Merab ist Student an der Akademie des Georgischen Nationalballetts in Tiflis. Sein größter Traum ist es, professioneller Tänzer zu werden. Als Irakli neu in die Klasse kommt, sieht Merab in ihm zunächst einen ernstzunehmenden Rivalen auf den ersehnten Platz im festen Ensemble. Aus der Konkurrenz wird bald ein immer stärkeres Begehren. Doch im homophoben Umfeld der Schule, in der konservative Vorstellungen von Männlichkeit hochgehalten werden, wird von den beiden erwartet, dass sie ihre Liebe geheim halten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2020Ein Tanz über das Leben
Der Film "Als wir tanzten" erzählt von Menschen in Tiflis, von einer schwulen Liebe, einer Liebe zwischen Konkurrenten in der Kunst
Das Kino und der Körper: Sie mögen sich so sehr, und doch ist es oft schwierig zwischen ihnen. Weil das Kino darauf besteht, alles in Blicke zu übersetzen und in Töne. Weil der Körper sich darauf nicht reduzieren lassen will. Und weil es eben, so scheint manchmal, nur eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten gibt, den ganzen Rest zu zeigen: Spannung, Berührung, Gerüche. Körperliche Präsenz, erotische Anziehung bleiben deshalb in Filmen oft bloße Behauptung. Wie lässt sich Begehren zeigen, bevor es ausgelebt wird? Und wie kann es sein, dass einem Film gelingt, woran so viele scheitern?
Es ist der georgische Film "Als wir tanzten" des jungen Regisseurs Levan Akin, der einem diese Fragen stellt. Weil Körperspannung und Begehren in diesem queeren Tanzfilm einerseits so greifbar scheinen - und er andererseits das Geheimnis dieser Greifbarkeit nicht so einfach preiszugeben scheint.
"Als wir tanzten" erzählt von Merab (Levan Gelbakhiani), der an der georgischen Tanzakademie in Tiflis ausgebildet wird. Er kommt aus einer Familie von Tänzerinnen und Tänzern: Seine Eltern haben in der Royal Albert Hall in London getanzt und an der Metropolitan Opera in New York, seine Großmutter in der Scala. Auch Merab will unbedingt Tänzer werden - gegen die Ratschläge des Tanzlehrers, der seine Bewegungen zu feminin findet, und gegen die des Vaters, der inzwischen an einem Marktstand arbeitet und ihm eine bessere Zukunft wünscht als die eigene. Auch die Mutter und die Großmutter, bei denen er zusammen mit seinem Bruder lebt, kommen nur knapp über die Runden, manchmal reicht das Geld nicht mehr für die Stromrechnung. Merab arbeitet abends in einem Restaurant und trainiert frühmorgens, wenn die Räume noch leer sind, in der Akademie.
Dann kommt ein neuer Schüler in die Tanzklasse: Irakli (Bachi Valishvili). Und ein Platz im nationalen Tanzensemble wird frei. Ein Tänzer ist hinausgeworfen worden, weil er beim Sex mit einem anderen Mann gesehen wurde. Vor seinem Rauswurf, so wird es Merab von seiner Freundin zugetragen, "hat man ihn so verprügelt, dass er nicht mehr laufen konnte". Diese Geschichte schwebt von nun an als Gefahr über jener, die sich zwischen Merab und Irakli entwickelt. "Als wir tanzten" erzählt von einer ersten großen Liebe, einer schwulen Liebe, einer Liebe zwischen Konkurrenten in der Kunst.
Levan Gelbakhiani und Bachi Valishvili sind herausragende Hauptdarsteller. Für beide ist es die jeweils erste Filmrolle. Gelbakhiani, der tatsächlich Tänzer ist, erinnert an Timothée Chalamet - bloß in Interessanter, weil mit weniger regelmäßigen Gesichtszügen. Bachi Valishvili lässt an Bradley Cooper denken, sogar an James Dean. Die Anziehung zwischen den beiden ist so groß, dass man vor Spannung manchmal beinahe wegschauen muss. Und sie macht ein paar wenige Schwächen des Drehbuchs wett, in denen die Bilder für die Anziehung (zum Beispiel das Riechen an einem T-Shirt) so wirken, als hätte man sie zuvor schon einmal gesehen.
Aber vor allem sind da Szenen wie die, in der Merab für Irakli tanzt. Sie sind bei der Familie von Merabs Freundin Mary (Ana Javakishvili) auf dem Land, in einer großen Freundesgruppe, aber jetzt ist es Abend, und nur die beiden sind im Raum, in diesem großartigen Licht, in der süßen Kombination aus intimer Kommunikation und Aufführung. "Come get your honey", sagt die Musik, während Merab tanzt, und dieses Licht und diese Musik zusammen lassen an Szenen bei François Ozon oder Xavier Dolan denken. Die Wahrnehmungsintensität, den Rausch und das Begehren, die Akin vermittelt, erreichen diese Vorbilder. Das liegt auch an der Kamera mit ihrer selbstbewussten Eigenpräsenz, die mal unruhig und hastig, mal genießerisch und mit viel Zeit auf Merab und Irakli blickt.
Merab tanzt einen Tanz, der sich nicht entscheidet, ob er übermütig herumalbert oder ernsthaft verführt. Er tanzt für Irakli und auch ein bisschen für sich selbst. Merab ist unsicher, fühlt sich oft unwohl in seiner Haut. Dass er sich verliebt, setzt etwas in ihm frei und in seinem Tanz. Die strikten Vorstellungen von Männlichkeit und Tradition aber enthalten ihm die Anerkennung des nationalen Tanzbetriebs dafür vor.
Es geht auch um die georgische Gegenwartspolitik in "Als wir tanzten". Regisseur Akin, in Schweden geboren und aufgewachsen, erzählt darin vom Land seiner Eltern und davon, warum einige das Land lieber verlassen. Davon, wie die georgischen Nationaltänze neu gedeutet werden durch eine neue Liebe. Hinter seinem Tanz steckte immer auch eine Geschichte, sagt die Stimme aus dem Off in einer Fernsehdokumentation über Merabs Vater. Das gilt natürlich auch für die Tänze in diesem Film. Er fragt: Ist das Begehren wichtiger oder die soziale Akzeptanz? Kann man als Schwuler in Georgien glücklich werden? Und was ist mit dem Verhältnis zu Russland? "Als wir tanzten" deutet viele Fragen an. Es ist ein reicher Film, reich an Anspielungen, an Facetten, der mit seinem Reichtum nicht angibt. Er tanzt ihn.
JULIA DETTKE
Ab Donnerstag im Kino
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Film "Als wir tanzten" erzählt von Menschen in Tiflis, von einer schwulen Liebe, einer Liebe zwischen Konkurrenten in der Kunst
Das Kino und der Körper: Sie mögen sich so sehr, und doch ist es oft schwierig zwischen ihnen. Weil das Kino darauf besteht, alles in Blicke zu übersetzen und in Töne. Weil der Körper sich darauf nicht reduzieren lassen will. Und weil es eben, so scheint manchmal, nur eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten gibt, den ganzen Rest zu zeigen: Spannung, Berührung, Gerüche. Körperliche Präsenz, erotische Anziehung bleiben deshalb in Filmen oft bloße Behauptung. Wie lässt sich Begehren zeigen, bevor es ausgelebt wird? Und wie kann es sein, dass einem Film gelingt, woran so viele scheitern?
Es ist der georgische Film "Als wir tanzten" des jungen Regisseurs Levan Akin, der einem diese Fragen stellt. Weil Körperspannung und Begehren in diesem queeren Tanzfilm einerseits so greifbar scheinen - und er andererseits das Geheimnis dieser Greifbarkeit nicht so einfach preiszugeben scheint.
"Als wir tanzten" erzählt von Merab (Levan Gelbakhiani), der an der georgischen Tanzakademie in Tiflis ausgebildet wird. Er kommt aus einer Familie von Tänzerinnen und Tänzern: Seine Eltern haben in der Royal Albert Hall in London getanzt und an der Metropolitan Opera in New York, seine Großmutter in der Scala. Auch Merab will unbedingt Tänzer werden - gegen die Ratschläge des Tanzlehrers, der seine Bewegungen zu feminin findet, und gegen die des Vaters, der inzwischen an einem Marktstand arbeitet und ihm eine bessere Zukunft wünscht als die eigene. Auch die Mutter und die Großmutter, bei denen er zusammen mit seinem Bruder lebt, kommen nur knapp über die Runden, manchmal reicht das Geld nicht mehr für die Stromrechnung. Merab arbeitet abends in einem Restaurant und trainiert frühmorgens, wenn die Räume noch leer sind, in der Akademie.
Dann kommt ein neuer Schüler in die Tanzklasse: Irakli (Bachi Valishvili). Und ein Platz im nationalen Tanzensemble wird frei. Ein Tänzer ist hinausgeworfen worden, weil er beim Sex mit einem anderen Mann gesehen wurde. Vor seinem Rauswurf, so wird es Merab von seiner Freundin zugetragen, "hat man ihn so verprügelt, dass er nicht mehr laufen konnte". Diese Geschichte schwebt von nun an als Gefahr über jener, die sich zwischen Merab und Irakli entwickelt. "Als wir tanzten" erzählt von einer ersten großen Liebe, einer schwulen Liebe, einer Liebe zwischen Konkurrenten in der Kunst.
Levan Gelbakhiani und Bachi Valishvili sind herausragende Hauptdarsteller. Für beide ist es die jeweils erste Filmrolle. Gelbakhiani, der tatsächlich Tänzer ist, erinnert an Timothée Chalamet - bloß in Interessanter, weil mit weniger regelmäßigen Gesichtszügen. Bachi Valishvili lässt an Bradley Cooper denken, sogar an James Dean. Die Anziehung zwischen den beiden ist so groß, dass man vor Spannung manchmal beinahe wegschauen muss. Und sie macht ein paar wenige Schwächen des Drehbuchs wett, in denen die Bilder für die Anziehung (zum Beispiel das Riechen an einem T-Shirt) so wirken, als hätte man sie zuvor schon einmal gesehen.
Aber vor allem sind da Szenen wie die, in der Merab für Irakli tanzt. Sie sind bei der Familie von Merabs Freundin Mary (Ana Javakishvili) auf dem Land, in einer großen Freundesgruppe, aber jetzt ist es Abend, und nur die beiden sind im Raum, in diesem großartigen Licht, in der süßen Kombination aus intimer Kommunikation und Aufführung. "Come get your honey", sagt die Musik, während Merab tanzt, und dieses Licht und diese Musik zusammen lassen an Szenen bei François Ozon oder Xavier Dolan denken. Die Wahrnehmungsintensität, den Rausch und das Begehren, die Akin vermittelt, erreichen diese Vorbilder. Das liegt auch an der Kamera mit ihrer selbstbewussten Eigenpräsenz, die mal unruhig und hastig, mal genießerisch und mit viel Zeit auf Merab und Irakli blickt.
Merab tanzt einen Tanz, der sich nicht entscheidet, ob er übermütig herumalbert oder ernsthaft verführt. Er tanzt für Irakli und auch ein bisschen für sich selbst. Merab ist unsicher, fühlt sich oft unwohl in seiner Haut. Dass er sich verliebt, setzt etwas in ihm frei und in seinem Tanz. Die strikten Vorstellungen von Männlichkeit und Tradition aber enthalten ihm die Anerkennung des nationalen Tanzbetriebs dafür vor.
Es geht auch um die georgische Gegenwartspolitik in "Als wir tanzten". Regisseur Akin, in Schweden geboren und aufgewachsen, erzählt darin vom Land seiner Eltern und davon, warum einige das Land lieber verlassen. Davon, wie die georgischen Nationaltänze neu gedeutet werden durch eine neue Liebe. Hinter seinem Tanz steckte immer auch eine Geschichte, sagt die Stimme aus dem Off in einer Fernsehdokumentation über Merabs Vater. Das gilt natürlich auch für die Tänze in diesem Film. Er fragt: Ist das Begehren wichtiger oder die soziale Akzeptanz? Kann man als Schwuler in Georgien glücklich werden? Und was ist mit dem Verhältnis zu Russland? "Als wir tanzten" deutet viele Fragen an. Es ist ein reicher Film, reich an Anspielungen, an Facetten, der mit seinem Reichtum nicht angibt. Er tanzt ihn.
JULIA DETTKE
Ab Donnerstag im Kino
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main