Als wir tra¨umten war der Stadtrand von Leipzig die Welt.Die DDR war weg und wir waren noch da. Pitbull war noch kein Dealer.Mark war noch nicht tot.Rico war der gro¨ßte Boxer und Sternchen war das scho¨nste Ma¨dchen, doch sie hat mich nicht so geliebt, wie ich sie.Alles kam anders. Aber es war unsere scho¨nste Zeit.Dani, Mark, Rico, Pitbull und Paul leben im Rausch einer besonderen Zeit. Jahre, in denen Gesellschaften und Systeme aufeinander prallen und alles, wirklich alles möglich scheint. Die Jungs sind dreizehn, als die Geschichte in der DDR beginnt, siebzehn, als sie im neuen Deutschland endet. Kraftvoll, wild und zärtlich verfilmte Regisseur Andreas Dresen (Halbe Treppe, Halt auf freier Strecke) mit ALS WIR TRÄUMTEN den gleichnamigen Erfolgsroman von Clemens Meyer. Das Drehbuch schrieb Wolfgang Kohlhaase. Nach „Sommer vorm Balkon“ und „Whisky mit Wodka“ ist es die dritte Zusammenarbeit mit Andreas Dresen. ALS WIR TRÄUMTEN ist offizieller Wettbewerbsbeitrag der 65. Internationalen Filmfestspiele Berlin 2015.
Bonusmaterial
Bonusmaterial: - Making Of - Trailer - Pandora Trailershow - WendecoverFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2015Danke Leute, lebt jetzt bitte draußen weiter
Wir haben zusammen in Leipzig studiert. Schriftstellerei. Clemens Meyer kopierte damals voller Hoffnung das Manuskript seines Romans "Als wir träumten". Es wurde eine irre Erfolgsgeschichte. In der Verfilmung, die jetzt im Kino läuft, schickt Meyer als Polizist seine eigenen Geschöpfe in die Welt.
Es gibt eine bemerkenswerte Szene in Andreas Dresens Romanverfilmung von Clemens Meyers "Als wir träumten", nur knapp zwanzig Sekunden lang, die man ohne Weiteres übersehen könnte: Die fünf Helden sitzen übermüdet auf der Sünderbank einer Leipziger Polizeiwache. Eine Erziehungsmaßnahme für Halbstarke nach einer leuchtenden Nacht voller Dosenbier, Euphorie und zersplitterten Windschutzscheiben. Man hat sie hier festgesetzt, und jetzt flackert das Neonlicht äußerst unbarmherzig auf die Jungs in ihren Neunziger-Jahre-Klamotten, ihre Frisuren und Turnschuhe und Pickel. Neben ihnen: eine traurige Zimmerpalme.
Die Neunziger waren keine schöne Zeit, das sieht man sofort, aber für diese fünf sind es die besten Jahre ihres Lebens. Jemand wird die Eltern der Jungs benachrichtigen, vielleicht den Jugendrichter, aber ihnen ist das vor lauter Adrenalin und Alkohol und Freundschaft egal, denn sie wissen: Irgendwie werden sie hier wieder rauskommen, irgendwie wird es weitergehen. Sie sind jung, sie sind biegsam, sie sind die Größten! Discobesitzer! Und irgendwann schließt ein Polizist die Tür der Wache auf und schickt die Jungs wieder hinaus in die Nacht. "Auf Wiedersehen, Freunde", grummelt er in breitestem Sächsisch und sieht ihnen nach, als wisse er, was auf die fünf zukommt. Ein Beamter Mitte dreißig mit akkurater Frisur, rasselndem Schlüsselbund und wohlmeinendem Unterton. Als wolle er sie warnen, aber wer will sich mit achtzehn schon warnen lassen? "Ach, lass mal."
Das Bemerkenswerte an dieser Szene ist: Der Polizist weiß es tatsächlich. Er weiß, dass das Leben der fünf nicht besser werden wird als jetzt. Er weiß vom Verschwinden, vom Auseinanderfallen und vom Ende der Träume. Er weiß das alles, weil er sich diese Jungs ausgedacht hat: Der Polizist wird vom Schriftsteller Clemens Meyer gespielt, er hat "Als wir träumten" geschrieben, die kraftstrotzende und zugleich melancholische Romanvorlage zu Dresens Film, ein fettes und krasses Buch. "Als wir träumten" erschien 2006, seitdem hatte man sich ständig gefragt, warum der Roman nicht verfilmt wurde. "Als wir träumten" war als Buch schon ein Film, sehr szenisch, mit Schnitten und komplexen Montagesequenzen, geschult an Dos Passos, Fitzgerald und Hemingway, ein waghalsiger und waghalsig gebauter Text über die dunkel leuchtenden Jahre der Nachwendezeit. Wolfgang Hilbig, Hubert Fichte. Martin Scorsese, Luchino Visconti. Ein Text über jugendliche Wut und Euphorie in den Ruinen eines zerbröckelten Systems. Autodiebstahl, Liebe, Techno.
Als das Buch erschien, wurde es oft als dünn verkleidete Autobiographie Meyers gelesen, als Verschriftlichung einer Jugend in Leipzig Ost. Zumindest waren die Leser dankbar für die Beglaubigung der Geschichte durch die Autorenfigur. Die Tattoos! Der kahlgeschorene Kopf! Er soll mal im Jugendarrest gewesen sein! Als das Buch auf der Leipziger Buchmesse 2006 vorgestellt wurde, sirrte die Luft, ein erstauntes Raunen ging durch die Literaturwelt. Authentizität! Das Zusammendenken von Werk und Vita ist leicht greifbares Argument für den Erfolg von Büchern, eine einfache Faustregel im komplizierten kulturellen System Literatur, weshalb die Cameo-Rolle Meyers als Polizist ein schönes Spielchen sein könnte. Erich Kästner in "Emil und die Detektive", Hunter S. Thompson in "Fear and Loathing in Las Vegas". Aber sie ist mehr als das.
Am Drehtag für diese Szene hatte ich Clemens Meyer bei einem Italiener mitten in Leipzig getroffen, November 2013, wir waren zu Fuß durch die Stadt spaziert. Meyers Kompagnon, den Künstler und Galeristen Uwe-Karsten Günther, hatten wir unterwegs aufgesammelt. Meyer schien völlig gelassen, ich war eigentümlich vorfreudig auf das Filmset. Wir kannten uns vom Studium am Leipziger Literaturinstitut, nicht gut, aber ich erinnere mich noch an die Zeit, in der "Als wir träumten" ein unfertiges Manuskript gewesen war. Meyer hatte den 500-Seiten-Packen im Institut kopiert und verschickt, über Absagen geflucht und irgendwann über die Zusage vom S.-Fischer-Verlag gejubelt. Wir hatten gemeinsame Freunde und zwei-, dreimal ein paar Bier zusammen getrunken. "Als wir träumten" war durch die Decke gegangen, Sten Nadolny nannte es "ein Stück Zauberei" und die "Frankfurter Rundschau" "eine Sensation". Das Buch wurde gelesen, geliebt, viel diskutiert, Armin Petras bearbeitete es für die Bühne, man spielte es an zig Theatern, es wurde übersetzt. In der Folge erschienen drei weitere Bücher von Meyer, eine Erzählungssammlung, ein Tagebuch und der wilde Roman "Im Stein".
Die Literaturwelt ist überschaubar, und so liefen wir uns immer wieder über den Weg, in Greifswald, Berlin, New York und jetzt wieder Leipzig. Auch wenn er manchmal noch leichtfertig biographistisch mit seinen erdigen Figuren verwechselt wurde, war Clemens Meyer längst zu einer festen Größe der Gegenwartsliteratur geworden, extrem belesen, ohne Berührungsängste, ein irrer Kurator und vehementer Bühnenmensch. Er war gut, laut und vollkommen von seiner Sache überzeugt - der Literatur.
Der Drehort für die Szene auf der Polizeiwache war ein leerstehendes Amtsgebäude am Rand der Innenstadt. Es wurde mit kleinem Team gearbeitet, beschaulich und persönlich, es gab Schnittchen und Gummibärchen. Während Clemens Meyer und sein Kollege in ihre Uniformen gesteckt wurden, alberten die Schauspieler am Set herum. Andreas Dresen ließ dieses und jenes probieren: Aufmüpfigkeit, Aggression, Müdigkeit. Wäre es nicht eine gute Idee, wenn einer der Jungs in die Zimmerpflanze pinkeln würde? Gelächter. Wenn die Bullen nicht hinsehen? Wer macht's? Rico, du? Kannste nich, oder was? Rico kannich, Alter! Gekicher. Doch, aber wer macht dann die Sauerei weg? Die Schauspieler rutschten über die Fliesen, als wären sie die Figuren, die sie spielten, sie langweilten sich auf ihrer Holzbank, einer nickte tatsächlich ein, den Kopf auf der Schulter des anderen. Das Amtsgebäude wurde zur Polizeiwache, es roch nach den Resten der DDR. Und dann öffnet sich die Tür, und Kommissar Meyer marschiert ins Bild.
"Als wir träumten" hatte schon einen langen Weg hinter sich, bevor der Stoff zu dem Film wurde, der gerade in den deutschen Kinos rauf und runter läuft. Die Geschichte ist ein Formwandler, ihr Grundgerüst trägt in allen Kunstformen. Als das Buch erschien, hatte Clemens Meyer schon sechs, sieben, acht Jahre lang daran gearbeitet. Auch wenn das Buch ein Kunstwerk ist, Fiktion im besten Sinn, scheinen die gezeichnete Welt und die darin lebenden Menschen äußerst real.
Irgendwann ging das Gerücht, Andreas Dresen wolle den Roman verfilmen, Wolfgang Kohlhaase solle das Drehbuch schreiben. Kohlhaase! Dresen! Meyer! Legenden des Halbdokumentarischen, des völlig echt Erfundenen. Filme wie "Halbe Treppe", "Solo Sunny", "Berlin - Ecke Schönhauser", "Sommer vorm Balkon", "Halt auf freier Strecke", "Whisky mit Wodka"! Obwohl der Romanautor 37 Jahre alt ist, obwohl ein 51-Jähriger Regie führt und obwohl ein 83-Jähriger das Drehbuch schreibt, fühlt es sich plausibel an, dass genau diese drei die Geschichte einer Gruppe Spätpubertierender erzählen. Kohlhaase hat als Jugendlicher das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt, Meyer die Jahre direkt nach der Wende. Was gewagt klingt, ist ein schöner Dreischritt großer Kunst aus Richtung Ost geworden.
Für Clemens Meyer muss das ein erhabener Moment gewesen sein: Nach all den Jahren sitzen die von ihm erfundenen Figuren tatsächlich auf einer Holzbank vor ihm. Dresen lässt das Spiel laufen, Meyer und sein Kollege tigern durch das fiktive Polizeirevier, auf und ab, schreien und schimpfen, granteln und fluchen. Es dauert eine Weile, bis die Jungs und der Polizist sich in der gleichen Realität einfinden, aber dann wirkt es umso größer: wie Meyer die Tür aufschließt, wie seine Figuren eine nach der anderen an ihm vorbeimarschieren, hinaus in die Nacht.
Bei der Premiere des Films in Berlin laufen Andreas Dresen und sein Team gemeinsam über den roten Teppich. An den Wänden des Berlinale-Palasts hängen riesige Porträtfotos der Jungs. Clemens Meyer hält sich im Hintergrund, größer und älter als die Schauspieler. Man hat die Stadt mit den Gesichtern seiner Jungs plakatiert. Die Premierenfeier findet dann in einer ramponierten Fabrikhalle statt, fast wie das "Eastside" aus dem Film, nur wärmer, nur mit Hipster-Cola-Werbung über dem Tresen. An die Wände werden Fotos vom Drehort projiziert, ab und zu sieht man die Polizistenbilder. Clemens Meyer steht ein wenig abseits, einen Drink in der Hand, und beobachtet das alles. Marusha legt auf, die Jungs tanzen, ein Schriftsteller hat seine Figuren in ihr Leben entlassen. Sie werden es nicht leicht haben, das weiß er, so ist das Leben, das weiß er auch. Auf Wiedersehen, Freunde.
Thomas Pletzinger, 40, veröffentlichte zuletzt den Basketballroman "Gentlemen, wir leben am Abgrund".
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wir haben zusammen in Leipzig studiert. Schriftstellerei. Clemens Meyer kopierte damals voller Hoffnung das Manuskript seines Romans "Als wir träumten". Es wurde eine irre Erfolgsgeschichte. In der Verfilmung, die jetzt im Kino läuft, schickt Meyer als Polizist seine eigenen Geschöpfe in die Welt.
Es gibt eine bemerkenswerte Szene in Andreas Dresens Romanverfilmung von Clemens Meyers "Als wir träumten", nur knapp zwanzig Sekunden lang, die man ohne Weiteres übersehen könnte: Die fünf Helden sitzen übermüdet auf der Sünderbank einer Leipziger Polizeiwache. Eine Erziehungsmaßnahme für Halbstarke nach einer leuchtenden Nacht voller Dosenbier, Euphorie und zersplitterten Windschutzscheiben. Man hat sie hier festgesetzt, und jetzt flackert das Neonlicht äußerst unbarmherzig auf die Jungs in ihren Neunziger-Jahre-Klamotten, ihre Frisuren und Turnschuhe und Pickel. Neben ihnen: eine traurige Zimmerpalme.
Die Neunziger waren keine schöne Zeit, das sieht man sofort, aber für diese fünf sind es die besten Jahre ihres Lebens. Jemand wird die Eltern der Jungs benachrichtigen, vielleicht den Jugendrichter, aber ihnen ist das vor lauter Adrenalin und Alkohol und Freundschaft egal, denn sie wissen: Irgendwie werden sie hier wieder rauskommen, irgendwie wird es weitergehen. Sie sind jung, sie sind biegsam, sie sind die Größten! Discobesitzer! Und irgendwann schließt ein Polizist die Tür der Wache auf und schickt die Jungs wieder hinaus in die Nacht. "Auf Wiedersehen, Freunde", grummelt er in breitestem Sächsisch und sieht ihnen nach, als wisse er, was auf die fünf zukommt. Ein Beamter Mitte dreißig mit akkurater Frisur, rasselndem Schlüsselbund und wohlmeinendem Unterton. Als wolle er sie warnen, aber wer will sich mit achtzehn schon warnen lassen? "Ach, lass mal."
Das Bemerkenswerte an dieser Szene ist: Der Polizist weiß es tatsächlich. Er weiß, dass das Leben der fünf nicht besser werden wird als jetzt. Er weiß vom Verschwinden, vom Auseinanderfallen und vom Ende der Träume. Er weiß das alles, weil er sich diese Jungs ausgedacht hat: Der Polizist wird vom Schriftsteller Clemens Meyer gespielt, er hat "Als wir träumten" geschrieben, die kraftstrotzende und zugleich melancholische Romanvorlage zu Dresens Film, ein fettes und krasses Buch. "Als wir träumten" erschien 2006, seitdem hatte man sich ständig gefragt, warum der Roman nicht verfilmt wurde. "Als wir träumten" war als Buch schon ein Film, sehr szenisch, mit Schnitten und komplexen Montagesequenzen, geschult an Dos Passos, Fitzgerald und Hemingway, ein waghalsiger und waghalsig gebauter Text über die dunkel leuchtenden Jahre der Nachwendezeit. Wolfgang Hilbig, Hubert Fichte. Martin Scorsese, Luchino Visconti. Ein Text über jugendliche Wut und Euphorie in den Ruinen eines zerbröckelten Systems. Autodiebstahl, Liebe, Techno.
Als das Buch erschien, wurde es oft als dünn verkleidete Autobiographie Meyers gelesen, als Verschriftlichung einer Jugend in Leipzig Ost. Zumindest waren die Leser dankbar für die Beglaubigung der Geschichte durch die Autorenfigur. Die Tattoos! Der kahlgeschorene Kopf! Er soll mal im Jugendarrest gewesen sein! Als das Buch auf der Leipziger Buchmesse 2006 vorgestellt wurde, sirrte die Luft, ein erstauntes Raunen ging durch die Literaturwelt. Authentizität! Das Zusammendenken von Werk und Vita ist leicht greifbares Argument für den Erfolg von Büchern, eine einfache Faustregel im komplizierten kulturellen System Literatur, weshalb die Cameo-Rolle Meyers als Polizist ein schönes Spielchen sein könnte. Erich Kästner in "Emil und die Detektive", Hunter S. Thompson in "Fear and Loathing in Las Vegas". Aber sie ist mehr als das.
Am Drehtag für diese Szene hatte ich Clemens Meyer bei einem Italiener mitten in Leipzig getroffen, November 2013, wir waren zu Fuß durch die Stadt spaziert. Meyers Kompagnon, den Künstler und Galeristen Uwe-Karsten Günther, hatten wir unterwegs aufgesammelt. Meyer schien völlig gelassen, ich war eigentümlich vorfreudig auf das Filmset. Wir kannten uns vom Studium am Leipziger Literaturinstitut, nicht gut, aber ich erinnere mich noch an die Zeit, in der "Als wir träumten" ein unfertiges Manuskript gewesen war. Meyer hatte den 500-Seiten-Packen im Institut kopiert und verschickt, über Absagen geflucht und irgendwann über die Zusage vom S.-Fischer-Verlag gejubelt. Wir hatten gemeinsame Freunde und zwei-, dreimal ein paar Bier zusammen getrunken. "Als wir träumten" war durch die Decke gegangen, Sten Nadolny nannte es "ein Stück Zauberei" und die "Frankfurter Rundschau" "eine Sensation". Das Buch wurde gelesen, geliebt, viel diskutiert, Armin Petras bearbeitete es für die Bühne, man spielte es an zig Theatern, es wurde übersetzt. In der Folge erschienen drei weitere Bücher von Meyer, eine Erzählungssammlung, ein Tagebuch und der wilde Roman "Im Stein".
Die Literaturwelt ist überschaubar, und so liefen wir uns immer wieder über den Weg, in Greifswald, Berlin, New York und jetzt wieder Leipzig. Auch wenn er manchmal noch leichtfertig biographistisch mit seinen erdigen Figuren verwechselt wurde, war Clemens Meyer längst zu einer festen Größe der Gegenwartsliteratur geworden, extrem belesen, ohne Berührungsängste, ein irrer Kurator und vehementer Bühnenmensch. Er war gut, laut und vollkommen von seiner Sache überzeugt - der Literatur.
Der Drehort für die Szene auf der Polizeiwache war ein leerstehendes Amtsgebäude am Rand der Innenstadt. Es wurde mit kleinem Team gearbeitet, beschaulich und persönlich, es gab Schnittchen und Gummibärchen. Während Clemens Meyer und sein Kollege in ihre Uniformen gesteckt wurden, alberten die Schauspieler am Set herum. Andreas Dresen ließ dieses und jenes probieren: Aufmüpfigkeit, Aggression, Müdigkeit. Wäre es nicht eine gute Idee, wenn einer der Jungs in die Zimmerpflanze pinkeln würde? Gelächter. Wenn die Bullen nicht hinsehen? Wer macht's? Rico, du? Kannste nich, oder was? Rico kannich, Alter! Gekicher. Doch, aber wer macht dann die Sauerei weg? Die Schauspieler rutschten über die Fliesen, als wären sie die Figuren, die sie spielten, sie langweilten sich auf ihrer Holzbank, einer nickte tatsächlich ein, den Kopf auf der Schulter des anderen. Das Amtsgebäude wurde zur Polizeiwache, es roch nach den Resten der DDR. Und dann öffnet sich die Tür, und Kommissar Meyer marschiert ins Bild.
"Als wir träumten" hatte schon einen langen Weg hinter sich, bevor der Stoff zu dem Film wurde, der gerade in den deutschen Kinos rauf und runter läuft. Die Geschichte ist ein Formwandler, ihr Grundgerüst trägt in allen Kunstformen. Als das Buch erschien, hatte Clemens Meyer schon sechs, sieben, acht Jahre lang daran gearbeitet. Auch wenn das Buch ein Kunstwerk ist, Fiktion im besten Sinn, scheinen die gezeichnete Welt und die darin lebenden Menschen äußerst real.
Irgendwann ging das Gerücht, Andreas Dresen wolle den Roman verfilmen, Wolfgang Kohlhaase solle das Drehbuch schreiben. Kohlhaase! Dresen! Meyer! Legenden des Halbdokumentarischen, des völlig echt Erfundenen. Filme wie "Halbe Treppe", "Solo Sunny", "Berlin - Ecke Schönhauser", "Sommer vorm Balkon", "Halt auf freier Strecke", "Whisky mit Wodka"! Obwohl der Romanautor 37 Jahre alt ist, obwohl ein 51-Jähriger Regie führt und obwohl ein 83-Jähriger das Drehbuch schreibt, fühlt es sich plausibel an, dass genau diese drei die Geschichte einer Gruppe Spätpubertierender erzählen. Kohlhaase hat als Jugendlicher das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt, Meyer die Jahre direkt nach der Wende. Was gewagt klingt, ist ein schöner Dreischritt großer Kunst aus Richtung Ost geworden.
Für Clemens Meyer muss das ein erhabener Moment gewesen sein: Nach all den Jahren sitzen die von ihm erfundenen Figuren tatsächlich auf einer Holzbank vor ihm. Dresen lässt das Spiel laufen, Meyer und sein Kollege tigern durch das fiktive Polizeirevier, auf und ab, schreien und schimpfen, granteln und fluchen. Es dauert eine Weile, bis die Jungs und der Polizist sich in der gleichen Realität einfinden, aber dann wirkt es umso größer: wie Meyer die Tür aufschließt, wie seine Figuren eine nach der anderen an ihm vorbeimarschieren, hinaus in die Nacht.
Bei der Premiere des Films in Berlin laufen Andreas Dresen und sein Team gemeinsam über den roten Teppich. An den Wänden des Berlinale-Palasts hängen riesige Porträtfotos der Jungs. Clemens Meyer hält sich im Hintergrund, größer und älter als die Schauspieler. Man hat die Stadt mit den Gesichtern seiner Jungs plakatiert. Die Premierenfeier findet dann in einer ramponierten Fabrikhalle statt, fast wie das "Eastside" aus dem Film, nur wärmer, nur mit Hipster-Cola-Werbung über dem Tresen. An die Wände werden Fotos vom Drehort projiziert, ab und zu sieht man die Polizistenbilder. Clemens Meyer steht ein wenig abseits, einen Drink in der Hand, und beobachtet das alles. Marusha legt auf, die Jungs tanzen, ein Schriftsteller hat seine Figuren in ihr Leben entlassen. Sie werden es nicht leicht haben, das weiß er, so ist das Leben, das weiß er auch. Auf Wiedersehen, Freunde.
Thomas Pletzinger, 40, veröffentlichte zuletzt den Basketballroman "Gentlemen, wir leben am Abgrund".
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main