt sich ausnimmt, trotz der überzeugenden Auftritte von Inge Keller und Kyra Mladeck als Lilly und Ilse im Alter, so mitreißend gelingen die Szenen im Berlin der vierziger Jahre. Färberböck fand in Maria Schrader und Juliane Köhler zwei Hauptdarstellerinnen von unglaublich intensiver Ausstrahlung. Lebendig, fast koboldhaft, anmaßend und dabei hingebungsvoll sinnlich die eine, Maria Schrader als treibende Kraft dieser Liebe, von der sich Felice verschlingen ließ wie noch von keiner Zuneigung zu einer Frau zuvor. Filigraner bei aller robusten Körperlichkeit, erschrockener über die eigene Schamlosigkeit und seelisch zarter die andere. Luftwesenhaft nennt der Regisseur die unvergleichliche Art Juliane Köhlers, ihre Lilly in der Schwebe zu halten. Wie zwischen den beiden die Blicke hin und her gehen, wie die Angst, sich zu sehr zu verraten, Maske macht, wie das zögernde Miteinander sich erotisch auflädt, das ist im Kino unmittelbarer nicht zu haben. Daß Felice Schragenheim als Decknamen ausgerechnet "Schrader" wählte, macht das Verschmelzen der authentischen Figur mit der nachgespielten vollkommen.
Um die zwei im Zentrum agiert ein Ensemble, das dem Gewicht der Hauptrollen standzuhalten vermag. Der Kreis jüdischer Freundinnen um Felice zum Beispiel, Johanna Wokalek, Heike Makatsch, Elisabeth Degen, die nicht nur aus Übermut Pin-up-Fotos von sich machen lassen, um sie an die Soldaten zu verscherbeln, sondern auch aus dem nie zu verdrängenden Bewußtsein, das Aufwachen am anderen Morgen sei nicht länger selbstverständlich und jeder Tag, den sie so voll ausleben, könnte ihr letzter sein. Der gelegentlich als Schauspieler hervortretende Regisseur Detlev Buck gibt der robusten Natur von Lillys Ehemann Statur, ein Mann ohne Arg, der nichts bei einem eigenen Seitensprung oder einem seiner Frau findet, dem aber jedes Begreifen dafür fehlt, was Lilly mit Felice widerfährt. Die schillernde Figur des Nazi-Chefredakteurs, die Peter Weck niemals eindeutig werden läßt - durchschaut er Felices doppelte Identität und läßt sie gewähren oder ist er borniert ahnungslos? -, H. C. Blumenberg als pragmatischer Widerständler und so immer weiter die Besetzungsliste entlang: sie alle belegen, wie gewinnbringend Färberböck mit Schauspielern zu arbeiten versteht.
"Aimée & Jaguar" ist kein Film, der die Zeitgeschichte in ein unvermutet anderes Licht zu rücken suchte. Aber er läßt den Zuschauer sie auf eine Weise nacherleben, die sinnfällig und sinnlich zu Synonymen macht, heute abend zum Auftakt der Berlinale, von morgen an im Kino. HANS-DIETER SEIDEL
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Heute zur Eröffnung der Berlinale, danach im Kino: "Aimée & Jaguar" von Max Färberböck
Exemplarischer ließe sich die Berlinale nicht eröffnen. Ein deutscher Film zum Auftakt unseres großen Festivals, ein Blick zurück auf Berlin im Jahr 1943 und eine wahre Geschichte, deren noch lebende Augenzeugin, die fünfundachtzig Jahre alte Lilly Wust, von sich sagt, sie sei überhaupt nicht wichtig, entscheidend sei allein dieses Denkmal für ihre geliebte Felice. Der Film "Aimée & Jaguar" erzählt von unerhörter Liebe in höchst gefährdeter Zeit, vom Glück des Augenblicks und von rigoroser Lebensgier, von einem Krieg, der sich immer näher an die deutsche Hauptstadt angeschlichen hatte, und von der Tugend ihrer Bewohner, diese Bedrohung jeden Tag neu zu verdrängen. "Die Bomben fielen - na und?" erinnert sich Lilly Wust. "Wir wollten heute leben und wußten nicht, was morgen ist."
Die Unübersichtlichkeit jener Zeit war das erste, was den durch zwei Bella-Block-Krimis und zwei andere außerordentliche Fernsehfilme, "Schlafende Hunde" und "Einer zahlt immer", renommierten und mehrfach ausgezeichneten Regisseur Max Färberböck bei seinem Kinodebüt reizte: "Das war ein ungeheures Neben- und Durcheinander von schreienden Politikern, Mördern, Denunzianten und panischen Menschen, die völlig orientierungslos von einem Tag in den anderen stolperten. Die Stadt verbrannte, dazu sangen Heinz Rühmann und die Rökk. Ein Tanz auf dem Vulkan. Schminken, schön sein, auf dem Weg zum Rendezvous über Leichen steigen, all dies verschmilzt zu einem gewaltigen Schrei." Es zeichnet Färberböck aus, daß er trotzdem nicht überhörte, was zwei Menschen, denen eigentlich unser ganzes Augenmerk gelten soll, erst insgeheim und schließlich mit aller Emphase sich selbst und einander zu gestehen hatten: eine "Liebe, größer als der Tod".
Der Untertitel des Films mag kinoträchtig und kitschig klingen - was die beiden Frauen Lilly Wust und Felice Schragenheim, im Film vage gleichen Alters, im wirklichen Leben mit neun Jahren Altersunterschied, einander verfallen ließ, war ein so wuchtiger Einschlag in beider Dasein, daß ungerührt und distanziert davon kaum zu berichten wäre. "Aimée & Jaguar", gestützt auf das 1994 erstmals und jetzt in einer Neubearbeitung erschienene gleichnamige Buch von Erica Fischer, erzählt keine umfangreiche Geschichte. Kaum ein Jahr war der Liebe zwischen Lilly, zärtlich Aimée genannt, und ihrem Jaguar Felice vergönnt. Im August 1944 wurde die Jüdin von der Gestapo verhaftet und nach Theresienstadt deportiert. Ihre Spur verliert sich in den berüchtigten Todesmärschen der Zeit, Ort und Zeitpunkt ihres Todes sind unbekannt.
Kein großer Zeitraum - aber wieviel menschliche Größe, welche emotionalen Erschütterungen drängen in diesen paar Monaten ans Licht. Daß die Frau eines Soldaten mit vier Kindern und dem Mutterkreuz in Bronze, ein Hausmütterchen, das nur insofern aus der Art schlägt, als es sich immer wieder mal andere Uniformträger ins Haus und ins Bett holt - daß eine solche Portion Biedersinn der verführerischen Selbstsicherheit, Eleganz und Welterfahrenheit einer Jüngeren erliegt, ist weniger unglaublich, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Lilly Wust stellt in Abrede, jene gedankenlose Nazimitläuferin gewesen zu sein, als die sie der Film zeichnet. Aber daß sie hingerissen war vom räuberischen Elan Felices - jeder Augenblick, den diese den Nazis stahl, sei ein Sieg für sie gewesen, sagt der Regisseur -, daß deren Energie und Spontaneität, Kultiviertheit und zugleich Schrankenlosigkeit Lilly überwältigten, ist kein Zweifel. Der erste jähe Kuß auf den Mund gleicht noch einem Schock, den Lilly mit einer Ohrfeige zu bannen sucht. Doch lange kann sie nicht übersehen, daß diese unverschämt selbstbewußte, ihre Angst als Jüdin ebenso tollkühn wie intelligent umspielende Frau genau der Mensch ist, nach dem Lilly sich unausgesprochen immer sehnte: weil er ihr endlich eine andere, eine erfülltere Art von Leben versprach.
Felice hat es lange nicht gewagt, Lilly zu gestehen, daß sie Jüdin sei. Lieber galt sie als sprunghaft, wenn sie tagelang nicht aufzutreiben war, als erotisch unzuverlässig und egoistisch. Daß sie ausgerechnet bei Lillys Hausmädchen im "Pflichtjahr" namens Inge, aus welcher der Film warum auch immer eine Ilse macht, im Keller untergetaucht war, daß sie unter falschem Namen bei der "Nationalzeitung" arbeitete und zugleich einer Widerstandsorganisation mit Informationen zu Diensten war, soll die Geliebte möglichst nicht einmal ahnen. Wie die beiden Frauen sich aber allmählich doch offenbaren müssen und welche selbstverständliche Ehrlichkeit und innere Größe Lilly an den Tag legt, indem sie sich von ihrem Ehemann trennt und Felice ganz zu sich nimmt, das zählt zu den bewegendsten Momenten dieses an Gefühlsvaleurs nicht eben armen Films.
Färberböck, der gemeinsam mit der britischen Autorin Rona Munro auch das Drehbuch schrieb, steigt etwas ungelenk ins Geschehen ein. Eine Wohnung wird aufgelöst, Interessenten machen sich breit. Abseits eine alte Frau, Gram im Gesicht, die grimmig Abschied nimmt: "Fotos und Stuhl gehören mir, alles andere können Sie zu Brennholz machen." Lilly Wust zieht in ein Heim, und unter den Alten dort stößt sie auf ein ihr irgendwie von früher vertrautes Gesicht. Auch Ilse, Lillys Pflichtjahrmädchen und spätere Freundin, hat es ins Heim verschlagen - und sie besinnt sich nun auf die Geschichte von Aimée und Jaguar, die aus Ilses Blickwinkel aufgerollt wird, aber ein paar irritierende Momente lang unversehens auch aus dem Felices. Erst ganz zum Ende des Films schließt sich der Bogen wieder, wenn die beiden alten Frauen ihr Leben resümmieren. "Das Schicksal hat mich betrogen", klagt Lilly, die im Vertrauen auf den Schutz, Mutter von vier Kindern zu sein, sogar couragiert genug war, nach ihrer verhafteten Gefährtin im Konzentrationslager zu suchen. "Erst der Führer, dann das Schicksal", wird sie von Ilse korrigiert. Die Schuld soll nicht namenlos sein.
So bemüht diese Einbettung ins Hier und Jetzt sich ausnimmt, trotz der überzeugenden Auftritte von Inge Keller und Kyra Mladeck als Lilly und Ilse im Alter, so mitreißend gelingen die Szenen im Berlin der vierziger Jahre. Färberböck fand in Maria Schrader und Juliane Köhler zwei Hauptdarstellerinnen von unglaublich intensiver Ausstrahlung. Lebendig, fast koboldhaft, anmaßend und dabei hingebungsvoll sinnlich die eine, Maria Schrader als treibende Kraft dieser Liebe, von der sich Felice verschlingen ließ wie noch von keiner Zuneigung zu einer Frau zuvor. Filigraner bei aller robusten Körperlichkeit, erschrockener über die eigene Schamlosigkeit und seelisch zarter die andere. Luftwesenhaft nennt der Regisseur die unvergleichliche Art Juliane Köhlers, ihre Lilly in der Schwebe zu halten. Wie zwischen den beiden die Blicke hin und her gehen, wie die Angst, sich zu sehr zu verraten, Maske macht, wie das zögernde Miteinander sich erotisch auflädt, das ist im Kino unmittelbarer nicht zu haben. Daß Felice Schragenheim als Decknamen ausgerechnet "Schrader" wählte, macht das Verschmelzen der authentischen Figur mit der nachgespielten vollkommen.
Um die zwei im Zentrum agiert ein Ensemble, das dem Gewicht der Hauptrollen standzuhalten vermag. Der Kreis jüdischer Freundinnen um Felice zum Beispiel, Johanna Wokalek, Heike Makatsch, Elisabeth Degen, die nicht nur aus Übermut Pin-up-Fotos von sich machen lassen, um sie an die Soldaten zu verscherbeln, sondern auch aus dem nie zu verdrängenden Bewußtsein, das Aufwachen am anderen Morgen sei nicht länger selbstverständlich und jeder Tag, den sie so voll ausleben, könnte ihr letzter sein. Der gelegentlich als Schauspieler hervortretende Regisseur Detlev Buck gibt der robusten Natur von Lillys Ehemann Statur, ein Mann ohne Arg, der nichts bei einem eigenen Seitensprung oder einem seiner Frau findet, dem aber jedes Begreifen dafür fehlt, was Lilly mit Felice widerfährt. Die schillernde Figur des Nazi-Chefredakteurs, die Peter Weck niemals eindeutig werden läßt - durchschaut er Felices doppelte Identität und läßt sie gewähren oder ist er borniert ahnungslos? -, H. C. Blumenberg als pragmatischer Widerständler und so immer weiter die Besetzungsliste entlang: sie alle belegen, wie gewinnbringend Färberböck mit Schauspielern zu arbeiten versteht.
"Aimée & Jaguar" ist kein Film, der die Zeitgeschichte in ein unvermutet anderes Licht zu rücken suchte. Aber er läßt den Zuschauer sie auf eine Weise nacherleben, die sinnfällig und sinnlich zu Synonymen macht, heute abend zum Auftakt der Berlinale, von morgen an im Kino. HANS-DIETER SEIDEL
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